TE OGH 2011/2/17 11Os131/10i

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bergmann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und  2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Martin H*****, Jasmin Ha***** und Günter R***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Mai 2010, GZ 151 Hv 59/09t-214, ferner über die Beschwerden von Jasmin Ha***** und Günter R***** gegen die Beschlüsse nach § 494a StPO, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, der Angeklagten und ihrer Verteidiger Dr. Wolf, Mag. Konlechner und Dr. Kresbach, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch A./II./ und demgemäß in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie die Beschlüsse nach § 494a StPO aufgehoben und es wird die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Die Berufung der Angeklagten Jasmin Ha***** wegen Schuld wird zurückgewiesen.

Der Berufung des Angeklagten Günter R***** gegen den Privatbeteiligtenzuspruch wird keine Folge gegeben.

Mit ihren Berufungen wegen Strafe werden die Angeklagten sowie die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen, Jasmin Ha***** und Günter R***** darüber hinaus auch mit ihren Beschwerden.

Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Martin H*****, Jasmin Ha***** und Günter R***** (zu A./I./) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster, dritter und vierter Fall StGB, (zu A./II./) des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB, (zu A./III./) des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB und (zu A./IV./) des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB;

Martin H***** überdies (zu B./I./) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB, (zu B./II./) des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB, (zu B./III./) des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und (zu B./IV./) des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 1, 2 und 4 dritter Fall StGB sowie

Jasmin Ha***** und Günter R***** (zu C./) auch des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter „Fall“ StGB schuldig erkannt.

Danach haben am 6. und 7. Mai 2008 in Wien

A./ Martin H*****, Jasmin Ha***** und Günter R***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

I./ Daniel E***** durch Gewalt zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich zum Einführen eines Plastikschwerts in den After genötigt, indem sie ihm befahlen, es sich einzuführen, und ihn, als er sich weigerte, schlugen, ihm mit einer Zigarette Brandverletzungen im Auge zufügten sowie ihn zwangen, das Plastikschwert nach dem Entfernen abzulecken, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich Hornhauterosionen am rechten Auge, ein Hornhautödem und eine posttraumatische Belastungsstörung, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zur Folge hatte und Daniel E***** durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt wurde;

II./ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, Daniel E***** durch Gewalt, nämlich durch vorangegangene, fortgesetzte Gewaltanwendung, zu einer Handlung, nämlich zur Bekanntgabe des Bankomatkartencodes, genötigt, die diesen am Vermögen schädigen sollte, wobei es mangels Kontodeckung beim Versuch geblieben ist;

III./ Daniel E***** widerrechtlich gefangen gehalten, indem sie ihn über Nacht in seiner Wohnung einsperrten;

IV./ Daniel E***** „mit Gewalt“ zu Handlungen genötigt, indem sie ihn unter Androhung weiterer Misshandlungen dazu zwangen,

1. die Stiefel der Jasmin Ha***** und die Schuhe des Günter R***** abzulecken,

2. einen Schluck aus einer Flasche „Meister Propper“ Reinigungsmittel zu trinken;

B./ Martin H*****

I./ Daniel E***** gefährlich mit dem Tod bedroht, indem er ihm eine Waffe gegen den Kopf hielt, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

II./ Daniel E***** mit Gewalt zu einer Duldung genötigt, indem er ihm eine Hundeleine um den Hals band und ihn damit durch das Zimmer zerrte;

III./ Daniel E***** durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von einer polizeilichen Anzeige zu nötigen versucht, indem er zu ihm sagte: „Wehe, du sagst was, ich schick dir andere Leute, dann bist du wirklich meier!“;

IV./ zwei von Jasmin Ha***** und Günter R***** durch schweren Raub weggenommene Sachen, nämlich eine Gaspistole und einen Gürtel in einem nicht mehr feststellbaren Wert, mithin Sachen, die ein anderer durch eine aus einem anderen Grund als wegen gewerbsmäßiger Begehung mit fünf Jahre übersteigender Freiheitsstrafe bedrohte Handlung gegen fremdes Vermögen erlangt hatte, dadurch, dass er sie von Jasmin Ha***** und Günter R***** übernahm, an sich gebracht, wobei er die diese Strafdrohung begründenden Umstände kannte;

