TE Vwgh Beschluss 2001/2/16 AW 2001/08/0005

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Veröffentlicht am 16.02.2001
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §412 Abs6 impl;
ASVG §67 Abs10;
VwGG §30 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des U, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt, der gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 4. Dezember 2000, Zl. MA 15-II - R 31/97 betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien), erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem zwingende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung durchführen zu können, ist es überdies erforderlich, dass der Beschwerdeführer schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete Nachteil ergibt, es sei denn, dass sich nach Lage des Falles die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres erkennen lassen.

Der Vollzug des Bescheides an sich ist noch kein Nachteil im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG, sofern dadurch nicht der Rechtsschutz der Partei dauernd wesentlich beeinträchtigt wird. Ein bloßer Vermögensnachteil, der im Falle des Obsiegens vor dem Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen wieder ausgeglichen werden kann, muss daher für sich allein genommen noch kein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG sein, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten.

Der vorliegende Antrag macht geltend, dass der Beschwerdeführer, der aufgrund des angefochtenen Bescheides einen Betrag von S 1,059.558,55 an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu bezahlen hätte, über ein monatliches Einkommen von DM 4.380.- verfügt und für seine Ehegattin und eine achtjährige Tochter sorgepflichtig ist. Er habe - bedingt durch eine Kreditrückzahlung - Fixkosten von rd. DM 3.580.- monatlich und verfüge über keine Ersparnisse. Eine Exekutionsführung durch die mitbeteiligte Partei wäre für ihn mit unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden, weil er dann die Kreditrückzahlungen nicht mehr leisten könnte.

Die belangte Behörde hat zu diesem Antrag trotz gegebener Gelegenheit keine Äußerung erstattet. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ausgesprochen.

Der Antrag ist begründet:

Vor dem Hintergrund des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zl. 98/08/0191, ist der angefochtene Bescheid, der die Haftung des Beschwerdeführers nach § 67  Abs. 10 ASVG unter Zugrundlegung jener Rechtsprechung bejaht, von der der verstärkte Senat abgegangen ist, offenkundig mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes (VfSlg. 13305/1992 zu § 412 Abs. 6 ASVG mit Hinweisen auf die Vorjudikatur) geht es unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips nicht an, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist, wobei ein als Voraussetzung für die Gewährung aufschiebender Wirkung festgelegtes Kriterium, dass für den Einspruchswerber "durch die vorzeitige Vollstreckung ein nicht wiedergutzumachender Schaden einträte", dem Verfassungsgerichtshof als nicht ausreichend erschienen ist, die extremen Auswirkungen des die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels ausschließenden § 412 auszugleichen.

Diese auf ein gegen einen erstinstanzlichen Bescheid erhobenes Rechtsmittel bezogenen Ausführungen lassen sich zwar nicht ohne weiteres auch auf ein Verfahrensstadium wie jenes des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens übertragen, in dem bereits zwei Verwaltungsinstanzen den Anspruch geprüft haben, also bereits Gelegenheit bestanden hat, potentielle Fehler der Behörde erster Instanz zu korrigieren. Die vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Grundsätze müssen aber wohl auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dann gelten, wenn der Fehler des angefochtenen Bescheides nicht ein bloß potentieller, sondern ein evidenter ist, maW die Partei mit den Folgen eines offenkundig vorliegenden Fehlers der belangten Behörde belastet würde. Ist nämlich schon zu erkennen, dass der Bescheid im Hinblick auf die bestehende Vorjudikatur wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben sein wird, dann wäre die uneingeschränkte Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen, für den Beschwerdeführer nachteiligen Leistungsbefehls, während des gesamten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unverhältnismäßig.

Wendet man diese Grundsätze auf die Leistungspflicht des Beschwerdeführers an, so ergibt sich schon aus der Höhe der Forderung und den daher mit der Eintreibung der Forderung leicht nachvollziehbar verbundenen nachteiligen Folgen für die Lebensführung des Beschwerdeführers und seiner Familie bis zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof ein Nachteil, dessen Unverhältnismäßigkeit iS des § 30 Abs 2 VwGG sich aus der offenkundigen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ableitet.

Dem Antrag war daher stattzugeben.

Wien, am 16. Februar 2001

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete ASVG Unverhältnismäßiger Nachteil

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:AW2001080005.A00

Im RIS seit

29.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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