Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H. ***** A/S, *****, 2. L***** Austria GmbH, *****, beide vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien unter Mitwirkung von Patentanwalt Dr. Albin Schwarz in Wien, gegen die beklagte Partei r*****-GmbH, *****, vertreten durch Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien unter Mitwirkung von Patentanwalt DI Peter Pawloy in Wien, wegen Unterlassung, Urteilsveröffentlichung, Zahlung und Rechnungslegung (Streitwert im Verfahren über den Sicherungsantrag 36.000 EUR), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. November 2010, GZ 1 R 213/10s-61, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 20. August 2010, GZ 19 Cg 89/08x-56, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 4.315,18 EUR (darin 719,20 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Enantiomere sind organische Verbindungen mit gleicher Summenformel (also isomere Verbindungen) und gleichem Bindungsmuster, aber unterschiedlicher räumlicher Anordnung (also stereoisomere Verbindungen). Enantiomere haben infolge eines asymmetrischen Kohlenstoffatoms im Molekül spiegelbildliche Gestalt, sind daher nicht durch Drehung, sondern nur durch Bindungsbruch ineinander überführbar. Die links- und rechtsdrehenden Formen von Enantiomeren werden nach der CIP-Konvention mit S (sinister) bzw R (rectus), nach der älteren Fischer-Projektion auch mit D (dextro) bzw L (laevo) bezeichnet. Im Namen einer Verbindung kann man die Drehrichtung des Lichtes durch Voransetzen der Symbole (+) für rechtsdrehend und (-) für linksdrehend deutlich machen. Ein Gemisch von zwei Enantiomeren im Verhältnis 1:1 heißt Racemat (racemisches Gemisch).
Die Erstklägerin war Inhaberin des am 1. 6. 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität 14. 6. 1988 angemeldeten Europäischen Patents EP 0347066 B1 (österreichischer Anteil E 119896; in der Folge: Patent), dessen Schutzdauer mit Ablauf des 1. 6. 2009 endete. Zu diesem Patent erteilte das österreichische Patentamt am 18. 11. 2005, SZ 42/2002, ein ergänzendes Schutzzertifikat bis 1. 6. 2014. Die Zweitklägerin ist Lizenznehmerin der Erstklägerin und vertreibt in Österreich das Antidepressivum Cipralex, das den Wirkstoff Escitalopram enthält. Die (ältere) Arzneimittelspezialität Seropram der Klägerinnen enthält den Wirkstoff Citalopram.
Das Patent betrifft a) zwei neue Enantiomere des antidepressiven Wirkstoffs Citalopram; b) deren Verwendung als antidepressive Verbindungen; c) pharmazeutisch verträgliche Salze des Enantiomers von Verbindung I, die mit nicht-toxischen organischen oder anorganischen Säuren gebildet werden; d) ein Verfahren zur Herstellung des Enantiomers nach Verbindung I.
Im hier gegenständlichen Verfahren auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung haben die Tatsacheninstanzen (nach Beweisergänzung im Rekursverfahren) folgenden Sachverhalt als bescheinigt angesehen:
Die Arzneimittelspezialität Seropram wurde mit Bescheid vom 29. 4. 1991 zugelassen; ihr Wirkstoff ist Citalopram. Das Arzneimittel Cipralex wurde mit Bescheid vom 18. 6. 2002 erstmals zugelassen. Sein Wirkstoff ist Escitalopram-Oxalat (ein Escitalopramsalz). Citalopram ist ein Racemat, also ein Gemisch mit gleichen Anteilen von zwei Enantiomeren, von denen das (+) und zugleich S-Enantiomer Escitalopram ist. Das durch das Schutzzertifikat SZ 42/2002 geschützte Erzeugnis ist Escitalopram samt dessen nicht-toxischen Säure-Additionssalzen. Das durch das Schutzzertifikat SZ 120/94 geschützte Erzeugnis ist Citalopram-Hydrobromid.
Die Beklagte beabsichtigt, Medikamente mit dem Wirkstoff Escitalopram in Österreich zu vertreiben. Sie hat gegenüber den Klägerinnen erklärt, das Patent für nichtig zu halten, und bekämpft dieses in einem Nichtigkeitsverfahren vor dem österreichischen Patentamt.
Zur Sicherung des von der Klägerin mit Klage erhobenen Anspruchs auf Unterlassung von Patentverletzungen erließ das Erstgericht am 21. 10. 2008 eine (unbekämpft in Rechtskraft erwachsene) einstweilige Verfügung, mit der der Beklagten (zusammengefasst) aufgetragen wurde, es bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren über Patentverletzungen zu unterlassen, Arzneimittel, die in die Ansprüche 1, 3 und 5 des Patents eingreifen, in Verkehr zu setzen, feil zu halten, zu gebrauchen, zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen (ON 7). Die Beklagte habe weder mangelnde Neuheit noch fehlende Erfindungshöhe des Patents bescheinigt.
