TE OGH 2011/1/24 5Ob2/11x

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Veröffentlicht am 24.01.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gustav P*****, vertreten durch Winkler-Heinzle-Nagel Rechtsanwaltspartnerschaft in Bregenz, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, vertreten durch Kaufmann & Thurnher, Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Beseitigung von Störungen (Streitwert 8.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 17. August 2010, GZ 2 R 219/10m-15, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 26. April 2010, GZ 4 C 1714/09g-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.061,36 EUR (darin enthalten 304,56 EUR USt und 1.234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beide Parteien sind Wohnungseigentümer im selben Haus. Die Wohnung des Klägers grenzt unmittelbar an die Wohnung der Beklagten an, die diese vom 1. 6. 2007 an befristet auf drei Jahre vermietet hat. Das Mietverhältnis endete durch Zeitablauf am 31. 5. 2010.

Im Dezember 2008 erfuhr der Kläger, dass die Mieterin den Hausmeister der Wohnanlage des Diebstahls beschuldigte. Der Kläger nahm an, er sei gemeint, weil er seit 1990 als Obmann in der Wohnanlage tätig war und es keinen Hausmeister gab. Im März 2009 beschuldigte die Mieterin den Kläger telefonisch, ihren Briefkasten zugeschweißt zu haben. Tatsächlich hatte sie lediglich den falschen Schlüssel für den Briefkasten verwendet. Am 3. 6. 2009 läuteten gegen 21:00 Uhr abends zwei Polizisten an der Tür des Klägers. Die Mieterin hatte in einer Strafanzeige behauptet, der Kläger würde sie laufend bestehlen. Dieser konnte die Polizisten davon überzeugen, dass die Anschuldigungen nicht stimmten. Er empfand diesen Polizeieinsatz jedoch als unangenehm und fühlte sich „in einer bedrohlichen Situation“. Nach Verständigung einer Sozialbehörde wurde die Mieterin vom Amtsarzt in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, aber nach 14 Tagen wieder entlassen. Sie setzte ihre Anschuldigungen gegen den Kläger fort.

Am 24. 6. 2009 forderte der Klagevertreter die Beklagte auf, das Mietverhältnis zu beenden und die Mieterin aus der Wohnung zu entfernen. Am 25. 6. 2009 veranlasste die Mieterin einen weiteren Polizeieinsatz beim Kläger. Am 8. 7. 2009 beschuldigte sie den Kläger über den Notruf schwerer Einbruchsdiebstähle, weshalb neuerlich eine Funkstreife zum Kläger kam und seine Personalien aufnahm. Am 9. 7. 2009 forderte der Klagevertreter die Beklagte auf, bis zum 16. 7. 2009 rechtliche Schritte (Aufkündigung wegen unleidlichen Verhaltens) gegen die Mieterin nachzuweisen. Nachdem die Beklagte am 15. 7. 2009 die Unannehmlichkeiten bedauert, jedoch auf die Bedürftigkeit, das hohe Alter der Mieterin, das Ende des Mietverhältnisses am 31. 5. 2010 sowie das Bemühen um eine möglichst rasche Lösung unter Berücksichtigung der sozialen Aspekte hingewiesen hatte, erklärte sich der Kläger am 17. 9. 2009 mit der (nachweislichen) Einbringung eines Übergabsauftrags zum 31. 5. 2010 und Antragstellung auf zwangsweise Räumung am 1. 6. 2010 einverstanden. Unter diesen Voraussetzungen forderte er nicht mehr die Beendigung des Mietverhältnisses vor dem 31. 5. 2010, sofern es nicht zu einem weiteren Vorfall mit einem dem am 24. 6. 2009 stattgefundenen Vorfall vergleichbaren Störwert käme.

Am 20. 9. 2009 bat die Mieterin eine Mit- und Wohnungseigentümerin, vor der Wohnung des Klägers „Wachposten“ zu beziehen, damit dieser nicht während der Zeit, die sie im Wahllokal sei, in ihre Wohnung einbreche. Daraufhin setzte der Klagevertreter der Beklagten eine Frist bis zum 30. 9. 2009 und verlangte den Nachweis der Einbringung einer Räumungsklage oder einer Aufkündigung bis spätestens 30. 9. 2009. Die Beklagte kündigte am 25. 9. 2009 die Einbringung eines Antrags nach § 567 ZPO an und verwies darauf, dass dieser nur innerhalb der letzten sechs Monate vor Vertragsende zulässig sei. Am 3. 12. 2009 stellte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung eines Übergabsauftrags. Dieser wurde am 7. 12. 2009 erlassen.

