Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl und MR Dr. Peter Ladislav (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, wegen Leistungen aus der Unfallversicherung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. September 2010, GZ 25 Rs 60/10z-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Mai 2010, GZ 47 Cgs 14/10b-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs in Innsbruck. Die Betriebsfläche besteht zu zwei Drittel aus Wald und zu einem Drittel aus einem Steilhang (Schafweide). Aus der Landwirtschaft wurde und wird kein Einkommen erwirtschaftet, jedoch Brennholz für den Eigenbedarf bezogen. Es existiert kein Viehbestand. An landwirtschaftlichen Gebäuden sind ein Stall und ein Stadel, an landwirtschaftlichen Geräten eine Mähmaschine und eine Motorsäge vorhanden. Der Einheitswert des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs beträgt 800 EUR.
Die Klägerin lebt mit ihrem Gatten und ihrem Sohn R***** im gemeinsamen Haushalt auf dem Hof. Nach der familiären Arbeitsaufteilung ist sie für die Haushaltsführung und die Reinigungsarbeiten zuständig. Sie verfügt über kein außerbetriebliches Einkommen; sie lebt von der ASVG-Pension ihres Gatten. Auch die Haushaltungskosten werden aus dem Pensionseinkommen des Gatten und nicht aus Einkünften aus dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb bestritten.
Die Klägerin war am Unfallstag (16. 1. 2009) mit der Reinigung der Stiegenaufgänge des landwirtschaftlichen Betriebs beschäftigt. Dabei fiel sie rücklings über die Stufen, wodurch sie sich einen Deckplatteneinbruch des zweiten Lendenwirbelkörpers zuzog.
Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 11. 12. 2009 die Anerkennung des Ereignisses vom 16. 1. 2009 als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, der Unfall habe sich bei der Reinigung der Wohnhausstiege ereignet. Diese Tätigkeit sei den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten zuzuordnen. Da der Haushalt der Klägerin nicht wesentlich ihrem landwirtschaftlichen Betrieb diene, liege kein Arbeitsunfall iSd § 148c BSVG vor.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Klägerin, ihr aufgrund des Arbeitsunfalls vom 16. 1. 2009 die Unfallheilbehandlung, eine besondere Unterstützung, soziale Maßnahmen der Rehabilitation, orthopädische Behelfe und andere Hilfsmittel, ein Versehrtengeld sowie ab dem 16. 1. 2010 eine Betriebsrente, jeweils im gesetzlichen Ausmaß, zu gewähren. Hilfsweise wird die Feststellung begehrt, dass die von der Klägerin durch den Sturz vom 16. 1. 2009 erlittenen Verletzungen, insbesondere die Fraktur des zweiten Lendenwirbelkörpers, Folgen eines Arbeitsunfalls seien. Sie brachte insbesondere vor, sie sei bei der Reinigung des Stiegenaufgangs des landwirtschaftlichen Betriebs gestürzt. Die gereinigten Stiegen seien Teil des landwirtschaftlichen Betriebs. Weiters brachte sie vor, bei der Reinigung des Stiegenaufgangs habe es sich um eine hauswirtschaftliche Tätigkeit gehandelt, wobei der Haushalt dem Betrieb wesentlich diene.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens im Wesentlichen mit der Begründung, der Unfall habe sich bei einer hauswirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin ereignet. Da der Haushalt der Klägerin dem landwirtschaftlichen Betrieb nicht wesentlich diene, bestehe kein Versicherungsschutz aus der bäuerlichen Unfallversicherung.
Das Erstgericht wies ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren ab. Nach seinen Rechtsausführungen seien Unfälle im bäuerlichen Bereich im Zuge hauswirtschaftlicher Tätigkeiten nur dann als Arbeitsunfall zu beurteilen, wenn der Haushalt dem Betrieb wesentlich diene. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Haushaltstätigkeiten dem Betrieb wirtschaftlich zurechenbar und nicht nur auf den persönlichen Bedarf ausgerichtet seien. Eine Einordnung des Haushalts in den Betrieb sei anzunehmen, wenn Betriebsprodukte im Haushalt verbraucht und die Kosten der Haushaltsführung überwiegend aus dem wirtschaftlichen Ertrag des Betriebs bestritten würden. Da der Haushalt der Klägerin jedoch mit der ASVG-Pension des Gatten finanziert und aus dem Betrieb kein Ertrag erwirtschaftet werde, seien jene Tätigkeiten, im Zuge derer die Klägerin den Unfall erlitten habe, nicht als dem Betrieb dienliche hauswirtschaftliche Arbeiten anzusehen. Der Unfall der Klägerin vom 16. 1. 2009 sei daher kein Arbeitsunfall iSd § 148c Abs 2 Z 3 BSVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es teilte im Wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach kein Arbeitsunfall iSd § 148c Abs 2 Z 3 BSVG vorliege. Die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung erklärte es für nicht zulässig.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.
