TE OGH 2011/3/1 10ObS154/10k

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.03.2011
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl und MR Dr. Peter Ladislav (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. G*****, vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Bachmann & Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 2010, GZ 7 Rs 78/10g-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. März 2010, GZ 27 Cgs 275/08i-28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 21. Dezember 2010, AZ 10 ObS 154/10k (= ON 36 des erstgerichtlichen Akts) wird dahin berichtigt, dass der Spruch („Die Revision wird zurückgewiesen.“) zur Gänze aufgehoben wird und als Urteil neu zu lauten hat:

„Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem Beschluss vom 21. 12. 2010, AZ 10 ObS 154/10k, wurde die am Donnerstag, 16. 9. 2010 im elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte Revision der beklagten Partei wegen Verspätung zurückgewiesen, weil ihr die Entscheidung des Berufungsgerichts im elektronischen Rechtsverkehr am Mittwoch, 18. 8. 2010, zugestellt worden sei, sodass die gemäß § 505 Abs 2 ZPO vier Wochen dauernde Rechtsmittelfrist am Mittwoch, 15. 9. 2010, geendet habe.

Nunmehr hat sich jedoch herausgestellt, dass die Zustellung an die beklagte Partei (im elektronischen Rechtsverkehr) am 18. 8. 2010 um 21:17 Uhr erfolgte. Gemäß § 1 Abs 4 ERV ist eine elektronische Zustellung in der Zeit zwischen 16:00 Uhr und 24:00 Uhr sowie an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen nicht zulässig. In Übereinstimmung mit dem Vorbringen der beklagten Partei ist daher von der Wirksamkeit der Zustellung erst am Donnerstag, 19. 8. 2010 auszugehen, sodass die am Donnerstag, 16. 9. 2010 im elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte Revision rechtzeitig erhoben wurde.

Dem Umstand, dass sich die Annahme der Verspätung nachträglich als unrichtig herausgestellt hat, ist in sinngemäßer Anwendung der §§ 430, 419 und 522 ZPO dadurch Rechnung zu tragen, dass die auf Verspätung gegründete Zurückweisung des Rechtsmittels aufgehoben (RIS-Justiz RS0041446; RS0062267) und auf die Revision inhaltlich eingegangen wird.

Im Zusammenhang mit der Geburt ihres Sohnes Florian am 17. 1. 2002 hat die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft der Klägerin für den Zeitraum vom 1. 1. 2003 bis 31. 12. 2003 Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 5.303,45 EUR zuerkannt und geleistet.

Die Klägerin hielt in den Jahren 2001 und 2002 mehr als 25 % der Geschäftsanteile der A***** S***** GmbH. In diesen Jahren erhielt sie auch einen Geschäftsführerbezug, im Jahr 2003 nicht mehr. Mit der A***** S***** GmbH war vereinbart, dass diese die Beiträge der Klägerin zur Sozialversicherung trägt. Die Versteuerung des Entgelts hat die Klägerin selbst vorgenommen.

Im Jahr 2003 erzielte die Klägerin folgende Einkünfte:

Einkünfte aus selbständiger Arbeit                306,27              EUR

Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung              10.842,31              EUR

Sozialversicherungsbeiträge für 2003 aufgrund der

endgültigen Beitragsgrundlage (537,78 EUR)               1.623,73              EUR

Der Klägerin wurden im Jahre 2003 aufgrund der vorläufigen Mindestbeitragsgrundlage in Höhe von 587,79 EUR folgende Beiträge vorgeschrieben:                             

Pensionsversicherung                1.058,04              EUR

Krankenversicherung                627,72              EUR

Unfallversicherungsbeitrag 2003 (fixer

Jahresbetrag)                81,37               EUR

Summe                1.767,13               EUR

              Die Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin für das Jahr 2003 aufgrund der endgültigen Beitragsgrundlage (Mindestbeitragsgrundlage in Höhe von 537,78 EUR) betragen:

Pensionsversicherung                968,04              EUR

Krankenversicherung                574,32              EUR

Unfallversicherungsbeitrag 2003 (fixer

Jahresbetrag)               81,37              EUR Summe               1.624,73              EUR

              Weiters wurden der Klägerin im dritten und vierten Quartal 2003 aufgrund der Nachbemessung der endgültigen Sozialversicherungsbeiträge für 2001 insgesamt

              4.217,52              EUR vorgeschrieben.

              Insgesamt wurden der Klägerin daher im Jahr 2003 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt

              5.984,65              EUR

vorgeschrieben und von der S***** GmbH getragen.