Mit Schriftsatz vom 9. 3. 2010 (ON 33) beantragte die Beklagte die Aufhebung der einstweiligen Verfügung gemäß § 399 Abs 1 Z 2 und Z 3 EO, hilfsweise die Hemmung ihres Vollzugs. Die einstweilige Verfügung beruhe allein auf dem Patent. Mit dessen Ablauf am 1. 6. 2009 habe sich die Anspruchsgrundlage des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs geändert; für diesen sei nunmehr ausschließlich das Schutzzertifikat SZ 42/2002 maßgeblich. Das Schutzzertifikat sei jedoch - ungeachtet der fehlenden Erfindungshöhe und der fehlenden Neuheit des Grundpatents - aus folgenden Gründen nichtig:
Das Schutzzertifikat SZ 42/2002 für Escitalopram sei gemäß Art 15 Abs 1 lit a iVm Art 3 lit c und d der VO (EG) 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 5. 2009 (SchutzzertifikatsVO, im Folgenden: SchzVO) nichtig, weil a) mit dem am 6. 5. 1999 erteilten Schutzzertifikat SZ 120/94 für Citalopram bereits ein früheres Schutzzertifikat für dasselbe Erzeugnis erteilt worden sei, und weil b) für die Vermarktung des Erzeugnisses Escitalopram bereits eine ältere Arzneimittelzulassung (für Citalopram) bestanden habe. Wirkstoff eines Arzneimittels sei nur jener Inhaltsstoff, der aktiv wirke. Im Racemat Citalopram sei nur das S-Enantiomer Escitalopram als Wirkstoff anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Rs C-431/04 - MIT und Rs C-202/05 - Yissum sei ein Schutzzertifikat nur für Kombinationen von aktiven Wirkstoffen zu erteilen, bei denen jeder aktive Wirkstoff auch therapeutisch aktiv sei; der Begriff „Wirkstoffzusammensetzung“ nach der SchzVO schließe eine Zusammensetzung nicht ein, die aus zwei Stoffen bestehe, von denen nur einer eigene arzneiliche Wirkungen für eine bestimmte Indikation besitze, während der andere eine Darreichungsform des Arzneimittels ermögliche, die für die arzneiliche Wirksamkeit des ersten Stoffes für diese Indikation notwendig sei. Aus dieser Rechtsprechung folge, dass es dann, wenn für ein Erzeugnis (hier: Citalopram) ein Schutzzertifikat gewährt worden sei, das sich aus einem aktiven Wirkstoff (hier: Escitalopram) und einem inaktiven Hilfsstoff zusammensetze, unzulässig sei, ein weiteres Schutzzertifikat für den aktiven Wirkstoff alleine zu gewähren. Der Begriff „Erzeugnis“ im Sinne der SchzVO sei dahin auszulegen, dass er einen Wirkstoff in bestimmter chemischer Verbindung und - sofern die pharmakologischen Eigenschaften gleichwertig seien - auch dessen Derivate umfasse. Escitalopram sei in seinen pharmakologischen Eigenschaften zu Citalopram gleichwertig und daher - ebenso wie seine Derivate - bereits vom Schutzzertifikat SZ 120/94 (Citalopram) umfasst. Auch nach der Definition der European Medicines Agency (EMEA) setze das Vorliegen eines neuen Wirkstoffs Unterschiede in Sicherheit und Wirksamkeit vom zuvor zugelassenen Wirkstoff voraus. Eventuelle Unterschiede zwischen Citalopram und Escitalopram müssten nicht nur statistisch signifikant, sondern auch klinisch relevant sein; letzteres treffe auf die Unterschiede zwischen Citalopram und Escitalopram hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit nicht zu. Die Erstklägerin habe das Arzneimittelzulassungsverfahren für Cipralex (Wirkstoff Escitalopram) als „abgekürztes Verfahren“ unter Verwendung klinischer Studien eines Referenzarzneimittels (hier: Seropram mit Wirkstoff Citalopram) durchgeführt; damit sei bescheinigt, dass beide Arzneimittelspezialitäten den selben klinischen Effekt bewirkten, es sich also um den gleichen Wirkstoff handle. Escitalopram sei als Produkt des Verfahrens gemäß Anspruch 1 bereits in den Schutzumfang des österreichischen Patents AT 359488 betreffend Citalopram gefallen, weshalb das auf diesem Patent basierende Schutzzertifikat SZ 120/94 auch Escitalopram abdecke. Escitalopram sei sowohl aufgrund der VO (EG) 1084/2003 als auch der VO (EG) 1234/2008 als Erweiterung von Citalopram anzusehen.
Zum Aufhebungsgrund des § 399 Abs 1 Z 3 EO erlegte die Beklagte eine Sicherheitsleistung von 500.000 EUR und brachte vor, diese möge den Klägerinnen als Haftungsfonds für den Fall der ungerechtfertigten Aufhebung der einstweiligen Verfügung dienen. Gleichzeitig erklärte sie, auch zum Erlag eines höheren Befreiungsbetrags bereit zu sein.
