Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny in der Rechtssache der klagenden Partei Johann J*****, vertreten durch Dr. Stefan Glaser, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Johannes A*****, vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, wegen 6.000 EUR sA, über die Revisionen beider Streitteile (Revisionsinteresse jeweils 3.000 EUR sA) gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 1. Juni 2010, GZ 6 R 161/10h-21, womit das Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 23. Februar 2010, GZ 3 C 347/09h-15, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision des Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Revision des Klägers wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:
Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger 6.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 9. 5. 2009 sowie die mit 6.853,89 EUR (darin 1.007,15 EUR USt und 811 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Prozesskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrte vom Beklagten die Bezahlung von 6.000 EUR sA und brachte vor, der Beklagte habe ihn zur Teilnahme an einem Gewinnspiel bewegen wollen. Obwohl der Kläger diesem Spiel skeptisch gegenübergestanden sei, habe der Beklagte diese Bedenken durch die Zusage zerstreut, die Sache sei hundertprozentig sicher, für den Fall, dass der Kläger den Spieleinsatz beim Spiel nicht mehr herausbekomme, werde er dem Kläger den Ausfall ersetzen. Aufgrund dieser Garantieerklärung des Beklagten habe er diesem insgesamt 6.000 EUR zwecks Teilnahme am Spiel übergeben. Obwohl der Kläger beim Spiel nie einen Gewinn herausbekommen habe, habe der Beklagte trotz mehrmaliger Zusage der Rückzahlung des eingesetzten Geldes nicht gezahlt. Er hafte aus der abgegebenen Garantieerklärung für den Spieleinsatz. Der Beklagte habe ein massives wirtschaftliches Interesse an der Beteiligung des Klägers am Spiel gehabt. Eine Haftung ergebe sich überdies aus einem schlüssig zustande gekommenen Auskunftsvertrag, aus dem der Beklagte zur richtigen und vollständigen Information verpflichtet gewesen wäre. Der Beklagte habe das Spiel als völlig risikolose Sache beworben, obwohl er gewusst habe, dass der Kläger, der in der untersten Ebene des Systems beim Spiel einsteigen habe müssen, aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Einsatz nicht mehr zurückerhalten werde. Der Beklagte habe somit den Kläger arglistig getäuscht und seine Aufklärungspflichten grob fahrlässig bzw vorsätzlich verletzt. Dem Beklagten falle Betrug gemäß § 146 StGB zur Last. Das Klagebegehren werde auch auf einen nicht formbedürftigen Schuldbeitritt des Beklagten gestützt, weil er auch zu einem Zeitpunkt, als bereits relativ sicher gewesen sei, dass der Einsatz nicht mehr zurückbezahlt werde, die Rückzahlung des Betrags zugesichert habe.
Der Beklagte wendete ein, er selbst habe bei diesem Spiel viel investiert und dabei Geld verloren. Der Kläger habe bei einer Vorstellungsveranstaltung der Spielorganisatoren teilgenommen und über denselben Informationsstand wie der Beklagte verfügt. Er habe dem Kläger nicht zugesagt, seinen Einsatz gegebenenfalls zurückzuzahlen. Selbst wenn der Beklagte dem Kläger diese Garantiezusage gemacht hätte, wäre diese mangels Schriftform nichtig. Er habe das Pyramidenspiel auch nicht als risikolose Sache beworben. Der Kläger habe gewusst, worauf er sich einlasse. Die Beteiligung am gegenständlichen Spiel sei ein gemäß § 879 ABGB nichtiges Glücksgeschäft, aus dem weder Schadenersatz noch Vertragsanfechtung abgeleitet werden könne. Zwischen den Streitteilen sei kein Auskunftsvertrag abgeschlossen worden. Sollte der Beklagte dennoch haften, treffe den Kläger ein erhebliches Mitverschulden, weil ihm klar sein hätte müssen, dass es sich dabei um ein äußerst risikoreiches Spiel handle.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Hälfte statt und wies es zur Hälfte ab. Es traf folgende Feststellungen:
Die Streitteile kennen einander seit einigen Jahren aus einer laufenden Geschäftsbeziehung, der Beklagte war Kunde des vom Kläger betriebenen Unternehmens. Anfang 2006 erschien der Beklagte im Unternehmen des Klägers und berichtete ihm davon, dass bei einer Veranlagung von Geld bei der sogenannten „Interessengemeinschaft bayrischer [sic] Unternehmer“ (IBU) große Renditen erzielt werden könnten. Falls ein Mitglied einen Geldbetrag einem anderen Mitglied zukommen lasse, würde ein ungleich höherer Betrag ausgezahlt werden. Bei einem Einsatz von 5.000 EUR würden 40.000 EUR zurückgezahlt.
