Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Umfahrer und Helmut Tomek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI E***** B*****, wider die beklagte Partei S***** AG *****, vertreten durch Engelbrecht und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2010, GZ 7 Ra 19/10f-30, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 9. September 2009, GZ 5 Cga 8/09w-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses vorliegen, insbesondere ob ein Fehlverhalten eines Angestellten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet war, das Vertrauen des Dienstgebers soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Auf das subjektive Empfinden des Dienstgebers kommt es nicht an (RIS-Justiz RS0106298; RS0103201; RS0029095; RS0106298; RS0029733; RS0029547; RS0108229).
Ein Dienstnehmer darf die Gebote allgemein üblicher Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen. Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen und/oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann Vertrauensunwürdigkeit begründen (RIS-Justiz RS0029337).
Wesentlich bleibt dabei aber immer, ob das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten dem Angestellten auch subjektiv vorwerfbar ist. Dies wäre jedenfalls bei Zuwiderhandlungen gegen eine ausdrückliche ärztliche Anordnung (vgl RIS-Justiz RS0029456) der Fall, ein Vorwurf, der den Kläger nach dem festgestellten Sachverhalt aber nicht trifft.
Vertrauensunwürdigkeit kann allerdings auch schon durch einen Verstoß gegen die nach der allgemeinen Lebenserfahrung üblichen Verhaltensweisen begründet werden (vgl ua 9 ObA 166/90). Dies setzt aber voraus, dass die spezielle Erkrankung und das bei ihrem Auftreten gebotene Verhalten tatsächlich allgemein geläufig sind, sodass der durchschnittlich informierte Patient auch ohne genaue ärztliche Anweisungen erkennen kann, was er vermeiden muss, um eine Verzögerung des Heilungsverlaufs hintanzuhalten.
Solche Umstände gehen aus dem Sachverhalt aber nicht hervor. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen mussten auch die Vorgesetzten des Klägers selbst vor seiner Entlassung erst den Betriebsarzt konsultieren, um die potentielle Abträglichkeit des klägerischen Verhaltens verlässlich beurteilen zu können. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen davon ausgegangen sind, dass auch dem Kläger selbst nach den Umständen des Einzelfalls (gerade noch) keine Verletzung allgemein geläufiger Verhaltensweisen im Krankenstand vorgeworfen werden kann, liegt darin kein vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifender grober Rechtsirrtum (RIS-Justiz RS0044088).
Schlagworte
11 Arbeitsrechtssachen,Textnummer
E96738European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:008OBA00071.10I.0222.000Im RIS seit
10.04.2011Zuletzt aktualisiert am
01.06.2011