Die Klägerinnen beantragten, die Anträge auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung und auf Hemmung des Vollzugs abzuweisen (ON 40). Die Beklagte habe bereits im Sicherungsverfahren vom Inkrafttreten des Schutzzertifikats mit 2. 6. 2009 Kenntnis gehabt, dort jedoch weder das nunmehrige Vorbringen erstattet, noch die einstweilige Verfügung bekämpft. Seit Erlassung der einstweiligen Verfügung hätten sich die Umstände, insbesondere die Gefährdung des verfolgten Anspruchs, nicht geändert. Das ergänzende Schutzzertifikat sei zwar grundsätzlich als eigenes Schutzrecht ausgestaltet, bezwecke aber nur eine Verlängerung der Patentlaufzeit für zulassungspflichtige Produkte. Das Grundpatent wirke daher weiterhin im Umfang des Schutzzertifikats, und das Produkt sei weiterhin patentrechtlich geschützt. Escitalopram sei vom (älteren) Seropram-Patent nicht geschützt, weil die Lehre dieses Patents nicht offenbare, wie die Enantiomere von Citalopram zu trennen seien. Was für den Fachmann anhand der Lehre eines Patents und seines Fachwissens nicht herstellbar gewesen sei, könne nicht patentrechtlich geschützt sein. Escitalopram/Cipralex sei patentrechtlich gesehen im Verhältnis zu Citalopram/Seropram ein eigenständiges Erzeugnis im Sinne der SchzVO, dies ergebe sich sowohl aus den Arzneimittelzulassungen als auch aus den Patenten selbst. Enantiomere seien im Verhältnis zueinander weder als Verunreinigungen noch als Hilfsstoffe einzustufen. Die zitierte Rechtsprechung des EuGH sei nicht einschlägig, weil sie sich nicht auf eine - hier mit Citalopram gegebene - Mischung von zwei aktiven Substanzen beziehe. Der Begriff „Erzeugnis“ sei nach der Europäischen Kommission nicht im Sinne von Arzneispezialität oder Arzneimittel im weiteren Sinn, sondern im engeren Sinn des Erzeugnisses des Patentrechts zu verstehen. Im Zeitpunkt der Zulassung von Seropram sei unbekannt gewesen, ob beide Enantiomere therapeutische Wirkung aufwiesen, ob ein Enantiomer wahrscheinlich das effektivere sei, ob die Trennung der Enantiomere eine Auswirkung auf die Toxizität haben könne und ob das aufgetrennte Enantiomer nicht wieder im Körper racemisiere. Bei Escitalopram sei keine „Verunreinigung“ mehr gegeben, da dieses aufgrund der gegenständlichen Erfindung erstmals als reines Enantiomer vorliege. Das R-Enantiomer sei bei der Gewinnung von Escitalopram kein unvermeidliches Ergebnis des Herstellungsprozesses, weil dieses Enantiomer in der Endform nicht mehr enthalten sei. Citalopram und Escitalopram seien sowohl nach dem Patentrecht als auch nach dem Arzneimittelrecht unterschiedliche aktive Wirkstoffe mit unterschiedlichen Wirkmechanismen. Ob Unterlagenschutz gewährt werde, sei für die patentrechtliche Beurteilung, ob eine dem Schutzzertifikat zugängliche Erfindung vorliege, nicht von Bedeutung. Die Zulassung für Seropram sei nicht die erste Zulassung in Europa im Sinne der SchzVO, die Escitalopram (Cipralex) mitumfasse; das Schutzzertifikat für Escitalopram sei deshalb zu Recht erteilt worden.
Die Aufhebung von einstweiligen Verfügungen zur Sicherung von Unterlassungsansprüchen gegen Erlag eines Geldbetrags sei grundsätzlich nicht zulässig, weil der Antrag ja darauf abziele, die vorläufig verbotene Handlung wieder aufzunehmen. Auch stünden der Ermittlung des den Klägerinnen ohne Vollzug der einstweiligen Verfügung entstehenden Schadens nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Der angebotene Befreiungsbetrag sei unter Berücksichtigung des mit dem Produkt der Klägerinnen erzielten Umsatzes (ein zweistelliger Millionenbetrag pro Jahr) bei weitem zu niedrig.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung ab. Die SchzVO bezwecke, Arzneimittelpatenten im Hinblick auf den Zeitraum zwischen Einreichung der Patentanmeldung für ein neues Arzneimittel und Genehmigung des Inverkehrbringens ausreichenden Schutz zu gewähren. Schutzzertifikate würden für Erzeugnisse erteilt, die durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt seien und für die eine gültige Genehmigung als Arzneimittel, die die Erstgenehmigung sein müsse, vorliege. Erzeugnis sei der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels. Für Seropram und Cipralex bestünden zwei verschiedene Arzneimittelzulassungen (ein Indiz dafür, dass für die Behörde keine Identität gegeben sei) und zwei verschiedene Patente. Während der Wirkstoff im Arzneimittel Cipralex nur das S-Enantiomer (in Form eines Salzes) enthalte, sei der Wirkstoff in Seropram entsprechend seiner Zulassung ein Racemat. Damit seien die Wirkstoffe chemisch verschieden. Nach Art 11 Z 2 RL (EG) 2001/83 sei für die Zulassung eines Arzneimittels als dessen Merkmal ua die quantitative und qualitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und Bestandteilen der Trägerstoffe anzugeben. Daraus sei zu schließen, dass der Begriff „Wirkstoff“ im Zusammenhang mit einem Erzeugnis, das als Arzneimittel zugelassen sei, als der in der Zulassung angegebene definiert sei. Nicht maßgeblich sei hingegen, ob alle Bestandteile des Wirkstoffs einen entscheidenden Beitrag zur Wirkung leisteten. „Wirkstoff“ im Sinne der SchzVO meine daher den in der Beschreibung des Arzneimittels bezeichneten Wirkstoff. Dass die SchzVO ein bereits auf Basis des Patents zugelassenes Arzneimittel voraussetze, hänge damit zusammen, dass damit die wirtschaftliche Nutzung des Patents verlängert werden solle. Damit werde aber die Frage, ob ein bereits zugelassener Wirkstoff mit einem neuen insofern ident sei, als der neue der tatsächlich effektive Teil des alten sei, wieder auf das Patentrecht verschoben. Nach derzeitigem Stand sei für Escitalopram ein Patent erteilt worden; dies widerspreche dem Argument der Beklagten, Escitalopram und seine pharmazeutische Anwendung seien bereits in vollem Umfang von der Citalopram-Zulassung umfasst gewesen, und es handle sich um dasselbe Erzeugnis (diesfalls wäre ja Escitalopram nicht neu). Der Aufhebungsgrund nach § 399 Abs 1 Z 1 bzw 4 EO liege nicht vor, weil das Patent zwar erloschen sei, das Schutzzertifikat, das seine Wirksamkeit verlängere, jedoch in Geltung stehe.
