Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** S*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Vertragsaufhebung (20.000 EUR) und 268.500,08 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei und den Rekurs der beklagten Partei gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. September 2010, GZ 1 R 146/10p-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 20. April 2010, GZ 27 Cg 28/09m-9, teilweise als Teilurteil bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Berufungsgericht zur Ergänzung seiner Entscheidung durch gesonderte Bewertungsaussprüche (der Ansprüche Beil ./A) und Rechtsmittelzulässigkeitsaussprüche (bezüglich der Ansprüche Beil ./A und ./B) zurückgestellt.
Text
Begründung:
Der Kläger stellt folgendes Begehren:
„1. Die Verträge zwischen der Beklagten und den in Beilage./A und Beilage./B angeführten Personen über den Erwerb von Zertifikaten, welche Aktien der M***** Ltd. (nunmehr A***** Ltd.) repräsentieren sollten, welche während der Zeichungsfrist der Kapitalerhöhung der M***** Ltd. (nunmehr A***** Ltd.) vom 20. 2. - 3. 3. 2006 abgeschlossen wurden, werden aufgehoben.
2. Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger EUR 268.500,08 samt 4 % Zinsen ab 3. 3. 2006 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
3. [Kostenersatz]“
Der Klage beigelegt waren zwei Listen. Beilage ./A enthält 133 Zeilen mit Namen (gelegentlich juristische Personen, wie zum Beispiel „B***** Wien GmbH“, und gelegentlich zwei Namen in einer Zeile) samt „Anrede“, Geburtsdatum, Adresse und „Land“ (überwiegend AT für Österreich, vereinzelt „DE“ und „IT“).
Beilage ./B enthält 71 Zeilen mit Namen (auch hier gelegentlich in einer Zeile zwei Namen), zusätzlich zu Beilage ./A eine Spalte „Schaden“ mit dort jeweils angeführten Beträgen.
Dazu brachte der Kläger vor, die auf den beiden Listen genannten Personen hätten ihm „über die A***** AG“ (FN 218810f; in der Folge „A*****“), im Zusammenhang mit einer mit der A***** getroffenen Prozessfinanzierungsvereinbarung, alle ihre Ansprüche aus dem Kauf von Zertifikaten der M***** Ltd. (in der Folge „M*****“) abgetreten. Die in Beilage ./A genannten Personen hielten „zumindest teilweise“ ihre Zertifikate noch und machten das Rechtsgestaltungsbegehren geltend. Die in Beilage ./B genannten Anleger hätten ihre Zertifikate wieder verkauft: Sie würden ein Leistungsbegehren erheben. Der jeweils in Beilage ./B genannte Betrag sei die Differenz zwischen Kaufpreis und Verkaufserlös der Zertifikate (welche Anleger aus Beilage ./A in welchem Ausmaß ihre Zertifikate wieder verkauft haben, wird in der Klage nicht ausgeführt).
Das Wandlungsbegehren (basierend auf Gewährleistungsrecht) beruhe darauf, dass die Anleger keine Aktien, sondern nur Zertifikate erworben hätten. Sie seien auch in Irrtum geführt worden, weil diese Papiere niemals als Zertifikate beworben worden seien, sondern weil die Werbung suggeriert hätte, die Anleger würden Aktien erwerben. Den Unterschied hätten die Anleger darin gesehen, dass beim Erwerb von Aktien auch eine Kontrollmöglichkeit über das Unternehmen durch eine große Zahl von Kleinaktionären gegeben sei. Die tatsächlich erworbenen Zertifikate brächten aber ein solches Kontrollrecht nicht mit sich. Der Irrtum bestehe auch darin, dass in der Werbung vermittelt worden wäre, die Wertpapiere seien eine bessere Alternative zum Sparschwein, das als „faules Schwein“ dargestellt worden sei. Dadurch sei eine absolute Sicherheit der Veranlagung vorgetäuscht worden. Aufgrund der Werbung hätten die Anleger auch davon ausgehen können, dass ihr Geld in Immobilien investiert würde. Ein weiteres Irrtumselement liege darin, dass in der Werbung eine Rendite von 9 % versprochen worden sei; tatsächlich zeige eine Gegenüberstellung von Immobilien in Wert- und Mieteinnahmen eine solche von 5,7 %.
Diese Irrtümer seien von der beklagten Partei veranlasst worden und wesentlich für die Kaufentscheidung gewesen.
