Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde R*****, vertreten durch Hausberger Moritz Schmidt, Rechtsanwälte in Wörgl, wegen Unwirksamerklärung eines Räumungsvergleichs, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. Juli 2010, GZ 4 R 230/10t-10, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom 29. April 2010, GZ 1 C 1170/09z-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben wie folgt:
„1. Das Klagebegehren, der zwischen den Parteien am 29. 8. 1980 beim Bezirksgericht R***** geschlossene Räumungsvergleich (AZ C 565/80), womit sich die Klägerin verpflichtete, das im Haus R***** ebenerdig gelegene Geschäftslokal, bestehend aus zwei Räumen (Eingang vom Westen her) bis 31. 12. 2009 zu räumen und der beklagten Partei geräumt zu übergeben, werde für unwirksam erklärt, wird abgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien am 29. 8. 1980 beim Bezirksgericht R***** geschlossene Räumungsvergleich (AZ C 565/80), womit sich die Klägerin verpflichtete, das im Haus R***** ebenerdig gelegene Geschäftslokal, bestehend aus zwei Räumen (Eingang vom Westen her) bis 31. 12. 2009 zu räumen und der beklagten Partei geräumt zu übergeben, unwirksam ist.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.884,39 EUR bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz (darin enthalten 298,39 EUR USt, 92 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die 1.682,24 EUR bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zweiter und dritter Instanz (darin enthalten 228,90 EUR USt, 309 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Gemeinde ist Eigentümerin des in der Gemeinde gelegenen, mehrere 100 Jahre alten Hauses mit der Adresse S*****straße 34. In dem Haus befinden sich mehrere Bestandobjekte. Im Erdgeschoß liegt das in der Folge von der Klägerin gemietete Geschäftslokal.
Am 10. 4. 1979 schrieb die beklagte Partei das Bestandobjekt im Gesamtausmaß von 56 m² zur Vermietung unter der Bedingung aus, dass der Ausbau bzw die Umgestaltung der Räumlichkeiten - die bisher als Wohnung dienten - zu Lasten des Mieters zu erfolgen hat.
Mit Schreiben vom 12. 4. 1979 bewarb sich die Klägerin um das Bestandobjekt samt Mitteilung, dass sie den Ausbau der Räume auf ihre Kosten durchführen werde.
Mit Beschluss des Gemeinderats der beklagten Partei vom 4. 5. 1979 „erhielt die Klägerin den Zuschlag zur Anmietung des Bestandobjekts auf unbestimmte Zeit“.
Das Mietverhältnis zwischen den Streitteilen begann ab 1. 6. 1979. Die Streitteile schlossen erst nachträglich (am 19. 10. 1979) einen schriftlichen Mietvertrag auf unbestimmte Zeit ab. In diesem schriftlichen Mietvertrag wurde als Bedingung festgehalten, dass der Ausbau der Räumlichkeiten zur Gänze auf Kosten der Klägerin erfolgt.
Das Mietverhältnis begann deshalb bereits ab 1. 6. 1979, damit die Klägerin nach Durchführung der erforderlichen Umbauarbeiten ihr Geschäftslokal beginnend ab der Sommersaison 1980 eröffnen konnte.
Die Klägerin investierte insgesamt ca 900.000 ATS in das Objekt.
Bereits anlässlich der Zusage im Mai 1979 (gemeint: „Zuschlag“) teilte der Bürgermeister der beklagten Partei der Klägerin mit, dass ein Räumungsvergleich zwischen den Streitteilen über das Bestandobjekt abgeschlossen werden sollte, wobei die Dauer zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema war.
Nachdem die Klägerin einen Überblick über ihre Investitionskosten hatte, die im September 1979 bei ca 700.000 ATS lagen, trat sie an den Bürgermeister der beklagten Partei mit dem Ersuchen heran, dass sie aufgrund dieses erheblichen Investitionsaufwands einen besseren „Kündigungsschutz“ haben wolle, womit gemeint war, dass das Mietverhältnis auf längere Zeit gesichert werden sollte. Der Bürgermeister machte der Klägerin den Vorschlag, dass ein Räumungsvergleich über 25 Jahre abgeschlossen werden sollte. Die Klägerin wünschte jedoch einen Zeitraum von 30 Jahren, womit der Bürgermeister einverstanden war.
