Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Jänner 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Michel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nadine B***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 16. September 2010, GZ 141 Hv 103/10s-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, der Angeklagten und ihrer Verteidigerin Mag. Dillinger zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Nichtannahme eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und im Schuldspruch I./A./, demgemäß im Strafausspruch sowie demzufolge der Ausspruch über die Anordnung der Bewährungshilfe und die Erteilung einer Weisung aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit ihrer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Der Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Nadine B***** - insoweit abweichend von der wegen schweren Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB erhobenen Anklage - des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./A./), des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (I./B./), des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15 Abs 1, 127 StGB (I./C./) sowie des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach hat sie - soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Bedeutung - in Wien
I./A./ am 26. August 2009 Stephan W***** durch die Äußerung, „Gib mir mein Handy oder ich steche dich ab“, durch Drohung mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich zur Herausgabe seines Mobiltelefons zu nötigen versucht, wobei sie, um ihre Drohung zu bekräftigen, eine Nagelschere vor sein Gesicht hielt.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Staatsanwaltschaft ausdrücklich (ON 53 S 5) nur gegen den Schuldspruch zu I./A./ erhobenen und auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu:
Zwar ist die Mängelrüge (Z 5) nicht an den Anfechtungskategorien des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes orientiert, soweit sie Unvollständigkeit von Feststellungen reklamiert (ON 53 S 7 unten, 13 unten): Unvollständigkeit nach Z 5 zweiter Fall betrifft die Beweiswürdigung und nicht die Feststellungsebene des Urteils.
Zudem sind - von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführte - Erwägungen eines Gerichts in einem anderen Verfahren keine Ergebnisse der Hauptverhandlung, mit denen sich das erkennende Gericht unter dem Gesichtspunkt vollständiger Verfahren zu befassen hätte. Hier verlesene Beweisergebnisse aus dem anderen Verfahren werden aber nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Kein Begründungsmangel (Z 5) wird weiters mit dem nach Art einer Schuldberufung erstatteten Vorbringen angesprochen, die Argumentation des Erstgerichts vermöge nicht zu überzeugen (ON 53 S 11 unten f).
Auf einander widersprechende Aussagen der Angeklagten in Betreff ihrer Annahmen über den Eigentümer des Handys, die unerörtert geblieben seien, weist die Staatsanwaltschaft nicht deutlich und bestimmt hin.
Mit der Bezugnahme (ON 53 S 13) auf solcherart ungeklärt gebliebene Widersprüche zu anderen Elementen des konstatierten Geschehens (Abnötigen eines Mobiltelefons) spricht die Staatsanwaltschaft keine entscheidenden Tatsachen an.
Doch bringt sie zu Recht vor, dass das Erstgericht über die in Ansehung der Urteilsannahmen zur inneren Tatseite erhebliche Aussage der Zeugin Nicole T***** ohne Erörterung hinweggegangen ist, Stephan W***** sei der Angeklagten gar nicht nahe gekommen, bis sie behauptete, von ihm bestohlen worden zu sein (ON 49 S [richtig: nicht 27, sondern] 53; Z 5 zweiter Fall).
Gleichfalls zutreffend (RIS-Justiz RS0118580) vermisst die Subsumtionsrüge (Z 10) - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die in Rede stehende Aussage des Zeugen W***** - insoweit indizierte, jedoch unterlassene, einen Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB allenfalls tragende Feststellungen, wonach die Angeklagte durch die Äußerung: „Gib mir alles was du hast, sowie mein Handy zurück oder ich stech` dich ab“ und unter Verwendung einer Nagelschere dem Stephan W***** (sein Handy und) weitere Wertsachen mit dem Vorsatz abnötigen wollte, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung (angesichts des Wortlauts der Äußerung entgegen dem Standpunkt der Nichtigkeitswerberin mit Ausnahme des Mobiltelefons) unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie wusste, dass es sich bei den geforderten Gegenständen um fremde Sachen handelte.
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen (und zwar in den Schuldsprüchen I./B./, I./C./ und II./) unberührt zu bleiben hatte, in der Nichtannahme eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (vgl RIS-Justiz RS0093485 [T6]; 11 Os 168/08b) und - zur Ermöglichung der gebotenen Gesamtbeurteilung des Anklagesachverhalts zu I./A./ im zweiten Rechtsgang - im Schuldspruch I./A./ (§ 289 StPO), demgemäß im Strafausspruch sowie im - zu Unrecht nicht mit gesondertem Beschluss (Schroll in WK2 § 50 Rz 16; Danek, WK-StPO § 270 Rz 50) erfolgten - Ausspruch über die Anordnung der Bewährungshilfe und die Erteilung einer Weisung aufzuheben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.
Auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde war daher nicht einzugehen.
Mit ihrer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E96482European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00183.10V.0125.000Im RIS seit
20.03.2011Zuletzt aktualisiert am
20.03.2011