C./ Jasmin Ha***** und Günter R***** mit Gewalt, einerseits durch die bereits unter Punkt I./ geschilderten Gewalthandlungen sowie andererseits durch die fortgesetzten Schläge des Martin H*****, Daniel E***** fremde bewegliche Sachen, und zwar Bargeld, eine Armbanduhr der Marke Casio, eine Gaspistole, eine Bohrmaschine, ein Mobiltelefon der Marke Sony Ericsson, ein Feuerzeug der Marke Zippo und einen Gürtel in nicht mehr feststellbarem Gesamtwert mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie Daniel E***** Schläge und Tritte gegen den Körper versetzen, Zigaretten auf seinem Körper ausdämpften und ihm Stiche mit einer Fonduegabel in den Rücken versetzten, wobei die Gewaltanwendung eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Verletzung am Oberbauch, mehrere Hautabschürfungen am Rücken, Hämatome im Gesicht und rund um beide Augen, eine Schwellung der Ober- und Unterlider beider Augen, Schnittverletzungen im Gesicht und am Hals, Blutungen unter den Augenbindehäuten, Schwellung und Rötung beider Gehörgänge und massiven Druckschmerz am Nasenbein, zur Folge hatte, und gleichzeitig unter Ausnützung seines Zustands seine Wohnung durchsuchten und die genannten Gegenstände an sich nahmen.

Diese Schuldsprüche bekämpfen die Angeklagten jeweils mit Nichtigkeitsbeschwerde, die Martin H***** auf die Gründe der Z 5a und 10, Jasmin Ha***** auf Z 5, 5a und 10 sowie Günter R***** auf Z 5, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO stützen.

Jasmin Ha***** hat überdies eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ausgeführt (ON 236), die, weil ein solches Rechtsmittel im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist (§ 280 StPO), zurückzuweisen war.

Rechtliche Beurteilung

Sämtliche Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Rechts- und Subsumtionsrügen (Z 9 lit a und 10) gegen den Schuldspruch A./I./ und die vom Erstgericht vorgenommene Subsumtion der erzwungenen Selbstvornahme einer Analpenetration durch das Opfer unter den Tatbestand der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 (und 2) StGB:

§ 201 Abs 1 StGB erfasst die Nötigung zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung.

Unter „dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen“ fallen alle Formen einer oralen, vaginalen oder analen Penetration, die in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen mit einem Beischlaf vergleichbar sind; entscheidend sind die Intensität und die Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung sowie das Ausmaß der Demütigung und Erniedrigung des Opfers (vgl Philipp in WK² § 201 Rz 21 ff; RIS-Justiz RS0094905 und RS0115232).

Jede Penetration eines zur Geschlechtssphäre gehörenden Organs, maW jede vaginale oder anale Penetration stellt demnach - unabhängig davon, mit welchem Mittel sie erfolgt - eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung dar, sofern sie in der Summe ihrer Auswirkungen mit dem Beischlaf vergleichbar ist (vgl Philipp in WK² § 201 Rz 25; RIS-Justiz RS0095213; 14 Os 126/04; 11 Os 4/05f; 15 Os 100/09h). Sowohl die digitale Analpenetration als auch die Analpenetration mit einem Gegenstand sind - als besonders massive Eingriffe in die Intimsphäre - grundsätzlich als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen anzusehen (vgl Philipp in WK² § 201 Rz 25; RIS-Justiz RS0115232, RS0073118 und RS0120457).