Nach Aufhebung des Vertrags (egal ob wegen Wandlung oder wegen Irrtums) müsse die beklagte Partei den Anlegern - nach der Zession dem Kläger - jenen Betrag erstatten, den die Anleger für die Zertifikate bezahlt hätten; abzuziehen sei jener Betrag, den die Anleger, die die Zertifikate bereits verkauft hätten, dafür erlöst hätten. Die in Beilage ./B genannten Anleger hätten die Zertifikate bereits verkauft. Der in Beilage ./B jeweils genannte Betrag summiere sich auf 268.500,08 EUR und sei jeweils die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Verkaufserlös.
Die beklagte Partei bestreitet das Klagevorbringen. Die Zession sei unzulässig, weil die Anleger der A***** und diese dem Kläger nicht den Irrtumsanfechtungsanspruch und den Wandlungsanspruch übertragen hätten, sondern nur das Prozessführungsrecht. Zwischen dem Kläger und den Anlegern bestehe keine materielle Rechtsbeziehung. Die Tatsache der Zession selbst wurde von der beklagten Partei ebenfalls bestritten. Ebenso bestritten wurde, dass die Anleger in Irrtum geführt worden seien. Der Gewährleistungsanspruch bestehe nicht, weil die Zertifikate weder an einem (gar nicht denkbaren) Sachmangel noch an einem Rechtsmangel litten.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren (Punkte 1. und 2., wie eingangs angeführt) ab. Abgesehen von der Verlesung der vorgelegten Urkunden führte es kein Beweisverfahren durch. Es stellte unter anderem fest, dass der Kläger selbst keine Zertifikate erworben hat und auch in keiner Vertragsbeziehung zur beklagten Partei steht. Ein Großteil der in den Beilagen ./A und ./B genannten Personen hat mit der beklagten Partei Verträge über den Ankauf von M*****-Zertifikaten geschlossen. Die übrigen Anleger haben diese Verträge mit anderen Bankinstituten geschlossen. Die in Beilage ./B genannten Anleger haben ihre Zertifikate zwischenzeitig veräußert. Die übrigen Anleger (aus Beilage ./A) sind zumindest teilweise nach wie vor im Besitz ihrer Zertifikate.
Für 20 Erwerber (darunter vier Paare, somit für 24 Erwerber) stellte das Erstgericht fest, wann sie jeweils die Zertifikate erworben haben, wie viel Stück sie zu welchem Kurs erworben haben, welchen Preis inklusive Spesen sie dafür aufgewendet haben und seit wann sie bereits Zertifikate der M***** gehalten haben. Diese Feststellungen des Erstgerichts beruhen darauf, dass der Kläger die entsprechenden Urkunden für jeweils zehn Anleger (Anlegerpaare) aus Beilage ./A und aus Beilage ./B vorgelegt hat, und zwar für die jeweils zehn erstgenannten Anleger in der alphabetischen Reihenfolge, die in den Beilagen eingehalten wird.
Jedenfalls zum Teil haben die Investoren (aus Beilagen ./A und ./B) ein vorgedrucktes und vorformuliertes Anbot mit folgendem Inhalt an die A***** gelegt:
„... unterbreiten das unwiderrufliche bis zum Ende der Laufzeit der von mir/uns mit A***** … angeschlossenen Prozessfinanzierungsvereinbarung befristete Anbot auf Abgabe einer Abtretungserklärung zum Inkasso und zur Klagsführung durch die A***** … folgenden Inhaltes:
Abtretungserklärung zum Inkasso und zur Klagsführung durch die A***** …
Ich/Wir … treten sämtliche Ansprüche, insbesondere aus dem Titel des Schadenersatzes sowie sich aufgrund jedes anderen erdenklichen Rechtsgrundes ergebenden derzeitigen und zukünftigen Ansprüche ohne jede betragsmäßige Beschränkung aus und im Zusammenhang mit den Vorkommnissen meiner/unserer Veranlagung bei M***** Limited und/oder bei allfälligen weiteren Gesellschaften und/oder natürlichen Personen, welche mit den vorgenannten Gesellschaften direkt oder indirekt gesellschaftsrechtlich, vertraglich oder faktisch im Zusammenhang stehen, gegen sämtliche in Frage kommenden Beklagten zum Zwecke der Klagsführung und zum Inkasso an die
A***** …
unwiderruflich und unentgeltlich ab. ….
A***** … ist jederzeit berechtigt, die vertragsgegenständlichen Ansprüche ganz oder teilweise an einen oder mehrere Dritte – auch wiederholt – zwecks gerichtlicher und/oder außergerichtlicher Geltendmachung der Ansprüche durch den/die Dritten abzutreten.“
Unterhalb dieser Abtretungserklärung finden sich die Unterschriften der einzelnen Anleger sowie eine gefertigte Stampiglie der A*****:
„Dieses Angebot wird angenommen!
