TE OGH 2011/2/23 1Ob12/11p

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Veröffentlicht am 23.02.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei „N*****“ O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei ***** G***** GmbH, *****, vertreten durch Grassner Lenz Thewanger & Partner Rechtsanwaltspartnerschaft in Linz, wegen 119.949,74 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. September 2010, GZ 3 R 103/09b-17, mit dem über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. August 2009, GZ 43 Cg 91/08t-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Verhandlung und Urteilsfällung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Ursprünglich verhandelte die Klägerin mit der Nebenintervenientin, einer GmbH, über von dieser zu erbringende Sanitärinstallationsarbeiten beim Bau eines Altenheims, wobei auch eine Einigung über die Vertragsbedingungen erzielt wurde. Auf Ersuchen der Geschäftsführerin der Nebenintervenientin schloss die Klägerin schließlich den Werkvertrag nicht mit dieser, sondern mit einer kurz vorher gegründeten GmbH & Co KG ab, an die im Rahmen einer Spaltung des Unternehmens der Nebenintervenientin der Teilbetrieb „Errichtung haustechnischer Anlagen für Großprojekte“ übertragen worden war; die Nebenintervenientin war Kommanditistin und Alleingesellschafterin der Komplementär-GmbH. Der Werkvertrag enthält unter anderem folgenden Passus:

„8. Vertragserfüllungsgarantie

Vom Auftragnehmer ist eine Vertragserfüllungsgarantie in der Höhe von 20 % der Bruttoauftragssumme 119.949,74 EUR für die Vertragserfüllung zu bringen, ohne Einschränkungen. (bei Nichterfüllung der Arbeiten)

Beginn: Oktober 2006 bis Fertigstellung u. Abrechnung der Arbeiten: September 2008

Die Höhe der Erfüllungsgarantie vermindert sich bei jeder Teilrechnung jeweils um 20 % der aufsteigenden Bruttoteilrechnungssumme.“

Die Geschäftsführerin der Nebenintervenientin übermittelte einer Versicherungsmaklergesellschaft namens der KG einen an die Beklagte gerichteten Antrag auf Abschluss einer Sicherstellungshaftpflicht, einen ausgefüllten Fragebogen sowie einen Antrag auf Ausstellung einer Erfüllungsgarantie. Der Fragebogen zum Bauvorhaben wurde namens der KG firmenmäßig gefertigt. Die Vertreter der Versicherungsmaklergesellschaft und der Beklagten waren der Auffassung, die Garantie werde von der Geschäftsführerin im Namen der Nebenintervenientin in Auftrag gegeben. Sie gingen auch - fälschlich - davon aus, dass zwischen der Nebenintervenientin und der Klägerin ein Werkvertrag über die in der Erfüllungsgarantie beschriebenen Werkleistungen bestehe. Die daraufhin von der Beklagten an die Nebenintervenientin übermittelte und mit „Erfüllungsgarantie“ bezeichnete Garantieurkunde richtet sich an die Klägerin, weist als „Auftraggeber“ die Klägerin, und als „Auftragnehmer (unser Kunde)“ die Nebenintervenientin aus und hat im Übrigen folgenden - auszugsweise wiedergegebenen - Wortlaut:

„betreffend: Sanitärinstallationsarbeiten Neubau Alten- und Pflegeheim F*****

Gemäß des vor angeführten Auftrags hat unser Kunde eine Erfüllungsgarantie zu Ihren Gunsten beizubringen.

In diesem Zusammenhang übernehmen wir unwiderruflich im Auftrag der Firma ***** G***** GmbH [Nebenintervenientin] oder dessen Rechtsnachfolger die Erfüllungsgarantie bis zur Höhe von 119.949,74 EUR, indem wir uns verpflichten, dem Auftraggeber auf seine erste Aufforderung hin, ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses und unter Verzicht auf jedwede Einwendungen innerhalb von fünf Arbeitstagen Zahlungen bis zur Höhe des vorstehenden Betrages zu leisten.“