Durch den Erlag einer Sicherheit sei der Unterlassungsanspruch nicht genügend abgedeckt. Der Erwerb von Marktanteilen und ein Vorsprung bei der Kundschaft könnten durch Geldersatz nicht genügend ausgeglichen werden. Auch sei den Klägerinnen der Nachweis des entgangenen Gewinns nur schwer möglich und nicht zumutbar.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Aufhebung einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung patentrechtlicher Unterlassungsansprüche nach Ablauf der Schutzdauer des Europäischen Patents und Inkrafttreten eines korrespondierenden Schutzzertifikats zulässig sei. Eine den Wegfall des Sicherungsbedürfnisses der Klägerinnen begründende nachträgliche Änderung der Verhältnisse (§ 399 Abs 1 Z 2 EO) setze die Bescheinigung der Nichtigkeit des Schutzzertifikats durch die Beklagte voraus. Der Schutz eines Europäischen Patents ende 20 Jahre nach seiner Anmeldung (Art 63 Abs 1 EPÜ). Durch Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats könne der Schutz eines patentierten Arzneimittels um maximal fünf Jahre verlängert werden. Das Schutzzertifikat habe grundsätzlich die gleichen Wirkungen wie das Grundpatent, sein Schutz erstrecke sich jedoch in den Grenzen des Schutzbereichs des Patents allein auf das Erzeugnis, das von den Genehmigungen für das Inverkehrbringen des entsprechenden Arzneimittels erfasst werde, und zwar auf diejenigen Verwendungen des Erzeugnisses als Arzneimittel, die vor Ablauf des Zertifikats genehmigt worden seien. Dass die Beklagte die behauptete Nichtigkeit des Schutzzertifikats nicht bereits im Sicherungsverfahren mit Rekurs geltend gemacht habe, gereiche ihr nicht zum Nachteil; da das Erstgericht die einstweilige Verfügung ausschließlich mit der fehlenden Bescheinigung der mangelnden Neuheit und Erfindungshöhe des Klagspatents begründet habe und das Schutzzertifikat im Zeitpunkt der Entscheidung im Sicherungsverfahren noch nicht in Kraft getreten sei, habe dazu auch keine Veranlassung bestanden. „Erzeugnis“ nach der SchzVO sei der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels. „Wirkstoff“ sei ein arzneilich wirksamer Stoff, „Wirkstoffzusammensetzung“ die Kombination mehrerer arzneilich wirksamer Stoffe. Ein Stoff, der diese Eigenschaft nicht aufweise, sondern beispielsweise dazu diene, eine bestimmte Darreichungsform des Arzneimittels zu erreichen, sei kein Wirkstoff und damit kein Erzeugnis im Sinne der SchzVO. Escitalopram und Citalopram enthielten unterschiedliche Wirkstoffe. Dies ergebe sich zunächst daraus, dass für beide Erzeugnisse jeweils eigene Schutzzertifikate erteilt worden seien. Auch habe das Erstgericht unbekämpft festgestellt, dass die Wirkstoffe in den Arzneimitteln „Seropram“ und „Cipralex“ chemisch verschieden seien. Soweit die Rekurswerberin ergänzende Feststellungen zu den konkreten klinischen und pharmakologischen Wirkungen von Escitalopram und Citalopram begehre, handle es sich dabei typischerweise um Fragen, die von einem Gerichtssachverständigen im Hauptverfahren zu beantworten seien; im Sicherungsverfahren sei ein gerichtliches Sachverständigengutachten kein taugliches Bescheinigungsmittel. Die Entscheidung des EuGH Rs C-431/04 - MIT treffe den Anlassfall nicht, weil dort die Frage behandelt werde, ob eine Kombination aus a) einem bekannten arzneilich wirksamen Stoff für eine bestimmte Indikation und b) einem Stoff, der die Darreichungsform des Arzneimittels ermögliche, eine Wirkstoffzusammensetzung im Sinne der SchzVO sei, was der Gerichtshof mit der Begründung verneine, dass es nicht ausreiche, wenn bloß einer der beiden Stoffe eine arzneiliche Wirkung besitze, der andere aber nur der Darreichung des Medikaments diene. Im hier zu entscheidenden Fall sei hingegen keine Kombination aus einem aktiven Wirkstoff und einem Trägerstoff zu beurteilen. Gleiches gelte für die Entscheidung in der Rs C-202/05 - Yissum, deren Gegenstand die Kombination eines aktiven Wirkstoffs mit einem bloßen Trägerstoff gewesen sei. Zur Bescheinigung dafür, dass für Escitalopram bereits früher ein Schutzzertifikat erteilt worden sei und dass es für Escitalopram bereits eine ältere Arzneimittelzulassung gäbe, berufe sich die Beklagte auf mehrere Urkunden, denen aber eine nicht weniger überzeugende Urkunde der Klägerinnen (Beil ./LL) entgegenstehe, aus der sich ergebe, dass die erstzulassende Behörde Escitalopram als neuen aktiven Wirkstoff eingestuft habe. Die Entscheidung des niederländischen Medicines Evaluation Board (Beil ./13) wirke zwar als ausländische Entscheidung über die Nichtigerklärung eines Europäischen Patents nur für den jeweiligen Urteilsstaat und erfasse den inländischen Teil dieses Patents nicht; es sei aber nicht ausgeschlossen, dass die Gründe dieser Entscheidungen geeignet seien, in einem Sicherungsverfahren den durch die Erteilung eines Schutzzertifikats begründeten Prima-facie-Beweis der Rechtsbeständigkeit zu widerlegen. Nach der von den Klägerinnen ins Treffen geführten Entscheidung des BGH (Xa ZR 130/07) handle es sich jedoch bei Escitalopram und Citalopram um unterschiedliche Erzeugnisse; auch insoweit stehe somit dem Bescheinigungsangebot der Beklagten ein nicht weniger überzeugendes Bescheinigungsmittel der Klägerinnen entgegen. Der Beklagten sei daher die Bescheinigung der Nichtigkeit des Schutzzertifikats SZ 42/2002 und damit des Wegfalls der Anspruchsgrundlage der einstweiligen Verfügung nicht gelungen.
