TE OGH 2011/1/28 6Ob205/10f

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Veröffentlicht am 28.01.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache des am 9. April 2009 verstorbenen V***** K***** über den Revisionsrekurs der Erbin J***** T*****, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in Seiersberg, wegen Bestimmung eines Anerben, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 15. Juni 2010, GZ 5 R 46/10m-79, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Frohnleiten vom 1. Februar 2010, GZ 4 A 132/09v-63, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle seit der Entscheidung 6 Ob 1/76 Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob bei anderweitiger Versorgung aller potenzieller Anerben eine Auswahl nach § 3 Abs 1 AnerbenG ausscheide und die Frage der Erziehung zur Land- und Forstwirtschaft unbeachtlich sei, demnach Ältestenrecht nach § 3 Abs 2 AnerbenG zur Anwendung komme.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind alle drei in Betracht kommenden potenziellen Anerben auf dem Erbhof des Erblassers aufgewachsen und nunmehr anderweitig versorgt. Beide Vorinstanzen gingen davon aus, dass in einem solchen Fall demjenigen potenziellen Anerben der Vorzug nach § 3 AnerbenG zukomme, der zur Land- oder Forstwirtschaft erzogen wurde. Das Rekursgericht hielt allerdings die Feststellungen des Erstgerichts zu dieser Frage für nicht ausreichend und trug diesem deshalb eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 6 Ob 2403/96t klargestellt, dass unter Berücksichtigung der Auswahlkriterien des § 3 Abs 1 Z 1 und 3 AnerbenG derjenige Erbe als Anerbe zu bestimmen ist, der eine landwirtschaftliche Ausbildung genossen hat, wenn mehrere potenzielle Anerben auf dem Erbhof aufgewachsen und nunmehr anderweitig versorgt sind; sollten mehrere potenzielle Anerben eine derartige Ausbildung erfahren haben, kämen die subsidiären Regeln des § 3 Abs 2 Z 1 AnerbenG zum Tragen. Ein Ausscheiden als Anerbe käme nur in Betracht, wenn der andere Miterbe derselben Linie für die Land- oder Forstwirtschaft erzogen worden und nicht anderweitig versorgt wäre.

Dies entspricht dem von den Vorinstanzen eingenommenen Standpunkt, auch wenn sich das Rekursgericht nicht ausdrücklich auf diese Entscheidung berufen hat. Diese Auffassung entspricht auch dem klaren Wortlaut des § 3 Abs 1 Z 3 AnerbenG; ist der andere potenzielle Anerbe nicht anderweitig unversorgt, scheidet der Miterbe gerade nicht aus.

2. Die Revisionsrekurswerberin als erblasserische Tochter und ältester potenzieller Anerbe beruft sich auf die Entscheidung 6 Ob 1/76 (SZ 49/27); danach kann der Anerbe nicht nach § 3 Abs 1 AnerbenG bestimmt werden, wenn alle potenziellen Anerben anderweitig versorgt sind. Sie übersieht damit allerdings, dass diese Entscheidung zur Rechtslage vor dem 1. 1. 1990 ergangen ist (zur historischen Entwicklung vgl Kathrein, Anerbenrecht [1990] Einleitung 13 ff; Eccher in Schwimann, ABGB³ III [2006] Höferecht 575 ff), welche zwar eine dem heutigen § 3 Abs 1 Z 3 AnerbenG entsprechende Bestimmung enthielt (§ 3 Abs 1 Z 4 AnerbenG aF), nicht jedoch eine dem heutigen § 3 Abs 1 Z 1 AnerbenG entsprechende Regelung (vgl Edlbacher, Das Anerbengesetz [1961] 24 ff). Gerade § 3 Abs 1 Z 1 AnerbenG in der geltenden Fassung hebt jedoch die Bedeutung der Ausbildung zur Land- oder Forstwirtschaft hervor.

Soweit sich die Revisionsrekurswerberin daher auf die Entscheidung 6 Ob 1/76 (beziehungsweise auf Edlbacher, Die Bestimmung des Anerben, ÖJZ  1980, 631 und Kralik, Erbrecht³ [1982]) beruft, braucht darauf nicht näher eingegangen zu werden. Eccher (in Schwimann, ABGB³ III [2006] § 3 AnerbenG Rz 3), den die Revisionsrekurswerberin ebenfalls zitiert, lehrt zwar, dass der zur Landwirtschaft erzogene, aber versorgte Miterbe gegenüber dem nicht zur Landwirtschaft erzogenen, ebenfalls versorgten Miterben nicht schon nach § 3 Abs 1 Z 3 AnerbenG Anerbe werde; eine Entscheidung sei in einem solchen Fall nach den subsidiären Auswahlbestimmungen des Abs 2 zu treffen. Eccher beruft sich dazu jedoch auf die Entscheidung 6 Ob 1/76, geht also ebenfalls nicht von der geltenden Rechtslage aus. Dies gilt auch für Probst (Anerben- und Höferecht, in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge [2010] Rz 41), der unter Berufung auf die Entscheidung 1 Ob 353/59 (JBl 1960, 447) meint, das Kriterium der anderweitigen Versorgung reiche zum Ausschluss vom Anerbenrecht; es gelte der Grundsatz, dass derjenige, der auf die Übernahme des Hofs nicht angewiesen ist, zu weichen habe. Probst übersieht dabei allerdings den einschränkenden letzten Halbsatz des § 3 Abs 1 Z 3 AnerbenG.

3. Auch die Berufung der Revisionsrekurswerberin auf die Entscheidung 6 Ob 254/00x geht ins Leere, hatten doch in diesem Fall sämtliche potenzielle Anerben eine land- oder forstwirtschaftliche Ausbildung genossen; infolge anderweitiger Versorgung der potenziellen Anerben kam es dann auf die Kriterien des § 3 Abs 2 AnerbenG an. In der im Revisionsrekurs ebenfalls erwähnten Entscheidung 6 Ob 253/05g (NZ 2008/10 [Zemen]) wiederum waren nicht alle potenziellen Anerben anderweitig versorgt, in der Entscheidung 6 Ob 212/07f (EvBl 2008/86) ging es gerade um die Frage der Versorgung.

4. Ob bei allen oder einzelnen potenziellen Anerben die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 Z 1 AnerbenG vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls. Es obliegt daher dem Beurteilungsmaßstab des Rekursgerichts, ob es diese Voraussetzungen als vorliegend erachtete oder den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt für ergänzungsbedürftig hielt.

Textnummer

E96264

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00205.10F.0128.000

Im RIS seit

21.02.2011

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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