Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** F*****, österreichische Staatsbürgerin, Pensionistin, *****, vertreten durch Birnbaum Toperczer Pfannhauser, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R***** F*****, geboren am 24. Jänner 1934, belgischer Staatsbürger, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Thomas Kralik, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt (Streitwert 19.578 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. Mai 2009, GZ 45 R 139/09p-19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. Juni 2008, GZ 3 C 126/06i-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Die Streitteile haben am 16. 6. 2003 die Ehe geschlossen. Im Juli 2005 hat sich die Klägerin vom Beklagten nach einer körperlichen Attacke getrennt. Das Scheidungsverfahren ist nach wie vor anhängig. Während aufrechter Ehe behielten die Parteien ihre getrennten Haushalte, die Klägerin in Österreich und der Beklagte in Frankreich, bei. Jeder kam für die Kosten seines Haushalts jeweils aus eigenem auf. Auch die Lebenskosten trug grundsätzlich jede Partei für sich selbst. Die Streitteile wollten sich ein gewisses Maß an Selbständigkeit und Unabhängigkeit vom jeweiligen anderen Ehegatten bewahren. Die Nettopension des Beklagten beträgt monatlich 3.735,30 EUR (12 x pro Jahr), jene der Klägerin monatlich 1.028,47 EUR (14 x jährlich).
Die Klägerin begehrte einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 753 EUR ab 1. 7. 2005. Am 23. 6. 2005 sei sie vom Beklagten tätlich angegriffen worden, weshalb sie seit Juli 2005 dauerhaft von ihm getrennt lebe. Der Beklagte sei seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachgekommen. Bis zur Trennung habe sie beide Haushalte, sowohl jenen in Wien als auch jenen in Frankreich, geführt.
Der Beklagte entgegnete, dass nach der konkludent getroffenen Unterhaltsvereinbarung jeder Ehegatte seine eigenen Lebenskosten selbst zu tragen habe. Dies sei während aufrechter ehelicher Gemeinschaft auch so gehandhabt worden. Die Klägerin verfüge über ein hinreichendes Einkommen zur Deckung der angemessenen Bedürfnisse.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe nicht darlegen können, dass sie tatsächlich beide Haushalte geführt habe. Schon während aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft seien die Lebensverhältnisse so gestaltet worden, dass jeder Ehegatte für seinen eigenen Haushalt aufkomme und finanziell nichts zu den Haushalts- und Lebenskosten des anderen Ehegatten beitrage. Genauso wie vor der Trennung sei die Klägerin weiterhin in der Lage, von ihrem Einkommen die ihren Lebensverhältnissen während aufrechter ehelicher Gemeinschaft angemessenen Bedürfnisse zu tragen. An der Gestaltung der Lebensverhältnisse habe sich nichts geändert.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Ausgehend von den Feststellungen sei eine konkludente Vereinbarung dahin zustande gekommen, dass grundsätzlich jeder der beiden Ehegatten seine eigenen Lebenskosten selbst zu tragen habe. Eine derartige Unterhaltsvereinbarung könne nicht mit einem Unterhaltsverzicht gleichgesetzt werden. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass sie nicht in der Lage sei, ihre Lebensbedürfnisse selbst zu decken.
Über Antrag der Klägerin gemäß § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, zumal durchaus fraglich sein könnte, ob aus der gesonderten Bestreitung des Lebensaufwands auf eine schlüssige Unterhaltsvereinbarung geschlossen werden könne und ob die Voraussetzungen für ein Abgehen von den einvernehmlich gestalteten Lebensverhältnissen gegeben seien.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in der Weise abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, die Revision der Gegenseite abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Klägerin mangels Aufzeigens einer entscheidungsrelevanten erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Die Anwendung österreichischen Rechts ist auf der Grundlage des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Ehepaktes unstrittig.
2. In der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist geklärt, dass ein Anspruch auf gesetzlichen Geldunterhalt nach der Fallkonstellation des § 94 Abs 1 Satz 3 ABGB von der Haushaltsführung unabhängig ist (9 Ob 83/06f; vgl auch 7 Ob 321/01h; Hopf/Kathrein, Eherecht² § 94 ABGB Anm 34; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EheG § 94 ABGB Rz 120).
3.1 Die Klägerin bestreitet nicht, dass es sich bei den gesetzlichen Regelungen des § 94 ABGB um dispositive Normen handelt, denen eine Unterhaltsvereinbarung vorgeht. Dazu sind in der Judikatur folgende Grundsätze anerkannt: Gemäß § 91 ABGB sollen die Ehegatten ihre eheliche Lebensgemeinschaft einvernehmlich gestalten. Gegenstand ihrer Gestaltungsbefugnis sind die Einzelheiten der Durchführung des gemeinschaftlichen Lebens, so die Rollenverteilung bei Erwerb und Haushaltsführung, bei der Einrichtung der Wohnung und der Gestaltung der gemeinsamen Freizeit, aber auch bei der Verwendung der Mittel zum gemeinschaftlichen Leben. Welche Beiträge die Ehegatten im Einzelnen zu leisten haben, bleibt ihrem Einvernehmen überlassen. Auch der Unterhaltsanspruch richtet sich bei aufrechter Ehe primär nach der verbindlichen autonomen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, die die Dispositivbestimmungen des § 94 Abs 1 und 2 ABGB verdrängt. Die Ehegatten sind dabei im Wesentlichen frei. Dementsprechend kann etwa auch vereinbart werden, dass jeder Ehegatte sich selbst erhält (9 Ob 83/06f mwN).
