Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elmar G*****, vertreten durch Mag. Matthias Kucera, Rechtsanwalt in Hard, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Friedrich Reiter, Rechtsanwalt in Telfs, wegen 27.447,91 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 6.666 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. November 2009, GZ 4 R 234/09g-57, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 27. August 2009, GZ 6 Cg 12/08p-51, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 976,68 EUR (darin 162,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 15. 4. 2007 ereignete sich im Schigebiet Ischgl ein Schiunfall, an dem der Kläger als Schifahrer und Emil S***** als Lenker eines von der beklagten Partei gehaltenen Pistenfahrzeugs beteiligt waren.
Der Kläger, ein guter Schifahrer, fuhr gegen 14:50 Uhr mit zwei Bekannten auf der sogenannten „Rennstrecke“ talwärts, die knapp oberhalb der späteren Unfallstelle in die Piste 13 einmündet. Nach dieser Einmündung folgt ein langgezogener Geländerücken mit einem ca 6 m langen, abgerundeten Kuppenbereich. Infolge der damaligen Schneelage stieg die Piste in Fahrtrichtung talwärts zu dieser Kuppe hin mit 17° an, danach wies sie ein Gefälle von ca 20° auf. Die Piste war im Bereich der Einmündung der „Rennstrecke“ ca 40 m, auf Höhe der Kuppe ca 15 m breit präpariert. Neben dem Pistenrand lag eine weiche, tiefe Nassschneedecke.
Zur Unfallzeit herrschte nicht viel Betrieb, es waren nur einzelne Schifahrer auf der Piste. Der Kläger fuhr nach einem Zwischenstopp im Steilhang (der „Rennstrecke“) in großen Bögen zügig ab und versuchte, die Geschwindigkeit in das Flachstück im Bereich der Einmündung in die Piste 13 „mitzunehmen“. Dabei bewegte er sich zunächst am rechten, dann - vor der besagten Kuppe - am linken Pistenrand, von wo aus er wieder nach rechts fahren wollte. Seine Geschwindigkeit betrug zuletzt ca 40 km/h.
Unter dessen war Emil S*****, der bei der beklagten Partei als Hilfsarbeiter und Pistenfahrer beschäftigt ist, mit dem 9,4 t schweren Pistenfahrzeug, das eine Geschwindigkeit von maximal 18 km/h erreichen kann, bergwärts unterwegs. Er hatte vom Pistenchef der beklagten Partei den Auftrag erhalten, nach einem Schirennen vom Zielbereich Torstangen und Tische abzuholen und zu einem anderen Hang zu transportieren. Während der Fahrt waren an dem Pistenfahrzeug die gelbe Rundumleuchte, das Fahrlicht sowie der Signalton in Betätigung. Um zum Zielbereich des Schirennens zu gelangen, musste Emil S***** auf der Piste über die besagte Geländekuppe fahren; eine andere Fahrmöglichkeit bestand damals nicht. Er wählte eine Fahrlinie rechts am - aus seiner Sicht - rechten Pistenrand und erreichte eine Geschwindigkeit von 13 km/h.
Als der Kläger und Emil S***** erstmals Sicht aufeinander erlangten, waren sie 21 bzw 22 m voneinander entfernt. Der Lenker des Pistenfahrzeugs reagierte sofort, sodass dieses nach ca 4,7 m zum Stillstand kam. Noch ehe es seine Stillstandposition erreichte, kam es jedoch ca 8 m unterhalb der Kuppe zur Kollision. Der Kläger hatte von der Piste abgehoben und prallte nach einer Luftfahrt von ca 14 m mit den Schiern voran gegen den Frontschild des Pistenfahrzeugs.
