TE OGH 2011/1/28 6Ob253/10i

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Veröffentlicht am 28.01.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Benjamin und Samuel S*****, beide geboren am 24. Mai 2009, *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Dr. M***** S*****, vertreten durch Mag. Marina Breitenecker, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Oktober 2010, GZ 43 R 651/10v-103, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 31. August 2010, GZ 3 Ps 64/10v-74, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts in seinem Punkt 1. (mit Ausnahme des letzten Satzes) wieder hergestellt wird.

Text

Begründung:

Die minderjährigen Zwillinge sind die ehelichen Kinder von Dr. M***** und B***** S*****, deren Ehe nach wie vor aufrecht ist, die jedoch aufgrund einer Wegweisung des Vaters aus der Ehewohnung im Februar 2010 getrennt leben. Die Obsorge steht beiden Eltern zu, jene der Mutter ist jedoch insofern eingeschränkt, als ihr seit 19. 2. 2010 untersagt ist, mit den Kindern Österreich zu verlassen. Es behängt ein Obsorgestreit; beide Elternteile streben die Alleinobsorge an.

Anlässlich einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung in ihrem Ehescheidungsverfahren (samt Provisorialverfahren gemäß §§ 382b, 382e EO) schlossen die Eltern am 16. 3. 2010 einen Kontaktregelungsvergleich, wonach dem Vater ein einstweiliges Besuchsrecht dreimal wöchentlich in Form von begleiteten Besuchen beim Wiener Familienbund zusteht, und zwar zweimal während der Woche und einmal am Sonntag. Die Kosten dieser Besuchsbegleitung hat der Vater zu tragen. Vereinbarungsgemäß finden die Besuche dreimal in der Woche im Ausmaß von je zwei Stunden statt.

Die Familie ist jüdisch, Besuchskontakte am Samstag scheiden damit aus. Die Mutter versorgt die Zwillinge mit Unterstützung ihrer Eltern. Die Atmosphäre im Haushalt ist entspannt und ruhig. Die Mutter kümmert sich liebevoll und kompetent um die Kinder, die gut gepflegt, gefördert und ausgeglichen wirken. Sie sorgt auch für die medizinische Versorgung der Kinder. Eine vom Vater geforderte Pneumokokkenimpfung wurde am 9. 6. 2010 vorgenommen.

Der Vater hegt den Verdacht - und äußert ihn auch -, bei der Mutter könnte eine psychiatrische Beeinträchtigung vorliegen. Anlässlich der Wegweisung des Vaters im Februar 2010 konnten allerdings weder der einschreitende Sanitäter noch die beigezogene Amtsärztin Hinweise auf eine derartige Erkrankung finden; es lag lediglich eine psychische Belastungsreaktion im Bereich des Normalen, ausgelöst durch die akute belastende Situation, vor.

Am 26. 4. 2010 beantragte der Vater die Abänderung des am 16. 3. 2010 geschlossenen Kontaktregelungsvergleichs dahin, dass ihm ein vorläufiges Besuchsrecht dreimal wöchentlich am Dienstag, Donnerstag und Sonntag in der Zeit von 14:30 bis 17:30 Uhr (dienstags und donnerstags) beziehungsweise von 10 bis 17 Uhr (sonntags) eingeräumt werde, wobei er verpflichtet sei, die Kinder am Beginn des Besuchsrechts von den Räumlichkeiten des Wiener Familienbunds abzuholen und am Ende wieder dorthin zu bringen (Übergabebegleitung). Eine Kindeswohlgefährdung liege nicht vor, die Kosten für die Besuchsbegleitung stellten hingegen eine erhebliche finanzielle Belastung dar.

Die Mutter hielt diesem Begehren entgegen, es liege nach wie vor eine Kindeswohlgefährdung im Fall eines unbegleiteten Besuchsrechts vor. Es bestehe die Gefahr, dass der Vater die Kinder nicht mehr zurückgebe.

Das Erstgericht räumte dem Vater - in Abänderung des Kontaktregelungsvergleichs vom 16. 3. 2010 - ein Besuchsrecht dreimal wöchentlich im Umfang von zwei Stunden in Form von begleiteten Besuchen (Übergabebegleitung durch den Wiener Familienbund) ein, wobei die Besuche zweimal während der Woche und einmal am Sonntag stattzufinden haben; die nähere Terminvergabe behielt das Erstgericht dabei dem Wiener Familienbund vor. Das Mehrbegehren, dem Vater längere Kontaktzeiten einzuräumen, wies das Erstgericht ebenso ab wie seinen Antrag, diesem Beschluss sofortige Verbindlichkeit zuzuerkennen. Der Vater habe bewiesen, dass er mit den Kindern umgehen könne, er sei imstande, die Zeit mit den Zwillingen kindgerecht und gut zu verbringen. Auch das Kostenargument sei nicht zu übersehen. Jedenfalls sei die durchgehende Begleitung zum Wohl der Kinder nicht mehr notwendig.

