Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei O*****, vertreten durch Mag. Christine Schneider, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 46 Cgs 71/05w des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2010, GZ 23 Rs 41/10s-12, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Revisionswerberin vertritt die Auffassung, die Wiederaufnahme eines Verfahrens solle auch dazu dienen, den Gleichklang von Entscheidungen herzustellen. Abweichend vom Ergebnis des Hauptverfahrens 46 Cgs 71/05w des Erstgerichts sei das Bezirksgericht Landeck im Folgeprozess 2 C 1372/06k zu dem Ergebnis gelangt, dass ihre verfahrensgegenständlichen Verletzungen und Beschwerden zweifellos auf einen von ihr während ihrer Beschäftigung bei H***** K***** erlittenen Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Während die Einvernahme der wichtigen Zeugen im Hauptverfahren im Rechtshilfeweg beim Bezirksgericht Landeck erfolgt sei, habe sich der spätere Verhandlungsrichter des Bezirksgerichts Landeck bei diesen Einvernahmen im Rechtshilfeweg bereits einen unmittelbaren Eindruck von den vernommenen Zeugen verschaffen können. Zwischen dem im Hauptverfahren von der Klägerin gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt erhobenen Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls und dem von der Klägerin im Verfahren 2 C 1372/06k gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin erhobenen Begehren auf Schadenersatz bestehe ein so enger inhaltlicher Zusammenhang, dass die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine unterschiedliche Beantwortung derselben in beiden Verfahren zu entscheidenden Frage, ob ihre Verletzungen und Beschwerden auf einen von ihr im Zuge ihrer Beschäftigung bei H***** K***** erlittenen Arbeitsunfall zurückzuführen seien, nicht gestatteten. Die Vorinstanzen hätten sich über die „Sonderfall-Judikaturlinie“ des Obersten Gerichtshofs hinweggesetzt, die neben der unmittelbaren Rechtskraftwirkung eine inhaltliche Bindungswirkung des Vorprozesses für den Folgeprozess annehme.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionswerberin vermengt bei ihren Ausführungen zwei Fragen, die voneinander zu trennen sind; nämlich die Frage, ob Ergebnisse eines Verfahrens für ein Folgeverfahren bindend sind, und die Frage, ob ein Verfahren wiederaufgenommen werden kann, weil in einem anderen Verfahren abweichend entschieden wurde. Die erste Frage betrifft die Bindungswirkung; diese wird aus der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung (§ 411 ZPO) abgeleitet und hindert den Richter des Folgeprozesses, die im Vorprozess zwischen denselben Parteien - als Hauptfrage - rechtskräftig entschiedene Vorfrage selbständig zu beurteilen (Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 411 Rz 3). Die zweite Frage betrifft den Anwendungsbereich des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, dessen Zweck es ist, der materiellen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen (4 Ob 114/99i).
Die Bindungswirkung einer Entscheidung bestimmt sich nach den objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft. Die Wirkungen der materiellen Rechtskraft erfassen die Prozessparteien, deren Rechtsnachfolger und bestimmte andere Personen, auf die ein Gesetz die Entscheidungswirkungen erstreckt (4 Ob 114/99i mwN). Der von der Revisionswerberin vertretenen Meinung einer Bindungswirkung der Ergebnisse des Verfahrens 2 C 1372/06k des Bezirksgerichts Landeck für das gegenständliche Hauptverfahren steht entgegen, dass die Klägerin zuerst die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt im gegenständlichen Hauptverfahren und erst später ihre ehemalige Arbeitgeberin im Verfahren vor dem Bezirksgericht Landeck geklagt hat. Aber selbst wenn die Klägerin zuerst ihre ehemalige Arbeitgeberin geklagt hätte, wäre das Ergebnis dieses Verfahrens für den Folgeprozess der Klägerin gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt schon allein deshalb nicht bindend gewesen, weil die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in diesem Fall am ersten Prozess nicht beteiligt gewesen wäre (4 Ob 114/99i).
Die Revisionswerberin kann sich demnach nicht mit Erfolg darauf berufen, mit der Wiederaufnahmsklage einer Bindungswirkung zum Durchbruch verhelfen zu wollen. Sie will vielmehr erreichen, dass eine auf einer für sie ungünstigen Beweiswürdigung beruhende Entscheidung beseitigt wird, weil in einem anderen Verfahren die Beweise anders gewürdigt wurden. Damit wird aber kein Wiederaufnahmsgrund iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO verwirklicht (4 Ob 114/99i; 6 Ob 1647/94 ua).
Wird mit der Wiederaufnahmsklage eine Änderung der Beweiswürdigung angestrebt und sind die Vorinstanzen im Rahmen einer eingeschränkten Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, die „neuen“ Beweismittel seien nicht geeignet, eine Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen, liegt ein Akt der Beweiswürdigung vor, der im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden kann (1 Ob 197/09s; 3 Ob 312/05m mwN ua; RIS-Justiz RS0044510 [T7 und T13]). Ob das Ergebnis dieser Beweiswürdigung richtig ist, kann vom Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden.
Die Revision ist daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Schlagworte
12 Sozialrechtssachen,Textnummer
E96781European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00014.11Y.0301.000Im RIS seit
12.04.2011Zuletzt aktualisiert am
24.01.2013