              Dieser Betrag wurde von der Klägerin als Einkünfte ausgewiesen und gleichzeitig für das Jahr 2003 in voller Höhe als Betriebsausgaben steuerlich geltend gemacht.

              Somit wurden die im Jahr 2003 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt

              5.984,65              EUR

als Betriebsausgaben bei der Summe der Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 306,27 EUR im Einkommensteuerbescheid 2003 berücksichtigt.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 23. 10. 2007 wurde die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes an die Klägerin für die Zeit vom 1. 1. bis 31. 12. 2003 widerrufen und ihr die Rückzahlung der erhaltenen Leistung in Höhe von 5.303,45 EUR auferlegt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene negative Feststellungsklage wies das Erstgericht im zweiten Rechtsgang ab und verpflichtete die Klägerin gemäß § 89 Abs 4 ASGG zur Rückzahlung des für das Jahr 2003 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 5.303,45 EUR binnen vier Wochen.

              In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, dass der Gesetzgeber durch die Änderung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG mit der 11. KBGG-Novelle, BGBl I 2009/116, eine authentische Interpretation vorgenommen habe. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien eindeutig ergebe, habe der Gesetzgeber mit dieser Novelle klarstellen wollen, dass bei der Ermittlung des Zuverdienstes die im und nicht die für das betreffende Kalenderjahr vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge hinzuzurechnen seien. Daraus folge, dass die Klägerin die Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR überschritten habe.

              Selbst unter Außerachtlassung der vom Gesetzgeber vorgenommenen authentischen Interpretation käme man nach den vorliegenden OGH-Entscheidungen 10 ObS 61/09g und 10 ObS 124/09x zu keinem anderen Ergebnis, zumal der Oberste Gerichtshof hierin ausgeführt habe, dass eine entsprechende Abgrenzung erforderlich sei, die dazu führe, dass nur die für die Einkünfte der Klägerin im Jahr 2003 anfallenden Sozialversicherungsbeiträge als Betriebsausgaben zu berücksichtigen seien, nicht aber Sozialversicherungsbeiträge, die zwar im Jahr 2003 vorgeschrieben worden seien, sich aber auf die im Jahr 2000 erzielten Einkünfte bezögen. In diesem Sinne seien - um zu einem dem Gleichheitssatz entsprechenden Ergebnis zu gelangen - die Werte in der Einnahmen-/Ausgaben- bzw Gewinn- und Verlustrechnung zu korrigieren, indem allenfalls abgezogene Sozialversicherungsbeiträge, die im Jahr 2003 vorgeschrieben worden seien, dem Gewinn wiederum hinzuzurechnen seien.

              Daraus folge, dass der auf die Nachbemessung der endgültigen Sozialversicherungsbeiträge für 2001 entfallende Betrag von 4.217,52 EUR, der von der Klägerin für das Jahr 2003 in voller Höhe als Einkünfte ausgewiesen und gleichzeitig im Jahr 2003 als Betriebsausgaben steuerlich geltend gemacht worden sei, der Summe der Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 306,27 EUR hinzuzurechnen sei. Die solcherart summierten Einkünfte aus selbständiger Arbeit würden daher insgesamt 4.523,79 EUR betragen. Insgesamt habe die Klägerin den zulässigen Grenzbetrag überschritten, weshalb ihr Klagebegehren abzuweisen gewesen und sie zur Rückzahlung des im Jahr 2003 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes zu verpflichten sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es feststellte, dass der von der beklagten Partei erhobene Anspruch auf Rückersatz des der Klägerin in der Zeit vom 1. 1. bis 31. 12. 2003 in Höhe von 5.303,45 EUR nicht zu Recht besteht.

Es sah keine verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen für Vorjahre bei der Beurteilung des Überschreitens der Zuverdienstgrenze und legte seiner rechtlichen Beurteilung die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 10 ObS 61/09g und 10 ObS 124/09x zugrunde. Demnach sei die in § 8 Abs 1 Z 2 KBGG (in der Fassung vor der Novelle BGBl I 2009/116) enthaltene, die Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte betreffende Wortfolge „um die darauf entfallenden vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu erhöhen“ so zu verstehen, dass die dem Kalenderjahr des Kinderbetreuungsgeldbezugszeitraums zugrunde liegenden Einkünfte um die darauf bezogenen Sozialversicherungsbeiträge (und nicht um die im Jahr 2003 aufgrund des Einkommensteuerbescheids für 2000 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge) zu erhöhen seien; für die Beurteilung der Einkünfte nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG seien demnach nicht die im Jahr 2003 auf der Grundlage einer vorläufigen Beitragsgrundlage vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge relevant, sondern die auf die endgültige Beitragsgrundlage für das Jahr 2003 bezogenen. Die genannte Wortfolge im Gesetz sei demnach sinngemäß um das Wort „letztlich“ zu ergänzen („um die darauf entfallenden, letztlich vorgeschriebenen Beiträge“), womit die für davor liegende Jahre vorgeschriebenen Beträge ebenso außer Betracht zu bleiben hätten wie die nur vorläufig für 2003 vorgeschriebenen.