Das Rekursgericht wies den Kontaktregelungsantrag des Vaters zur Gänze ab und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Zwischen den Eltern bestünden Meinungsverschiedenheiten über die medizinische Versorgung der Zwillinge, insbesondere über die Durchführung von Impfungen. In diesem Zusammenhang habe der Vater versucht, einen Kinderarzt zu seinen Besuchen beizuziehen, der die Kinder impfen solle. Eine solche Zweigleisigkeit sei für diese keineswegs zuträglich. Außerdem habe der Vater Vermutungen über Entwicklungsrückstande der Kinder geäußert und deshalb eine Psychologin beizuziehen versucht. Auch dieses Verhalten lasse befürchten, dass ein unbegleitetes Besuchsrecht zumindest teilweise nicht zum Kindeswohl genützt würde.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, weil das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat; er ist auch teilweise berechtigt.

1.1. Nach ständiger, in der Literatur (H. Pichler in Rummel, ABGB² [1990] § 148 Rz 3; Nademleinsky in Schwimann, ABGB³ [2005] § 148 Rz 12; Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2008] § 148 ABGB Rz 13) gebilligter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (8 Ob 632/90 EFSlg 62.944, 64.518; 4 Ob 14/97f; vgl auch 6 Ob 186/07g EF-Z 2008/7 [Nademleinsky] = iFamZ 2008/10 [Fucik]; ebenso die zweitinstanzliche Judikatur, etwa LGZ Wien EFSlg 35.925, 96.537; LG Krems EFSlg 123.188; LG Linz EFSlg 123.189) sind die Eltern an einen abgeschlossenen - und pflegschaftsgerichtlich genehmigten (2 Ob 568/92 RZ 1993/100; 2 Ob 133/07h Zak 2007/547; jüngst ausführlich 6 Ob 101/10m Zak 2010/640) - Kontaktregelungsvergleich unter der Einschränkung der clausula rebus sic stantibus gebunden; sie können sich also nur auf nachträgliche Änderungen des Sachverhalts berufen. Dies gilt grundsätzlich auch für Vereinbarungen betreffend ein begleitetes Besuchsrecht gemäß § 111 AußStrG (vgl 3 Ob 145/07f; 8 Ob 163/09t), wobei eine Änderung etwa im Wegfall der Notwendigkeit (Voraussetzungen) der Besuchsbegleitung liegen würde.

1.2. Die Eltern haben anlässlich einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung in ihrem Ehescheidungsverfahren (samt Provisorialverfahren gemäß §§ 382b, 382e EO) am 16. 3. 2010 einen Kontaktregelungsvergleich geschlossen und dabei Besuchsbegleitung vereinbart. Bereits am 26. 4. 2010 stellte der Vater einen Antrag auf Ausdehnung der Kontaktzeiten und auf Entfall der Besuchsbegleitung; er sei jedoch mit einer begleiteten Übergabe der Kinder einverstanden. Eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Vergleichs vom 16. 3. 2010 lässt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen und wird auch von den Eltern nicht behauptet. Damit kommt dieser Vereinbarung aber keine bindende Wirkung zu (RIS-Justiz RS0048011, zuletzt 6 Ob 101/10m; Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2008] § 148 ABGB Rz 12, 13); einer Erörterung der Frage, ob sich seit damals wesentliche Umstände geändert haben, bedarf es nicht.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist inhaltliche Voraussetzung für die Anordnung der Besuchsbegleitung nach § 111 AußStrG, dass das Wohl des betroffenen Kindes persönliche Kontakte zu dem nicht mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteil erfordert. Dies bedeutet aber nicht, dass die Besuchsbegleitung ultima ratio darstellt und damit etwa erst nach Erschöpfung anderer Abwicklungsmodalitäten herangezogen werden dürfte. Die Besuchsbegleitung eignet sich aus psychologisch-psychiatrischer Sicht zwar in erster Linie für die Neu- oder Wiederanbahnung des persönlichen Kontakts zwischen nicht erziehendem Elternteil und Kind. Es sind jedoch Fallkonstellationen denkbar, in denen aufgrund der seelisch-psychischen Ausnahmeverfassung und/oder vorübergehend eingeschränkten Einsichtsfähigkeit der Beteiligten auch sonst eine objektive dritte Person für die Abwicklung des Besuchskontakts erforderlich ist; das Rechtsinstitut der Besuchsbegleitung kann also in bestimmten Fällen auch über eine angemessene Übergangszeit hinaus zu einer Art Dauereinrichtung für die laufende Besuchsabwicklung in bestimmten, etwa besonders konfliktgeschädigten Eltern-Kind-Verhältnissen werden (RIS-Justiz RS0118258). Voraussetzung für die Anordnung einer Besuchsbegleitung sind - neben Gefährdungen des körperlichen Wohls des Kindes - insbesondere Drucksituationen, denen das Kind aufgrund der ungeklärten Situation zwischen seinen Eltern ausgesetzt ist, wenn der nicht mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebende Elternteil also insbesondere gegen das Wohlverhaltensgebot des § 145b ABGB verstößt, indem er versucht, das Kind gegen den betreuenden Elternteil aufzuwiegeln, es für sich (und gegen den anderen) zu vereinnahmen oder das Kind aufhetzt (10 Ob 61/03y). Für eine laufende Besuchsrechtsausübung kann Besuchsbegleitung aber nur angeordnet werden, wenn dies im Interesse des Kindes gelegen ist (Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2008] § 148 ABGB Rz 34 mwN).