Der Bürgermeister brachte dieses „Ansuchen der Klägerin auf Absicherung ihres Mietverhältnisses“ in die Gemeinderatssitzung vom 17. 9. 1979 ein, woraufhin der Gemeinderat einstimmig beschloss, dass das Mietverhältnis mittels einer Zusatzvereinbarung auf 30 Jahre „festgelegt“ und ein Räumungsvergleich auf 30 Jahre abgeschlossen werden soll.
Im schriftlichen Mietvertrag vom 19. 10. 1979 wurde nicht festgehalten, dass das Mietverhältnis 30 Jahre dauern soll. Vielmehr enthält der schriftliche Mietvertrag eine Mietvertragsdauer auf unbestimmte Zeit.
Zum Abschluss eines Räumungsvergleichs kam es vorerst nicht.
Die Klägerin nahm Anfang des Jahres 1980 die Umbauarbeiten laut Einreichplan vor. Eine Bauverhandlung fand nicht statt. Der Bürgermeister zeigte sich lediglich in einer Besprechung mit der Klägerin mit den geplanten Umbaumaßnahmen einverstanden.
Die Klägerin schloss ihre Renovierungs- und Umbaumaßnahmen im Bestandobjekt bis zur Sommersaison 1980 ab und eröffnete ihr Geschäftslokal. Seit diesem Zeitpunkt betreibt sie im Geschäftslokal ein Unternehmen mit dem Unternehmensgegenstand Glasverkauf und Glasgravuren.
Am 29. 8. 1980 schlossen die Streitteile vor dem Erstgericht einen Räumungsvergleich über das Geschäftslokal ab. Zu diesem Zeitpunkt waren die Renovierungs- und Umbauarbeiten der Klägerin im Bestandobjekt abgeschlossen. Das Geschäftslokal war bereits geöffnet.
Mit diesem Räumungsvergleich verpflichtete sich die Klägerin, das Geschäftslokal bis 31. 12. 2009 zu räumen und der Vermieterin (beklagte Partei) geräumt zu übergeben. Beide Teile verzichteten auf Räumungsaufschub.
Der Abschluss des Räumungsvergleichs kam ohne Druck oder Zwang auf die Klägerin zustande. Es bestand bestes Einvernehmen zwischen den Streitteilen. Beide Streitteile wollten diesen Vergleichsabschluss. Der beklagten Partei diente der Vergleich als Absicherung, dass das Mietverhältnis nach 30 Jahren beendet wird. Die Klägerin verstand den Räumungsvergleich aufgrund ihrer erheblichen Investitionen als Absicherung dahin, dass sie zumindest 30 Jahre im Bestandobjekt verbleiben kann.
Noch vor Ablauf des 31. 12. 2009 führten die Streitteile Korrespondenz über die Möglichkeit einer Verlängerung des Mietverhältnisses. Diese Verhandlungen führten zu keinem Ergebnis. Weder in Bezug auf die Mietzinshöhe noch auf die Mietdauer stimmten die Streitteile überein.
Mit Beschluss des Erstgerichts vom 11. 1. 2010 wurde der beklagten Partei Räumungsexekution aufgrund des Vergleichs bewilligt. Mit Beschluss vom 21. 1. 2010 wurde das Räumungsexekutionsverfahren gegen Erlag einer Sicherheitsleistung bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits aufgeschoben.
Die Klägerin begehrt, den zwischen den Streitteilen geschlossenen Räumungsvergleich für unwirksam zu erklären; in eventu festzustellen, dass dieser unwirksam sei.
Sie stützt sich zusammengefasst darauf, dass sie zum Zeitpunkt des Verlangens der beklagten Partei auf Abschluss des Räumungsvergleichs unter unzulässigem Druck gestanden sei. Der Abschluss des Räumungsvergleichs habe eine Umgehung der Befristungsbeschränkungen des MG bewirkt. Der Vergleich hätte den Zweck gehabt, das Mietverhältnis auf 30 Jahre (und somit unwirksam) zu befristen.