Der Kläger lehnte aber eine Beteiligung ab, da er zutreffend vermutete, dass es sich bei diesem Schenkungskreis um ein sogenanntes Pyramidenspiel handle.
Tatsächlich ist dieser Schenkungskreis „IBU“ als Pyramidenspiel zu qualifizieren, das folgendermaßen abläuft:
Eine Schenkkreispyramide besteht insgesamt aus vier Ebenen, wobei in der untersten Einstiegsebene acht Geberkreise, auf der zweiten Ebene vier, auf der dritten Ebene zwei und auf der vierten und letzten Ebene ein einziger Kreis, der sogenannte Empfängerkreis angeordnet ist. Wird die Einstiegssumme pro Geberkreis in den Spielregeln, beispielsweise mit 20.000 EUR festgesetzt, so hat ein Neueinsteiger 5.000 EUR als Spieleinsatz zu erbringen, wenn er zusammen mit drei weiteren Personen einen Kreis bildet. Schließen sich hingegen acht Personen zu einem Geberkreis zusammen, reduziert sich die Investition auf 2.500 EUR und so weiter.
Ein Kreis gilt als geschlossen, sobald genügend Spieler in den Kreis aufgenommen wurden, die bereit sind, den auf den Kreis entfallenden Betrag zu investieren. Sind alle acht Kreise der Einstiegsebene geschlossen, so wird der Gesamtbetrag der untersten Ebene (8 x 20.000 EUR) den Mitgliedern des Empfängerkreises in einem verschlossenen Kuvert im Rahmen einer offiziellen Spielveranstaltung überreicht, wobei die Aufteilung des Gesamtbetrags auf die Mitglieder des Empfängerkreises im Verhältnis ihrer Einzahlungsbeträge erfolgt.
Hatten also vier Personen beim Einstieg je 5.000 EUR an den Empfängerkreis gezahlt, so erhält jeder von ihnen bei Erreichen der letzten Ebene eine Schenkungssumme von 40.000 EUR. Nach dem Vollzug der Schenkung scheiden die Beschenkten als Gewinner aus dem Spiel aus.
Der Beklagte war kein Veranstalter des Spiels, sondern hatte in der Vergangenheit mehrfach an diesem Schenkungskreis teilgenommen und auch Gewinne erzielt.
Obwohl der Beklagte auch bei weiteren Treffen damit prahlte, wieviel Geld man mit diesem Spiel machen könne und dass er selbst schon „einen Haufen Geld verdient“ habe, und obwohl er sogar einmal dem Kläger in einem Plastiksack einen höheren Gewinn präsentierte, nahm der Kläger vorerst nicht am Spiel teil, zumal er davon ausging, dass dieses Spiel langfristig nicht funktionieren könne.
Ein weiterer Hinderungsgrund des Klägers war der Umstand, dass er keine Zeit dafür hatte, neue Mitglieder zu werben. Der Beklagte bot ihm aber an, falls er nur investiere und keine Mitglieder finde, könne er bei einem Einsatz von 5.000 EUR immer noch die Hälfte der veranschlagten Gewinnsumme von 40.000 EUR erhalten.