Für den Kläger war bereits ab Beginn des Steilhangs erkennbar, dass er sich einer unübersichtlichen Kuppe nähert. Um dem Gebot des Fahrens auf Sicht zu entsprechen, hätte er eine Geschwindigkeit von höchstens 20 bis 25 km/h einhalten dürfen. In diesem Fall hätte er nicht vom Boden abgehoben und die Kollision durch ein Brems- und/oder Ausweichmanöver verhindern können. Vom letzten Halt des Klägers aus hätte er das bergwärts fahrende Pistenfahrzeug in einer Entfernung von 300 bis 400 m Luftlinie in einem Bereich, den er später zu befahren gedachte, sehen können (danach nicht mehr). Schon im oberen Bereich der „Rennstrecke“ hätte er überdies das akustische Warnsignal des Pistenfahrzeugs hören können. Der Lenker des Pistenfahrzeugs hätte bei seiner Bergfahrt kein unfallvermeidendes Verhalten setzen können.
Es kann nicht festgestellt werden, ob das beabsichtigte Verbringen von Torstangen und Absperrungen durch das Pistenfahrzeug ca eine Stunde vor Betriebsschluss des Lifts dringend erforderlich war. In „schitechnischer Hinsicht“ darf ein Fahrauftrag nur dann gegeben werden, wenn dieser dringlich und notwendig ist. Im Unfallbereich war keine Warntafel aufgestellt, die auf „Pistengeräte im Einsatz“ hingewiesen hätte. Ob ansonsten (in der Tal- oder Bergstation) derartige Warntafeln angebracht waren, kann nicht festgestellt werden. Durch Aufstellen eines Warnpostens an der Geländekante wäre der Zusammenstoß vermieden worden, wenn der Kläger wegen dieses Warnpostens seine Geschwindigkeit entsprechend vermindert hätte. In der Praxis werden Warnposten aber nur dann aufgestellt, wenn für einen aufmerksamen und sich sorgfältig verhaltenden Schifahrer aufgrund der Pistenbreite keine Ausweichmöglichkeit besteht. Dem Kläger wäre eine Durchfahrtsbreite von ca 9,6 m verblieben.
Der Kläger erlitt eine Zwei-Etagen-Fraktur des rechten Oberschenkels und einen Hüftpfannenbruch links. Es bestehen Dauerfolgen, Spätfolgen sind nicht auszuschließen. Das gegen den Lenker des Pistenfahrzeugs eingeleitete Strafverfahren wurde (in der Fassung von BGBl Nr. 605/1987) eingestellt.
Der Kläger begehrte von der beklagten Partei unter Anerkennung eines Mitverschuldens den Ersatz von zwei Drittel seines zuletzt mit insgesamt 41.171,86 EUR bezifferten Schadens, somit einen Betrag von 27.447,91 EUR sA, sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei im Ausmaß von zwei Drittel seiner (künftigen) Schäden aus dem Unfall vom 15. 4. 2007. Er berief sich auf das durch den Kauf einer Liftkarte begründete Vertragsverhältnis zur beklagten Partei und brachte im Wesentlichen vor, der Lenker des Pistenfahrzeugs sei unter Außerachtlassung der notwendigen Sorgfalt während des allgemeinen Schibetriebs an einer unübersichtlichen Stelle bergwärts gefahren. Der Einsatz des Pistenfahrzeugs sei nicht notwendig gewesen und hätte auch zu einem späteren Zeitpunkt nach Liftschluss erfolgen können. Das Pistenfahrzeug sei für den Kläger weder sichtbar noch hörbar gewesen. Die beklagte Partei habe für das Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen einzustehen. Sie habe es ferner schuldhaft unterlassen, durch geeignete Maßnahmen vor dem Einsatz des Geräts zu warnen. Ihre Haftung gründe sich auf die Verletzung vertraglicher Pistensicherungspflichten sowie auf die analoge Anwendung der Bestimmungen des EKHG.
