Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Koller als Schriftführer, in der Strafsache gegen Bayram A***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 30. September 2010, GZ 39 Hv 98/10a-60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Bayram A***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 4. Dezember 2009 in H*****
1. seine Schwester Sultan A***** durch Versetzen von zumindest neun Stichen mit einem 29,5 cm langen Küchenmesser (Klingenlänge 14 cm, Klingenbreite 3 cm) gegen deren Brust und Rücken vorsätzlich getötet;
2. seine Gattin Hava A***** durch Versetzen von drei Stichen mit einem 29,5 cm langen Küchenmesser gegen deren rechte Achselhöhle am Körper vorsätzlich schwer verletzt, wobei er die Tat mit einem solchen Mittel und auf solche Weise beging, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, „indem Hava A***** eine Schnittverletzung am rechten Oberarm und zwei Stichverletzungen in die rechte Achselhöhle mit Anstich des rechten Lungenoberlappens mit nachfolgendem Luft- und Blutaustritt in die Brusthöhle und die Weichteile, mithin eine an sich schwere Verletzung erlitt“.
Die Geschworenen hatten - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - die auf das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB gerichtete Hauptfrage 1 (betreffend Sultan A*****) bejaht, die hierzu gestellte Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) verneint. Demgemäß hatten sie die Eventualfragen nach den Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 StGB sowie der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1, 86 StGB unbeantwortet gelassen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus Z 4 und 6 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.
Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich unter Berufung auf Art 6 Abs 1 MRK und Art 90 Abs 1 B-VG gegen die nicht nur in Abwesenheit des Angeklagten, sondern auch unter Ausschluss der Mutter des Angeklagten - wenn auch öffentlich - durchgeführte (ON 59 S 18) Vernehmung der Zeugin Daniela K***** ohne prozessordnungsgemäß darzulegen, weshalb diese Vorgangsweise dem Angeklagten, dem die Verfahrensergebnisse gemäß § 250 Abs 1 zweiter Satz StPO zur Kenntnis gebracht wurden (ON 59 S 22), zum Nachteil gereichen könnte (§ 345 Abs 3 StPO).
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass § 228 Abs 1 StPO den durch Art 6 Abs 1 MRK und Art 90 Abs 1 B-VG gewährleisteten Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung auf einfach-gesetzlicher Ebene regelt. Nach Sinn und Zweck der Norm soll sich die Justiz der öffentlichen Kritik und Kontrolle stellen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Strafrechtspflege zu stärken, gleichzeitig soll das Bewusstsein der Kontrolle zu einer genaueren Pflichterfüllung der Beteiligten führen (Danek, WK-StPO § 228 Rz 4). Unter diesem Blickwinkel beschränkt der auf Ersuchen der Zeugin, demnach nicht willkürlich, sondern im Rahmen der Prozessleitung verfügte zeitweilige Ausschluss einer einzelnen Person die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht (RIS-Justiz RS0098120).
Soweit die Fragenrüge (Z 6) in Ansehung des Faktums „Sultan“ die Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB reklamiert, lässt sie mit bloß eigenständiger Schlussfolgerung des Beschwerdeführers, wonach schon die Tatausführung für eine impulsartige Aggressionsentladung spreche, die gebotene Ausrichtung am Verfahrensrecht vermissen. Zur prozessförmigen Darstellung des Nichtigkeitsgrundes hätte es nämlich des Hinweises auf ein Verfahrensergebnis der Hauptverhandlung bedurft, das auf einen allgemein begreiflichen tiefgreifenden Affekt zur Tatzeit und auch auf einen währenddessen entstandenen vorsätzlichen Tötungsentschluss des Angeklagten hingewiesen hätte, und zwar samt Angabe der Fundstelle in den Akten (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23, 43). Demzufolge geht auch die weitere Kritik an der Unterlassung der Berücksichtigung des „Kulturkreises“ durch das Erstgericht ins Leere, zumal sie sich in spekulativen Erwägungen zur extremen Demütigung eines Mannes durch den Vorwurf der Zeugungsunfähigkeit sowie durch Beschimpfungen als „Hurensohn“ und „Zuhälter“ erschöpft.
Im Übrigen ist auch der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung kein entsprechendes Substrat in Richtung eines Totschlags zu entnehmen, weil dieser im Rahmen seiner Verteidigung geradezu darauf beharrt hatte, sich „in Wirklichkeit“ an den eigentlichen Tathergang, insbesondere an das Versetzen von Messerstichen nicht erinnern zu können und demnach auch zum entscheidenden Schuldelement keine Auskunft zu geben vermochte, wenn er auch den Umstand der Tötung an sich nicht bestritt (ON 59 S 6, 8, 10, 11 und 17).
Weshalb der nicht von der Getöteten, sondern nach dem Hauptverhandlungsprotokoll von der Ehegattin in der Vergangenheit erhobene Vorwurf der Zeugungsunfähigkeit (ON 59 S 14) unter dem Blickwinkel des § 76 StGB, der einen Zusammenhang zwischen dem Affektanlass und der Person des Opfers fordert (RIS-Justiz RS0099233, jüngst 11 Os 126/10d), zu einer Eventualfrage nach Totschlag Anlass geben sollte, wird im Rechtsmittel nicht thematisiert.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über die vom Angeklagten erhobene Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E96232European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0110OS00168.10F.0120.000Im RIS seit
03.03.2011Zuletzt aktualisiert am
17.03.2014