§ 399 Abs 1 Z 3 EO ermögliche dem Gegner der gefährdeten Partei, den weiteren Vollzug der einstweiligen Verfügung durch Erlag eines Befreiungsbetrags abzuwenden; in diesem Fall werde die einstweilige Verfügung aber nicht aufgehoben. Eine Befreiungsleistung nach dieser Bestimmung dürfe nur eingeräumt werden, wenn der Schaden, der mangels Vollzugs der einstweiligen Verfügung drohe, durch Geldersatz auszugleichen sei, nicht hingegen, wenn ersichtlich nur Interesse an der (zu sichernden) Individualleistung bestehe. Deshalb könne das Sicherungsbedürfnis bei Unterlassungsansprüchen in der Regel nicht durch einen Befreiungsbetrag befriedigt werden. Gleiches gelte, wenn die gefährdete Partei ihren möglichen Schaden aus dem Nichtvollzug der einstweiligen Verfügung nur schwer nachweisen könne, was etwa auf den Fall drohender Umsatzeinbußen zutreffe. Derzeit lasse sich der den Klägerinnen aus einer Aufschiebung des Vollzugs der einstweiligen Verfügung entstehende Schaden auch nicht ansatzweise abschätzen; die Klägerinnen selbst beziffern diesen - ausgehend von den mit ihrem Medikament erzielten Umsatzerlösen - mit 64 Millionen EUR. Deshalb komme eine Anwendung des § 399 Abs 1 Z 3 EO hier nicht in Betracht.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
1.1. Rechtsgrundlage der Erteilung des gegenständlichen Schutzzertifikats war die Verordnung (EWG) Nr 1768/92 des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel vom 18. 6. 1992 (SchzVO 1992). Diese VO wurde einerseits durch die Beitrittsakte 1994, 2003 und 2005 und andererseits durch die VO (EG) Nr 1901/2006 geändert und schließlich durch die als „kodifizierte Fassung“ bezeichnete VO (EG) Nr 469/2009 (SchzVO 2009) ersetzt. Wegen des Fehlens besonderer Übergangsvorschriften ist die SchzVO 2009 grundsätzlich auch auf Schutzzertifikate anzuwenden, die vor deren Inkrafttreten aufgrund der SchzVO 1992 erteilt wurden. Mangels ausdrücklicher Anordnung ist aber nicht anzunehmen, dass die Neuregelung ein nach altem Recht erteiltes Zertifikat rückwirkend sanieren oder ungültig machen sollte. Die Voraussetzungen für die Erteilung von Schutzzertifikaten sind daher weiterhin nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Erteilung zu beurteilen (17 Ob 6/10x mwN).
1.2. Das ergänzende Schutzzertifikat ist ein besonderes, wenn auch einem bestimmten (Grund-)Patent akzessorisches Schutzrecht. Der Sache nach handelt es sich um eine Verlängerung des Patentschutzes (Kraßer, Patentrecht6, 580). Das ergänzende Schutzzertifikat ist zwar formell als eigenes Schutzrecht ausgestaltet, bezweckt aber lediglich eine Verlängerung der Patentlaufzeit für bestimmte zulassungspflichtige Produkte. Der Patentschutz wird nicht für die Erfindung als solche verlängert, sondern für ein bestimmtes Erzeugnis (Wirkstoff oder Wirkstoffzusammensetzung), das patentgeschützt und im Zertifikat-Anmeldestaat für die Verwendung als Arznei- oder Pflanzenschutzmittel zugelassen ist (Kühnen in Schulte, PatG8 § 16a Rz 5). In diesem Umfang kann die Aufhebung einer wegen (drohender) Verletzung des Patents erlassenen einstweiligen Verfügung nicht allein schon deshalb begehrt werden, weil das Patent abgelaufen ist (vgl aber Brändel, Offene Fragen zum „ergänzenden Schutzzertifikat“, GRUR 2001, 875 [877], der die Auffassung vertritt, die Rechtskraft eines aufgrund des Grundpatents im Verletzungsverfahren erstrittenen Unterlassungs-/Schaden-ersatztitels könne sich niemals auf das Schutzzertifikat erstrecken).