Die beklagte Partei wandte ein, der Einsatz des Pistengeräts habe eine typische Gefahr im Rahmen der Sportausübung dargestellt. Es sei unabdingbar gewesen, weil die nach einem Schirennen noch vorhandenen Gefahrenquellen wie Stangen, Tische und Stühle aus der Piste gebracht hätten werden müssen. Dem Lenker des Pistenfahrzeugs sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen. Das Alleinverschulden treffe vielmehr den Kläger, der gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen habe. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen des EKHG komme nicht in Betracht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus und erörterte rechtlich, dem Lenker des Pistenfahrzeugs sei ein der beklagten Partei gemäß § 1313a ABGB zuzurechnendes Fehlverhalten nicht vorwerfbar. Auch der Umstand, dass das Pistenfahrzeug während der Betriebszeit der Liftanlage auf der Piste gefahren sei, begründe kein relevantes Verschulden, selbst wenn die Fahrt nicht dringend notwendig gewesen sei. Das Aufstellen eines Warnpostens oder einer Warntafel direkt auf der Piste hätte eine zusätzliche Gefahrenquelle bedeutet und sei der beklagten Partei nicht zumutbar. Eine Verschuldenshaftung sei daher auszuschließen. Für eine analoge Anwendung des EKHG fehle es an einer Gefahrensituation, die jener aus der Teilnahme eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr entspreche. Eine solche möge zu bejahen sein, wenn das Pistenfahrzeug bei hoher Pistenfrequenz verwendet werde; im vorliegenden Fall seien jedoch nur einzelne Schifahrer auf der Piste gewesen. Der Kläger, der nicht auf Sicht gefahren sei, habe die Folgen des Unfalls daher selbst zu tragen.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass es die beklagte Partei zur Zahlung von 11.743,95 EUR sA an den Kläger verpflichtete und die Haftung der beklagten Partei im Ausmaß eines Drittels sämtlicher künftiger Schäden des Klägers aus dem Unfall vom 15. 4. 2007, beschränkt auf die Haftungshöchstbeträge der §§ 15 und 16 EKHG feststellte. Das Zahlungsmehrbegehren von 15.703,96 EUR sA und das Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.
In rechtlicher Hinsicht teilte das Berufungsgericht zunächst die Ansicht des Erstgerichts, dass weder den Lenker des Pistenfahrzeugs noch die beklagte Partei ein Schuldvorwurf treffe. Ersterem sei die Einhaltung einer anderen Fahrlinie mit besserer Sichtbarkeit des Pistenfahrzeugs für entgegenkommende Schifahrer nicht möglich gewesen. Er sei mit mäßiger Geschwindigkeit ganz rechts am Pistenrand bergwärts gefahren und habe auf das Ansichtigwerden des Klägers unverzüglich reagiert. In Anbetracht einer freien Durchfahrtsbreite von mehr als 9 m sei das Beiziehen eines Warnpostens nicht erforderlich gewesen. Es begründe aber auch kein Verschulden der beklagten Partei, dass der Einsatz des Pistenfahrzeugs allenfalls auch auf den nahen Betriebsschluss verschoben hätte werden können. Auf der Piste befindliche Torstangen etc würden unter Umständen ebenfalls gefährliche Hindernisse für abfahrende Schifahrer bilden. Die beklagte Partei habe daher eine Interessenabwägung vornehmen dürfen, die den Einsatz des Pistengeräts auch während der Betriebszeiten des Lifts gerechtfertigt erscheinen lassen könne.
Die beklagte Partei habe aber jedenfalls in analoger Anwendung des EKHG für die Betriebsgefahr des Pistengeräts einzustehen. Nach der vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 49/04b vertretenen Auffassung sei die analoge Anwendung des EKHG dann in Betracht zu ziehen, wenn die im konkreten Fall verwirklichte Gefahr derjenigen Gefahr nahekomme, die aus der Teilnahme eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr entspringe. Dies sei etwa dann der Fall, wenn das Pistengerät während der Betriebszeiten der Lifte auf der Schipiste eingesetzt werde, weil es notorisch sei, dass sich der Verkehr auf Schipisten hinsichtlich seiner Dichte und Schadensträchtigkeit immer mehr dem Straßenverkehr annähere.