Mit BGBl I 2009/116 sei der Wortlaut des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG dahin geändert worden, dass ab 1. 1. 2010 Einkünfte aus Betätigungen, die Grundlage für Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Sozialversicherung darstellen, um die im betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu erhöhen seien. Dem Standpunkt, dass diese Gesetzesnovellierung als authentische Interpretation anzusehen sei und damit Wirkungen für den vorliegenden Rechtsstreit entfalte, könne nicht gefolgt werden.

Dem Gesetzeswortlaut der geänderten Bestimmung sei kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass es sich bei der „Änderung“ lediglich bzw auch um eine authentische Interpretation handeln solle. Auch aus den Gesetzesmaterialien (ErlRV 340 BlgNR 24. GP) sei dazu nichts Wesentliches zu gewinnen. Dort heiße es zwar, dass „nur eine Klarstellung“ erfolge, wonach bei der Ermittlung des Zuverdienstes die im und nicht die für das betreffende Kalenderjahr (in dem Kinderbetreuungsgeld bzw ein Zuschuss oder eine Beihilfe bezogen wurde) vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge hinzuzurechnen seien. In den Gesetzesmaterialien seien jedoch insbesondere die beiden zu der hier anstehenden Frage ergangenen oberstgerichtlichen Entscheidungen vom 12. 5. bzw 21. 7. 2009 nicht einmal erwähnt, obwohl die Regierungsvorlage erst am 22. 9. 2009 eingebracht worden sei. Im Übrigen könnten Gesetzesmaterialien ohnehin nur zur Auslegung des Gesetzes, dessen Vorarbeiten sie seien, herangezogen werden, während es unzulässig sei, aus den Erläuternden Bemerkungen zu einer Regierungsvorlage darauf zu schließen, welche Absicht der Gesetzgeber bei Erlassung eines früheren Gesetzes gehabt habe (RIS-Justiz RS0008771).

Vor allem aber sei darauf hinzuweisen, dass das am 17. 11. 2009 kundgemachte Bundesgesetz BGBl I 2009/116 mehrere Inkrafttretensregelungen enthalte, wobei jene für § 8 KBGG ohne weitere Beifügungen oder Einschränkungen den 1. 1. 2010 als Datum des Inkrafttretens nenne (§ 49 Abs 19 KBGG). Das allein könne schon als im Widerspruch zu einer möglichen Rückwirkung stehend gesehen werden. Dazu komme, dass nach § 11 Abs 1 BGBlG Verlautbarungen im Bundesgesetzblatt mit verbindlichem Inhalt, soweit darin oder gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt sei, mit Ablauf des Tages der Freigabe zur Abfrage in Kraft treten. Dies sei im Falle des BGBl I 2009/116 der 17. 11. 2009 gewesen. Das Gesetz und damit die behauptete authentische Interpretation hätten daher bereits am 18. 11. 2009 in Kraft treten können. Warum der Gesetzgeber eine rückwirkende authentische Interpretation erst zu einem späteren als dem frühestmöglichen Zeitpunkt wirksam werden hätte lassen, erscheine nicht nachvollziehbar, weil damit ein Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht worden wäre, dass bis zum 31. 12. 2009 entschiedene „Altfälle“ noch nach der alten Fassung (und damit in der Auslegung durch den OGH) zu entscheiden wären und erst ab dem 1. 1. 2010 zu entscheidende „Altfälle“ nach der neuen Fassung zu beurteilen seien.

Schließlich sähen die weiteren Inkrafttretensbestimmungen des § 49 KBGG, nämlich Abs 20 bis 24, ausdrückliche Regelungen zur allfälligen Rückwirkung der jeweils davon umfassten Bestimmungen vor, sodass auch daraus geschlossen werden könne, dass der Gesetzgeber des BGBl I 2009/116 keine Rückwirkung des § 8 (Abs 1) KBGG anordnen habe wollen. Aus all diesen Erwägungen und unter Berücksichtigung des Umstands, dass ganz allgemein im Zweifel keine authentische Interpretation anzunehmen sei, sei davon auszugehen, dass § 8 Abs 1 KBGG in der Fassung des BGBl I 2009/116 auf Altfälle wie den gegenständlichen nicht anzuwenden sei.