1.3. Das Zertifikat nach der SchzVO gewährt dieselben Rechte wie das Grundpatent (vgl Art 5 SchzVO) und schützt ein Erzeugnis als Arzneimittel nicht nur in der in der arzneimittelrechtlichen Genehmigung konkret angegebenen Form, sondern in allen dem Schutz des Grundpatents unterliegenden Formen, um auf diese Weise dem Inhaber des Grundpatents auf dem Markt für einen bestimmten Zeitraum, der über die Gültigkeitsdauer des Patents hinaus geht, die Ausschließlichkeit zu garantieren (vgl EuGH Rs C-392/97 - Farmitalia, Rz 19).
2.1. Im Sicherungsverfahren betreffend eine Verletzungsklage kann die Vorfrage der Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents durch das Gericht selbständig als Vorfrage geprüft werden, wenn in dieser Richtung eine Gegenbescheinigung angeboten ist (vgl RIS-Justiz RS0071408 [T2], RS0103412 [T1]), doch kann diese Prüfung nur mit den Mitteln des Provisorialverfahrens und in dessen Grenzen vorgenommen werden (RIS-Justiz RS0071408).
2.2. Diese Grundsätze gelten sinngemäß auch für die Gültigkeit eines Schutzzertifikats als Grundlage einer einstweiligen Verfügung. Es kann nämlich nach dem Zweck des Schutzzertifikats, eine Verlängerung der Patentlaufzeit zu bewirken, verfahrensrechtlich keinen Unterschied machen, ob die zu prüfende Vorfrage die Nichtigkeit eines Patents oder eines Schutzzertifikats betrifft (vgl 17 Ob 6/10x zur Gleichbehandlung von Patent und Schutzzertifikat bei Anwendung des § 156 Abs 3 PatG im Hauptverfahren).
2.3. Die Patenterteilung schafft im Provisorialverfahren einen - allenfalls durch Gegenbescheinigungen zu entkräftenden - Prima-facie-Beweis für das Bestehen des Patentrechts (RIS-Justiz RS0071369). Diese Verteilung der Beweislast wirkt auch nach Erlöschen des Patentrechts infolge Zeitablaufs für jenen Zeitraum fort, für den ein Inhaber des Grundpatents Rechte aus einem darauf bezogenen Schutzzertifikat geltend machen kann. Andernfalls würde dem Erfordernis des Art 5 SchzVO nicht entsprochen, dass das Zertifikat in Ansehung eines patentgeschützten Erzeugnisses dieselben Rechte gewährt wie das Grundpatent in Ansehung der Erfindung.
3.1. Die Beklagte stützt ihren Aufhebungsantrag auf die Nichtigkeit des Schutzzertifikats aus den Gründen des Art 15 Abs 1 lit a iVm Art 3 lit c und d SchzVO 1992.
3.2. Ein Schutzzertifikat ist gemäß Art 15 Abs 1 SchzVO 1992 (der mit Art 15 Abs 1 SchzVO 2009 übereinstimmt) ua nichtig, wenn es entgegen den Vorschriften des Art 3 erteilt wurde.
3.3. Nach Art 3 SchzVO 1992 setzt die Erteilung eines Schutzzertifikats ua voraus, dass für das Erzeugnis nicht schon einmal ein Schutzzertifikat erteilt worden ist (lit c) und die gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses als Arzneimittel die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen war (lit d).
3.4. Das Schutzzertifikat berührt infolge seiner Abhängigkeit einerseits von einem Grundpatent, das ein Erzeugnis, ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt, und andererseits von einer Zulassung dieses Erzeugnisses als Arzneimittel sowohl das Patent- als auch das Arzneimittelrecht. Da die SchzVO jedoch nicht danach unterscheidet, in welchem konkreten Zulassungsverfahren nach der RL 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel die für ein Schutzzertifikat erforderliche Zulassung erwirkt worden ist, spielt diese arzneimittelrechtliche Frage für die nach der SchzVO zu beurteilende Gültigkeit eines Schutzzertifikats keine Rolle.
3.5. Unter „Erzeugnis“ im Sinne der SchzVO ist der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels zu verstehen (EuGH Rs C-431/04 - MIT, Rn 15; Rs C-202/05 - Yissum, Rn 16). Bedeutung und Tragweite des Begriffs „Wirkstoff“ sind unter Berücksichtigung des allgemeinen Zusammenhangs, in dem er verwendet wird, und entsprechend dem Sinn, den er nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch hat, zu bestimmen. Stoffe ohne eigene Wirkung auf den Organismus zählen nicht zu den Wirkstoffen (vgl EuGH Rs C-431/04 - MIT, Rn 17 f).