Die Klägerin macht in ihrem Rechtsmittel im Wesentlichen geltend, ihr Unfall habe sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der ihre Versicherung begründenden Tätigkeit ereignet. Das Hof- und Wirtschaftsgebäude bildeten eine bauliche Einheit. Die von ihr am Unfalltag gereinigten Stiegen seien Teil ihres landwirtschaftlichen Betriebs. Sie habe die Reinigungsarbeiten demnach auf einem Teil der Liegenschaft ausgeführt, der zum Teil privaten und zum Teil betrieblichen Zwecken gewidmet sei. Eine Tätigkeit, die zum Teil im betrieblichen und zum Teil im privaten Interesse entfaltet werde, stehe unter Unfallversicherungsschutz, sofern die betrieblichen Interessen gegenüber den privaten nicht erheblich in den Hintergrund treten. Letzteres sei hier nicht der Fall. Die Vorinstanzen hätten aufgrund des beantragten Lokalaugenscheins und der Aussagen der beantragten Zeugen feststellen müssen, dass die Klägerin die Reinigungsarbeiten auf einem Teil der Liegenschaft ausgeführt habe, welcher zum Teil privaten und zum Teil betrieblichen Zwecken gewidmet gewesen sei. Nur wenn ihre Tätigkeit ausschließlich dem Haushalt gedient hätte bzw der gereinigte Stiegenaufgang einzig dem privaten Bereich zuordenbar gewesen wäre, wäre auf die vom Berufungsgericht herangezogenen Kriterien des § 148c Abs 2 Z 3 BSVG abzustellen gewesen. Ein Arbeitsunfall wäre in diesem Fall tatsächlich nur dann vorgelegen, wenn der Haushalt dem Betrieb wesentlich gedient hätte. Auch dies sei aber entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen der Fall.
Rechtliche Beurteilung
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
1.) Nach § 148c Abs 1 BSVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Tätigkeit ereignen. Gemäß § 148c Abs 2 Z 3 BSVG gelten in einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb auch Unfälle, die sich bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten ereignen, als Arbeitsunfälle, wenn der Haushalt dem Betrieb wesentlich dient.
1.1 Der Umfang der betrieblichen Tätigkeit im bäuerlichen Bereich ist durch das Gesetz sehr weit gezogen. Alle Tätigkeiten, die der Erhaltung oder Verbesserung der Organisation des landwirtschaftlichen Betriebs dienen, sind als Betriebstätigkeiten iSd (nunmehr) § 148c Abs 1 BSVG anzusehen, da sie mit der Verwirklichung der Zielsetzungen eines landwirtschaftlichen Betriebs in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl 10 ObS 58/91 = SSV-NF 5/31 mwN ua). Dabei ist zu prüfen, ob die entfaltete Tätigkeit nach objektiven Gesichtspunkten dazu dient, und ob sie subjektiv auch in dieser Intention entfaltet wurde. Lässt sich, wie dies bei bäuerlichen Anwesen häufig der Fall ist, der betriebliche und private Bereich wegen der gemischten Nutzung nicht klar trennen, so beginnt der Versicherungsschutz dort, wo der abgrenzbare rein private Bereich aufhört und ein auch wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Bereich anzunehmen ist. Die Arbeiten müssen sich im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebs halten (10 ObS 58/91 = SSV-NF 5/31 mwN). In diesem Sinne verneinte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 9/89 (= SSV-NF 3/16) den Versicherungsschutz für Arbeiten an einer vor dem Wohnhaus gelegenen Terrasse, weil diese ausschließlich dem privaten Komfort der Bewohner diente. Hingegen wurde der Versicherungsschutz bei Abbrucharbeiten an einem Wohntrakt (Entfernung eines über der Düngerstätte und dem Holzlagerplatz gelegenen Balkons) bejaht, sofern die Arbeiten unmittelbar im Interesse des landwirtschaftlichen Betriebs liegen (10 ObS 58/91 = SSV-NF 5/31).