Die beklagte Partei wendet ein, dass die Klägerin bei Abschluss des Vergleichs nicht unter Zwang oder Druck gestanden sei. Für die Umbau- und Renovierungsmaßnahmen der Klägerin sei keine Bewilligung der beklagten Partei notwendig gewesen. Die Klägerin habe bereits im Oktober 1979 ihre Renovierungsarbeiten abgeschlossen. Der Räumungsvergleich sei erst am 29. 8. 1980 zwischen den Streitteilen geschlossen worden. Die Klägerin selbst habe einen „besseren Kündigungsschutz“ gewollt. Mit dem Räumungsvergleich sei den Wünschen der Klägerin entsprochen worden.
Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Es vertrat die Auffassung, dass die Klägerin die Räumungsverpflichtung zu einem Zeitpunkt übernommen habe, als das Mietverhältnis bereits ein Jahr bestanden habe. Ein Druck oder Zwang auf die Klägerin sei nicht ausgeübt worden.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und erklärte die Revision für nicht zulässig.
Das Berufungsgericht billigte im Wesentlichen die Rechtsauffassung des Erstgerichts.
Mit ihrer aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen außerordentlichen Revision strebt die Klägerin eine Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Stattgebung (gemeint: des Haupt-, in eventu des Eventualbegehrens) an. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In ihrem Rechtsmittel verweist die Klägerin auf die Rechtsprechung, wonach eine unzulässige Befristung des Mietverhältnisses nicht durch Räumungsvergleich gesichert werden könne. In ihren Revisionsausführungen verweist die Klägerin ferner darauf, dass bereits zum Abschlusszeitpunkt des Mietvertrags der Abschluss eines Räumungsvergleichs thematisiert worden sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei für die Beteiligten klar gewesen, dass das Mietverhältnis befristet werden solle. In diesem Fall schade der Klägerin der Umstand, dass der Räumungsvergleich erst nach Abschluss des schriftlichen Mietvertrags geschlossen worden sei, nicht. Der Räumungsvergleich stelle keine Auflösungsvereinbarung dar, sondern habe die bereits vereinbarte Befristung des Mietverhältnisses realisiert.
Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts im Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung steht.
Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen; in eventu, ihr nicht Folge zu geben. Sie verweist darauf, dass zum Zeitpunkt des tatsächlichen Mietvertragsbeginns der Abschluss eines Räumungsvergleichs „erst angedacht“ gewesen sei; der Räumungsvergleich sei über Initiative der Klägerin erst ein Jahr nach Mietvertragsabschluss zustande gekommen. Im Übrigen wäre eine Befristung des Mietverhältnisses nach der Rechtslage bei Abschluss des Vertrags ohnehin zulässig gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise im Sinne einer Abänderung der Entscheidung über das Eventualbegehren berechtigt.
1. Vorauszuschicken ist, dass die Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision zutreffend davon ausgeht, dass der Ausspruch im Berufungsurteil über den Wert des Entscheidungsgegenstands unbeachtlich ist: Gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO gelten dessen Abs 2 und 3 nicht für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird. Zweck der Sonderregelung ist, die in den Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 5 JN gefällten Entscheidungen in Fällen, in denen der Verlust des Bestandobjekts droht, unabhängig von Bewertungsfragen revisibel zu machen.
Zur Lösung von Abgrenzungsfragen ist darauf abzustellen, ob die Entscheidung mit der Frage der Auflösung des Bestandvertrags so eng zusammenhängt, dass ein getrenntes Schicksal in der Anfechtbarkeit unbefriedigend wäre. Unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallen auch Klagebegehren auf Feststellung der Unwirksamkeit eines gerichtlichen Räumungsvergleichs, weil auch hier die Räumungsverpflichtung vom Ausgang des Verfahrens abhängt (2 Ob 171/09z mwN). Das hat auch für den hier zu beurteilenden Anlassfall zu gelten, in welchem über das Begehren auf Unwirksamerklärung eines gerichtlichen Räumungsvergleichs, in eventu über das Begehren auf Feststellung der Unwirksamkeit dieses Vergleichs zu entscheiden ist.
Da somit ein Fall des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO vorliegt, ist der dennoch vorgenommene Ausspruch des Berufungsgerichts über den Wert des Entscheidungsgegenstands unbeachtlich (RIS-Justiz RS0042294).