In dem am 5. 10. 2009 eingeleiteten Verfahren begehrt der Kläger (nach Modifikationen seines Begehrens) zuletzt die Verpflichtung der Beklagten, das Mietverhältnis zu beenden und die Mieterin „tatsächlich aus der Wohnung zu entfernen“, in eventu Handlungen zu unterlassen, die geeignet seien, den Kläger in der ungestörten Ausübung seiner Eigentumsrechte zu beeinträchtigen oder zu behindern, insbesondere durch mittelbare oder unmittelbare Zurverfügungstellung der Wohnung an die Mieterin zu Wohnzwecken, in eventu, alles vorzukehren, um die Mieterin zum Unterlassen von verleumderischen Behauptungen über den Kläger und von ungerechtfertigten Anzeigen an die Polizei gegen den Kläger zu bewegen. Er stützte das Klagebegehren insbesondere auf § 523 ABGB.

Die Beklagte wendete - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - ein, alles Mögliche und Zumutbare getan zu haben, um die 85-jährige und vom Sozialamt betreute Mieterin von ihrem Verhalten abzuhalten, insbesondere durch die Erwirkung eines Übergabsauftrags, der im Vergleich zu einer Räumungsklage oder einer Kündigung des dem Teilanwendungsbereich des MRG unterliegenden Mietverhältnisses das wirksamste Mittel zur Beseitigung der Störung gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren und die Eventualbegehren ab. Der Kläger habe nach § 523 ABGB lediglich Anspruch auf Beendigung des störenden Verhaltens, nicht aber auf Beendigung des Bestandverhältnisses. Das zweite Eventualbegehren sei nicht auf ein Abstellen des Verhaltens der Mieterin gerichtet und deshalb unzulässig.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es - in Umformulierung des Klagebegehrens - die Beklagte verpflichtete, der Mieterin die Benützung der Wohnung zu entziehen und ohne Verzug die Räumung der Wohnung durch die Mieterin zu erwirken. Die sich aus § 523 ABGB ergebende Unterlassungspflicht erfasse auch die Verpflichtung der beklagten Wohnungseigentümerin, auf ihre Mieterin als unmittelbare Störerin einzuwirken, um das störende Verhalten abzustellen. Die Wahl der Mittel, um die Beendigung der Störungen zu erreichen, sei zwar der Beklagten überlassen, dennoch stelle letztlich nur die Beendigung des Mietverhältnisses und die Entfernung der Mieterin aus der Wohnung die einzige geeignete Maßnahme dar, die Störungen abzustellen. Den vor der Klagseinbringung geforderten Übergabsauftrag habe die Beklagte zum frühest möglichen Zeitpunkt (§ 567 Abs 2 ZPO) beantragt. Die Erwirkung eines Räumungstitels aufgrund der später geforderten Aufkündigung oder Räumungsklage vor Erlassen des Übergabsauftrags sei unwahrscheinlich gewesen. Ob aber aufgrund des bereits erwirkten Exekutionstitels die zwangsweise Räumung und damit die tatsächliche Entfernung der Mieterin bereits vollzogen worden sei, sei zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch nicht festgestanden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und ließ die Revision zu.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts zum Ausmaß der sich aus § 523 ABGB ergebenden Pflichten des mittelbaren Störers einer Korrektur bedarf.

1. Auf § 523 ABGB gestützte Ansprüche zur Abwehr von Eigentumseingriffen im Verhältnis zwischen Mit- und Wohnungseigentümern sind auch nach Inkrafttreten des § 838a ABGB im streitigen Verfahren geltend zu machen (RIS-Justiz RS0013622 [T4; T6]; 5 Ob 275/08i = wobl 2009/56 = JBl 2009, 449).

2. Die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 zweiter Fall ABGB kann unabhängig vom Eintritt eines Schadens, Zurechnungsfähigkeit, Verschulden oder Störungsabsicht gegen jeden nicht hoheitlichen unberechtigten Eingriff in das Eigentumsrecht erhoben werden (SZ 69/10 mwN; Hofmann in Rummel3 Rz 1 und 9 zu § 523 ABGB; Koch in KBB3 Rz 7 zu § 523 ABGB). Sie steht auch zwischen Wohnungseigentümern zu (5 Ob 163/08v = SZ 2008/155) und bedarf - von hier nicht vorliegenden Ausnahmsfällen abgesehen - auch nicht der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer (RIS-Justiz RS0012137 [T16; T17]; RS0012114; 5 Ob 173/08i = wobl 2009/55; Kiendl-Wendner in Schwimann, ABGB3 § 523 Rz 15).

Laufende Verleumdungen durch die Mieterin der beklagten Wohnungseigentümerin, die zu Polizeieinsätzen und dem Aufstellen eines „Wachpostens“ vor der Wohnung des Klägers führten, sind jedenfalls geeignet, diesen in dem aus seinem Eigentumsrecht erfließenden Nutzungsrecht an seinem Wohnungseigentumsobjekt zu beeinträchtigen und insoweit einen Eingriff in seine absolut geschützte Rechtsposition zu bewirken (6 Ob 697/82 = MietSlg 34.062).

