Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj D*****, geb. am 9. März 2001, vertreten durch die Mutter J*****, beide *****, diese vertreten durch Dr. Ewald Wirleitner, Mag. Claudia Oberlindober, Dr. Hubert Niedermayr und Mag. Harald Gursch, Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagte Partei Land Oberösterreich, 4021 Linz, Bahnhofplatz 1, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. September 2010, GZ 11 Rs 117/10w-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. Mai 2010, GZ 24 Cgs 44/10g-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 9. 3. 2001 geborene Kläger bezieht seit März 2007 Pflegegeld der Stufe 2.
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 16. 12. 2009 wurde sein Antrag vom 20. 7. 2009 auf Gewährung des Pflegegelds der Stufe 3 abgelehnt.
Das Erstgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Klage ab.
Nach den Feststellungen des Erstgerichts leidet der Kläger an einer schweren Intelligenzminderung mit mäßiggradigem psychomotorischen Entwicklungsrückstand. Er ist nur sehr eingeschränkt lernfähig. Es ist davon auszugehen, dass er als Erwachsener ein Intelligenzalter von drei bis fünf Jahren erreicht, was einer schweren geistigen Behinderung entspricht. Es besteht ein gutes Seh- und Hörvermögen. Auch körperlich ist der Kläger recht gut entwickelt. Er ist eigenständig mobil, gut und sicher gehfähig und kann alle Transfers und Lagewechsel durchführen. Lediglich die Feinmotorik, Koordination und das Gleichgewicht ist eingeschränkt (der Kläger kann nicht länger auf einem Bein stehen und nicht frei Radfahren). Er ist ein sehr freundlicher, kooperativer und aufgeweckter Bub, der gut im Familienverband integriert ist und liebevoll und bestmöglich gefördert wird. Schwere Verhaltensauffälligkeiten können nicht festgestellt werden. Er besuchte im Schuljahr 2009/2010 die zweite Klasse der öffentlichen Volksschule (Sonderschule) und wird nach dem Lehrplan für Schwerstbehinderte unterrichtet. Er kann bis 20 zählen, aber nicht rechnen und bisher weder schreiben noch lesen. Er kann nicht gegenständlich zeichnen; er erkennt Farben, hat aber Schwierigkeiten, Farben bestimmten Gegenständen zuzuordnen. Geld erkennt er nicht; er kann nicht mit dem Handy umgehen. Er benötigt Hilfe beim An- und Auskleiden und bei allen Teilschritten der täglichen gründlichen Körperpflege. Er kann eigenständig vorbereitete, mundgerecht hergerichtete Speisen essen und selbstständig trinken. Aufgrund seiner eingeschränkten Feinmotorik neigt er aber dazu, vermehrt zu patzen, sodass im Vergleich zu einem gesunden Gleichaltrigen ein geringer Mehraufwand anzunehmen ist. Bei der Verrichtung der Notdurft und der Reinigung danach sowie bei allfälligem Einnässen benötigt er Hilfe. Der Schultransport erfolgt aus öffentlicher Hand. Der Kläger wird von der Haustür abgeholt und wieder dorthin zurückgebracht. Er ist jedoch nicht in der Lage das Haus allein zu verlassen und vor der Haustür auf den Bus zu warten, sodass für die erforderliche Begleitung ein zeitlicher Aufwand von 2 x 5 Minuten täglich an Schultagen anzunehmen ist. Er absolviert verschiedene Therapien im Krankenhaus und bei der Gebietskrankenkasse in Steyr, wohin er mit dem Auto gebracht werden muss. Der Kläger fühlt sich in der gewohnten Umgebung sicher, reagiert aber in für ihn neuen Situationen ängstlich und überfordert. Er kann daher praktisch nicht allein gelassen werden. Die Nächte verbringt er im Zimmer der Schwester oder der Eltern. Wenn er wach wird, will er jemand um sich wissen, andernfalls reagiert er ängstlich und ruft nach der Mutter. Nach Kontaktaufnahme beruhigt er sich rasch wieder und schläft weiter. Er wird jede Nacht einmal wach; die Zuwendung, um wieder weiterschlafen zu können, ist mit einem Zeitaufwand von 15 Minuten täglich zu veranschlagen. Auch beim Spielen im Garten und beim Aussteigen aus dem Schulbus möchte er die Mutter sehen.