2.1 Auch nach der Rechtslage zum MG wurde judiziert, dass grundsätzlich anzunehmen ist, dass ein Bestandverhältnis den Schutzbestimmungen des MG unterliegt. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ausnahmebestimmung iSd § 1 Abs 2 MG müssen ausdrücklich behauptet und bewiesen werden (RIS-Justiz RS0044791 [T2]). Eine entsprechende Behauptung hat die beklagte Partei in erster Instanz nicht aufgestellt und im Übrigen auch in der Revisionsbeantwortung nur unsubstantiiert erhoben. Es ist daher von der Geltung des MG auszugehen.
2.2 Nach der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Bestimmung des § 23 Abs 2 MG waren Befristungsvereinbarungen in Verträgen über Wohn- und Geschäftsräume auf bestimmte, ein halbes Jahr nicht übersteigende Dauer wirksam. Im Übrigen konnten gemäß § 23 Abs 1 MG Mietverträge über Wohnungen in einem Wohnhaus mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen und über Wohnungen, an denen Wohnungseigentum begründet wurde, bei Einhaltung der Schriftform wirksam befristet werden, sofern die ursprüngliche oder verlängerte Vertragsdauer fünf Jahre nicht überstieg.
2.3 Entgegen der in der Revisionsbeantwortung (pauschal und ohne nähere rechtliche Begründung) vertretenen Auffassung war daher zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung eine 30-jährige Befristung des Mietverhältnisses nicht zulässig.
3.1 Den Parteien eines auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietverhältnisses steht es nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs frei, einverständlich die Auflösung des Mietverhältnisses zu einem bestimmten Endtermin zu vereinbaren (RIS-Justiz RS0113485; RS0070093; RS0070053; 3 Ob 145/08g = wobl 2009/76 [Vonkilch]; zuletzt 5 Ob 70/10w).
3.2 Auch die Rechtsprechung zu dem zum Abschlusszeitpunkt des gerichtlichen Räumungsvergleichs anwendbaren § 23 MG ging von der Zulässigkeit einer einverständlichen Vertragsauflösung aus, wenn sie nicht zur Umgehung des MG diente (RIS-Justiz RS0067213), also der Mieter bei der einvernehmlichen Lösung des Bestandverhätnisses nicht unter Druck stand (RIS-Justiz RS0069473). Eine bei Abschluss des Mietvertrags vereinbarte, § 23 MG entgegenstehende, auflösende Bindung wurde demgegenüber für absolut ungültig angesehen, gleichgültig, ob der Anstoß hiezu vom Mieter oder vom Vermieter ausgegangen ist (6 Ob 269/72 = EvBl 1973/165).
3.3 Nicht durchsetzbare Endtermine können nicht durch eine vor oder gleichzeitig mit Abschluss des Mietvertrags getroffene gerichtliche Räumungsverpflichtung umgangen werden (6 Ob 65/00b = EvBl 2000/185; 5 Ob 57/04z = MietSlg 56.347; 7 Ob 538/92 = WoBl 1992/139 [Pfanzelt, Würth]; RIS-Justiz RS0108111).
3.4 Einem nicht durchsetzbaren Endtermin kann auch nicht dadurch Wirksamkeit verliehen werden, dass statt der Verlängerung des Mietvertrags ein neuer Vertrag geschlossen wird, ohne dass sich an den bisherigen Benützungsverhältnissen etwas ändert. Daher ist der Abschluss eines Räumungsvergleichs vor oder mit der beabsichtigten Verlängerung des bislang wirksam befristeten Mietvertrags gleich wie ein solcher vor oder mit Abschluss des Mietvertrags selbst nicht geeignet, eine - auch nur abstrakte - vom zugrunde liegenden Rechtsverhältnis losgelöste Räumungsverpflichtung zu begründen (1 Ob 1/97x = SZ 70/143 mwN; RIS-Justiz RS0108111).
3.5 Der Oberste Gerichtshof (6 Ob 65/00b = EvBl 2000/185) hat auch schon ausgesprochen, dass es auf den tatsächlichen Abschlusszeitpunkt des Räumungsvergleichs dann nicht ankommt, wenn sein Abschluss schon in der Vereinbarung (gemeint: Mietvertrag) vorgesehen war.