Die Geschäftsführerin der Nebenintervenientin übermittelte das Garantieschreiben gemeinsam mit der von ihr für die KG als Auftragnehmerin firmenmäßig gefertigten Werkvertragsurkunde der Klägerin. Deren Vertreter war bewusst, dass ihre Vertragspartnerin die KG und nicht die Nebenintervenientin war. Er erkannte zwar, dass die Urkunde im Auftrag der Nebenintervenientin erstellt worden war, sah darin aber wegen der gesellschaftsrechtlichen Verflechtung kein Problem. Die KG legte in der Folge drei Teilrechnungen, wovon die erste von der Klägerin bezahlt wurde. Die weiteren Teilrechnungen wurden allerdings wegen der Konkurseröffnung über das Vermögen der KG am 22. 10. 2007 nicht mehr beglichen. Am nächsten Tag rief die Klägerin die Garantie ab und forderte die Beklagte zur Zahlung des Klagebetrags auf.

Mit ihrer auf Zahlung des Garantiebetrags samt Zinsen gerichteten Klage berief sich die Klägerin im Wesentlichen darauf, die Beklagte habe in ihrer Garantieerklärung Zahlung ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses und unter Verzicht auf jedwede Einwendungen zugesagt. Sie habe davon ausgehen dürfen, die Nebenintervenientin habe als Muttergesellschaft der KG die Haftung für die Erfüllung des Werkvertrags übernommen bzw die Garantie im eigenen Namen in Auftrag gegeben. Ein rechtsmissbräuchlicher Abruf der Erfüllungsgarantie liege daher nicht vor.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, sie habe mit ihrer Garantieerklärung allfällige Verbindlichkeiten der Nebenintervenientin besichert, die jedoch gar nicht bestanden hätten. Auch der Klägerin habe bewusst sein müssen, dass sie keine Ansprüche gegenüber der Nebenintervenientin habe. Sei der Klägerin nun aber bewusst gewesen, dass Ansprüche lediglich gegenüber der KG, nicht aber gegenüber der Nebenintervenientin bestünden, sei die Inanspruchnahme der nur für Ansprüche gegen die Nebenintervenientin bestellten Garantie rechtsmissbräuchlich erfolgt, worauf sich auch die Beklagte als Garantin berufen könne.