Schließlich gelang es dem Beklagten im Frühjahr 2006, den Kläger zu überreden, an Veranstaltungen der Betreibergesellschaft IBU teilzunehmen, bei denen jeweils ca 100 Personen anwesend waren. Auf einer Großbildleinwand wurde erklärt, wie das Spiel ablaufe: Jeder müsse zum Spiel etwas beitragen. Solange dies passiere, gebe es überhaupt kein Risiko. Wenn aber keine weiteren Schenker gefunden würden, sei das eingesetzte Kapital dann tatsächlich verschenkt.
Auch nach diesen Veranstaltungen erklärte sich der Kläger nicht zur Teilnahme bereit.
Ungefähr im Mai 2006 erschien der Beklagte wiederum in den Geschäftsräumlichkeiten des Klägers, der vorerst abermals eine Teilnahme am Schenkungskreis ablehnte. Obwohl der Beklagte in prahlerischer Form über die Gewinnmöglichkeiten bei einer Beteiligung an diesem Spiel sprach, hatte der Kläger immer noch große Zweifel, dass dieses Spiel funktionieren würde. Weil ihm der Beklagte aber ausdrücklich zusicherte, dass er für den Fall des Verlustes dem Kläger das eingesetzte Kapital rückerstatten werde, entschloss sich der Kläger, 5.000 EUR zu investieren. Er hoffte insgeheim - abgesichert durch die Zusage der Schadloshaltung durch den Beklagten -, völlig risikolos unter Umständen doch noch zu den Begünstigten des Pyramidenspiels zu gehören.
Der Beklagte war bestrebt, andere Personen zur Spielteilnahme zu bewegen, weil er hoffte, dass er dann in diesem Schenkungskreis doch noch zu den Beschenkten gehören werde. Insofern lag ein massives eigenwirtschaftliches Interesse des Beklagten an der Teilnahme des Klägers vor, und zwar umso mehr, als der Kläger in denselben Chart, an dem auch der Beklagte beteiligt war, einzahlte und der Beklagte dadurch dem Empfängerkreis näherrückte. Bereits vor der Teilnahme des Klägers an diesem Schenkungskreis wurden an den Beklagten jedoch schon keine Gewinne mehr in bar ausbezahlt, sondern er war verpflichtet, die Gewinne wiederum in das Spiel zu investieren, um den Geldfluss am Laufen zu halten, zumal bereits zu diesem Zeitpunkt zu wenig Einzahlungen geleistet wurden und das ganze Gewinnsystem schon stockte. Bei den gegebenen Umständen konnte der Beklagte nicht mehr ernsthaft erwarten, dass die Neueinsteiger, die noch zahlreiche Ebenen durchlaufen mussten, um in den Empfängerkreis zu gelangen, ihre Gewinne ausbezahlt erhalten. Wäre der Kläger darüber aufgeklärt worden, dass das Gewinnsystem bereits ins Stocken geraten war, hätte er keinerlei Beiträge mehr geleistet.
Im Zuge der Übergabe der 5.000 EUR unterfertigte der Kläger auch eine Schenkungsurkunde, ein Datenblatt und die rechtlichen Rahmenbedingungen.
In der Schenkungsurkunde scheint folgender Passus auf:
„Mir ist bewusst, dass ich selbst nur beschenkt werden kann, solange jeder Teilnehmer weitere Personen zur Teilnahme gewinnt. Des Weiteren bin ich mir bewusst, dass der Betrag verschenkt wird und ich keinerlei Anspruch auf irgendeine Rückerstattung habe, dass es sich um ein progressives System handelt, dass Schenkungskreise von der Rechtssprechung [sic] als sittenwidrig eingestuft werden und ich einen Totalverlust erleiden kann. Ich wurde auch umfassend auf die Risiken, einschließlich der Marktverengung, hingewiesen.“
In den rechtlichen Rahmenbedingungen scheint folgender Passus auf:
„Des Weiteren wurde ich auch auf etwaige Risiken, wie die Marktverengung oder gar einen Totalverlust hingewiesen und aufgeklärt. Auch in Kenntnis dieser Umstände erkläre ich mein Einverständnis zur Teilnahme.“
Etwa zwei Monate nach der Investition der 5.000 EUR erschien der Beklagte wiederum in den Geschäftsräumlichkeiten des Klägers und wies ihn darauf hin, dass bei einer nochmaligen Einzahlung von 1.000 EUR das Durchlaufen des Charts beschleunigt werden könne und dann früher mit Gewinnauszahlungen zu rechnen sei. Der Kläger investierte daraufhin weitere 1.000 EUR.