Soweit das Erstgericht am Ende der rechtlichen Beurteilung noch ausführe, dass sich aus den Entscheidungen 10 ObS 61/09g und 10 ObS 124/09x auch ergebe, dass im Ergebnis der auf die Nachbemessung der endgültigen Sozialversicherungsbeiträge für 2001 entfallende Betrag von 4.217,52 EUR der Summe der Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit für das Jahr 2003 hinzuzurechnen sei, missverstehe es die diesbezüglichen Ausführungen des Obersten Gerichtshofs. Abgesehen davon, dass ein solches Verständnis der vom Obersten Gerichtshof klar ausgesprochenen Prämisse zuwiderlaufe, dass für die Beurteilung der Einkünfte nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG nicht die im Jahr 2003 auf der Grundlage einer vorläufigen Beitragsgrundlage vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge, sondern die auf die endgültige Beitragsgrundlage für das Jahr 2003 bezogenen relevant seien, ja sie ad absurdum führen würde, bezögen sich die vom Erstgericht ohne Berücksichtigung ihres Kontextes herangezogenen Ausführungen des Obersten Gerichtshofs auf die buchhalterisch richtige Abgrenzung, die es in den dortigen Fällen erst ermöglichen solle, ausschließlich die auf die endgültige Beitragsgrundlage für das Jahr 2003 entfallenden Sozialversicherungsbeiträge berücksichtigen zu können.

Ausgehend vom unbekämpft festgestellten Sachverhalt ergebe sich auch keine Notwendigkeit einer weiteren Berücksichtigung im Rahmen der Einnahmen-/Ausgaben- bzw Gewinn- und Verlustrechnung bzw einer Bilanz. Das Erstgericht habe nämlich festgestellt, dass die Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin für 2003 aufgrund der endgültigen Beitragsgrundlage (537,78 EUR) 1.623,73 EUR betragen. Ausgehend davon und von den übrigen unbekämpft festgestellten Einkünften der Klägerin im Jahr 2003 betrage der maßgebliche Gesamtbetrag ihrer Einkünfte im Jahr 2003 damit 12.772,31 EUR, sodass der (seinerzeitige) Grenzbetrag von 14.600 EUR letztlich nicht überstiegen worden sei.

Das Ersturteil sei daher im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Die Revision sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der allfälligen Rückwirkung der Änderung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG durch die Novelle BGBl I 2009/116 vorliege.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist im Hinblick auf die zwischenzeitig ergangene, zur Berufungsentscheidung in Widerspruch stehende Entscheidung 10 ObS 31/10x zulässig und auch berechtigt.

Die beklagte Partei wiederholt in ihrer Revision - den auch vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 31/10x eingenommenen - Standpunkt, dass der Gesetzgeber zwischenzeitig die Bestimmung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG authentisch interpretiert habe. Diese zum besseren Verständnis der früher unklaren Norm vorgenommene, zurückwirkende Klarstellung führe dazu, dass nicht die auf die Einkünfte des jeweiligen Jahres entfallenden Sozialversicherungsbeiträge, sondern die im jeweiligen Jahr der Einkünfteerzielung insgesamt vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge für die Erhöhung maßgebend seien.

Die Klägerin regt in ihrer Revisionsbeantwortung einen neuerlichen Gesetzesprüfungsantrag hinsichtlich § 8 KBGG an den Verfassungsgerichtshof an: Durch die - von der Klägerin hinsichtlich des Termins nicht zu beeinflussende - Vorschreibung der an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft zu leistenden Beiträge und deren Hinzurechnung könne eine willkürliche Verschiebung von Einkommenspositionen auf Kinderbetreuungsgeldbezugszeiten erfolgen. Die Vorschreibung der Beiträge erfolge zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten und unterliege nicht einem bestimmten System. Aus diesem Grund sei es überhaupt nicht möglich, sein Einkommen in irgendeiner Form einzurichten bzw zu planen, sodass es nicht zu einer Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes komme. Dieser Punkt sei seinerzeit in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs überhaupt nicht angesprochen worden, da er nicht Verfahrensgegenstand gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat dazu erwogen:

1. Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob der Gesamtbetrag der Einkünfte der Klägerin (§ 8 KBGG) im Jahr 2003 den maßgeblichen Grenzbetrag von 14.600 EUR (§ 2 Abs 1 Z 3 KBGG) überschritten hat. War dies der Fall, ist die Klägerin gemäß § 31 Abs 2 KBGG zum Ersatz des Kinderbetreuungsgeldes verpflichtet.

