Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** W*****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 82.330,26 EUR sA (Revisionsinteresse: 43.900,53 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Oktober 2010, GZ 9 Ra 129/10x-18, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Text
Begründung:
Die Parteien schlossen im November 2003 eine Altersteilzeitvereinbarung ab, nach der die wöchentliche Normalarbeitszeit des Klägers im Durchrechnungszeitraum 1. 12. 2003 bis 31. 3. 2012 bei einer Vollarbeitsphase bis 31. 1. 2008 und einer Freizeitphase vom 1. 2. 2008 bis 31. 3. 2012 um 50 % verringert wurde. Das Entgelt des Klägers sollte 75 % des vorher bezogenen Bruttoentgelts inklusive Zulagen betragen, was der durchschnittlich im Anspruchszeitraum vereinbarten Normalarbeitszeit zuzüglich der Hälfte der Differenz auf die Vollarbeitszeit (Lohnausgleich) entsprach. Die Parteien gingen davon aus, dass der Kläger mit Ablauf der Altersteilzeit seine gesetzliche Pension in Anspruch nehmen werde.
Nach Einführung einer Neuregelung für Langzeitarbeitsversicherte („Hacklerregelung“) informierte der Kläger im Sommer 2007 die Beklagte, mit Vollendung des 60. Lebensjahres (6. 8. 2008) in die abschlagsfreie vorzeitige Alterspension gehen und daher die Altersteilzeitvereinbarung auflösen zu wollen. Der Bereichsleiter der Beklagten, die auf den Abbau des Zeitguthabens des Klägers Wert legte, forderte ihn auf, seine Freizeitphase gleich anzutreten. Der Kläger erklärte, dass er bis zu Beginn der Freizeitphase nicht viele Stunden abbauen könne. Er hatte zum einen noch ein großes Urlaubs- und Überstundenguthaben. Zum anderen bestand sein Bereichsleiter darauf, dass er noch ein drittes Ausbildungsmodul beende, was im September 2007 der Fall war. Weitere Überlegungen der Personalabteilung der Beklagten, wie die Altersteilzeit des Klägers mit seinem Pensionswunsch in Einklang gebracht werden könne, sowie Gespräche zwischen dem Kläger und seinem Bereichsleiter blieben erfolglos. Der Kläger lehnte den Vorschlag der Beklagten, die Altersteilzeitvereinbarung gänzlich im Sinne einer Rückabwicklung aufzulösen, ab, wobei ihm die Abgeltung, die sich aus der Nachzahlung der Gehaltsdifferenz seit 1. 1. 2003 ergeben hätte, nie konkret und ziffernmäßig angeboten wurde. Im September 2007 wurde dem Kläger schließlich das Angebot unterbreitet, die Altersteilzeitvereinbarung mit 30. 9. 2007 zu beenden und die vorzeitige Alterspension per 31. 8. 2008 in Anspruch zu nehmen. Bis dahin sollte das in der Vollarbeitsphase erwirtschaftete Zeitguthaben abgebaut und bei Beendigung das noch verbleibende Zeitguthaben ausbezahlt werden, wofür ein Betrag von 137.000 EUR im Gespräch war. Der Kläger schlug das Angebot aus, weil eine auf Altersteilzeitfragen spezialisierte Mitarbeiterin der Beklagten die Abgeltung des Zeitguthabens - unter Berücksichtigung des Zuschlags gemäß § 19e Abs 2 AZG und eines unter Einbeziehung des Lohnausgleichs erhöhten Stundenersatzes - mit einem Betrag von 240.000 EUR errechnet hatte und er „nicht auf rund 100.000 EUR verzichten“ wollte. Mit Oktober 2007 stellte er seine Arbeitsleistung ein, verbrauchte bis 31. 1. 2008 in Abstimmung mit der Personalleitung der Beklagten den offenen Urlaub und seine Gleitzeitgutstunden. Im November 2008 kündigte er per 31. 12. 2008 das Dienstverhältnis auf und trat mit 1. 1. 2009 die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer an.
Rechtliche Beurteilung
Zu der noch revisionsgegenständlichen Frage der Berechtigung des vom Kläger für seine Mehrstunden eingeforderten Zuschlags nach § 19e Abs 2 AZG, der nach dieser Bestimmung im Fall eines vorzeitigen unberechtigten Austritts entfällt, wurde bereits in der Entscheidung 8 ObA 30/08g in Auseinandersetzung mit der Vorjudikatur (insbesondere 9 ObA 96/04i) und Stimmen der Literatur (Heilegger/Schwarz in Cerny/Heilegger/Klein/Schwarz, Arbeitszeitgesetz [2008] Erl 1 zu §§ 19e und 19f AZG) ausgeführt, dass sich sowohl aus den Regelungen des § 27 AlVG als auch des § 19e AZG vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Altersteilzeit ergibt, dass eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zur Beendigung des Durchrechnungszeitraums gefördert werden soll. Auch eine Aufkündbarkeit des Dienstverhältnisses durch den Arbeitnehmer ändert - selbst bei geänderten Möglichkeiten des Pensionsantritts - nichts an den im Hinblick auf die gemeinsame Verfolgung der wechselseitigen Interessen im Rahmen der Altersteilzeit bestehenden Fürsorge- und Treuepflichten. Diese wurden dahin konkretisiert, dass im Hinblick auf den von den Vertragsparteien verfolgten Zweck der Erlangung von Altersteilzeitgeld nach § 27 AlVG auch auf die gesetzlichen Vorgaben in dieser Bestimmung Bedacht zu nehmen ist und der Arbeitnehmer vorweg mit dem Arbeitgeber zu versuchen hat, diesen Vorgaben weiter zu entsprechen. Dazu ist eine Abänderung des Vertragsverhältnisses zu verhandeln, bei der das Kündigungsrecht so ausgeübt werden kann, dass die Vorgaben des § 27 AlVG erfüllt sind, also die bereits angefallenen Arbeitszeitguthaben verbraucht werden können, sodass insgesamt bezogen auf den sich dann ergebenden Durchrechnungszeitraum noch die Grenzen der Altersteilzeit eingehalten werden.