Insgesamt hat der Beklagte in seinem Bekanntenkreis ca zehn Personen angeworben, wobei er von drei Personen direkt Geld übernommen hatte. Der Großteil dieser geworbenen Teilnehmer hatte aber auch an Informationsveranstaltungen der „IBU“ teilgenommen und erst dann einen Geldbetrag eingesetzt. Auch anderen Teilnehmern am Schenkungskreis, die der Beklagte geworben hatte, versprach er für den Fall des Verlusts der Teilnahmebeträge deren Ersatz, weil er „ihnen sonst nicht mehr in die Augen schauen könne“.
Wie bereits absehbar, wurden in der Folge zu wenige neue Teilnehmer gefunden, die sich an diesem Schenkungskreis bzw Pyramidenspiel beteiligen wollten und es kam zu keinen weiteren Gewinnauszahlungen.
Zwischen Ende 2006 und Sommer 2007 wandte sich der Kläger mehrfach an den Beklagten und forderte ihn auf, - wie zugesichert - den Spieleinsatz rückzuerstatten. Er wurde aber immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. Der Beklagte berichtete dem Kläger in diesem Zeitraum zunächst davon, dass die Gewinnauszahlung nur vorübergehend stocke und er dem Kläger den Verlust ersetzen werde, wenn keinerlei Auszahlungen getätigt würden. Als sich im Frühjahr 2007 die Betreibervereinigung IBU auflöste, weigerte sich der Beklagte, die Verluste des Klägers zu ersetzen.
Nicht festgestellt werden kann, dass der Beklagte durch die Spieleinsätze des Klägers Gewinne erzielte bzw ihm ab dem Zeitpunkt der Teilnahme des Klägers noch Gewinne durch die „IBU“ ausbezahlt wurden. Der Beklagte hatte vor der Teilnahme des Klägers ca 20.000 EUR in den Schenkungskreis investiert, in der Folge (vom Gewinn) wieder mindestens 15.000 EUR reinvestiert und verloren.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, ein echter Garantievertrag bedürfe ebenso wie eine Bürgschaftsverpflichtung im Gegensatz zum Schuldbeitritt der Schriftform, die hier nicht vorliege. Ein formfreier Schuldbeitritt liege nur dann vor, wenn der Beklagte ein persönliches und sachliches unmittelbares Interesse am Zustandekommen des Geschäfts habe, ein besonderes Vertrauensverhältnis geschaffen oder der Gutsteher nach den Umständen des Falls nicht erwarten habe können, dass der Urschuldner seine Verpflichtung noch erfüllen werde. Der Beklagte, der durchaus auch ein eigenwirtschaftliches Interesse an der Beteiligung des Klägers am Schenkungskreis gehabt habe, wäre jedenfalls nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, den Kläger darüber aufzuklären, dass zum Zeitpunkt seiner Teilnahme das Gewinnsystem schon gestockt habe. Der Beklagte habe diesbezüglich seine Aufklärungspflicht schuldhaft verletzt und hafte dem Kläger grundsätzlich für den Vertrauensschaden. Dem Kläger sei aber ein massives Mitverschulden anzulasten, zumal dieses Spielsystem bei jedem durchschnittlich sorgfältigen Menschen schwere Bedenken hervorrufen müsse und ihm selbst auch klar gewesen sei, dass das nicht so richtig funktionieren könne. Eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 sei gerechtfertigt.
Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht gab beiden Berufungen nicht Folge. Es führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, der Kläger könne einen wirksamen Schuldbeitritt des Beklagten insofern nicht aufzeigen, weil nicht ersichtlich sei, welcher (rechtswirksamen) Verbindlichkeit der Beklagte beigetreten wäre. Ein Vertrag zwischen dem Kläger und der „IBU“ finde in den Feststellungen keine Deckung. Pyramidenspiele seien verboten und daher nichtig. Was auf der Grundlage eines unwirksamen Glücksvertrags gezahlt worden sei, könne zurückgefordert werden. Es stehe aber nicht fest, dass der Kläger dem Beklagten die in das Pyramidenspiel investierten Geldbeträge übergeben habe. Als tauglicher Rechtsgrund für das Klagebegehren komme allerdings ein schlüssig zustande gekommener Auskunftsvertrag iSd § 1300 ABGB in Betracht. Dass der Beklagte selbst Spielteilnehmer gewesen sei, schließe nicht aus, ihn als Anlagenvermittler zu qualifizieren dessen Haftung gegenüber dem Ankäufer von Pyramidenspielanteilen der Oberste Gerichtshof unter gewissen Voraussetzungen bejaht habe (1 Ob 182/97i; 7 Ob 118/97x). Der Beklagte könne zumindest im weitesten Sinn als Anlagevermittler angesehen werden, habe er doch dem Kläger ua mitgeteilt, dass bei der Teilnahme am Spiel große Renditen erzielt werden könnten. Durch das weitere festgestellte Verhalten habe der Beklagte den Kläger letztendlich zu der verlustreichen „Geldanlage“ bewogen, sodass die Rechtsprechung zur Haftung eines Anlagevermittlers oder -beraters herangezogen werden könne. Der Beklagte habe daher zu vertreten, dass er den Kläger vor dessen Investition in das Spiel nicht darüber aufgeklärt habe, dass das ganze Gewinnsystem bereits ins Stocken geraten sei. Die Haftung des Beklagten sei daher zu bejahen. Den Kläger treffe aber ein erhebliches Mitverschulden im Sinne der Ausführungen des Erstgerichts. Trotz der Kenntnis der Risikoträchtigkeit des Schneeballsystems eines Pyramidenspiels habe er sich zur Teilnahme entschlossen und damit grobe Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten an den Tag gelegt. Die Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 sei gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu: Es gebe keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit der Rechtsprechung zur Haftung des Anlagevermittlers oder -beraters in einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fall. Die bisher vom Obersten Gerichtshof behandelten Fälle, in denen es um den Verkauf von Pyramidenspielanteilen gegangen sei, seien nicht vergleichbar, weil dort die haftenden Personen Provisionen bekommen hätten, was hier für den Beklagten nicht zutreffe, wenngleich dessen Tätigkeit ausschließlich von gewinnsüchtigen Motiven getragen gewesen sei. Verneine man die Entgeltlichkeit, stehe noch eine Haftung des Beklagten gemäß § 1300 Satz 2 ABGB im Raum.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen beider Streitteile wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Der Kläger beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung, der Beklagte dessen Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung. Hilfsweise wird jeweils ein Aufhebungsantrag gestellt.
In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Streitteile jeweils, die gegnerische Revision mangels des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei seinen Erwägungen zum beiderseitigen Verschulden eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist auch berechtigt.
Die Revision des Beklagten ist unzulässig.
1. Zur Revision des Klägers:
Der Kläger bringt in seiner Revision im Wesentlichen vor, der Kläger habe im Gegensatz zum Beklagten die Trag- und Reichweite des Spiels nicht erkennen können, weil der Kläger nicht gewusst habe, in welcher Gesamtphase sich das Spiel im Zeitpunkt seiner Teilnahme befunden habe. Gegenüber der bewusst falschen Beratung durch den Beklagten müsse ein Mitverschulden des Klägers als Anleger regelmäßig ausscheiden. Aus den Feststellungen ergebe sich implizit, dass die Spieleinsätze von der IBU eingezogen und wiederum ausbezahlt worden seien. Da der Kläger gegen die IBU einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch wegen des Verbots des Spiels habe, habe der Beklagte dieser Schuld beitreten können.