4.1. Die Beklagte vertritt in ihrem Rechtsmittel zusammengefasst die Auffassung, derselbe Wirkstoff im Sinne der SchzVO liege vor, sofern sich zwei Arzneimittel in ihren Eigenschaften nicht erheblich hinsichtlich der Sicherheit und/oder Wirksamkeit unterschieden; sie argumentiert also insoweit mit Begriffen aus dem - hier nicht einschlägigen - Arzneimittel-Zulassungsrecht (vgl § 1 Abs 19 AMG). Im bisherigen Verfahren habe nicht festgestellt werden können, dass sich Escitalopram (als S-Enantiomer des Racemats Citalopram) in Sicherheit und Wirksamkeit von Citalopram unterscheide; fehle aber ein signifikanter Unterschied, handle es sich um dasselbe Erzeugnis mit demselben Wirkstoff, und das Schutzzertifikat für Escitalopram hätte 2005 angesichts der Erstzulassung für Seropram im Jahr 2002 nicht erteilt werden dürfen. Ein erteiltes Schutzzertifikat erbringe auch keinen Anscheinsbeweis, dass es sich beim entsprechenden Grundpatent um ein unterschiedliches Erzeugnis gegenüber einem Erzeugnis handle, für das bereits zuvor ein Schutzzertifikat erteilt worden sei. Die Beweislast für das Vorliegen eines anspruchsbegründenden Schutzrechts (hier: ein gültiges Schutzzertifikat für Escitalopram) liege bei den Klägerinnen.
4.2. Die Vorfrage der Gültigkeit des Schutzzertifikats kann nur dann geprüft werden, wenn dies aufgrund der angebotenen Gegenbescheinigungsmittel mit den Mitteln des Provisorialverfahrens möglich ist (siehe zuvor Punkt 2.2.). Ob diese ausreichen, einen bestimmten Sachverhalt als bescheinigt annehmen zu können, ist eine Frage der - in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren - Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen (RIS-Justiz RS0005656 [T3]; 17 Ob 13/09z; 17 Ob 34/09p).
4.3. Die Vorinstanzen haben sich inhaltlich mit der Frage der Gültigkeit des strittigen Schutzzertifikats auseinandergesetzt und geprüft, ob Escitalopram und Citalopram der gleiche Wirkstoff sei. Sie haben als bescheinigt erachtet, dass a) Seropram den Wirkstoff Citalopram, Cipralex hingegen den Wirkstoff Escitalopram-Oxalat enthält, b) das Schutzzertifikat SZ 42/2002 das Erzeugnis Escitalopram samt dessen nicht-toxischen Säure-Additionssalzen, das Schutzzertifikat SZ 120/94 hingegen das Erzeugnis Citalopram-Hydrobromid schütze, und c) Citalopram als Racemat eine andere chemische Struktur besitzt als dessen S-Enantiomer Escitalopram. An dieses Bescheinigungsergebnis ist der Oberste Gerichtshof gebunden.
4.4. Der vom Rekursgericht daraus gezogene Schluss, das durch SZ 120/94 geschützte Erzeugnis sei mit dem durch SZ 42/2002 geschützten Erzeugnis nicht ident und die Arzneimittelzulassung für Cipralex sei die erste für dieses Erzeugnis, ist aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Wurden für zwei Arzneimittel mit unterschiedlichen chemischen Strukturen auf verschiedenen Grundpatenten beruhende Schutzzertifikate erteilt, ist bis zur Bescheinigung des Gegenteils davon auszugehen, dass es sich um unterschiedliche Erzeugnisse im Sinne der SchzVO handelt, weil andernfalls das patentrechtliche Erfordernis der Neuheit nicht erfüllt wäre (siehe zuvor Punkt 2.3.). Die Vorwegnahme eines Stoffes im Stand der Technik setzt nämlich zunächst voraus, dass er mit einem dort bekannten, nach Stoff- oder Verfahrensparametern eindeutig identifizierten Stoff identisch ist. Fehlt es daran, ist er grundsätzlich auch dann neu, wenn er sich von dem Bekannten nur in einem zuverlässig festzustellenden Parameter unterscheidet (Mellullis in Benkard, EPÜ Art 54 Rz 162 unter Hinweis auf EPA T-296/87 - Enantiomere). Damit haben die Klägerinnen aber den aufrechten Bestand des Schutzzertifikats SZ 42/2002 als anspruchsbegründendem Schutzrecht bescheinigt.
4.5. Hingegen ist der Beklagten die ihr obliegende Gegenbescheinigung, dass das im Racemat Citalopram enthaltene R-Enantiomer ohne eigene Wirkung auf den Organismus sei, weshalb die Erzeugnisse Citalopram und Escitalopram trotz unterschiedlicher chemischer Struktur der gleiche Wirkstoff seien, nicht gelungen. Die Vorinstanzen haben deshalb eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung gemäß § 399 Abs 1 Z 2 EO zu Recht abgelehnt.
5.1. Zum Aufhebungsgrund nach § 399 Abs 1 Z 3 EO macht die Beklagte geltend, es sei schadenersatzrechtlich irrelevant, ob ein Schaden ziffernmäßig schwer nachzuweisen sei. Grundsätzlich seien alle Schäden ersetzbar, sofern der Ersatzpflichtige nicht zahlungsunfähig sei, wofür in Bezug auf die Beklagte keine Anhaltspunkte vorlägen. In der Einschränkung der Neuaquisition von Kunden liege jedenfalls kein unersetzlicher oder schwer zu ersetzender Vermögensnachteil.