A***** ...“
In der Folge schloss A***** mit dem Kläger per 10. Februar 2009 bzw 12. Februar 2009 einen Zessionsvertrag mit - auszugsweise - folgendem Inhalt:
„Zessionsvertrag
zwischen der A***** …, vertreten durch den Vorstand …, als 'Abtretender' und A***** S***** … als 'Übernehmenden'
Zahlreiche Anleger, welche durch den Kauf von M***** Zertifikaten geschädigt wurden, haben der A***** … sämtliche Ansprüche aus der Veranlagung in M***** Zertifikate abgetreten. …
Die hier gegenständliche Abtretung betrifft lediglich jene Anleger, die während der Kapitalerhöhung im März 2006 Zertifikate der M***** gezeichnet haben, wobei Anlegergruppen unterschieden werden, einerseits jene, die ihre Zertifikate noch halten (gemäß beiliegender Liste A, beginnend mit … und endend mit …) und andererseits jene Anleger, die ihre Zertifikate bereits verkauft haben (gemäß beiliegender Liste B, beginnend mit … und endend mit …). Diesen Anlegern ist aus dem Erwerb und späteren Verkauf von Zertifikaten der M***** ein Gesamtschaden von € 278.508,- entstanden. Die beiliegenden Listen A und B stellen einen integrierenden Bestandteil dieser Abtretung dar.
Die A***** … hat die Abtretung von Forderungen durch die in beiliegender Liste A und B angeführten Anleger angenommen und tritt nunmehr ihre von diesen Anlegern abgetretenen Forderungen an Herrn A***** S***** zum Inkasso ab.
Herr A***** S***** nimmt diese Abtretung an.“
Diese Vereinbarung wurde vom Kläger A***** S***** einerseits und von der A***** andererseits gezeichnet.
Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Erstgericht zugrunde, dass § 226 ZPO vom Kläger verlange, das Begehren ausreichend bestimmt zu formulieren. Aus Punkt 1 des Klagebegehrens sei aber weder ersichtlich, welche Verträge zwischen welchen Vertragsparteien nach Meinung des Klägers aufzulösen seien, noch wann diese Verträge geschlossen worden seien, wie viele Zertifikate erworben worden seien und zu welchem Kurs.
Beilage ./B enthalte wohl dazu noch die vom Kläger für die jeweiligen Anleger errechneten Schadensbeträge. Das Leistungsbegehren laut Punkt 2 des Urteilsantrags sei jedoch nicht von einem ausreichenden Tatsachenvorbringen begleitet. Es sei nicht eruierbar, welcher Anleger wie viele Zertifikate zu welchem Kurs gekauft habe. Auch für den vorgebrachten Verkauf der Zertifikate fehlten diese Konkretisierungen. Dazu komme, dass ein Anspruch auf Vertragsanfechtung wegen Irrtums nicht einem anderen übertragen werden könne, ohne dass ihm auch der Hauptanspruch mitübertragen würde. Dem Kläger fehle somit die erforderliche Aktivlegitimation, um ein auf Irrtum gestütztes Rechtsgestaltungsrecht auszuüben. Der behauptete Wandlungsanspruch, der auf Gewährleistungsrecht gestützt würde, sei verfristet.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, bestätigte im Übrigen die Abweisung des Klagebegehrens hinsichtlich der Aufhebung der zwischen der beklagten Partei und den in Beilage ./A angeführten Personen geschlossenen Verträge als Teilurteil und hob den Punkt 1 des Ersturteils (Abweisung des Punktes 1 des Klagebegehrens) in Ansehung der in Beilage ./B genannten Anleger auf; Punkt 2 des Ersturteils (Abweisung des Geldleistungsbegehrens laut Punkt 2 der Klage) und die Kostenentscheidung wurden zur Gänze aufgehoben. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand des bestätigenden Teils mit über 30.000 EUR und ließ die Revision nicht zu. Zur Begründung des Bewertungsausspruchs führte es aus, dass der Kläger das Aufhebungsbegehren für alle Anleger (Beilage ./A und Beilage ./B) mit 20.000 EUR bewertet habe. Da der Kläger bereits für die auf der kürzeren der beiden Listen (Beilage ./B) genannten Anleger ein Leistungsbegehren von 268.500,08 EUR erhebe, gehe das Berufungsgericht von der Bewertung des Klägers für das Rechtsgestaltungsbegehren ab, das er auf alle Anleger beziehe. Dass die auf Beilage ./A genannten Anleger von einem Gesamtanspruch von unter 30.000 EUR ausgingen, sei nicht plausibel.