Für die rechtliche Beurteilung einer Tathandlung als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung ist - dem Beschwerdevorbringen des Erst- und der Zweitangeklagten zuwider - der objektive Sexualbezug entscheidend; auf die subjektive Vorstellung oder die Motivlage des Täters kommt es nicht an (vgl 11 Os 4/05f; 13 Os 141/06v). Insofern erfüllen auch nicht unmittelbar der Befriedigung des Geschlechtstriebs des Täters dienende, etwa auf Demütigung oder Züchtigung des Opfers, Machtausübung und Zufügung seelischer Qualen ausgerichtete (nach dem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene) Angriffe das Tatbild der Vergewaltigung. Eine vaginale oder anale Penetration bleibt eine geschlechtliche Handlung auch dann, wenn der Täter ausschließlich aus sexualfremden Gründen gehandelt hat (RIS-Justiz RS0094905 [T16, T19]).

Demnach steht - dem Standpunkt des Beschwerdeführers Günter R***** zuwider - die Feststellung, wonach die Tathandlung „sicher nicht sexuell motiviert“ war (US 14), der vorgenommenen Subsumtion nicht entgegen.

Soweit die Beschwerde in der Folge (nominell aus Z 5) die Aufforderung, sich das Schwert einzuführen, als „milieubedingte Unmutsäußerung“ darzustellen sucht, stellt sie nur die vom Erstgericht auf der Tatsachenebene festgestellte Ernstlichkeit der Äußerung beweiswürdigend in Frage; im Übrigen sind die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite dem Urteilssachverhalt deutlich genug zu entnehmen (insbesondere US 14, 16 f; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen des Martin H***** und der Jasmin Ha*****, die sich auf eine in der Lehre vertretene Meinung (Schick in WK² [2007] § 206 Rz 14, insbesondere der Verweis auf Hinterhofer, SbgK § 206 Rz 34) beruft, anerkennt der Gesetzgeber ausdrücklich nicht nur die Möglichkeit der Vornahme einfacher geschlechtlicher Handlungen (vgl §§ 205 Abs 1, 207 Abs 2, 212 StGB), sondern auch die der Vornahme dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen an sich selbst (vgl § 206 Abs 2 StGB; Philipp in WK² § 201 Rz 27, § 206 Rz 14 aE; 15 Os 100/09h).

Der Tatbestand der Vergewaltigung erfasst neben der Duldung auch die mit Nötigungsmitteln erzwungene Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung, wobei § 201 Abs 1 StGB dabei nicht zwischen der Vornahme der qualifiziert geschlechtlichen Handlung am Täter, an einem Dritten oder am Opfer selbst differenziert. Die erzwungene Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung an sich selbst kann daher schon nach dem Wortlaut des Gesetzes, der eine Einschränkung nicht kennt, unter § 201 Abs 1 StGB subsumiert werden.

Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin Jasmin Ha***** kann allein aus dem Umstand, dass der - dem Schutz vor erzwungenen, also unfreiwilligen, qualifiziert geschlechtlichen Handlungen dienende - Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB anders als jener des - dem Schutz Unmündiger vor auch freiwilligen qualifiziert geschlechtlichen Handlungen dienende - § 206 StGB die Vornahme dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen am eigenen Körper nicht ausdrücklich erwähnt, keineswegs geschlossen werden, dass solche mit Nötigungsmitteln erzwungenen qualifiziert geschlechtlichen Handlungen von § 201 Abs 1 StGB nicht erfasst werden sollten, zumal insbesondere auch die von der Beschwerdeführerin angeführte, für eine Strafbarkeit nach § 206 Abs 2 StGB erforderliche überschießende Innentendenz bei § 201 Abs 1 StGB durch den Einsatz von Gewalt bzw Drohung kompensiert wird.

Dem Schöffengericht ist daher bei der Subsumtion des zu A./I. festgestellten Tatverhaltens unter den Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB kein Fehler unterlaufen.