5.2. Nach der Aufhebung der Sonderbestimmung des § 147 Abs 2 S 2 PatG aF durch BGBl I 2006/96 (PatRNov 2007) gilt § 399 Abs 1 Z 3 EO nunmehr auch für einstweilige Verfügungen zur Sicherung patentrechtlicher Ansprüche (ErlRV 1423 BlgNR 22. GP 5; Kodek aaO § 391 Rz 42). Die bisherige Regelung des § 147 Abs 2 PatG, wonach das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen hatte, ob die Aufhebung der einstweiligen Verfügung bei Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist, konnte entfallen, weil § 399 Abs 1 Z 3 EO die Möglichkeit der späteren Aufhebung einer bereits erlassenen einstweiligen Verfügung vorsieht. Eine Aufhebung kann selbstverständlich nur bei Vorliegen rücksichtswürdiger Gründe erfolgen (vgl RV 2006 zur PatRNov 2007, abgedruckt bei Wiltschek, Patentrecht², 214).
5.3. Durch den einem Antrag iSd § 399 Abs 1 Z 3 EO stattgebenden Beschluss des Gerichts wird nicht die einstweilige Verfügung selbst aufgehoben, sondern nur ihr (weiterer) Vollzug abgewendet; an die Stelle der ursprünglichen Sicherungsmaßnahme (hier: des vom Erstgericht ausgesprochenen Unterlassungsgebots) tritt der vom Antragsgegner erlegte, dem Gericht zur Sicherung des gefährdeten Anspruchs ausreichend erscheinende Geldbetrag (E. Kodek in Angst, EO² § 399 Rz 16 mwN; RIS-Justiz RS0005607).
5.4. Ein Befreiungsbetrag nach § 391 Abs 1 EO kann nur festgesetzt werden, wenn ein Geldbetrag „nach Beschaffenheit des Falles zur Sicherung des Antragstellers genügt“; dazu muss ein durch den Nichtvollzug der einstweiligen Verfügung drohender Schaden durch Geld ausgleichbar sein. Diese Voraussetzung liegt nach Lehre und ständiger Rechtsprechung nicht vor, wenn der Kläger nur schwer beweisen kann, welcher Schaden ihm entsteht. Deshalb kann ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch in aller Regel nicht durch Gelderlag, sondern nur durch das einstweilige Verbot des beanstandeten Verhaltens gesichert werden (E. Kodek in Angst, EO² § 391 Rz 8 mwN; König in Entscheidungsanmerkung ÖBl 1996, 289; Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, 213; RIS-Justiz RS0005609, RS0005523). Gleiches gilt für die Aussetzung des Vollzugs einer einstweiligen Verfügung infolge nachträglichen Erlags eines Befreiungsbetrags (vgl RIS-Justiz RS0005609 [T1]).
5.5. Da das Patentgesetz seit der PatRNov 2007 die Aufhebung der einstweiligen Verfügung - gleich dem UWG - nicht mehr ausdrücklich regelt und von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, ist die Rechtsprechungslinie zur Unzulässigkeit eines Befreiungsbetrags bei einstweiligen Verfügungen zur Sicherung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche wegen gleicher Interessenlage nunmehr auch auf patentrechtliche Ansprüche zu erstrecken (so schon zur alten Rechtslage Handig, Die Aufhebung der EV gegen angemessene Sicherheit im Wettbewerbs- und Patentrecht, ÖBl 2003, 116; so im Ergebnis auch E. Kodek in Angst, EO² § 391 Rz 9, der einen Befreiungsbetrag zur Sicherung von Patentansprüchen [nur] für den Fall der Beweisbarkeit eines drohenden Schadens für zulässig hält).
5.6. Der einem Patentinhaber durch das beanstandete patentrechtsverletzende Verhalten des Beklagten erwachsende Schaden kann in aller Regel nicht eindeutig festgestellt werden. Allfällige Umsatzrückgänge des Klägers müssen nicht zwingend Folge der Rechtsverletzung sein. Überdies sind auch andere Nachteile denkbar, die nicht in einem erhöhten Umsatz des Beklagten mit einem bestimmten patentverletzenden Produkt ihren Niederschlag finden. Der Patenteingriff kann auch dazu führen, dass der Patentinhaber seinen Umsatz nur aufrecht erhält oder geringer steigert als ohne den Verstoß. Solche Unwägbarkeiten rechtfertigen es, von der Festsetzung eines Befreiungsbetrags abzusehen (vgl 4 Ob 1005/96 = ÖBl 1996, 288 - KTM). Fehlt nämlich eine verlässliche Schadensberechnungsgrundlage, weil viele Faktoren in letztlich unbestimmbarer Intensität für Veränderungen bei Umsatz und Verkaufszahlen eines Unternehmens zusammen ausschlaggebend sind, bietet auch § 273 ZPO nur einen unzureichenden Ersatz (König in Entscheidungsanmerkung ÖBl 1996, 289).
5.7. Gründe dafür, weshalb diese Überlegungen im Anlassfall nicht zutreffen und der Kläger demnach ausnahmsweise leicht beweisen kann, welcher Schaden ihm durch den Nichtvollzug der einstweiligen Verfügung entsteht, führt die Rechtsmittelwerberin nicht ins Treffen. Auch unter dem Gesichtspunkt des § 399 Abs 1 Z 3 EO ist ihrem Rechtsmittel deshalb ein Erfolg zu versagen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die Aufhebung der einstweiligen Verfügung unterlegen.
Schlagworte
Escitalopram,Gewerblicher RechtsschutzTextnummer
E96404European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0170OB00005.11A.0216.000Im RIS seit
09.03.2011Zuletzt aktualisiert am
17.10.2011