Die Nebenintervenientin wandte ein, Auftraggeberin der Garantie hätte die KG sein sollen, die auch Vertragspartnerin der Klägerin gewesen ist. Die Ausstellung der Garantie in der vorliegenden Form sei irrtümlich erfolgt, was auch der Klägerin hätte auffallen müssen. Dieser sei klar gewesen, dass nicht die Nebenintervenientin, sondern die KG als ihre Auftragnehmerin die Garantie beizubringen gehabt hätte. Jedenfalls sei die Inanspruchnahme der Garantie im Ausmaß von 20 % der gelegten Teilrechnungen rechtsmissbräuchlich, weil insoweit nach den Bestimmungen des Werkvertrags eine Einschränkung der Garantiesumme stattgefunden habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe die zur Ausstellung der Garantie führenden Erklärungen der Geschäftsführerin der Nebenintervenientin als in deren Namen abgegeben verstehen dürfen, weshalb der Garantieauftrag zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin zustandegekommen sei. Der rechtsgeschäftliche Wille und die rechtsgeschäftliche Erklärung der Beklagten in Form der schriftlichen Erfüllungsgarantie seien so zu verstehen, dass die Nebenintervenientin Werkunternehmerin eines mit der Klägerin geschlossenen Werkvertrags bezüglich des Altenheims sei. Der Bezug auf dieses Vertragsverhältnis sei damit Inhalt des Garantievertrags zwischen der Beklagten und der Klägerin geworden. Die Garantie sei somit auf ein konkret bestimmtes Vertragsverhältnis bezogen worden, von der Klägerin jedoch für ein anderes Vertragsverhältnis - nämlich jenes mit der KG - in Anspruch genommen worden, worin Rechtsmissbrauch liege. Darüber hinaus habe die Klägerin die Garantie im Hinblick auf die im Vertrag vorgesehene Reduktion bei jeder Teilrechnung in evident unrichtiger Höhe abgerufen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Die in abstrakten Garantien übliche Präambel, in welcher auf das Grundverhältnis zwischen dem Garantieauftraggeber und dem Begünstigten hingewiesen werde, sei die bloße Umschreibung jener Leistung des Dritten, deren Erhalt dem Begünstigten garantiert werden solle, also des Erfolgs, für den die Gewähr übernommen werde. Die Haftung des Garanten sei aber vom Bestehen der Leistungsverpflichtung des Dritten grundsätzlich unabhängig, und jenem jeder Einwand aus dem Valutaverhältnis verwehrt. Von der Rechtsprechung sei der Rechtssatz formuliert worden, für den - dem Garanten ausnahmsweise zustehenden - Einwand des Rechtsmissbrauchs sei zu fordern, dass das Nichtbestehen eines Anspruchs des Begünstigten im Valutaverhältnis zur Zeit der Inanspruchnahme der Garantie evident erwiesen sei, weil die Schutzwürdigkeit des Begünstigten fehle, wenn er eine Leistung in Anspruch nehmen wolle, obwohl schon eindeutig feststehe, dass er keinen derartigen Anspruch gegen den Dritten habe. Nun werde in aller Regel der Rechtsmissbrauch zu bejahen sein, wenn evident ist, dass der aus der Garantie Begünstigte überhaupt keinen Anspruch habe, wenn er also in Kenntnis, im Unrecht zu sein, die Garantie in Anspruch genommen habe. Garantieauftraggeber und Schuldner des Valutaverhältnisses seien zwar in der Regel ident, doch müsse dies nicht zwangsläufig der Fall sein. So sei es etwa durchaus vorstellbar, dass eine Muttergesellschaft eine Garantie zur Besicherung der von ihrer Tochtergesellschaft zu erbringenden Leistungen in Auftrag gibt. Mit der vorliegenden Garantie habe die Erbringung der Sanitärinstallationen beim Bau eines bestimmten Altenheims besichert werden sollen, was aus der von der Beklagten erstellten Garantieurkunde hervorgehe. Die Auffassung des Mitarbeiters der Klägerin, der Umstand, dass in der Garantieurkunde die Muttergesellschaft als Werkunternehmerin und Auftraggeberin der Garantie aufscheine, schade nicht, sei nach dem Text der Garantieurkunde in Verbindung mit dem Zustandekommen des Werkvertrags vertretbar, weshalb der Klägerin kein rechtsmissbräuchlicher Abruf der Garantie unterstellt werden könne. Auch weil darin auf einen Auftrag der Nebenintervenientin „oder deren Rechtsnachfolger“ hingewiesen worden sei, sei das Verständnis der Klägerin, mit der Garantie sollte die Erbringung der konkreten Sanitärinstallationsarbeiten besichert werden, ohne Rücksicht darauf, ob diese nun von der Nebenintervenientin selbst zu erbringen sind, nicht abwegig gewesen.

Eine Einschränkung der Garantie nach Maßgabe gelegter Teilrechnungen sei in der Garantieerklärung der Beklagten allerdings nicht enthalten gewesen. Auch die entsprechende Regelung im Werkvertrag könne nach ihrem Sinn und Zweck nicht so gemeint sein, dass schon die bloße Legung einer Teilrechnung (ohne ordnungsgemäße Erbringung der darin verrechneten Leistungen) eine Verminderung der Garantie bewirken solle. Die Regelung betreffe ausschließlich das Valutaverhältnis und räume der Werkunternehmerin das Recht ein, nach Maßgabe gelegter Teilrechnungen „bei der Garantin die Einschränkung der Garantie zu erwirken“. Dass die Werkunternehmerin von diesem Recht Gebrauch gemacht hätte, sei nicht festgestellt. Ebenso wenig stehe fest, in welchem Umfang die Werkunternehmerin berechtigt gewesen wäre, auf eine Einschränkung der Garantieerklärung der Beklagten hinzuwirken. Damit gehe auch der Einwand, die Klägerin habe die Garantie teilweise rechtsmissbräuchlich abgerufen, ins Leere.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.

Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin bestehen allerdings keine Bedenken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin liege nicht schon darin, dass ihr bewusst gewesen sei, werkvertragliche Ansprüche allein gegen die KG, nicht aber auch gegenüber der Nebenintervenientin zu haben. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, es sei keineswegs abwegig anzunehmen, die Nebenintervenientin habe als Muttergesellschaft und ursprüngliche Verhandlungspartnerin der Klägerin letztlich die im Werkvertrag verlangte Erfüllungsgarantie zu Gunsten ihrer Tochtergesellschaft bei der Beklagten in Auftrag gegeben. Es bestand ja für die Klägerin auch kein Anlass dafür, der Nebenintervenientin oder der KG zu unterstellen, diese habe von der Beklagten eine Garantieerklärung verlangt und anschließend der Klägerin übermittelt, die von vornherein zur Sicherstellung völlig ungeeignet wäre, weil darin zwar die mit der Erfüllungsgarantie zu besichernden Werkleistungen eindeutig und richtig bezeichnet wurden, nicht aber die Person des zu diesen Leistungen verpflichteten Werkunternehmers. Ganz richtig hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass der wesentliche Inhalt einer derartigen Erfüllungsgarantie die eindeutige Bezugnahme auf die zu sichernden Werkleistungen ist, welche die Garantieerklärung der Beklagten in unmissverständlicher Weise enthält. Wenn die Vertreter der Klägerin nun zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie der Auffassung waren, die Klägerin sei berechtigt, die Garantie wegen nicht vollständiger Erfüllung der Sanitärinstallationsarbeiten durch die KG in Anspruch zu nehmen, kann dieser kein Rechtsmissbrauch im Sinne einer evident unberechtigten Verfolgung von Ansprüchen vorgeworfen werden.

Die Beklagte kann auch nicht einwenden, eine Garantieerklärung sei streng nach ihrem Wortlaut auszulegen und decke im konkreten Fall lediglich allfällige Erfüllungsansprüche gegenüber der Nebenintervenientin. Auch bei der Auslegung einer Garantieerklärung ist der allgemeine Auslegungsgrundsatz zu beachten, dass eine Erklärung nicht so ausgelegt werden darf, dass sie überhaupt keinen vernünftigen Sinn ergibt. Dies wäre aber hier der Fall, ist es doch angesichts der Vertragslage ausgeschlossen, dass Erfüllungsansprüche im Bezug auf die genannten Sanitärinstallationsarbeiten gegenüber der Nebenintervenientin bestehen können. Vernünftigerweise kann die Garantieerklärung nur so ausgelegt werden, dass die von der Nebenintervenientin in Auftrag gegebene Garantie die Erfüllung der Vertragspflichten des zu diesem Zeitpunkt vertraglich gebundenen Werkunternehmers sichern, mag dies nun die Nebenintervenientin selbst, deren „Rechtsnachfolger“ oder eine Tochtergesellschaft sein. Es ist auch nicht zu erkennen, welches schutzwürdige Interesse der Beklagten daran zuzubilligen sein sollte, sich auf die auf ihre eigene Formulierung zurückgehende Unklarheit berufen zu können, insbesondere wenn diese dazu führen sollte, dass die abgegebene Garantieerklärung von vornherein völlig wertlos und damit gleichzeitig geeignet wäre, Vermögensnachteile bei der darauf vertrauenden Begünstigten zu verursachen. Muss die Beklagte aufgrund der abgegebenen Garantie Zahlung leisten, steht ihr regelmäßig ohnehin ein entsprechender Ersatz gegen den Garantieauftraggeber zu, über dessen Person sie hier ohnehin nicht im Unklaren war. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Geschäftsführerin der Nebenintervenientin die Garantieerklärung der Beklagten übernommen und an die Klägerin weitergeleitet hat, womit sie unwidersprochen zur Kenntnis genommen hat, dass die Beklagte die Nebenintervenientin als Garantieauftraggeberin ansieht.