Soweit der Erstangeklagte Martin H***** in seiner Rüge ferner behauptet, die Subsumtion unter § 201 Abs 1 StGB sei verfehlt, weil das Opfer nicht durch „Schläge, Tritte oder Verbrennungen“ zur Analpenetration gezwungen worden sei, zumal die „aus anderen Motiven“ gesetzten „Misshandlungen“ zum Zeitpunkt der Selbstpenetration des Opfers bereits abgeschlossen gewesen seien, und in diesem Zusammenhang die „erhebliche Feststellung, wann die Vergewaltigung begonnen und wann sie aufgehört hat“, vermisst, übergeht er die vom Schöffengericht getroffenen Feststellungen zum Geschehensablauf (US 10 ff, 14 iVm 18) und argumentiert insofern nicht - wie bei Geltendmachung materieller Nichtigkeit jedoch stets geboten - auf Grundlage des gesamten Urteilssachverhalts. Gleiches gilt für das Vorbringen der Zweitangeklagten, eine „einmalige geringfügige aktive Penetration durch die Angeklagte Ha*****“ reiche zur Erfüllung des Tatbestands nicht aus.

Soweit die Rüge des Erstangeklagten ausreichende Konstatierungen zum Vorliegen der Qualifikation des § 201 Abs 2 erster Fall StGB vermisst, argumentiert sie erneut nicht auf Basis der Gesamtheit der Urteilsannahmen, wonach das Opfer durch die im Zuge der Vergewaltigung gesetzten Tätlichkeiten und Misshandlungen eine schwere Augenverletzung, nämlich Hornhauterosionen am rechten Auge sowie ein Hornhautödem, erlitten hat (US 3, 13, 18), und die besonders erniedrigenden, gegen seine sexuelle und persönliche Integrität gerichteten Handlungen zudem eine posttraumatische Belastungsstörung zur Folge hatten (US 13). Im Übrigen verkennt die Beschwerde, dass § 201 Abs 2 erster Fall StGB nicht nur jene - psychischen und/oder physischen - Folgen erfasst, die unmittelbar aus der Durchführung der dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung resultieren, sondern auch jene, die sich aus der Anwendung der Gewalt ergeben (vgl Philipp in WK² § 201 Rz 30).

Das weitere, gegen die Annahme der Qualifikationen des dritten und vierten Falles des § 201 Abs 2 StGB gerichtete Vorbringen entzieht sich einer inhaltlichen Erwiderung, weil nicht argumentativ aus dem Gesetz abgeleitet wird, weshalb die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen (US 10 ff) die rechtliche Schlussfolgerung, das Opfer sei durch die Tat in besonderer Weise erniedrigt (vgl bloß US 10: erzwungenes Ablecken der mit Blut und Kot bedeckten Schwertspitze) und über längere Zeit in einen qualvollen Zustand versetzt worden (US 12), nicht tragen sollten (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588 ff).

Zur weiteren Nichtigkeitsbeschwerde des Martin H*****:

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) Erwägungen zum Vorliegen bzw Nichtvorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen anstellt, spricht sie keine entscheidenden Tatsachen im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes an (zum Begriff siehe Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399). Eine Berufsunfähigkeit des Opfers (§ 85 Z 3 StGB) als Folge der Misshandlungen wird den Angeklagten nicht zur Last gelegt, weshalb die dazu angeführten Argumente einer inhaltlichen Erwiderung nicht bedürfen.

Die Wertung der „besonderen Intensität und Brutalität“ der Tathandlungen als erschwerend verstieß schließlich nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (inhaltlich Z 11), weil diese Umstände nicht die Strafdrohung (auch nicht jene des § 201 Abs 2 StGB) bestimmen.

Die zu Schuldspruch B./IV./ erfolgte rechtsfehlerhafte Unterstellung der Tat auch unter Abs 1 anstelle richtig nur unter Abs 2 des § 164 StGB erfordert keine Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO, weil kein Nachteil für den Angeklagten damit verbunden war (RIS-Justiz RS0095389).

Zur weiteren Nichtigkeitsbeschwerde der Jasmin Ha*****:

Mit einer - überdies aus dem Zusammenhang gerissenen - Passage aus der kontradiktorischen Vernehmung des Daniel E***** und dem Verweis auf die Ausführungen in der „Berufung wegen Schuld“ vermag die Tatsachenrüge (Z 5a) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen beim Obersten Gerichtshof zu erwecken.