Gerade diese Voraussetzungen seien aber hier eindeutig gegeben. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts könne die analoge Anwendbarkeit des EKHG nicht davon abhängig sein, dass eine bestimmte Anzahl von Schiläufern die Piste benütze. Es gehe vielmehr allein darum, dass auf einer dem allgemeinen Schiverkehr gewidmeten Piste während der Betriebszeiten der Lifte ein Pistengerät zum Einsatz komme. Der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 1 EKHG sei der beklagten Partei nicht gelungen, weil ein besonders sorgfältiger Liftbetreiber eine nicht unumgänglich notwendige Fahrt des Pistengeräts während der Betriebszeiten der Lifte nicht durchführen würde. Gemäß § 7 Abs 1 EKHG iVm § 1304 ABGB habe eine Abwägung der haftungsbegründenden Betriebsgefahr und des mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten stattzufinden. Diese führe zu einer Schadensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Lasten des Klägers. Der ungekürzte Schaden des Klägers belaufe sich auf 35.231,86 EUR, wovon ihm ein Drittel, somit 11.743,95 EUR, zu ersetzen sei. Im Umfang eines Drittels sei auch das Feststellungsbegehren berechtigt.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine endgültige Auseinandersetzung des Höchstgerichts mit der Frage der analogen Anwendbarkeit des EKHG auf Pistenfahrzeuge noch fehle.
Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem (sinngemäßen) Abänderungsantrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht mit der Verneinung der Verschuldenshaftung der beklagten Partei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; sie ist jedoch nicht berechtigt.
Die beklagte Partei macht geltend, die in der Entscheidung 9 ObA 49/04b genannten Voraussetzungen für die dort in Betracht gezogene analoge Anwendung des EKHG auf Pistengeräte lägen nicht vor. Das Erstgericht habe richtig erkannt, dass bei Benützung der Piste nur durch „einzelne Schifahrer“ eine mit dem Straßenverkehr vergleichbare Verkehrsdichte und Schadensträchtigkeit nicht gegeben sei. Selbst wenn aber von der analogen Anwendbarkeit des EKHG auszugehen wäre, sei der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 1 EKHG gelungen. Die beklagte Partei habe mit ihrer Anordnung, die nach Beendigung des Schirennens auf der Piste verbliebenen Torstangen und Absperrungen umgehend zu entfernen, lediglich ihrer Pistensicherungspflicht entsprochen.
Dem gegenüber hält der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung daran fest, dass die beklagte Partei die Verschuldenshaftung treffe. Die Negativfeststellung zur Dringlichkeit des (beabsichtigten) Verbringens von Torstangen und Absperrungen ca eine Stunde vor Betriebsschluss der Lifte durch den Einsatz eines Pistenfahrzeugs könne die beklagte Partei von ihrer Haftung nicht entlasten.
Hiezu wurde erwogen:
I. Zur Gefährdungshaftung:
1. Der Oberste Gerichtshof konnte die bereits mehrfach an ihn herangetragene Frage der analogen Anwendbarkeit der Haftungsbestimmungen des EKHG auf die Halter von Pistenfahrzeugen bisher stets offen lassen (vgl 1 Ob 582/86 = ZVR 1988/7; 8 Ob 39/87; 4 Ob 2372/96v = ZVR 1997/65 [Gschöpf]; 9 ObA 49/04b = ZVR 2005/30 [Apathy] = ZAS 2006/21 [Kerschner]; 2 Ob 213/05w; vgl auch die Motorschlitten betreffenden Entscheidungen 2 Ob 212/06z und 2 Ob 113/09w = ZVR 2010/157 [Chr. Huber]). Lediglich in der Entscheidung 2 Ob 142/01y = ZVR 2004/4 wurde nach dem Unfall eines Rodlers mit einem Motorschlitten die Gefährdungshaftung des Halters des Motorschlittens nach dem EKHG bejaht. Maßgeblich für diese Beurteilung war der Umstand, dass sich der Unfall auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr ereignet hatte, weshalb die Bestimmungen des KFG auf den Motorschlitten (als Sonderkraftfahrzeug) sinngemäß anzuwenden waren.