3. Sowohl ein Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB als auch ein auf § 523 ABGB gegründeter Anspruch kann sich auch gegen denjenigen richten, der die Störung nur mittelbar veranlasst hat (RIS-Justiz RS0103058). Auch derjenige ist passiv legitimiert, der den Eingriff selbst nicht vornimmt, sondern veranlasst, indem er durch Handlungen oder Unterlassungen die Voraussetzungen dafür schuf, dass Dritte die Störung begehen können (RIS-Justiz RS0011737 [T5; T11]). Maßgeblich für die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Dritten für Störungshandlungen ist die (rechtliche) Möglichkeit oder gar Pflicht, die Störung zu steuern und allenfalls zu verhindern (RIS-Justiz RS0103058; RS0106908; Koch in KBB3, § 523 Rz 13). Auch der mittelbare Störer kann demnach auf Unterlassung und Beseitigung bzw Einwirkung auf den unmittelbaren Störer in Anspruch genommen werden, wobei ihm grundsätzlich die Mittel, das störende Verhalten abzustellen, überlassen bleiben (RIS-Justiz RS0010526; Hofmann in Rummel3 Rz 11 zu § 523 ABGB). Das gilt auch für einen wegen Störungshandlungen seines Bestandnehmers in Anspruch genommenen Vermieter (vgl MietSlg 34.062; RIS-Justiz RS0118001; 5 Ob 240/03k mwN).

Wenn offenkundig kein anderes Mittel geeignet ist, die Störung abzustellen, kann auch ein Begehren des Gestörten auf Beendigung des mit dem unmittelbaren Störer bestehenden Mietvertrags zulässig sein (MietSlg 34.062 mwN; 5 Ob 86/03p; Hofmann aaO Rz 9).

Die maßgeblichen Feststellungen können als ausreichendes Indiz dafür gelten, dass der Beklagten im vorliegenden Fall tatsächlich keine andere (rechtlich zulässige) Möglichkeit zur Verfügung stand, den Störungszustand wirksam und auf Dauer abzustellen, als die Entfernung ihrer Mieterin aus der räumlichen Nähe zum Kläger. Trotz Ermahnungen, Einschreitens von Sozialbehörden und sogar einer (kurzzeitigen) Einweisung der Mieterin in ein psychiatrisches Krankenhaus durch den Amtsarzt gelang es nicht, das den Eingriff bildende Verhalten der Mieterin, die sich offensichtlich vom Kläger „bedroht“ fühlte, abzustellen.

4. Für den vorliegenden Fall zugrunde legend, dass dem Kläger insofern der Anspruch zustand, von der Beklagten Maßnahmen zur Beendigung des Bestandverhältnisses zu verlangen, sei es im Rahmen des Hauptbegehrens oder durch Unterlassung der Belassung der Mieterin im Rahmen des ersten Eventualbegehrens, steht einer Klagsstattgebung doch folgender Umstand entgegen: Zwischen der Beklagten und ihrer Mieterin bestand ein befristetes Hauptmietverhältnis, das durch Zeitablauf ohne Kündigung mit 31. 5. 2010 endete. Noch während des erstinstanzlichen Verfahrens erwirkte die Beklagte gemäß § 567 Abs 1 ZPO zum frühest möglichen Zeitpunkt (§ 567 Abs 2 ZPO) einen Übergabsauftrag, mit dem ihrer Mieterin aufgetragen wurde, den Bestandgegenstand zum Ablauf der Bestandzeit bei sonstiger Exekution zurückzustellen. Damit, dass die Beklagte bereits am 3. 12. 2009 einen solchen Übergabsauftrag gerichtlich beantragte und auch erwirkte, hat sie die ihr rechtlich zu Gebote stehenden Mittel zur Beseitigung der Beeinträchtigung der Eigentumsrechte des Klägers bestmöglich genützt. Weder eine Räumungsklage noch die Einbringung einer Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG wegen unleidlichem Verhaltens wären geeignet gewesen, früher einen Räumungstitel und damit eine zwangsweise Räumung zu erwirken.

Damit steht aber fest, dass die Beklagte die ihr möglichen und zumutbaren Vorkehrungen zur Verhinderung von Störung fremden Eigentums gesetzt hat. Schließlich ist der mittelbare Störer nur insoweit zu belangen, als er die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit hat, die störenden Handlungen Dritter zu steuern und gegebenenfalls zu verhindern (RIS-Justiz RS0011737 [T3; T18; T21]; 4 Ob 250/06b = SZ 2007/23).

5. Im nach § 406 ZPO maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (RIS-Justiz RS0041116) hatte also die Beklagte den dem Kläger aus § 523 ABGB ihr als mittelbarer Störerin gegenüber zustehenden Anspruch nach ihren rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten erfüllt, der Kläger jedoch eine Einschränkung auf Kostenersatz unterlassen (vgl Obermaier, Kostenhandbuch2 Rz 128).

Das hatte zur Abweisung des Klagebegehrens zu führen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht,Streitiges Wohnrecht

Textnummer

E96251

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00002.11X.0124.000

Im RIS seit

16.02.2011

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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