Hiezu wurde erwogen:
Gemäß § 1300 ABGB ist ein Sachverständiger auch dann verantwortlich, wenn er gegen Belohnung in Angelegenheiten seiner Kunst oder Wissenschaft aus Versehen einen nachteiligen Rat erteilt. Außer diesem Falle haftet ein Ratgeber nur für den Schaden, den er wissentlich durch Erteilung des Rates dem Anderen verursacht hat.
Nach der Rechtsprechung setzt die Haftung für einen wissentlich falschen Rat oder eine wissentlich falsche Auskunft nach Satz 2 dieser Bestimmung nur bedingten Schädigungsvorsatz (dolus eventualis) voraus. Dem Erteiler der Auskunft muss lediglich bewusst sein, dass aus seiner Handlung überhaupt ein Schaden entstehen kann, wobei er dessen Eintritt in Kauf nimmt. Es ist nicht erforderlich, dass er die Art des Schadens genau kennt (RIS-Justiz RS0026567; RS0026690; RS0026513 [T4, T5]).
Der der Entscheidung 4 Ob 252/00p zugrunde liegende Sachverhalt ist dem vorliegenden Fall sehr ähnlich: Dort hatte der Kläger aufgrund der Beratung durch den Zweitbeklagten Geld in eine Abschreibungsgesellschaft als Anlage investiert. In dem dem Kläger vom Zweitbeklagten zur Verfügung gestellten Informationsmaterial hieß es, die Markteinführung des führenden von der Abschreibungsgesellschaft produzierten Präparats werde in England und Frankreich Mitte 1992 erfolgen. Dem Zweitbeklagten war bereits 1991 bekannt, dass die Zulassung dieses Präparats in England und Frankreich nicht mit Sicherheit zu erwarten war. Tatsächlich wurde das Präparat 1992 in England und Frankreich nicht zugelassen. Im Dezember 1992 wurde mit der Zulassung 1993 gerechnet. Der Zweitbeklagte teilte dem Kläger im Dezember 1992 mit, dass „alles im Plan laufe“. Wären dem Kläger die Verzögerungen bei der Zulassung des Präparats in England und Frankreich bekannt gewesen, hätte er nicht in die Abschreibungsgesellschaft investiert. Der Zweitbeklagte hatte selbst in diese Gesellschaft investiert.
Der Oberste Gerichtshof bejahte eine Haftung des Zweitbeklagten gemäß § 1300 Satz 2 ABGB: Der Zweitbeklagte habe den Kläger wissentlich falsch unterrichtet. Wesentlich sei seine Kenntnis, dass die Entwicklung wegen der Verzögerungen bei der Arzneimittelzulassung in England und Frankreich nicht plangemäß verlaufe. Angesichts dieser Verzögerungen und ihrer offenkundigen Auswirkungen auf die Umsatzentwicklung und den Finanzierungsbedarf habe ihm bewusst sein müssen, dass die Risiken weit höher waren als ursprünglich angenommen und die Gefahr des Scheiterns größer gewesen sei als erwartet. Bei dieser Sachlage habe er damit rechnen müssen, dass die Abschreibungsgesellschaft nicht in der Lage sein werde, die Darlehen zurückzuzahlen oder die stillen Gesellschafter abzuschichten. Mit der Vermittlung der Beteiligung habe er in Kauf genommen, dass der Kläger einen Schaden in Höhe des von ihm eingesetzten Kapitals erleiden werde. Dass der Zweitbeklagte 1992 auch selbst eine - die Beteiligung des Klägers sogar geringfügig übersteigende - Beteiligung gezeichnet habe, spreche nicht gegen das Vorliegen eines (bedingten) Schädigungsvorsatzes. Sowohl aufgrund seiner eigenen Beteiligung als auch als Prokurist der Erstbeklagten, die sich verpflichtet hatte, bis 1991 insgesamt 15.400.000 S aufzubringen, habe der Zweitbeklagte demnach sehr daran interessiert sein müssen, durch Zufuhr weiteren Kapitals die - wenn auch angesichts der Entwicklung gering gewordene - Chance zu wahren, das bereits eingesetzte Kapital zu retten. Aus seiner Sicht sei daher die Gefahr des Scheiterns anders zu gewichten gewesen als aus der des Klägers, der sich bisher (nur) mit etwas über 1.000.000 S beteiligt hatte. Trotz eigener Beteiligung an der Tranche 1992 sei demnach von einem (bedingten) Schädigungsvorsatz des Zweitbeklagten auszugehen. Damit hafte dieser für den dem Kläger entstandenen Schaden schon wegen der Erteilung einer wissentlich falschen Auskunft persönlich.