3.6 Die Feststellung, dass „bereits bei Abschluss des Mietvertrags zwischen den Streitteilen und der Zusage im Mai 1979 der Bürgermeister der beklagten Partei der Klägerin mitteilte, dass ein Räumungsvergleich zwischen den Streitteilen über das Bestandobjekt abgeschlossen werden sollte, wobei die Dauer des Räumungsvergleichs zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema war“, ist aus dem Gesamtzusammenhang der übrigen Feststellungen über den zeitlichen Ablauf so zu verstehen, dass zum Zeitpunkt der „Zuschlagerteilung“ im Mai 1979 zwar feststand, dass ein Räumungsvergleich geschlossen werde, jedoch noch nicht feststand, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin zu räumen hatte. Hingegen ergibt sich ebenfalls aus den Feststellungen, dass zum Zeitpunkt des (schriftlichen) Mietvertragsabschlusses am 19. 10. 1979 bereits feststand, dass ein Räumungsvergleich auf 30 Jahre geschlossen werden sollte: Es steht nämlich fest, dass der Bürgermeister den nach den Feststellungen von der Klägerin gewünschten Zeitraum von 30 Jahren in der Gemeinderatssitzung vom 17. 9. 1979 zur Sprache brachte, woraufhin der Gemeinderat in eben dieser Sitzung einstimmig beschloss, dass das Mietverhältnis mittels einer Zusatzvereinbarung auf 30 Jahre „festgelegt“ und ein Räumungsvergleich auf 30 Jahre abgeschlossen werden soll.
3.7 Der sinngemäße Hinweis des Berufungsgerichts, die Klägerin sei bereits aufgrund des Gemeinderatsbeschlusses „gesichert“ gewesen, ist schon deshalb unzutreffend, weil diese Gemeinderatssitzung
- erkennbar - nur die interne Willensbildung der Gemeinde über den „ausgeschriebenen“ Mietvertrag betraf (vgl Blg ./3), nicht aber die Einigung der Parteien über die wesentlichen Vertragspunkte, insbesondere die Mietdauer, darstellt.
3.8 Daraus ergibt sich, dass sich die Parteien bereits vor Abschluss des schriftlichen Mietvertrags darüber einig waren, dass die Klägerin das Mietobjekt nach Ablauf von 30 Jahren geräumt übergeben würde. Damit wurde aber inhaltlich eine Befristungsvereinbarung getroffen, die - weil nach den Feststellungen dem wahren, übereinstimmenden Parteiwillen entsprechend - auch durch den gegenteiligen schriftlichen Mietvertragstext über die Vertragsdauer auf unbestimmte Zeit nicht außer Kraft gesetzt wurde.
Daraus, dass der schriftliche Mietvertrag erst nach Beginn des Mietverhältnisses (1. 6. 1979) geschlossen wurde, kann für die beklagte Partei schon deshalb nichts gewonnen werden, weil bereits zuvor, nämlich im Mai 1979, der Abschluss eines Räumungsvergleichs und somit eine Befristung thematisiert worden war; lediglich die Befristungsdauer stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest.
3.9 Nicht durchsetzbare Endtermine können aber nach den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht durch eine vor oder gleichzeitig mit Abschluss des Mietvertrags getroffene gerichtliche Räumungsverpflichtung umgangen werden. Dass der Abschluss des Räumungsvergleichs erst rund zehn Monate nach dem schriftlichen Mietvertragsabschluss erfolgte, lässt für den Standpunkt der beklagten Partei nichts gewinnen, weil es auf den tatsächlichen Abschlusszeitpunkt des Räumungsvergleichs dann nicht ankommt, wenn sein Abschluss schon bei Mietvertragsabschluss vorgesehen war (vgl nochmals 6 Ob 65/00b = EvBl 2000/185). Im Übrigen vereinbarten die Parteien hier - wie dargelegt - von Anfang an eine Befristung, die - wie ebenfalls bereits dargelegt (3.2) -
selbst dann unwirksam ist, wenn sie auf einem Wunsch des Mieters beruhte. Es stellt sich daher in Wahrheit im Anlassfall weder die Frage nach einer Umgehungskonstruktion noch die Frage nach einer „Drucksituation“ der Mieterin: Vielmehr vereinbarten die Parteien eine nach § 23 MG unwirksame Befristung, deren Durchsetzbarkeit auch nicht über den - prozessualen - Weg des Abschlusses eines Räumungsvergleichs erreicht werden kann (s dazu Würth zu 7 Ob 538/92 in WoBl 1992/139).