Treten danach der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in solche Verhandlungen, reicht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers somit nur so weit, dass er dem Arbeitnehmer eine Beendigung des Dienstverhältnisses zu einem Zeitpunkt zu ermöglichen hat, der noch die Einhaltung der Voraussetzungen des § 27 AlVG erlaubt. Da eine Kündigung des Dienstverhältnisses durch den Arbeitnehmer vor diesem Zeitpunkt das „Funktionieren“ der Altersteilzeitvereinbarung zu Fall bringt, ist in einer solchen Kündigung ein Verstoß gegen die Treuepflicht zu sehen.
Wie bereits zu 8 ObA 30/08g ausgesprochen wurde, ändert daran auch der Umstand nichts, dass die Voraussetzungen des § 27 AlVG nach Abschluss der Arbeitsphase regelmäßig nur durch Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses eingehalten werden können und eine Kündigung des Arbeitnehmers vor dessen Ende als treuwidrig ausscheidet. In gleicher Weise hat dies aber auch zu gelten, wenn bereits in der Arbeitsphase eine solche Vereinbarung nicht mehr abgeschlossen werden kann, weil eine „Vorverlegung“ des Mehrstundenabbaus nicht mehr möglich ist.
In der Literatur hat Felten (Altersteilzeitvereinbarung: Zuschlag für Zeitguthaben bei Arbeitnehmerkündigung, DRdA 2010, 143) der Erstreckung der Ausnahmebestimmung des § 19e Abs 2 AZG bei Altersteilzeitvereinbarungen auf Arbeitnehmerkündigungen, die keine Deckung in der Altersteilzeitvereinbarung finden, grundsätzlich zugestimmt. Seine Erwägung, dass eine Arbeitnehmerkündigung zum Übertritt in die Alterspension aber nicht als zweckentfremdende Beendigung der Vereinbarung zu sehen sei, weil sie einen nahtlosen Übergang in die gesetzliche Pension ermöglichen solle und für den Arbeitnehmer dann kein Grund mehr zur Bindung an die Altersteilzeit bestehe, berücksichtigt allerdings den Parteiwillen, mit dem Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung den Vorgaben des § 27 AlVG zu entsprechen, nicht ausreichend.
Kulmer (Vorzeitige Beendigung der Altersteilzeit im Blockzeitmodell, RdW 2009, 210) zufolge könnte die Treuwidrigkeit der Kündigung danach beurteilt werden, ob „betriebliche“, dem Arbeitgeber zuzurechnende oder „persönliche“, dem Arbeitnehmer zuzurechnende Gründe zum Ausschluss des Zeitverbrauchs geführt haben.
Eben auf diese Rechtsprechung und Literatur hat das Berufungsgericht ausdrücklich Bezug genommen und ist von den Wertungen der Entscheidung 8 ObA 30/08g nicht abgewichen, wenn es das Verhalten des Klägers hier im Ergebnis als treuwidrige Verhinderung des Verbrauchs seines Zeitguthabens beurteilte. Zwar steht dabei das vom Berufungsgericht angeführte Argument, dass der Kläger ein zumutbares Angebot der Beklagten nicht angenommen habe, nicht im Vordergrund, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen seiner Fürsorgepflicht nur - sofern möglich - die zeitliche Abänderung des Altersteilzeitmodells im dargelegten Umfang anzubieten hat. Eine solche scheiterte im vorliegenden Fall aber daran, dass der Kläger im Sommer 2007 den Vorschlag der Beklagten, sogleich die Freizeitphase anzutreten, ablehnte, weil er bis zum Beginn der Freizeitphase - neben der Durchführung einer Schulung - noch Urlaub konsumierte und Überstunden abbaute. Eine Abänderung der Teilzeitvereinbarung, die dem Kläger eine den Vorgaben des § 27 AlVG konforme Kündigung ermöglicht hätte, kam damit nicht mehr in Betracht. Mit seiner dennoch erklärten Kündigung konnte der Kläger daher den Mehrstundenzuschlag nach § 19e Abs 2 AZG nicht wahren.
Das Revisionsvorbringen des Klägers, Gegenstand des Angebots der Beklagten sei eine Rückabwicklung der Altersteilzeitvereinbarung mit für ihn ungewissen Folgen, etwa bezüglich der Rückforderung der Zuschüsse des AMS, gewesen, verkürzt den festgestellten Sachverhalt.
Sein weiteres Vorbringen, dass er die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer nicht schon per 31. 8. 2008, sondern erst per 1. 1. 2009 in Anspruch genommen und damit das offene Zeitguthaben in diesem Ausmaß weiter verringert habe, vermag nichts daran zu ändern, dass er mit der Kündigung des Dienstverhältnisses einseitig und, wie dargelegt, treuwidrig auch die Altersteilzeitvereinbarung zu Fall brachte.
Eine der Korrektur bedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts liegt damit nicht vor.
Schlagworte
ArbeitsrechtTextnummer
E96549European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:009OBA00127.10G.0228.000Im RIS seit
18.03.2011Zuletzt aktualisiert am
30.07.2012