2. In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 9 ObA 49/04b gelangte der Oberste Gerichtshof nach umfassender Darstellung des einschlägigen Schrifttums (vgl nunmehr auch Eickmann, Die zivilrechtliche Haftung beim Betrieb von Pistenraupen und die Eigenverantwortlichkeit des Wintersportlers [2004], 121 ff; Schauer in Schwimann, ABGB3 VIII [2006] § 2 EKHG Rz 19 f; Danzl, EKHG8 [2007] § 1 Anm 5a; Neumayr in Schwimann, ABGB-TaKomm § 2 EKHG Rz 11) zu dem zusammenfassenden Ergebnis, dass auch nach der herrschenden Lehre eine analoge Anwendung des EKHG nur dann in Betracht gezogen werden könnte, wenn die im konkreten Fall verwirklichte Gefahr derjenigen Gefahr nahe komme, die aus der Teilnahme eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr entspringe. Eine solche Ähnlichkeit möge vielleicht dann zu bejahen sein, wenn das Pistengerät innerhalb eines dem Straßenverkehr vergleichbaren öffentlichen Verkehrs betrieben werde, also etwa auf einer Schipiste während der Betriebszeiten der Lifte. Es sei notorisch, dass sich der Verkehr auf Schipisten hinsichtlich seiner Dichte und Schadensträchtigkeit immer mehr dem Straßenverkehr annähere.
Nach der (jedenfalls insoweit) zutreffenden Analyse von Apathy (aaO 106) kann dieser Entscheidungsbegründung noch keine abschließende Meinungsäußerung des Obersten Gerichtshofs zur Anwendbarkeit des EKHG im Falle eines Unfalls im Rahmen des Pistenbetriebs entnommen werden. Für den damaligen Anlassfall, bei dem sich eine andere Gefahr als die des „allgemeinen Verkehrs“ verwirklicht hatte - ein Arbeiter war während der Nachtstunden mit einem Bein in die laufende Schneefräse eines stehenden Pistengeräts gelangt -, wurde die analoge Anwendbarkeit des EKHG abgelehnt.
3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts stellt sich die als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nach der analogen Anwendbarkeit des EKHG auf Pistenfahrzeuge im vorliegenden Fall nicht, weil die beklagte Partei ein nicht zu vernachlässigendes Verschulden am Zustandekommen des Unfalls trifft. Der erkennende Senat hat dies aufgrund seiner Pflicht zur allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmen, zumal der Kläger der Verneinung der Verschuldenshaftung durch die Vorinstanzen auch noch in dritter Instanz widerspricht.
II. Zur Verschuldenshaftung:
1. Der Kläger hat seine Ansprüche auf das durch den Kauf einer Liftkarte begründete Vertragsverhältnis gestützt. Die beklagte Partei ist diesem Vorbringen in erster Instanz nicht substantiiert entgegengetreten. In ihrer Berufungsbeantwortung übernahm sie sodann ausdrücklich die erstinstanzliche Rechtsansicht, dass sie für ein allfälliges Verschulden des Lenkers des Pistenfahrzeugs nach § 1313a ABGB, somit nach Vertragsgrundsätzen, einzustehen habe. Im Revisionsverfahren ist demnach als unstrittig anzusehen, dass zwischen den Streitteilen eine vertragliche Beziehung bestand.
2. Mit Abschluss des Beförderungsvertrags übernimmt der Liftunternehmer als Pistenhalter die Pflicht, im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten Schiverkehrs die körperliche Integrität seiner Vertragspartner durch nach der Verkehrsauffassung erforderliche und zumutbare Maßnahmen zu schützen (vgl 1 Ob 246/02m; 1 Ob 77/03k = ZVR 2004, 112 [König]; 1 Ob 217/04z). Er und seine Leute sind im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht insbesondere verpflichtet, dort entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wo dem Schifahrer durch nicht oder schwer erkennbare Hindernisse Gefahren drohen (RIS-Justiz RS0023255). Nach ständiger Rechtsprechung hat er demnach atypische Gefahren zu sichern, also solche Hindernisse, die der Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann (2 Ob 49/09h; RIS-Justiz RS0023417). An die Verkehrssicherungspflicht des Pistenhalters dürfen aber auch keine überspitzten Anforderungen gestellt werden; sie darf nicht überspannt werden (2 Ob 49/09h; RIS-Justiz RS0023255 [T1]).