Auch im vorliegenden Fall ist dieser bedingte Schädigungsvorsatz des Beklagten zu bejahen. Aufgrund seines Wissens, dass das System bereits ins Stocken geraten war, musste dem Beklagten klar sein, dass der Kläger als Neueinsteiger keine realistischen Gewinnchancen mehr hatte. Der Beklagte hat damit in Kauf genommen, dass der Kläger sein eingesetztes Geld nicht durch spätere Gewinne aus dem Spiel wieder hereinbringen und so endgültig verlieren werde. Der Beklagte hätte bei dieser Sachlage den Kläger entweder nicht unter Hinweis auf die tatsächlich für den Kläger nicht mehr gegebenen Gewinnmöglichkeiten zur Investition in das Pyramidenspiel drängen dürfen oder den Kläger über den wesentlichen Umstand, dass das System bereits im Stocken war, aufklären müssen. Dieses rechtswidrige Verhalten des Beklagten war für den Entschluss des Klägers, Geld in das Spiel zu investierten, kausal.
Im vorliegenden Fall kommt noch erschwerend hinzu, dass der Beklagte den ohnehin skeptischen Kläger durch seine mehrfachen Rückzahlungszusagen für den Fall des Verlustes zusätzlich zum Investment motiviert hat. Mögen diese mündlichen Zusagen auch keinen selbständigen Verpflichtungsgrund darstellen, so sind sie doch bei der Verschuldensabwägung mitzuberücksichtigen.
Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen kann daher dem Kläger, der den Überredungskünsten des Beklagten lange stand hielt und seinen Widerstand schließlich erst nach mehreren Versuchen des Beklagten unter dem Eindruck von dessen Zusagen der Schadloshaltung aufgab, gegenüber dem bedingt vorsätzlichen Handeln des Beklagten ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden nicht zugemessen werden.
Da aufgrund dieser Erwägungen der Klagsanspruch bereits gemäß § 1300 Satz 2 ABGB zur Gänze zu Recht besteht, erübrigt es sich zu prüfen, ob allenfalls auch eine Haftung des Beklagten gemäß § 1300 Satz 1 ABGB oder aus einem vom Berufungsgericht angenommenen Auskunftsvertrag in Betracht käme.
2. Zur Revision des Beklagten:
Der Beklagte zeigt in seiner Revision keine zu seinen Gunsten korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zu seiner Haftung auf. Ausgehend von der nach § 1300 Satz 2 ABGB zu bejahenden Haftung des Beklagten für den Klagsbetrag (vgl die obigen Rechtsausführungen unter 1.) sind sowohl die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Fragen als auch die weiteren Rechtsausführungen des Beklagten zu seiner Meinung nach nicht bestehenden Haftung gemäß § 1300 Satz 1 ABGB oder aufgrund eines Auskunftsvertrags nicht entscheidungsrelevant und daher nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0088931).
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Für die Berufungsbeantwortung steht dem Kläger gemäß § 23 Abs 9 RATG nur der dreifache Einheitssatz zu.
Textnummer
E96420European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00202.10K.0127.000Im RIS seit
09.03.2011Zuletzt aktualisiert am
05.08.2013