Das erforderliche Einvernehmen der Ehegatten kann ausdrücklich oder schlüssig hergestellt werden. Eine zwischen den Ehegatten durch längere Zeit unwidersprochen befolgte Übung kann iSd § 863 Abs 1 ABGB die gleiche Wirkung äußern wie eine ausdrückliche Gestaltungsabsprache (9 Ob 83/06f). Die Beurteilung von konkludenten Willenserklärungen hängt dabei von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0109021; 1 Ob 196/10w).
3.2 Die Ansicht der Vorinstanzen, dass mit Rücksicht auf die von Anfang an gehabte Gestaltung der Lebensverhältnisse durch die Streitteile eine konkludente Unterhaltsvereinbarung zustande gekommen sei, derzufolge jeder Ehegatte für seine Lebenshaltungs- und Haushaltsführungskosten selbst aufzukommen habe, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
4. Richtig ist der Hinweis der Klägerin, dass während aufrechter Ehe auf den Unterhaltsanspruch für die Zukunft „an sich“ nicht im Vorhinein verzichtet werden kann. Zulässig ist aber ein Verzicht auf zeitlich abgegrenzte Unterhaltsleistungen, etwa zukünftige Einzel- oder Teilleistungen, oder etwa auf Unterhaltsleistungen bei aufgehobener Gemeinschaft (9 Ob 83/06f; vgl auch RIS-Justiz RS0111120).
Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht ein einseitiger Verzicht der Klägerin, sondern die Bedeutung und Reichweite einer von den Ehegatten getroffenen partnerschaftlichen Vereinbarung zur Gestaltung ihrer Lebensgemeinschaft, insbesondere betreffend die Bestreitung der Kosten für die Lebensführung, zu beurteilen. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Zulässigkeit einer derartigen partnerschaftlichen Vereinbarung nicht streng an den Grundsätzen für einen Unterhaltsverzicht zu messen ist. Im Allgemeinen, also bei gewöhnlichen Verhältnissen wird aber davon auszugehen sein, dass eine Vereinbarung über die Tragung der Lebenshaltungskosten auch bei einer Doppelverdienerehe nicht als ein über den Zeitpunkt der Scheidung hinaus wirksamer (teilweiser) „Unterhaltsverzicht“ gewertet werden kann, weil einer solchen Übereinkunft grundsätzlich die zu unterstellende Bedingung des gemeinsamen Wirtschaftens zugrunde liegt (1 Ob 288/98d).
Ob die zwischen den Streitteilen getroffene Unterhaltsvereinbarung bis zur Scheidung zeitlich begrenzt ist, muss hier nicht geklärt werden, weil die Scheidung noch nicht erfolgt ist.
5.1 Ausdrückliche oder schlüssige Vereinbarungen der Ehegatten über die vermögensrechtliche Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse und über die von ihnen zu erbringenden Beiträge unterliegen (schon während aufrechter Ehe) wie andere Unterhaltsverträge der Umstandsklausel (RIS-Justiz RS0009579). Eine von der Vereinbarung abweichende Regelung des Unterhaltsanspruchs setzt demnach eine wesentliche Änderung der Verhältnisse insbesondere in Bezug auf die Leistungsfähigkeit voraus. Die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts stellt im Normalfall eine solche relevante Sachverhaltsänderung dar (1 Ob 288/98d; vgl auch RIS-Justiz RS0009470).
5.2 Im vorliegenden Fall stellt die bloße Trennung der Streitteile ohne Änderung der Gestaltung der Lebensverhältnisse und der damit verbundenen Kostenbelastung, insbesondere ohne Auflösung einer echten Haushaltsgemeinschaft, keine relevante Umstandsänderung dar. In diesem Sinn hat schon das Erstgericht den Unterhaltsanspruch der Klägerin mit der Begründung verneint, dass sich die Lebensverhältnisse, insbesondere die Tragung der Haushalts- und Lebenskosten, nach der Trennung im Vergleich zur aufrechten ehelichen Lebensgemeinschaft nicht geändert haben. Ein Vorbringen, woraus sich eine besondere Änderung der Verhältnisse ergeben würde, hat die Klägerin auch nicht erstattet. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass auch im Prozess um den ehelichen Unterhalt der maßgebliche Sachverhalt nicht von Amts wegen zu ermitteln ist (9 Ob 83/06f).
5.3 Zur Reichweite bzw zeitlichen Geltung der zwischen den Streitteilen konkludent getroffenen Unterhaltsvereinbarung zeigt die Revision somit ebenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen auf. Auch sonst bedarf es keiner Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Da die Voraussetzungen für eine neuerliche Prüfung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin nicht vorliegen, stellen sich die Fragen, ob die Klägerin zur Deckung der - den gemeinsamen Lebensverhältnissen - angemessenen Bedürfnisse selbst in der Lage ist (vgl 9 Ob 83/06f) bzw ob die Voraussetzungen für einen Unterhaltsergänzungsanspruch nach der Prozentwertmethode gegeben sind (9 Ob 94/03v; 3 Ob 25/07h; vgl auch RIS-Justiz RS0047563), derzeit nicht.
6. Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.
Die Revisionsbeantwortung war nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig, weil der Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat.
Schlagworte
UnterhaltsrechtTextnummer
E96497European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0080OB00084.10A.0222.000Im RIS seit
17.03.2011Zuletzt aktualisiert am
18.04.2013