3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Pistengeräte typische Erscheinungen auf einer Schipiste sind (vgl 12 Os 122/90 = ZVR 1991/123 [Reindl] = JBl 1991, 662 [Bertel]; 4 Ob 2372/96v; 9 Ob 80/04m). Dies enthebe den Betreiber des Pistengeräts aber nicht der Pflicht, auf die Möglichkeit Bedacht zu nehmen, dass Schifahrer - nicht auf Sicht fahrend - „zu Tale rasen“ (4 Ob 2372/96v; 9 Ob 80/04m).
Bereits in der Entscheidung 1 Ob 582/86 wurde in diesem Zusammenhang betont, Schifahrer dürften durch den Einsatz von Pistengeräten nicht mehr behindert bzw gefährdet werden, als dies das Wesen der Pistenfahrzeuge zwangsläufig mit sich bringe; der pistensicherungspflichtige Unternehmer habe die durch den Einsatz solcher Fahrzeuge ausgelösten Gefahren für abfahrende Schiläufer, soweit dies möglich und zumutbar sei, auszuschalten. Demnach sollten solche für Schifahrer gefährliche Geräte nach Möglichkeit während der Liftbetriebszeit nicht eingesetzt werden. Erweise sich der Einsatz aber während des allgemeinen Schibetriebs - etwa wegen Veränderungen der Schneedecke - als unumgänglich, so seien die Schifahrer vom Liftunternehmer - gerade bei Pisten mit unübersichtlichen oder engen Passagen - durch geeignete Maßnahmen, zB durch die Aufstellung deutlich sichtbarer Warntafeln, vor dem Einsatz des Geräts zu warnen (vgl RIS-Justiz RS0023786).
Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung billigte der Oberste Gerichtshof in 4 Ob 2372/96v im Rahmen der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision die zweitinstanzliche Rechtsansicht, es begründe einen schuldhaften Sorgfaltsverstoß des beklagten Liftunternehmers, mit der Auffahrt seiner Pistengeräte (über unübersichtliches Gelände) nicht noch eine halbe Stunde bis zum Ende des Liftbetriebs zugewartet zu haben. Soweit im (in der Entscheidung zitierten) Schrifttum die Auffassung vertreten werde, dass wegen der Eigenart und des Zwecks der Verwendung von Pistengeräten weder eine zeitliche noch eine örtliche Begrenzung des Betriebs solcher Geräte möglich und erforderlich sei, beruhe das auf dem Gedanken, dass die Wahl der Präparierungszeit von der Schneebeschaffenheit abhänge und frisch gefallener Schnee noch in diesem Zustand präpariert werden müsse; dazu komme, dass die Pistengeräte oft zur Rettung verunglückter Schifahrer eingesetzt werden müssten. Diese zweifellos zutreffenden Überlegungen böten aber keine Rechtfertigung dafür, dass Pistengeräte während des Schibetriebs auf der Piste eingesetzt werden, obwohl weder eine Präparierung noch eine Rettungsfahrt oder sonst ein unbedingt notwendiger Einsatz erforderlich geworden sei.