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass der Pflegebedarf für die genannten Verrichtungen 66 bis 81 Stunden monatlich betrage. Pflegeerschwerende Faktoren, die den Zuspruch eines Erschwerniszuschlags nach § 4 Abs 3 zweiter und dritter Satz Oö.PGG in der Fassung LGBl 2009/37 rechtfertigen könnten, seien nur dann anzunehmen, wenn beeinträchtigungsbedingt zumindest zwei schwere Funktionsstörungen vorlägen; dem gleichzuhalten sei eine schwere Funktionsstörung, die in ihren Auswirkungen der erheblich erschwerenden Pflegesituation zweier schwerer Funktionseinschränkungen gleichzuhalten sei. Beim Kläger bestehe zwar eine schwere geistige Behinderung, schwere Ausfälle im Sinnesbereich oder schwere körperliche Funktionseinschränkungen lägen nicht vor; ebenso nicht eine schwere Verhaltensauffälligkeit (wie etwa massiver Antriebsverlust, massive Rückzugstendenzen oder aggressives Verhalten, Getriebensein, Kontrollverlust, hohes Potential an Eigen- oder Fremdgefährdung). Die Ängstlichkeit des Klägers und der Umstand, dass er praktisch nicht allein gelassen werden könne sei einer solchen schweren Verhaltensauffälligkeit nicht gleichzusetzen, zumal er immerhin in der Lage sei, die Schule zu besuchen und den Schultransport mit dem Bus zu akzeptieren.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen eines Verfahrensmangels wegen Abweisung eines Antrags auf Einholung eines kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachtens. Pflegeerschwerende Faktoren, die einen Mehraufwand der gesamten Pflegesituation bedingten, seien nicht zu erkennen. Auch die vermehrte Ängstlichkeit des Klägers stelle keine die Pflegesituation evident erschwerende Verhaltensauffälligkeit dar; ihre Auswirkungen auf die Pflegesituation seien nicht mit jenen vergleichbar, die etwa bei einem massiven Antriebsverlust, massiven Rückzugstendenzen oder bei aggressivem Verhalten gegeben wäre. Dass die beim Kläger vorliegende geistige Behinderung als solche in ihren spezifischen Auswirkungen der erheblich erschwerenden Pflegesituation zweier schwerer Funktionseinschränkungen gleichzuhalten sei, werde in der Berufung nicht behauptet. Eine zusätzliche Berücksichtigung des Erschwerniszuschlags zum festgestellten monatlichen Pflegebedarf komme nicht in Betracht.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Voraussetzungen für die Gewährung eines Erschwerniszuschlags iSd § 4 Abs 3 und 4 des Oö.PGG bzw zum beinahe wortgleichen § 4 Abs 3 und 4 BPGG zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen - zusammengefasst - geltend, die Voraussetzungen für die Gewährung des Erschwerniszuschlags lägen im Hinblick darauf vor, dass er niemals alleine gelassen werden könne. Durch die schwere geistige Behinderung in Verbindung mit der vermehrten Ängstlichkeit und Personenfixiertheit sei von einer schweren Funktionsstörung auszugehen. Da er ständig betreut werde, könne die Familie keine Angaben darüber machen, welche Reaktion entstünde, wenn die Betreuung einmal nicht gegeben sein sollte. Die Beantwortung dieser Frage wäre allein einem Sachverständigen für Kinder- und Jugendpsychiatrie möglich gewesen. Dennoch habe das Berufungsgericht den Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge Abweisung des Antrags auf Einholung eines kinder- und jugendpsychiatrischen Gutachtens als nicht verwirklicht angesehen, weshalb dem zweitinstanzlichen Urteil ein Rechtsfehler anhafte.
Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegen zu halten:
1. Beim Kläger besteht unstrittig ein Pflegebedarf der Stufe 2. Strittig ist allein die Frage, ob bei der Bemessung des Pflegebedarfs auch der pauschale Erschwerniszuschlag für schwerst behinderte Kinder und Jugendliche ab dem vollendeten 7. bis zum vollendeten 15. Lebensjahr iSd § 4 Abs 3 und 4 Oö.PGG idF der Oö. Pflegegeldgesetz-Novelle 2009 LGBl I 2009/37 zu berücksichtigen ist.
2. Nach § 4 Abs 3 Öo.PGG idF LGBl I 2009/37 (sowie dem gleichlautenden § 4 Abs 3 des Bundespflegegeldgesetzes [BPGG] idF BGBl I 2008/128) ist bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kinder und Jugendlichen bis zum vollendeten 15. Lebensjahr nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen hinausgeht. Hiebei ist auf die besondere Intensität der Pflege bei schwerst beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 7. Lebensjahr bzw bis zum vollendeten 15. Lebensjahr Bedacht zu nehmen. Um den erweiterten Pflegebedarf schwerst beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher zu erfassen, ist abgestimmt nach dem Lebensalter ein Pauschalwert hinzuzurechnen, der den Mehraufwand für die pflegeerschwerenden Faktoren der gesamten Pflegesituation pauschal abzugelten hat (Erschwerniszuschlag). Nach § 4 Abs 4 Öo.PGG liegen pflegeerschwerende Faktoren gemäß Abs 3 vor, wenn beeinträchtigungsbedingt zumindest zwei schwere Funktionseinschränkungen vorliegen. Dem gleichzuhalten ist eine schwere Funktionsstörung, die in ihren Auswirkungen der erheblich erschwerenden Pflegesituation zweier schwerer Funktionseinschränkungen gleichzuhalten ist. Solche Funktionseinschränkungen sind insbesondere schwere Ausfälle im Sinnesbereich, schwere geistige Entwicklungsstörungen, schwere Verhaltensauffälligkeiten oder schwere körperliche Funktionseinschränkungen. In § 4 Abs 4 des Bundespflegegeldgesetezs (BPGG) findet sich der Satz „Dem gleichzuhalten ist eine schwere Funktionsstörung, die in ihren Auswirkungen der erheblich erschwerenden Pflegesituation zweier schwerer Funktionseinschränkungen gleich zu halten ist“ nicht; ansonsten lautet § 4 Abs 4 BPGG im Wesentlichen gleich wie § 4 Abs 4 des Oö.PGG.
3. Gemäß Art II Abs 1 der Oö. Pflegegeldgesetz-Novelle 2009 LGBl 2009/37 ist dann, wenn PflegegeldbezieherInnen nach diesem Landesgesetz bis 31. Juli 2009 einen Antrag auf Erhöhung des Pflegegelds einbringen und die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 oder 5 vorliegen, das höhere Pflegegeld ab 1. Jänner 2009 unter der Annahme ohne weitere Prüfung zu leisten, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 oder 5 auch schon zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben.
4. In der Entscheidung 10 ObS 99/10x (ARD 6084/9/2010 = infas 2011, 26 f) wurde bereits zu Erschwerniszuschlägen grundsätzlich Stellung genommen. Zu § 4 Abs 5 und 6 BPGG idF des BGBl I 2008/128 (für Personen ab dem vollendeten 15. Lebensjahr mit einer schweren geistigen oder psychischen Behinderung) wurde ausgeführt, dass es nach der Intention des Gesetzgebers nicht um eine Graduierung der Schwere der jeweiligen Behinderung im Sinn einer diagnosebezogenen Betrachtungsweise gehe, sondern um die Berücksichtigung des Mehraufwands der aus dieser Behinderung erfließenden pflegeerschwerenden Faktoren. Wesentlich für die Berücksichtigung seien deren Auswirkungen auf die Pflegesituation; diese funktionsbezogene Betrachtungsweise entspreche dem grundsätzlichen Konzept des derzeitigen Pflegegeldeinstufungssystems. Es solle durch den Erschwerniszuschlag auf jene pflegeerschwerenden Faktoren Bedacht genommen werden, die bisher noch keine Berücksichtigung fanden.