2.2. Nach den Feststellungen des Erstgerichts sind die Zwillinge gut entwickelt, sehr aufmerksam, interessiert und kommunikativ; sie zeigen keine Ängste und wirken sehr fröhlich, lächeln oft. Der Vater bringt zu jedem Kontakt Babynahrung, Spielzeug, Wechselwäsche und Windeln mit, füttert die Kinder und wickelt sie bei Bedarf; er lässt seine Aufmerksamkeit beiden Kindern zukommen und geht liebevoll mit ihnen um. Der Vater kann mit den Kindern adäquat und richtig umgehen, etwa wenn sie infolge Übermüdung oder Schmerzen beim Zahnen weinen; es gelingt ihm in solchen Situationen, sie zu beruhigen. Er geht mit den Minderjährigen kindgerecht um und geht auf ihre Bedürfnisse ein. Die Begleitung des gesamten Kontakts ist für das Wohl der Kinder nicht notwendig. Der Vater hat gezeigt, dass er sich an Auflagen und Verpflichtungen hält; er hat kein Interesse daran, mit den Kindern ins Ausland zu gehen, er hält dies auch nicht für eine sinnvolle Option; zur Bekräftigung dafür hat der Vater seinen Reisepass beim Erstgericht hinterlegt. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs liegen damit im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine (Aufrechterhaltung der) Besuchsbegleitung nicht (mehr) vor. Das Wohl der Kinder ist nicht gefährdet, eine Verbringung der Kinder ins Ausland nicht zu befürchten.

Das Rekursgericht hat seine gegenteilige Meinung lediglich damit begründet, dass der Vater versucht habe, anlässlich seiner Besuche einen Kinderarzt wegen einer anstehenden Impfung sowie eine Kinderpsychologin wegen eines von ihm befürchteten Entwicklungsrückstands der Kinder beizuziehen. Abgesehen davon, dass sich der Vater wegen der Mitnahme eines Kinderarztes lediglich erkundigt hat und eine Begutachtung eineinhalbjähriger Kinder durch einen Kinderpsychologen eine Kindeswohlgefährdung nicht zwingend erkennen lässt (das Erstgericht hat am 14. 10. 2010 selbst eine Begutachtung der Kinder zum Thema Entwicklungsrückstände in Auftrag gegeben), kann auch nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass der Vater nach wie vor - ebenso wie die Mutter - obsorgeberechtigt ist. Eine Beschränkung des Kontakts kann aber kein Mittel zur Lösung von Obsorgestreitigkeiten beziehungsweise der Umsetzung von Obsorgemaßnahmen sein. Die Vermeidung einer von der Mutter befürchteten - allfälligen - Doppelimpfung der Kinder fällt im Übrigen in den Kompetenzbereich der handelnden Ärzte.

2.3. Damit war dem Vater ein unbegleitetes Besuchsrecht zu den beiden Minderjährigen einzuräumen, wobei sich der Vater allerdings selbst mit einer begleiteten Übergabe - wie vom Erstgericht festgelegt - einverstanden erklärt hat. Was den Umfang der Kontaktausübung betrifft, ist zu berücksichtigen, dass der Vater die Kinder seit etwa März 2010 regelmäßig dreimal wöchentlich für die Dauer von jeweils 2 Stunden besucht hat. Er hat zwar im Verfahren erster Instanz eine erhebliche - zeitliche - Ausdehnung dieses Kontakts beantragt, nimmt dazu in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs jedoch nicht weiter Stellung. Es hat daher bei dem bereits vom Erstgericht festgesetzten Ausmaß zu verbleiben.

3. Nach ständiger, ebenfalls in der Literatur (Nademleinsky in Schwimann, ABGB³ [2005] § 148 Rz 25; Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2008] § 148 ABGB Rz 33) gebilligter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat das Gericht die Aufgaben und Befugnisse des Besuchsbegleiters (hier = Übergabebegleitung) nur in Grundzügen zu bestimmen. Dies ermöglicht es, Details wie die zeitliche Festsetzung des mit Besuchsbegleitung auszuübenden Besuchsrechts dem Besuchsbegleiter nach dessen Ressourcen zu überlassen (RIS-Justiz RS0118260, zuletzt 9 Ob 94/09b). Dies ist im Revisionsrekursverfahren auch nicht strittig.

4. Damit war der Beschluss des Erstgerichts bezüglich der Regelung des Kontakts zwischen dem Vater und den beiden Minderjährigen wieder herzustellen. Dies gilt allerdings nicht für den Ausspruch des Erstgerichts gemäß § 44 AußStrG, weil mit Zustellung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs der Eintritt der Rechtskraft ohnehin verbunden ist.

Schlagworte

Familienrecht

Textnummer

E96338

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00253.10I.0128.000

Im RIS seit

14.03.2011

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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