Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des S***** P*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen, vertreten durch den Verfahrenssachwalter Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 22. Dezember 2010, GZ 2 R 330/10v-22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 6. Oktober 2010, GZ 6 P 12/10a-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Der Betroffene ist Partei in mehreren zivilgerichtlichen Verfahren. Am 20. 8. 2010 langte beim Erstgericht die Anregung eines Prozessgegners des Betroffenen auf Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Voraussetzungen einer Sachwalterschaft für den Betroffenen ein. Darin wurde ausgeführt, dass der Betroffene unzählige Personen mit sinnlosen Klagen und Anträgen verfolge, die allesamt abgewiesen werden würden. In einem Strafverfahren sei dem Betroffenen durch den dort bestellten Sachverständigen eine Geistesstörung attestiert worden. Es bestehe daher der Verdacht, dass sich der Betroffene Schaden zufüge und er seine Zukunft nicht „vernunfthandelnd“ gestalten könne.
In seiner Äußerung verwies der Betroffene auf die im Internet veröffentlichte Ankündigung des Einschreiters, er werde ihn (den Betroffenen) „zu Fall bringen“. Der Einschreiter führe einen „Rachefeldzug“ gegen ihn, weil er als Journalist über strafbehördliche Verfolgungshandlungen gegen den Einschreiter berichtet habe. Die Behauptung unsinniger Prozessführung treffe nicht zu. Aufgrund einer früheren Anregung des Einschreiters bei einem anderen Bezirksgericht sei mit Beschluss vom 13. 3. 2007 bereits festgestellt worden, dass die Bestellung eines Sachwalters nicht erforderlich sei und dass der Betroffene seine Angelegenheiten selbst besorgen könne.
Das Erstgericht veranlasste die Beischaffung des vom Einschreiter erwähnten psychiatrisch-neurologischen Gutachtens vom 2. 3. 2010, welches im Auftrag des Landesgerichts Klagenfurt erstattet worden war. Der darin umschriebene Gutachtensauftrag umfasste die Abklärung des psychischen Zustands des Betroffenen, insbesondere seine Fähigkeit, das Unrecht der ihm zur Last gelegten Taten einzusehen. Letzteres wurde vom Sachverständigen bejaht, obwohl sich beim Betroffenen einige (näher bezeichnete) Merkmale einer „histrionischen Persönlichkeitsstörung“ finden würden. Es bestehe allerdings kein Hinweis auf das Vorliegen einer psychischen Störung im engeren Sinn bzw einer Geisteskrankheit iSd § 11 StGB.
Nach Durchführung der Erstanhörung fasste das Erstgericht den Beschluss, das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft wird, fortzusetzen und Dr. Hans Kröppel zum Verfahrenssachwalter zu bestellen. Nach dem Ergebnis der Erstanhörung scheine der Betroffene nicht in der Lage, alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft werde, sei daher fortzusetzen. Für dieses Verfahren sei ein Vertreter vorgeschrieben. Da der Betroffene keinen Vertreter für das Verfahren gewählt habe, sei gemäß § 119 AußStrG ein Verfahrenssachwalter zu bestellen gewesen.
Das vom Betroffenen angerufene Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Es führte aus, für die Fortsetzung des Verfahrens genüge nach ständiger Rechtsprechung schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zu einer Sachwalterbestellung kommen werde. Ein Sachwalter sei zu bestellen, wenn eine Person (ua) an einer psychischen Krankheit leide und zumindest einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen könne (§ 268 Abs 1 ABGB). Nach dem Inhalt des im Strafverfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt eingeholten psychiatrisch-neurologischen Gutachtens weise der Betroffene einige Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung auf, so Tendenzen zur Dramatisierung der eigenen Person, zu fallweise übertriebenem Ausdruck von Gefühlen, zu oberflächlicher und labiler Affektivität sowie Verlangen nach Aufregung, Anerkennung durch andere und Aktivitäten, bei denen er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe. Hingegen bestünden keine Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Störung im engeren Sinn. Bei der Erstanhörung habe der Betroffene angegeben, Schulden von rund 100.000 EUR zu haben und monatlich 1.000 EUR zu verdienen. Er sei in mehreren gerichtlichen Verfahren Partei.
Nach dem Akteninhalt leide der Betroffene also an einer psychischen Krankheit. Er habe hohe Schulden, verdiene wenig Geld und sei in Gerichtsverfahren verwickelt, die zu weiteren Kosten führen könnten. Es bestehe daher die Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zu einer Sachwalterbestellung kommen werde. Ob dies tatsächlich der Fall sein werde, lasse sich derzeit noch nicht beurteilen; aus diesem Grund sei das Bestellungsverfahren jedenfalls fortzusetzen. Da der Betroffene keinen gesetzlichen oder selbst gewählten Vertreter habe, sei für ihn ein Verfahrenssachwalter zu bestellen. Hingegen sei bedeutungslos, von welcher Person die Bestellung eines Sachwalters angeregt worden sei.
Gegen die Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des hiebei durch den Verfahrenssachwalter vertretenen Betroffenen mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen (ersatzlos) zu beheben und das Sachwalterschaftsverfahren einzustellen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Er ist im Sinne eines Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Den weiteren Ausführungen ist voranzustellen, dass die auf § 119 AußStrG gegründete Bestellung eines Verfahrenssachwalters bereits mit der Zustellung des Bestellungsbeschlusses wirksam wird (2 Ob 173/08t; RIS-Justiz RS0124569). Der bestellte Verfahrenssachwalter ist somit schon vor Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses befugt und verpflichtet, die Interessen des Betroffenen zu wahren, weshalb er auch zu dessen Vertretung im vorliegenden Rechtsmittelverfahren berechtigt ist.
