TE OGH 2011/3/1 14Os173/10p

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Veröffentlicht am 01.03.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bergmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz E***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 31 Hv 22/08h des Landesgerichts Wels, über die von der Generalprokuratur gegen den Vorgang der Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 30. Jänner 2009, GZ 31 Hv 22/08h-11, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Angeklagten von einer ihm weiters zur Last gelegten, von der Anklagebehörde unter den Tatbestand des Vergehens einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs 1 StGB subsumierten Tat enthält, wurde Franz E***** - abweichend von dem auf das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB lautenden Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wels vom 13. August 2008 (ON 6) - des (richtig:) Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

Die Hauptverhandlung wurde vom Einzelrichter des Landesgerichts Wels durchgeführt, obwohl der Angeklagte, der nach dem Akteninhalt nicht aufgefordert worden war, einen Verteidiger namhaft zu machen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 61 Abs 2 StPO zu beantragen (§ 61 Abs 3 StPO), unvertreten erschien (ON 8 und 10).

In ihrer ausschließlich gegen den Vorgang der Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erachtet die Generalprokuratur das Gesetz in § 61 Abs 1 Z 5 StPO verletzt und begründet dies wie folgt:

Gemäß § 61 Abs 1 Z 5 StPO ist in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter ein Verteidiger beizuziehen, wenn für die Tat außer in den - hier nicht aktuellen - Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs 4 StGB eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist. Entscheidend für die Notwendigkeit der Beiziehung eines Verteidigers ist die Strafdrohung der unter Anklage gestellten Tat (Fabrizy, StPO10 § 61 Rz 3). Auf Grund der gesetzlichen Strafdrohung des § 148 erster Fall StGB (6 Monate bis 5 Jahre Freiheitsstrafe) war im vorliegenden Verfahren die Vertretung des Angeklagten durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Schuldspruch schließlich nur wegen einer Tat erfolgte, die nicht mit einer drei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Zuziehung eines Verteidigers verletzte somit das Gesetz in der Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 5 StPO (RIS-Justiz RS0098131; zuletzt 14 Os 162/08t, 11 Os 105/10s). Das solcherart zu Stande gekommene Urteil ist gemäß §§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 1a StPO nichtig.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts liegt Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 1a (§ 489 Abs 1 erster Satz) StPO vor, wenn der Angeklagte nicht während der ganzen Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten war, obwohl dies zwingend vorgeschrieben war. Insoweit ordnet § 61 Abs 1 Z 5 StPO Verteidigerzwang an, wenn für die Tat, außer in den Fällen der § 129 Z 1 bis 3, § 164 Abs 4 StGB, eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist.

Der Wortlaut dieser Bestimmung nimmt zwar nicht - wie § 41 Abs 1 Z 2 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz, BGBl 2004/19 - ausdrücklich auf die Tat Bezug, wie sie sich nach den Urteilsfeststellungen darstellt. Indem aber Strafdrohungen, wie die konditionale Formulierung strafrechtlicher Tatbestände unmissverständlich zeigt, stets unter der Bedingung auch wirklich begangener Taten stehen, worüber indes nicht der Ankläger, sondern das Gericht entscheidet, wird offenbar, dass auch der im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts geltende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 1a StPO an den Urteilsfeststellungen über die entscheidenden Tatsachen, mithin die wirklich und nicht bloß nach Ansicht des Anklägers begangene Tat, anknüpft (vgl dazu auch ErläutRV 1165 BlgNR 21. GP, 80).

Eine Verletzung des § 61 Abs 1 Z 5 StPO und damit Nichtigkeit des Urteils auch dann anzunehmen, wenn - wie hier - bloß der Ankläger in Hinsicht auf die angeklagte Tat von Sachverhaltsannahmen oder einer Subsumtion ausgegangen ist, die bei tatsächlicher Feststellung im Urteil diese Konsequenz gehabt hätten, besteht kein Anlass (aM jedoch zwischen Gesetzesverletzung und Nichtigkeit in zirkulärer Weise undifferenziert: RIS-Justiz RS0098131, zuletzt 11 Os 144/02; Fabrizy StPO10 § 61 Rz 3 ausschließlich unter Berufung auf die vom genannten Rechtssatz umfasste Entscheidung 11 Os 117/92 [NRsp 1993/40]), weil (der auch im Berufungsverfahren gegen Urteile von Einzelrichtern des Landesgerichts - und zudem speziell auf § 281 Abs 1 Z 1a StPO - weiterhin anwendbare) § 476 StPO es dem Berufungsgericht auch bei (in erster Instanz) missachtetem Verteidigerzwang ausdrücklich freistellt, in der Sache selbst zu erkennen, wozu freilich eine Wiederholung des Beweisverfahrens und die Beiziehung eines Verteidigers zur „Verbesserung der mangelhaft befundenen Prozesshandlung“ nötig ist. Dass der Angeklagte dabei „um eine Instanz gebracht“ wird, nimmt § 476 StPO stets in Kauf. Sähe sich der Einzelrichter des Landesgerichts nach einer ohne Verteidiger durchgeführten Hauptverhandlung vor die Notwendigkeit gestellt, Verteidigerzwang aufzeigende Urteilsfeststellungen zu treffen, müsste er, um Nichtigkeit des Urteils nach § 281 Abs 1 Z 1a StPO hintanzuhalten, die Hauptverhandlung unter Beiziehung eines Verteidigers wiederholen (§§ 488, 276a StPO), nicht anders als das Berufungsgericht (§ 476), wenn es sich zur Entscheidung in der Sache selbst entschließt (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 468 Rz 30 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E96882

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0140OS00173.10P.0301.000

Im RIS seit

22.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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