5. Zur Definition der Schwerstbeeinträchtigung iSd Abs 3 ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zum Oö.PGG (BlgOöLT 1768/2009, XXVI. GP. Besonderer Teil Art I zu § 4 Abs 3 bis 7), dass beeinträchtigungsbedingt zumindest zwei schwere Funktionseinschränkungen vorliegen müssen, die in ihrem Zusammenwirken die Pflegesituation aufgrund ihrer Auswirkungen gesamtheitlich betrachtet erheblich erschweren. Dem gleichzuhalten sei eine schwere Funktionsstörung, die in ihren Auswirkungen der erheblich erschwerenden Pflegesituation zweier schwerer Funktionseinschränkungen gleichzuhalten sei. Diesem Mehraufwand der Pflege solle durch die vorgeschlagene neue zusätzliche Betreuungsmaßnahme Rechnung getragen werden. Bei der Gruppe pflegebedürftiger Kinder und Jugendlicher mit überproportionalem Pflegebedarf liege in der Regel neben sonstigen schweren Defiziten eine beträchtliche Verhaltensstörung vor. Diese könne sich durch massiven Antriebsverlust, massive Rückzugstendenz oder durch aggressives Verhalten, Getriebensein, Kontrollverlust und hohes Potential an Eigen- und Fremdgefährdung äußern.
In den Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl I 2008/128 des Bundespflegegeldgesetzes (Erläuternde Bemerkungen zur RV 677 BlgNR XXIII. GP 7 f) wird als Beispiel für zwei schwere Funktionseinschränkungen, die in ihrem Zusammenwirken die Pflegesituation aufgrund ihrer Auswirkungen gesamtheitlich betrachtet erheblich erschweren, Blindheit sowie eine zusätzliche schwere geistige Behinderung genannt. In den Gesetzesmaterialien wird dazu näher ausgeführt, dass die Blindheit in Kombination mit den Auswirkungen der schweren geistigen Behinderung eine zusätzliche besondere Betreuung erfordere. Die eingeschränkte Wahrnehmung der Umwelt in Kombination mit der ausgeprägten Einschränkung geistiger Fähigkeiten führe zu unkontrollierten, nicht kontrollierbaren Ängsten, Desorientierung oder auch resignativem sozialem Rückzug. In der Folge sei mit nicht abschätzbaren Reaktionen des schwerst behinderten Kindes zu rechnen. Hilfestellung bei den einzelnen Betreuungsmaßnahmen wie zB bei der Einnahme von Mahlzeiten oder beim An- und Auskleiden alleine decke diesen besonderen Bedarf nicht ab.
6. Zum vom Oö.PGG geregelten Fall einer (einzigen) schweren Funktionsstörung, die in ihren Auswirkungen der erheblich erschwerenden Pflegesituation zweier schwerer Funktionseinschränkungen gleich zuhalten ist, findet sich eine Stellungnahme in der Literatur. Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld2 Rz 655 führen aus, schon die verfassungskonforme Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfordere die Berücksichtigung auch nur einer einzigen schweren Funktionsbeeinträchtigung, wenn dieser zu vergleichbaren besonders intensiven Pflegeerfordernissen führe, die bei der sonstigen funktionsbezogenen Einstufung keine Berücksichtigung finden könnten. Hiebei sei aber in Anbetracht der vom Gesetzgeber in § 4 Abs 4 BPGG vorgenommenen Wertung ein strenger Maßstab anzulegen. In der Regel liege bei dieser Gruppe an pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen mit überproportionalem Pflegebedarf neben sonstigen schweren Defiziten ohnedies eine beträchtliche Verhaltensstörung vor, die sich beispielsweise durch massiven Antriebsverlust, Getriebensein, Kontrollverlust und hohem Potential an Eigen- und Fremdgefährdung äußere.