Hinsichtlich des Aufhebungsbeschlusses ließ das Berufungsgericht den Rekurs an den Obersten Gerichtshof (ohne Bewertungsausspruch) zu.
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts kann dahin zusammengefasst werden, dass die Klagsabweisung als Teilurteil zu bestätigen sei, soweit sich das isolierte Gestaltungsbegehren auf jene Anleger beziehe, für die kein Leistungsbegehren geltend gemacht werde (= die in Beilage ./A genannten Anleger): Für diese Anlegergruppe sei aus einer isolierten Rechtsgestaltung (Vertragsaufhebung) nichts gewonnen, weil sie bereits eine Leistungsklage auf Rückstellung der von ihnen im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss erbrachten Leistungen erheben könnten; ein reines Rechtsgestaltungsbegehren sei unschlüssig. Hinsichtlich der in Beilage ./B genannten Anleger, für die auch ein Leistungsbegehren erhoben worden sei, sei das Gestaltungsbegehren zwar im Ergebnis obsolet, weil das Leistungsbegehren auch das Gestaltungsbegehren umfasse; deren Gestaltungsbegehren unterliege jedoch nicht der formellen Klagsabweisung, weil die erfolgreiche Vertragsanfechtung wegen Irrtums Tatbestandsvoraussetzung für den darauf aufgebauten Schadenersatzanspruch sei. Die Behauptung der jeweils individuellen Schadensbeträge, begleitet von der Erläuterung, dass jeweils die Differenz zwischen Aufwendung und Erlös gemeint sei, und begleitet von einer Summenbildung, reiche für die Schlüssigkeit des Leistungsbegehrens.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei (betreffend die Bestätigung des Ersturteils als Teilurteil) und der Rekurs der beklagten Partei (betreffend die Teilaufhebung des Ersturteils).
Rechtliche Beurteilung
Eine Entscheidung über die außerordentliche Revision der klagenden Partei kann derzeit noch nicht ergehen, weil nicht feststeht, ob der Oberste Gerichtshof funktionell zur Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels zuständig ist.
1. Der Kläger macht geltend, dass ihm Ansprüche einzelner Anleger über die A***** zediert worden seien. Unzweifelhaft handelt es sich beim Kläger nicht um einen in § 29 KSchG genannten Verband, dem Ansprüche zur klageweisen Geltendmachung iSd § 502 Abs 5 Z 3 ZPO abgetreten wurden.
2. Der Kläger hat seiner Klage zwei Listen angeschlossen. Nach dem Klagsvorbringen halten die in Beilage ./A genannten Personen „zumindest teilweise“ ihre Zertifikate noch, weshalb sie (nur) ein in Richtung Vertragsaufhebung gehendes Rechtsgestaltungsbegehren stellen würden. Die in Beilage ./B genannten Anleger, die ihre Zertifikate wieder verkauft hätten, würden ein Leistungsbegehren erheben, wobei die begehren Geldbeträge bei den einzelnen Anlegern angeführt sind; in Summe ergibt sich nach dem Klagsvorbringen ein Betrag von 268.500,08 EUR.
3. Durch eine Zession ändert sich der Schuldinhalt nicht (§ 1394 ABGB). Auch für Belange des Prozesses tritt dadurch keine Änderung ein: Es tritt weder eine Änderung der Zulässigkeit des Rechtswegs ein (4 Ob 530/68 = SZ 41/80 = RIS-Justiz RS0032725) noch eine Änderung der gerichtlichen Zuständigkeit (vgl zur Gerichtsstandsvereinbarung RIS-Justiz RS0046910 [T2] und [T3]) noch eine Änderung des Charakters einer Rechtssache als „Ferialsache“ (4 Ob 67/74 = SZ 47/113 = DRdA 1976, 74 [abl Jabornegg]; RIS-Justiz RS0033147 bei einer Legalzession: 7 Ob 115/98g) noch eine Änderung der Beschränkung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln ein (Kolba, Rechtsdurchsetzung im Reiserecht, ZVR 2010, 456 [458]). Gleichartige Forderungen verschiedener Gläubiger die im Einzelnen abgetreten wurden, sind nicht zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0042882).
