Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr.
Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** P*****, vertreten durch Dr. Günther Neuhuber, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Mag. Bernhard Löw und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 5.294 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 13. Juni 2008, GZ 1 R 38/08f-15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 3. Jänner 2008, GZ 9 C 940/07v-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger hat bei der beklagten Partei eine Frachtschiffreise von Triest nach Ostasien mit Abfahrtstermin Ende Jänner 2007 zum Gesamtpreis von 8.510 EUR für zwei Personen gebucht. Vermittelt wurde diese Reise durch die I***** GmbH. Diese bietet derartige Reisen am österreichischen Markt in Form einer Homepage an.
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei 5.294 EUR sA. Dazu bringt er im Wesentlichen vor, auf der Homepage des Vermittlers sei folgende Schiffsbeschreibung enthalten gewesen: „deutsche Schiffsführung, Sportraum, Außenschwimmbad, Salon, Video/TV“. Außerdem seien drei Doppelkabinen mit Dusche und WC, separatem Wohnraum, sehr guter Ausstattung mit Sitzgruppe, Schreibtisch, Teppichboden und Kühlschrank sowie Landgänge mit einer Liegezeit von ca 12 bis 36 Stunden zur Stadterkundung angegeben gewesen.
Der Kläger und seine Ehegattin hätten den Antritt der Reise verweigert. Es sei lediglich eine Einzelkabine zur Verfügung gestellt worden. Entgegen der Reisebeschreibung sei weder ein Außenschwimmbad noch ein Sportraum, noch eine funktionierende TV-Anlage, noch eine Sitz- bzw Liegemöglichkeit an Deck vorhanden gewesen. Landgänge wären nur vereinzelt in Europa und Shanghai möglich gewesen. Die beklagte Partei habe bereits eine Teilrückzahlung geleistet; sie sei aber verpflichtet, den gesamten Klagsbetrag zu erstatten.
Die beklagte Partei wandte Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Sie entfalte keinerlei berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in Österreich.
Das Erstgericht verwarf die Einrede der Unzuständigkeit. Die Ausrichtung der Tätigkeit der beklagten Partei auf Österreich ergebe sich daraus, dass der Vermittler, nämlich die I***** GmbH, durch ihren Internet-Auftritt eine Werbetätigkeit auch für die beklagte Partei in Österreich entfalte.
Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung ab und wies die Klage zurück. Eine Frachtschiffreise sei keine Kreuzfahrt und keine Pauschalreise. Allein der Umstand, dass eine langwierige Überfahrt von Europa nach Ostasien mit etwas Komfort verbunden sei, hebe den gegenständlichen Vertrag nicht über das Niveau eines Beförderungsvertrags. Damit komme die Zuständigkeitsbestimmung des Art 16 EuGVVO nicht zum Tragen.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zum „Ausrichten“ einer Tätigkeit im Internet sowie zur Qualifikation einer Frachtschiffsreise als Pauschalreise höchstrichterliche Judikatur fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet.
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 7. 12. 2010, C-585/08, die vom Obersten Gerichtshof gestellten Fragen wie folgt beantwortet:
„1. Ein Vertrag über eine Frachtschiffsreise wie der im Ausgangsverfahren der Rechtssache C-585/08 fragliche stellt einen Reisevertrag, der für einen Pauschalpreis kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsieht, im Sinne von Art 15 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dar.
2. Für die Feststellung, ob ein Gewerbetreibender, dessen Tätigkeit auf seiner Website oder der eines Vermittlers präsentiert wird, als ein Gewerbetreibender angesehen werden kann, der seine Tätigkeit auf den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, im Sinne von Art 15 Abs 1 Buchstabe c der Verordnung Nr 44/2001 „ausrichtet“, ist zu prüfen, ob vor einem möglichen Vertragsschluss mit dem Verbraucher aus diesen Websites und der gesamten Tätigkeit des Gewerbetreibenden hervorgeht, dass dieser mit Verbrauchern, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten, darunter dem Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers, wohnhaft sind, in dem Sinne Geschäfte zu tätigen beabsichtigte, dass er zu einem Vertragsschluss mit ihnen bereit war.
Die folgenden Gesichtspunkte, deren Aufzählung nicht erschöpfend ist, sind geeignet, Anhaltspunkte zu bilden, die die Feststellung erlauben, dass die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist, nämlich der internationale Charakter der Tätigkeit, die Angabe von Anfahrtsbeschreibungen von anderen Mitgliedstaaten aus zu dem Ort, an dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, die Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung mit der Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache, die Angabe von Telefonnummern und internationaler Vorwahl, die Tätigung von Ausgaben für einen Internetreferenzierungsdienst, um in anderen Mitgliedstaaten wohnhaften Verbrauchern den Zugang zur Website des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers zu erleichtern, die Verwendung eines anderen Domänenamens oberster Stufe als desjenigen des Mitgliedstaats der Niederlassung des Gewerbetreibenden und die Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Kunden zusammensetzt. Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob diese Anhaltspunkte vorliegen.
Hingegen ist die bloße Zugänglichkeit der Website des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, nicht ausreichend. Das Gleiche gilt für die Angabe einer elektronischen Adresse oder anderer Adressdaten oder die Verwendung einer Sprache oder Währung, die in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden die üblicherweise verwendete Sprache und/oder Währung sind.“
Der Umstand, dass es sich bei der Website um diejenige einer vermittelnden Gesellschaft und nicht diejenige des Gewerbetreibenden handelt, steht der Annahme eines „Ausrichtens“ im Sinne des Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO nicht entgegen (Rn 89 des Urteils des EuGH), wenn die vermittelnde Gesellschaft im Namen und für Rechnung dieses Gewerbetreibenden tätig wurde.
Damit wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren Feststellungen dahingehend zu treffen haben, ob die beklagte Partei wusste oder hätte wissen müssen, dass die Tätigkeit der vermittelnden Gesellschaft eine internationale Dimension aufweist, und welche Verbindung zwischen der vermittelnden Gesellschaft und dem Gewerbetreibenden bestand sowie ob Anhaltspunkte im angeführten Sinn für ein internationales Ausrichten der Geschäftstätigkeit der beklagten Partei vorliegen.
Da somit nach Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofs erhebliche Umstände im bisherigen Verfahren nicht geklärt wurden, war spruchgemäß mit Aufhebung und Zurückverweisung vorzugehen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 50 ZPO.
Schlagworte
Gruppe: Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht,EuroparechtTextnummer
E96280European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00261.10S.0128.000Im RIS seit
04.03.2011Zuletzt aktualisiert am
12.05.2016