Schwer verständlich sind die Vorwürfe der Revisionswerberin, das Berufungsgericht habe in Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ergänzende Feststellungen aus Urkunden getroffen und Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung abgeändert. Abgesehen davon, dass in der Revision nicht näher dargelegt wird, um welche konkreten vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen es dabei gehen soll, legt die Beklagte auch nicht dar, inwieweit sich die ihrer Ansicht nach unterlassene Beweiswiederholung bzw Erörterung zu ihren Ungunsten ausgewirkt hätte und inwiefern das Berufungsgericht zu anderen Tatsachengrundlagen gelangt wäre, wenn es in anderer Weise vorgegangen wäre. Darüber hinaus entspricht es der herrschenden Judikatur, dass es einem Rechtsmittelgericht nicht verwehrt ist, ergänzende Feststellungen aus unstrittigen (Vertrags-)Urkunden zu treffen, wenn die Feststellungen des Erstgerichts insoweit unvollständig waren (vgl nur RIS-Justiz RS0121557). Auch die übrigen von der Revisionswerberin behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Zu Recht wendet sich die Revisionswerberin allerdings gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei ungeachtet der von der KG gelegten (und zum Teil sogar bereits bezahlten) Teilrechnungen weiterhin berechtigt gewesen, den vollen Garantiebetrag in Anspruch zu nehmen. Schon das Erstgericht hat richtig erkannt, dass es als Rechtsmissbrauch zu qualifizieren ist, wenn der Garantiebegünstigte den vollen Garantiebetrag in Anspruch nimmt, obwohl ihm bewusst ist, dass ihm dieser nur in geringerer Höhe zusteht. Nach Punkt 8 des Werkvertrags sollte die Vertragserfüllungsgarantie ursprünglich 20 % der Bruttoauftragssumme, also dem Klagebetrag, entsprechen, sich allerdings bei jeder Teilrechnung entsprechend vermindern. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend ausgeführt, dass es nicht auf die bloß formale Tatsache des Erstellens einer Teilrechnung ankommen kann, sondern dass die Klausel vernünftigerweise nur so verstanden werden kann, dass damit auf den Wert der in den Teilrechnungen ausgewiesenen tatsächlich erbrachten Teilleistungen abgestellt werden soll, doch ist im vorliegenden Fall - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - evident, dass derartige Teilleistungen erbracht worden sind, hätte doch die Klägerin sonst keine Zahlung geleistet. Soweit nun die KG (vor Konkurseröffnung) vertragsgemäße Leistungen erbracht und mit Teilrechnungen abgerechnet hat, führte dies aufgrund der erwähnten Vertragsbestimmung zu einer entsprechenden Reduktion der vereinbarten Sicherstellungspflicht. Den Vertretern der Klägerin musste unzweifelhaft klar sein, dass sie vertraglich nur berechtigt ist, einen dementsprechend reduzierten Betrag - zu Lasten der Garantieauftraggeberin - in Anspruch zu nehmen. Haben sie dies dennoch im vollen Umfang getan, lag Rechtsmissbrauch vor, gegen den sich die Beklagte durch entsprechende Zahlungsverweigerung zur Wehr setzen kann. Die Revisionsgegnerin kann sich nicht darauf berufen, von den mit dem Garantieabruf betrauten Mitarbeitern sei einer nicht rechtskundig und der andere über den Inhalt des Werkvertrags nicht informiert gewesen. Davon, dass die erwähnte Vertragsklausel der Werkunternehmerin nur das Recht eingeräumt hätte, nach Maßgabe gelegter Teilrechnungen bei der Garantin die Einschränkung der Garantie zu erwirken, kann weder nach dem Wortlaut noch nach dem Zweck der Sicherungsabrede die Rede sein.

Es wird daher im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern sein, welcher Teil der Werkleistung der KG zum Zeitpunkt des Garantieabrufs bereits erbracht und in Rechnung gestellt worden war. Soweit für die Vertreter der Klägerin unter Berücksichtigung der noch zu klärenden Umstände offensichtlich war, dass sich die „Garantiesumme“ gegenüber dem Ausgangsbetrag mit Sicherheit bereits reduziert hat, ist das Klagebegehren wegen rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Garantie abzuweisen und nur im verbleibenden Teilbetrag berechtigt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E96675

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00012.11P.0223.000

Im RIS seit

04.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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