Der Betroffene macht geltend, bei der Erstanhörung hätten sich keine Anzeichen für das Vorliegen einer psychischen Krankheit iSd § 268 ABGB ergeben. Auch die festgestellten Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung deuteten nicht auf eine psychische Erkrankung hin. Die Vorinstanzen hätten ferner keine aussichtslose oder absurde Prozessführung festgestellt. Unter diesen Umständen fehle es an einem ausreichenden Substrat für die Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens.
Hiezu wurde erwogen:
1. Das Verfahren zur Prüfung, ob für eine Person ein Sachwalter zu bestellen ist, darf nur eingeleitet werden, wenn begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen (3 Ob 94/07f; 3 Ob 39/09w). Die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend; die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein; sie haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte, darf das Verfahren nicht eingeleitet werden (3 Ob 39/09w; 1 Ob 110/09x; RIS-Justiz RS0008526). Selbst für einen sogenannten „Querulanten“ darf nur dann ein Sachwalter bestellt werden, wenn er sich durch sein „Querulieren“ selbst Schaden zufügt (3 Ob 94/07f; RIS-Justiz RS0072687). Eine bloß potenzielle künftige Gefährdung reicht ebenso wenig, wie das Interesse Dritter an einer Sachwalterbestellung (3 Ob 94/07f mwN). Das mit der Anregung, ein Sachwalterbestellungsverfahren einzuleiten, befasste Gericht hat in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Hinweis konkrete und begründete Anhaltspunkte enthält. Dabei ist auch zu beachten, von wem der Hinweis kommt (Zankl/Mondel in Rechberger, AußStrG, § 117 Rz 3).
2. Die in § 268 Abs 1 ABGB verwendeten Begriffe der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung sind Rechtsbegriffe, die nicht unbedingt mit medizinischen Definitionen übereinstimmen müssen. Sie umfassen jede geistige Störung, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindert und bewirken kein verschiedenes Maß der Schutzwürdigkeit des Betroffenen (vgl 1 Ob 125/07z; RIS-Justiz RS0049003 [zu § 273 Abs 1 ABGB aF]).
Für die Fortsetzung des Verfahrens genügt schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann (RIS-Justiz RS0008542). Der Oberste Gerichtshof hat auch schon dargelegt, dass es dem Zweck des eingeleiteten oder fortgesetzten Überprüfungsverfahrens widersprechen würde, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über vorliegende oder nicht vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt werden würden (3 Ob 39/09w). Ebenso wurde aber auch schon klargestellt, dass doch wenigstens ein Mindestmaß an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat zu fordern ist, aus dem sich das Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ableiten lässt. Es sei zumindest konkret festzustellen, in welchem Zusammenhang sich der Betroffene in der Vergangenheit in einer seinen eigenen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten habe und/oder aufgrund welcher (konkreten) Umstände die Befürchtung nahe liege, er werde sich (auch) in Hinkunft selbst Schaden zufügen (1 Ob 110/09x).
3. Der bloße Hinweis auf einige Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung durch die Vorinstanzen reicht zur Rechtfertigung der Besorgnis einer Selbstbeschädigung iSd § 268 Abs 1 ABGB nicht aus. Die zweitinstanzliche Schlussfolgerung, der Betroffene leide an einer psychischen Krankheit (im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung), ist weder durch das besagte Gutachten, noch durch Feststellungen gedeckt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die aktenkundigen Unterbrechungsbeschlüsse nach § 6a ZPO ausschließlich im Hinblick auf die Anregung des Einschreiters erfolgten, nicht aber auf der Initiative der Prozessgerichte beruhen. Eigene Wahrnehmungen, die auf eine Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen hindeuten könnten, gehen aus der Begründung dieser Beschlüsse nicht hervor. Schließlich hat auch das Erstgericht seinen Fortsetzungsbeschluss zwar formelhaft mit dem „Ergebnis der Erstanhörung“ begründet, dieses aber weder in dem von ihm verfassten Aktenvermerk vom 5. 10. 2010, noch in der Entscheidung selbst nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht.
Nach den obigen Kriterien hätte es jedoch zumindest der näheren Darlegung bedurft, in welche Rechtsstreitigkeiten der Betroffene derzeit (noch) verwickelt ist, welchen Gegenstand und Hintergrund sie haben und ob ein möglicher Zusammenhang zwischen den festgestellten Merkmalen einer histrionischen Persönlichkeitsstörung und einem bedenklichen Prozessverhalten des Betroffenen besteht.
4. Aus den vorstehenden Erwägungen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren - allenfalls nach dessen Ergänzung - nachvollziehbar darzulegen haben, welche konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Betroffene aufgrund der angeführten Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung selbst Nachteile zufügen könnte. Erst danach kann beurteilt werden, ob die Fortführung des Sachwalterbestellungsverfahrens durch Einholung eines medizinischen Gutachtens erforderlich ist (vgl 1 Ob 110/09x).
Schlagworte
FamilienrechtTextnummer
E96868European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00021.11V.0217.000Im RIS seit
20.04.2011Zuletzt aktualisiert am
18.03.2013