Zum Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB (C./) bringt die eine Tatbeurteilung als Bedrängnisdiebstahl nach § 128 Abs 1 Z 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) vor, die Angeklagten hätten den Vorsatz auf Wegnahme der Gegenstände erst im Lauf der Gewaltanwendung gefasst, „und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem das Opfer bereits vollkommen wehrlos und unfähig zu jeglichem Widerstand war“. Sie geht damit allerdings nicht von den erstgerichtlichen Konstatierungen aus, wonach die Gewalttätigkeiten auch zu dem Zweck eingesetzt wurden, Daniel E***** Sachen wegzunehmen (US 11, 14). Insofern bedarf es auch keiner unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO (der Sache nach Z 10) reklamierten Feststellung, „ob das Opfer im Zeitpunkt des Vorsatzes auf Wegnahme der Gegenstände bereits wehrlos war“.

Zur weiteren Nichtigkeitsbeschwerde des Günter R*****:

Die Einlassung des Günter R*****, nicht er sondern der Mitangeklagte H***** habe die wesentlichen Tathandlungen gesetzt, blieb nicht unerörtert (Z 5 zweiter Fall), es wurde ihr aber von den Tatrichtern mit mängelfreier Begründung die Glaubwürdigkeit abgesprochen (US 16).

Entgegen dem weiteren Vorbringen (nominell Z 5, inhaltlich Z 9 lit a) wurde ein gemeinsamer Willensentschluss zu den unter A./ und C./ subsumierten Taten festgestellt (US 9, 13 ff). Die zur subjektiven Tatseite getroffenen Konstatierungen wurden mit dem Hinweis auf die Angaben der drei Angeklagten und die Schilderungen des Opfers auch zureichend begründet (US 17; Z 5 vierter Fall).

Die Feststellungen auf US 12 und 14 zur Wegnahme des Gürtels (C./) sind - der Beschwerde zuwider - widerspruchsfrei.

Die rechtlichen Ausführungen zum Schuldspruchpunkt B./I./ (Erwägungen zur rechtlichen Qualität des Anhaltens einer Gaspistole an den Kopf) betreffen keinen Schuldspruch des Angeklagten R*****, ihm fehlt somit die Rechtsmittellegitimation.

Mit dem den festgestellten Bereicherungsvorsatz angreifenden Argument, es fehlten Konstatierungen zur Zahl und zum Wert der vom Daniel E***** entwendeten Substitol-Tabletten (C./), wird kein Feststellungsmangel geltend gemacht, sondern - in diesem Anfechtungsrahmen unzulässig - lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter kritisiert.

In Ansehung des Schuldspruchs A./II./ wird ein absolut untauglicher Versuch (§ 15 Abs 3 StGB) wegen ungedeckten Bankkontos lediglich behauptet, nicht jedoch argumentativ aus dem Gesetz abgeleitet (Z 9 lit a). Im Übrigen sei auf die amtswegige Maßnahme verwiesen.

Soweit die Beschwerde unter dem Aspekt der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit Feststellungen zum Grad der alkoholbedingten Beeinträchtigung des Angeklagten R***** vermisst (Z 9 lit b und 10), ist sie auf die die Zurechnungsfähigkeit unmissverständlich bejahenden Konstatierungen US 17 zu verweisen.

Zwar ist es richtig, dass das Erstgericht die zu C./ festgestellte Tat im Spruch (US 5) irrtümlich den §§ 142 Abs 1, 143 „zweiter Fall“ StGB (richtig: dritter Fall) subsumiert hat, doch liegt darin offensichtlich (vgl US 4 f, 13) bloß eine, Nichtigkeit nicht begründende falsche Bezeichnung der als begründet erachteten strafbaren Handlung (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 32). Das weitere Vorbringen der Subsumtionsrüge, das die „Qualifikation der Arbeits- und Berufsunfähigkeit des Opfers“ bekämpft, kann dahingestellt bleiben, ist doch kein Schuldspruch nach §§ 142 Abs 1, 143 vierter Fall StGB erfolgt.