7. Der Erschwerniszuschlag nach § 4 Abs 3 Oö.PGG für Kinder ab dem vollendeten 7. Lebensjahr bis zum vollendeten 15. Lebensjahr wurde gemäß § 1 Abs 5 EinstV idF LGBl II 2009/48 mit einem Pauschalwert im Ausmaß von 75 Stunden monatlich festgelegt.
Aus den Erläuternden Bemerkungen zur diesbezüglich gleichlautenden EinstV-Nov zum Bundespflegegeldgesetz 2008, 5 ergibt sich, dass gerade weil es sich um eine völlig neue Betreuungsmaßnahme handle, die lediglich die erheblichen Pflegeerschwernisse zusätzlich zu den herkömmlichen funktionsbezogenen Einstufungskriterien erfassen solle, die gleichzeitige Berücksichtigung der übrigen Betreuungskriterien (Berücksichtigung des vollen Differenzbetrags) aufrecht bleibe. Fürstl-Grasser/Rudda, führen in ihrem Aufsatz „Die Einstufungsverordnung [2008] zum Bundespflegegeldgesetz samt Erläuterungen“ (SozSi 2009, 106 ff) aus, dass für den Erschwerniszuschlag zur leichteren Administrierbarkeit ein Fixwert vorgesehen wurde, der weder über- noch unterschritten werden könne. Es handle sich um eine völlig neue Betreuungsmaßnahme, die jene Bedarfsbereiche in Form eines pauschalierten Erschwerniszuschlags erfassen solle, die bislang noch nicht entsprechend berücksichtigbar waren.
8. Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen ist das Berufungsgericht aufgrund der konkreten Umstände zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des Erschwerniszuschlags iSd § 4 Abs 3 und 4 Oö.PGG im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger immer jemanden um sich braucht, weil er sonst ängstlich reagiert, führt dieses Defizit nicht zu solchen besonders intensiven Pflegeerfordernissen, die jenen aus zwei schweren Funktionseinschränkungen resultierenden Pflegeerfordernissen (etwa der Blindheit und einer gleichzeitigen schweren geistigen oder psychischen Behinderung) im Ergebnis gleichzuhalten wären. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass in Anbetracht der vom Gesetzgeber in § 4 Abs 4 Oö.PGG vorgenommenen Wertung ein strenger Maßstab anzulegen ist. Nach den Feststellungen ist der Kläger aber in der Lage, die öffentliche Sonderschule zu besuchen; er akzeptiert auch den Fremdtransport zur Schule. Dass er nach dem Heimtransport von der Schule nicht allein gelassen werden kann, beim Spielen im Garten die Mutter sehen will, in für ihn neuen Situationen ängstlich reagiert und jede Nacht einmal Zuwendung benötigt, um wieder einzuschlafen, ist im Hinblick auf sein sonstiges kooperatives und freundliches Verhalten nicht als Defizit in jenem Ausmaß zu sehen, das in Summe als schwere Verhaltensstörung zu bewerten wäre. Eine solche wäre nur dann vorgelegen, wenn sie beispielsweise einem massiven Antriebsverlust, Getriebensein, Kontrollverlust und hohem Potential an Eigen- und Fremdgefährdung gleichzuhalten wäre. Dass ein vergleichbarer Zustand beim Kläger nicht gegeben ist, ergibt sich zudem aus der vom Erstgericht aufgrund der Einschätzung der Sachverständigen ausdrücklich getroffenen Feststellung, dass beim Kläger keine schweren Verhaltensauffälligkeiten vorliegen.
9. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels verneint, der nach Ansicht des Klägers in der Abweisung seines Antrags auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens liegen soll. Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei mangelhaft geblieben, weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei (RIS-Justiz RS0043061 [T18]).
Da der Pflegebedarf des Klägers somit auch nach der durch das Oö. Pflegegeldgesetz-Novelle 2009 geänderten Rechtslage 120 Stunden monatlich nicht übersteigt, erweist sich das Klagebegehren insgesamt als nicht berechtigt. Der Revision muss daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Schlagworte
SozialrechtTextnummer
E96852European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00187.10P.0301.000Im RIS seit
19.04.2011Zuletzt aktualisiert am
24.01.2013