4.1 Der von den Streitteilen geschlossene Räumungsvergleich ist somit auch als gerichtlicher Vergleich unwirksam, weil er gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen verstößt, somit materiellrechtlich nicht gültig ist (vgl dazu 1 Ob 1/97x = SZ 70/143 mwN).
4.2 Das von der Klägerin erhobene Hauptbegehren ist auf Unwirksamerklärung des Vergleichs gerichtet, also als Gestaltungsbegehren formuliert. Mit ihrem Eventualbegehren strebt die Klägerin eine Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs an.
4.3 Die Berechtigung eines Gestaltungsbegehrens würde allerdings voraussetzen, dass nach materiellem Recht derjenige, der die (auch hier vorliegende) Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB geltend machen will, ein Gestaltungsrecht ausüben müsste. Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, sind jedoch von Anfang an nichtig, weshalb es einer Rechtsgestaltung auch in den Fällen der relativen Nichtigkeit nicht bedarf (3 Ob 107/99b = MietSlg 51.764 mwN).
4.4 Der Senat folgt daher der in 3 Ob 107/99b vertretenen Auffassung, dass die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Räumungsvergleichs mit Feststellungsklage (3 Ob 598/89 = SZ 63/42; s allgemein zur Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines gerichtlichen Vergleichs wegen materiellrechtlicher Mängel RIS-Justiz RS0032464 [T2]; 6 Ob 37/07w; Klicka in Fasching/Konecny² II/2 §§ 204, 206 ZPO Rz 45), nicht aber mit Gestaltungsklage geltend zu machen ist. Die lediglich in der Entscheidung 7 Ob 538/92 (ihr folgend Tschütscher, Die Befristung des Mietverhältnisses durch Räumungsvergleich, WoBl 1996, 223 [229]) - ohne nähere Begründung - vertretene Auffassung, der Mieter könne auf Unwirksamerklärung des Räumungsvergleichs klagen, ist daher abzulehnen und steht auch in Widerspruch mit der übrigen Rechtsprechung, die mehrfach ausdrücklich (7 Ob 731/88 = WoBl 1989/31; 3 Ob 598/89 = SZ 63/42; 1 Ob 1/97x = SZ 70/143 ua) die Zulässigkeit der Feststellungsklage bei Geltendmachung der Unwirksamkeit eines gerichtlichen Räumungsvergleichs bejahte.
4.5 Diesem Ergebnis stehen Rechtsschutzüberlegungen nicht entgegen, weil der Erfolg einer Feststellungsklage gemäß § 228 ZPO, mit der die Ungültigkeit eines gerichtlichen Vergleichs geltend gemacht wird, zur Einstellung der Exekution gemäß § 39 Abs 1 Z 1 EO führt (RIS-Justiz RS0000936; Jakusch in Angst, EO² § 39 Rz 10), es also einer „Gestaltungsentscheidung“ auch aus exekutionsrechtlicher Sicht nicht bedarf.
5. Daraus folgt, dass der Revision der Klägerin teilweise Folge zu geben und in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen ihrem Eventualbegehren auf Festellung stattzugeben ist.
6. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens wie über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 43, 50 ZPO. Nach der neueren Rechtsprechung ist bei Abweisung des Haupt-
und Stattgebung des Eventualbegehrens immer § 43 ZPO anzuwenden. Die Voraussetzungen nach § 43 Abs 2 ZPO
(s dazu RIS-Justiz RS0110839; Obermaier, Kostenhandbuch² Rz 117) sind hier unzweifelhaft gegeben.
Schlagworte
Streitiges WohnrechtTextnummer
E96311European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00184.10K.0124.000Im RIS seit
28.02.2011Zuletzt aktualisiert am
11.02.2013