Eine - im Rahmen der Berufung vorgebrachte - Doppelverwertung (Z 11) durch Heranziehen der „grundlosen intensiven Gewaltanwendung“ und der „besonderen Brutalität“ als Erschwerungsgründe liegt aus den schon zur Nichtigkeitsbeschwerde des Martin H***** angeführten Erwägungen nicht vor.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerungen der Verteidiger - zu verwerfen.

Der Schuldspruch A./II./ ist allerdings mit ungerügt gebliebener, sich zum Nachteil der drei Angeklagten auswirkender materieller Nichtigkeit (Z 10) behaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts nahm einer der Täter die Brieftasche des Daniel E***** samt Bankomatkarte an sich. Während die anderen Angeklagten Daniel E***** Schläge versetzten, verlangte Günter R***** von ihm die Bekanntgabe des PIN-Codes, und zwar mit dem Vorsatz, ihn am Vermögen zu schädigen. Das Opfer kam dieser Aufforderung nach (US 11, 14). Nach Verlassen der Wohnung begaben sich die Angeklagten zunächst in ein Lokal und anschließend zu einem Bankomaten, um mit der weggenommenen Bankomatkarte Geld zu beheben, was jedoch zweimal mangels Kontodeckung scheiterte (US 12).

Die rechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts als Verbrechen der versuchten Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB ist verfehlt. Denn eine Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB liegt nur dann vor, wenn das Tatopfer mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einem Verhalten genötigt wird, das unmittelbar die Vermögensschädigung herbeiführt. Die bloße Bekanntgabe des PIN-Codes stellt für sich allein - was der Beschwerdeführer Günter R*****, wenngleich mit anderer Zielsetzung, wohl richtig erkannt hat - keine Vermögensverfügung dar. Setzt der Täter daher - wie im vorliegenden Fall - ein Nötigungsmittel zur Bekanntgabe des PIN-Codes einer Bankomatkarte ein, um später mit dieser Karte, die er sich unter einem verschafft, Geld zu beheben, so ist nicht § 144 Abs 1 StGB, sondern hinsichtlich der Bankomatkarte § 241e Abs 1 StGB und hinsichtlich des PIN-Codes § 105 Abs 1 StGB verwirklicht. Betreffend den Versuch, mittels der Bankomatkarte Geld zu beheben, kommen die §§ 15, 127 StGB zum Tragen (vgl RIS-Justiz RS0121847; Fabrizy, StGB10 § 144 Rz 3).

Infolge seiner unrichtigen Rechtsansicht hat das Erstgericht allerdings keine ausreichenden, die Tatbeurteilung in diese Richtung ermöglichenden - nach der Aktenlage aber indizierten - Feststellungen zur jeweiligen subjektiven Tatseite getroffen, sodass insofern eine Entscheidung in der Sache selbst noch nicht eintreten kann. Insoweit war Verfahrenserneuerung anzuordnen. Dabei wird das Gericht im Rahmen der Sanktionsfindung bei Jasmin Ha***** die Bestimmung der § 36 StGB (vgl aber US 24) und die im Urteil darzustellenden gesetzlichen Erfordernisse für eine Anstaltsunterbringung (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 f) zu beachten haben.

Die infolge Einschränkung im Gerichtstag nur noch gegen den Zuspruch von Behandlungskosten des Daniel E***** an die Stadt Wien, Krankenanstalt Rudolfstiftung, gerichtete Berufung des Angeklagten R***** ist nicht im Recht, weil die Ansprüche im Verfahren ausreichend belegt wurden (ON 128).

Mit ihren Berufungen gegen den Strafausspruch waren die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft, Jasmin Ha***** und Günter R***** überdies mit ihren Beschwerden auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

Die - die amtswegige Maßnahme nicht erfassende (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12) - Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E96663

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0110OS00131.10I.0217.000

Im RIS seit

07.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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