3.1. Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass der Kläger nicht ein Vertragsaufhebungsbegehren und ein Geldleistungsbegehren über 268.500,08 EUR stellt, sondern zahlreiche einzelne Begehren in einer Klage geltend macht. Er macht sich § 227 Abs 1 ZPO zunutze; diese Bestimmung gestattet unter bestimmten Voraussetzungen die Geltendmachung mehrerer Ansprüche des Klägers in einer Klage, selbst wenn sie nicht zusammenzurechnen sind (eingehend dazu 4 Ob 116/05w, ecolex 2005/359, 766 [Klauser] = ÖBA 2005/1306, 802 [Madl]). Damit wird aber keineswegs bereits die Entscheidung über die Berufungs- und Revisionszulässigkeit vorweggenommen; diese ist für jeden Anspruch gesondert zu beurteilen (G. Kodek, Die „Sammelklage“ nach österreichischem Recht, ÖBA 2004, 615 [621]; ebenso G. Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren, in Gabriel/Pirker-Hörmann [Hrsg], Massenverfahren - Reformbedarf für die ZPO [2005] 311 [321]).
3.2. Für die Rechtsmittelzulässigkeit an den Obersten Gerichtshof kommt es - in Bezug auf den Streitwert - auf den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts an (§ 500 Abs 2 ZPO). Besteht dieser nicht ausschließlich in Geld, hat ihn das Berufungsgericht zu bewerten. Dafür sind die zwingenden Bewertungsvorschriften der JN heranzuziehen (§ 500 Abs 3 ZPO).
3.3. Nach § 55 Abs 1 JN sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie entweder in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen oder sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die materielle Streitgenossen (§ 11 Z 1 ZPO) sind.
3.3.1. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche stehen nach dem Klagsvorbringen nicht in einem tatsächlichen Zusammenhang, weil sie nicht zur Gänze aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können (RIS-Justiz RS0106759 [T4]; P. Mayr in Rechberger, ZPO3 § 55 JN Rz 2 mwN): Im Zusammenhang mit der geltend gemachten Irreführung kommt der stattgehabten Beratung maßgebliche Bedeutung zu; es haben auch nicht alle Anleger die Wertpapiere über die beklagte Partei erworben. Da die Ansprüche nicht aus demselben Vertrag herrühren und auch nicht rechtlich einheitlich zu beurteilen sind, fehlt es auch an einem rechtlichen Zusammenhang (vgl 1 Ob 173/98t = SZ 71/129).
3.3.2. Würden die einzelnen Anleger ihre Ansprüche gesondert geltend machen, wären sie auch keine materiellen Streitgenossen (§ 11 Z 1 ZPO): Sie stehen weder in Rechtsgemeinschaft noch sind sie (siehe 3.3.1.) aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt.
4. Als Folge ist jeder einzelne, nicht in Geld bestehende Anlegeranspruch vom Berufungsgericht zu bewerten.
4.1. In Bezug auf die Ansprüche der in der Liste Beilage ./B genannten Anleger, die ein Vertragsaufhebungsbegehren mit einem Geldleistungsbegehren kombinieren, ist zu bedenken, dass das Vertragsaufhebungsbegehren für sie keinen eigenständigen Wert hat; die Vertragsaufhebung ist Vorfrage für die Beurteilung, ob das Geldleistungsbegehren berechtigt ist. Eine gesonderte Bewertung des Vertragsaufhebungsbegehrens ist daher nicht notwendig, weil es im Geldleistungsbegehren aufgeht.
4.2. Anders stellt sich die Situation in Bezug auf die in Beilage ./A genannten Anleger dar, die nur ein Vertragsaufhebungsbegehren stellen. Jedes einzelne dieser - in concreto nur von einem Kläger gestellten - Begehren ist vom Berufungsgericht nach den Grundsätzen der §§ 54 ff JN zu bewerten.
In diesem Sinn wird das Berufungsgericht demnach eine gesonderte Bewertung des Entscheidungsgegenstands für jeden der einzelnen Vertragsaufhebungsansprüche und jeweils auch gesonderte Rechtsmittelzulässigkeitsaussprüche, dies auch bei den Geldansprüchen der Anleger der Beilage ./B, in sinngemäßer Anwendung des § 423 ZPO nachzutragen haben (RIS-Justiz RS0041371). Je nach dem Ergebnis der Bewertung wird das Rechtsmittel der klagenden Partei als Abänderungsantrag (§ 508 ZPO) vom Gericht zweiter Instanz zu behandeln oder als außerordentliche Revision (§ 507b Abs 3 ZPO) wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.
Textnummer
E96634European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00002.11G.0223.000Im RIS seit
29.03.2011Zuletzt aktualisiert am
08.02.2013