4. Der erkennende Senat hält an den Grundsätzen dieser Rechtsprechung fest. Im Übrigen entspricht es nun auch einer anlässlich eines Rechtssymposiums des Fachverbands der Seilbahnen für den Einsatz von Pistengeräten auf Pisten formulierten „Empfehlung“ (ohne Rechtsnormqualität; vgl 2 Ob 212/06z), die Benützung von Pistengeräten während des Pistenbetriebs nach Möglichkeit zu vermeiden (Reindl/Stabentheiner/Dittrich, Bergbeförderung, Pistenbetreuung, Wintersport - Verhaltenspflichten und Handlungsmöglichkeiten des Seilbahnunternehmers - 25 Jahre Seilbahnsymposium, ZVR 2006/238, 549 [565]). Die daran anschließende „Bemerkung“ der Autoren, dass ungeachtet dieser Empfehlung allein aus dem Betreiben eines Pistengeräts auf „offener“ Piste keine Haftung des Pistenhalters abgeleitet werden könne, steht zu der erörterten Rechtsprechung allerdings im Widerspruch:
Ein Pistengerät, das auf einer von Schifahrern frequentierten Piste bergwärts fährt, stellt eine besondere Gefahrenquelle dar, vor allem, wenn es - wie im vorliegenden Fall - von entgegenkommenden Schifahrern infolge der örtlichen Verhältnisse längere Zeit nicht wahrgenommen werden kann. In solchen Fällen ist zwar für den Lenker des Pistenfahrzeugs „äußerste Vorsicht“ geboten (vgl zuletzt 2 Ob 113/09w mwN; RIS-Justiz RS0023786). Zeitlich (und logisch) vorgelagert ist aber schon die Beurteilung der Frage, ob die gefährliche Fahrt unter den konkreten Umständen überhaupt (unumgänglich) notwendig ist. Dabei ist dem Pistenhalter zweifellos ein gewisser Ermessensspielraum einzuräumen. Wie jeden Verkehrssicherungspflichtigen trifft ihn jedoch die Beweislast dafür, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat (vgl 2 Ob 87/07v; 2 Ob 49/09h; RIS-Justiz RS0022476). Diese können auch in der Unterlassung einer nicht notwendigen Fahrt mit einem Pistenfahrzeug bestehen.
5. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen gab der Pistenchef der beklagten Partei dem Lenker des Pistenfahrzeugs den Auftrag, vom Zielbereich des Schirennens Torstangen und Tische zu einem anderen Hang zu transportieren. Das Argument der beklagten Partei, sie habe damit lediglich ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkommen und atypische Hindernisse aus dem Pistenbereich entfernen wollen, findet in dieser Feststellung keine Bestätigung. Aus ihr ist lediglich abzuleiten, dass das „Material“ von einem zu einem anderen Hang transportiert werden sollte. Das bedeutet aber nicht das Beseitigen, sondern das bloße Verlagern einer allfälligen Gefahrenquelle. Aus den Feststellungen ergibt sich im Übrigen kein Anhaltspunkt dafür, dass die abzutransportierenden Torstangen und Absperrvorrichtungen, Tische und Bänke für abfahrende Schifahrer nicht schon von weitem erkennbar waren und ihr Verbleib auf der Piste bis zum Ende des Pistenbetriebs daher eine bedeutend geringere Gefahrenquelle dargestellt hätte als der Einsatz des Pistengeräts. Folgerichtig vermochte das Erstgericht nicht festzustellen, dass die Fahrt eine Stunde vor Betriebsschluss des Lifts dringend erforderlich gewesen wäre. Auch zur Aufstellung von Warntafeln liegt nur eine Negativfeststellung vor.
Der beklagten Partei ist es daher nicht gelungen, den ihr obliegenden Beweis zu erbringen, dass der Einsatz des Pistengeräts während des Pistenbetriebs (unumgänglich) notwendig war und dass die Pistenbenützer vor der dadurch ausgelösten Gefahr wenigstens gewarnt worden sind. Sie hat durch den Einsatz des Pistengeräts vor Betriebsschluss des Lifts eine unnötige Gefahrenquelle für abfahrende Schifahrer geschaffen, die sie - gemessen am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB (2 Ob 501/93 = ZVR 1993/161) - als solche erkennen hätte müssen. Darin liegt eine schuldhafte Verletzung ihrer vertraglichen Verkehrssicherungspflicht.
6. Die Abwägung des beiderseits schuldhaften Fehlverhaltens rechtfertigt die Haftungsteilung des Berufungsgerichts, weshalb es im Ergebnis bei dessen Aussprüchen über das Leistungs- und Feststellungsbegehren des Klägers zu bleiben hat. Dies gilt auch für die Anordnung der Begrenzung der Haftung mit den Haftungshöchstbeträgen der §§ 15 und 16 EKHG, die der dadurch beschwerte Kläger unbekämpft ließ.
Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E96256European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00030.10S.0127.000Im RIS seit
17.02.2011Zuletzt aktualisiert am
07.12.2015