1.2 Auch die Reinigung von Betriebsgebäuden gehört zu den betriebsbezogenen Tätigkeiten. In der einen ähnlichen Sachverhalt betreffenden Entscheidung 10 ObS 351/90 (= SSV-NF 4/164) hatte die (damalige) Klägerin Reinigungsarbeiten auf einem Teil der Liegenschaft ausgeführt, der zum Teil privaten (Zugang zum Wohngebäude), und zum Teil betrieblichen (Zugang zur Tenne, Verwahrung von Geräten, Abstellen des Traktors) Zwecken gewidmet war. Ihre Tätigkeit diente daher ebenso zum Teil privaten und zum Teil betrieblichen Zwecken. Der Oberste Gerichtshof führte in dieser Entscheidung aus, dass eine Tätigkeit, die zum Teil im betrieblichen und zum Teil im privaten Interesse entfaltet wird, unter Unfallversicherungsschutz steht, sofern die betrieblichen Interessen gegenüber den privaten nicht erheblich in den Hintergrund treten. Hätten diese Reinigungsarbeiten für den Betrieb nur eine ganz untergeordnete Bedeutung gehabt, so wäre die (damalige) Klägerin nicht im Betrieb tätig und daher nicht aus diesem Grund in der Unfallversicherung geschützt gewesen. Ihre Tätigkeit hätte dann nur dem Haushalt zugerechnet werden können und ein Arbeitsunfall wäre in diesem Fall gemäß § 175 Abs 3 Z 1 ASVG (nunmehr § 148c Abs 2 Z 3 BSVG) nur vorgelegen, wenn der Haushalt dem Betrieb wesentlich gedient hätte. Der Oberste Gerichtshof erachtete daher die Frage, welche Reinigungsarbeiten die (damalige) Klägerin durchführen wollte und ob damit ihre Tätigkeit dem Betrieb in einem den Schutz in der Unfallversicherung begründenden Ausmaß gedient hätte, für noch klärungsbedürftig.
In der Folgeentscheidung 10 ObS 199/91 (= SSV-NF 5/85) bejahte der Oberste Gerichtshof den Versicherungsschutz, weil nunmehr feststand, dass der Teil des Gebäudes, in dem die (damalige) Klägerin die Reinigungsarbeiten verrichtete, ausschließlich den Zwecken des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs diente.
2. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ausdrücklich behauptet, sie sei bei der Reinigung des Stiegenaufgangs ihres landwirtschaftlichen Betriebs gestürzt und die von ihr gereinigten Stiegen seien Teil ihres landwirtschaftlichen Betriebs. Die vom Erstgericht dazu allein getroffene Feststellung, die Klägerin sei zur Unfallszeit „mit der Reinigung der Stiegenaufgänge des landwirtschaftlichen Betriebs beschäftigt gewesen“, reicht zur Beurteilung der entscheidungswesentlichen Frage, ob die von der Klägerin am Unfallstag verrichteten Reinigungsarbeiten ihrem Betrieb in einem den Schutz in der Unfallversicherung begründenden Ausmaß gedient haben, nicht aus. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren zu klären haben, ob bzw in welchem Ausmaß die von der Klägerin am Unfallstag durchgeführten Reinigungsarbeiten Stiegenaufgänge betrieblich oder privat genutzter Gebäudeteile betroffen haben und diese Arbeiten damit auch wesentlich betrieblichen Zwecken dienlich gewesen sind. So wäre die Reinigung eines betrieblich genutzten Gebäudeteils, die zur Gewährleistung dieser betrieblichen Nutzung vorgenommen wird, nicht als Haushaltstätigkeit, sondern als Tätigkeit für den landwirtschaftlichen Betrieb anzusehen. Auf subjektiver Seite wäre zur Begründung des „ursächlichen Zusammenhangs“ erforderlich, dass das den Unfall herbeiführende Verhalten von der Absicht und dem Entschluss der Klägerin bestimmt war, (auch) die Interessen des Betriebs zu fördern. Erst nach Vorliegen ergänzender Feststellungen in der aufgezeigten Richtung wird abschließend beurteilt werden können, ob der Klägerin Unfallversicherungsschutz nach § 148c Abs 1 BSVG zukommt.
3. Hätten diese Reinigungsarbeiten der Klägerin für den von ihr geführten Betrieb hingegen keine oder eine nur ganz untergeordnete Bedeutung gehabt, hätte ihre Tätigkeit nur ihrem Haushalt zugerechnet werden können und ein Arbeitsunfall wäre dann gemäß § 148c Abs 2 Z 3 BSVG nur vorgelegen, wenn der Haushalt dem Betrieb wesentlich gedient hätte. Das Berufungsgericht hat unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen zutreffend begründet, dass unter den festgestellten Umständen der Haushalt dem landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin nicht wesentlich diente. Es kann insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO), zumal auch die Klägerin in ihrer Revision dieser Beurteilung keine inhaltlichen Argumente entgegenzuhalten vermag.
4. Da es zur Abklärung der aufgezeigten Feststellungsmängel einer neuerlichen Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Schlagworte
SozialrechtTextnummer
E96635European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00149.10Z.0301.000Im RIS seit
29.03.2011Zuletzt aktualisiert am
24.01.2013