Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*****, 2. V*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Claudia Ruhri, Rechtsanwältin in Graz, wider die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Wandlung und Zahlung 67.544 EUR und 73.414,28 EUR sA sowie Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. September 2010, GZ 3 R 76/10m-90, womit über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. März 2010, GZ 22 Cg 185/07s-82, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Kläger erwarben von der Beklagten ein Fertigteilhaus zum Preis von 67.544 EUR, das auf ein von ihnen selbst hergestelltes Kellergeschoss aufgesetzt wurde.
Das Fertigteilhaus weist zahlreiche von der Beklagten zu vertretende Mängel auf. Die Kosten für die Behebung dieser Mängel belaufen sich auf insgesamt 16.511,80 EUR. Davon entfallen 9.240 EUR auf einen Leimbinderträger, dem die für den statischen Nachweis erforderliche Tragfähigkeit fehlt. Er hält der Belastung nicht Stand und muss erneuert werden.
Das Erstgericht wies die auf Wandlung und Schadenersatz gerichteten Hauptbegehren der Kläger ab und gab dem in eventu erhobenen Preisminderungsbegehren statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger teilweise Folge, erklärte den Vertrag über die Errichtung eines Fertigteilhauses für aufgehoben, verpflichtete die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises von 67.544 EUR und zur Zahlung von 60.636,39 EUR sA an Schadenersatz. Das Mehrbegehren wies es ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auf.
1. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS-Justiz RS0037300). Dieser, in § 182a ZPO verankerte Grundsatz, gilt auch für das Berufungsgericht (Fucik in Rechberger ZPO3 Rz 1 zu § 182a). Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts stellt jedoch nur dann einen Verfahrensmangel dar, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden - wie hier - nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zu Grunde lagen, rechtlich anders gewertet, fehlt es an den Rechtsfolgen einer Verletzung des § 182a Satz 2 ZPO (Schragel in Fasching/Konecny2 II/2 §§ 182, 182a ZPO Rz 10; RIS-Justiz RS0037300 [T16, T24]).
Die Beklagte nahm bereits in der Klagebeantwortung zum Wandlungsbegehren der Kläger Stellung, sodass sie sich nunmehr nicht darauf berufen kann, sie sei von damit zusammenhängenden rechtlichen Gesichtspunkten überrascht worden. Der Umstand, dass das Berufungsgericht das dieser Frage zu Grunde liegende Tatsachensubstrat abweichend vom Erstgericht beurteilte, schadet nicht. Der dem Berufungsgericht unterstellte Verfahrensmangel liegt damit nicht vor.
2. Die Kläger nahmen das Recht auf Wandlung des Vertrags über ein von der Beklagten geliefertes Fertigteilhaus (Rohbau) in Anspruch und begehrten den Ersatz des in diesem Fall fruchtlos gewordenen Aufwands. Eventualiter machten sie Preisminderung geltend. Die Beklagten vertreten in ihrem Zulassungsantrag die Ansicht, dass den Klägern von den sekundären Gewährleistungsbehelfen des § 932 Abs 4 ABGB nur die Preisminderung und nicht die Wandlung zustünde. Auf das Verhältnis zu den primären Gewährleistungsbehelfen muss daher nicht eingegangen werden.
3. Die Beklagte begründet die Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen mit der Geringfügigkeit der vom Erstgericht festgestellten Mängel, die - abgesehen von der Minderfläche im Dachgeschoss (1,8 m²) - behebbar seien und die Vertragsauflösung in Anbetracht der ihr drohenden finanziellen Nachteile als unangemessen und unverhältnismäßig erscheinen ließen. Es fehle höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Wandlung eines Vertrags betreffend die Errichtung eines (Fertigteil-)Hauses begehrt werden könne.
Nach § 932 Abs 4 ABGB steht dem Übernehmer das Recht auf Preisminderung oder, sofern es sich nicht um einen geringfügigen Mangel handelt, das Recht auf Wandlung zu. Das Wandlungsrecht hängt damit von der Einordnung des Mangels als „nicht geringfügig“ ab. Ob der Mangel als geringfügig anzusehen ist oder nicht, ist anhand einer Interessensabwägung durchzuführen, bei der sowohl die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Aufhebung des Vertrags im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die Parteien, aber auch die „Schwere“ des Mangels zu berücksichtigen ist (1 Ob 14/05y = SZ 2005/82; 8 Ob 63/05f). Dabei ist auf den konkreten Vertrag und die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Die Frage, ob der Mangel mit einem im Vergleich zum Kaufpreis geringfügigen Aufwand behebbar wäre, ist nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium (10 Ob 108/07s).
4. Die mangelhafte Ausführung des Leimbinders, auf den auch die Revisionsausführungen Bezug nehmen, führt dazu, dass der (für eine positive Benützungsbewilligung erforderliche) Nachweis einer ordnungsgemäßen Ausführung in statischer Hinsicht nicht erbracht werden kann. Für die Benützbarkeit des Hauses ist der Austausch des Leimbinders unabdingbar, mag als (sicherungstechnische Sofortmaßnahme) die Pölzung des Trägers mit einem Steher auch ausreichen, um die mangelnde Tragfähigkeit auszugleichen. Schon dieser Umstand steht der Annahme eines geringfügigen Mangels entgegen. Darauf, ob die übrigen, nach den Feststellungen der Beklagten zurechenbaren Mängel zusammen oder für sich genommen als geringfügig iSd § 932 Abs 4 ABGB zu beurteilen sind, kommt es nicht mehr an.
5. Allein der Umstand, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem völlig gleichgelagerten Sachverhalt fehlt, bedeutet noch nicht, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhängt (RIS-Justiz RS0102181; RS0110702). Die Grundsätze des § 932 Abs 4 ABGB wirken für entgeltliche Verträge ohne Rücksicht auf deren Gegenstand. Der bloße Hinweis auf den Vertragsgegenstand „Fertigteilhaus“ begründet damit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO.
6. Nach Wandlung kann der Besteller den Ersatz seines Vertrauensschadens verlangen (6 Ob 141/03h mwN). Er hat Anspruch auf das negative Vertragsinteresse, das auf den Ersatz des Schadens gerichtet ist, der durch das Vertrauen auf die Mängelfreiheit entstand (RIS-Justiz RS0016421; 6 Ob 309/02p). Aus welchen Gründen den Klägern der Ersatz ihrer nach Wandlung fruchtlos gewordenen Aufwendungen verwehrt werden sollte, legt die Beklagte, die in Ausführung ihres Rechtsmittels auf dieses Thema nicht mehr zurückkommt, nicht dar.
Textnummer
E96499European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00202.10T.0223.000Im RIS seit
17.03.2011Zuletzt aktualisiert am
13.04.2012