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Zuverdienstgrenze überschritten wurde, sind den Einkünften aus unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung hinzuzurechnen, wobei im konkreten Fall dem Umstand entscheidende Bedeutung zukommt, dass der Klägerin nach den Feststellungen im dritten und vierten Quartal 2003 aufgrund der Nachbemessung der endgültigen Sozialversicherungsbeiträge für 2001 insgesamt 4.217,52 EUR vorgeschrieben wurden.

3. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 10 ObS 31/10x vom 1. 6. 2010 ausführlich mit der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung auseinandergesetzt und ist zusammengefasst zur Auffassung gelangt, dass der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG im Jahr 2009 (BGBl I 2009/116, ausgegeben am 17. 11. 2009) die zuvor strittige Frage, ob für die Zurechnung die auf die aktuellen Einkünfte entfallenden oder die aktuell vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge maßgeblich sind, im Sinne der zweiten Auslegungsvariante klargestellt hat („Einkünfte ... sind um die im betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu erhöhen.“). Sowohl der Wortlaut des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 2 KBGG idF BGBl I 2009/116 als auch die Gesetzesmaterialien (ErlRV 340 BlgNR 24. GP 7) weisen deutlich darauf hin, dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung nicht neues Recht geschaffen, sondern eine authentische Interpretation der zuvor im Gesetz nicht klar definierten Wortfolge „die darauf entfallenden vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung“ vorgenommen hat. Demnach ist § 8 Abs 1 Z 2 KBGG im Lichte der durch das BGBl I 2009/116 erfolgten Neufassung - abweichend von der früheren Rechtsprechung (10 ObS 61/09g; 10 ObS 124/09x) - dahin auszulegen, dass nicht die auf die Einkünfte entfallenden Sozialversicherungsbeiträge, welche erst im Nachhinein festgestellt werden können, sondern die im jeweiligen Jahr der Einkunftserzielung insgesamt vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge maßgebend sind.

4.1. In der genannten Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof auch näher ausgeführt, dass es durch diese gesetzlich vorgesehene Berechnungsart auch nicht zu einer fiktiven Erhöhung der Einkünfte (hier: aus selbständiger Erwerbstätigkeit) durch die bloß aufgrund einer Schätzung vorgeschriebene Beiträge zur Sozialversicherung kommt. Grundsätzlich ist auch bei Selbständigen für die Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte nach § 8 Abs 1 KBGG der Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Einkünfte iSd § 2 Abs 2 und 3 EStG 1988 maßgeblich. Gemäß § 4 EStG 1988 ist Gewinn der durch doppelte Buchführung zu ermittelnde Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres (Abs 1) bzw bei nicht buchführenden Betrieben der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (Abs 3). Betriebsausgaben sind dabei die Aufwendungen oder Ausgaben, die durch den Betrieb veranlasst sind. Gemäß § 4 Abs 4 Z 1 lit a EStG 1988 zählen dazu jedenfalls die Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung. Die Sozialversicherungsbeiträge mindern daher die Einkünfte. Je höher die Sozialversicherungsbeiträge sind, desto niedriger ist der steuerpflichtige Gewinn des Jahres. Wenn die Klägerin daher die ihr im Jahr 2003 vorgeschriebenen und von ihr bezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 5.984,65 EUR als Betriebsausgaben steuerlich geltend gemacht hat, ergaben sich durch die Höhe dieser Sozialversicherungsbeiträge auch entsprechend niedrigere Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Erwerbstätigkeit.

4.2. Um eine Gleichbehandlung der BezieherInnen von Kinderbetreuungsgeld, unabhängig von der Art der erzielten Einkünfte, zu erreichen, ist es daher erforderlich, auch bei den anderen Einkünften iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG die in dem betreffenden Jahr des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge der Steuerbemessungsgrundlage wieder hinzuzuschlagen. Diese Berechnungsweise (zuerst Abzug, dann Hinzuschlagen) fußt auf dem Gedanken der größtmöglichen Gleichbehandlung der Eltern mit unterschiedlichen Einkunftsarten im Hinblick auf das Ergebnis der Berechnung unter Berücksichtigung der steuerlichen Gewinnermittlungsarten und dem uneinheitlichen österreichischen Sozialversicherungssystem.

5. Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass der Klägerin im dritten und vierten Quartal 2003 aufgrund der Nachbemessung der endgültigen Sozialversicherungsbeiträge für 2001 insgesamt 4.217,52 EUR vorgeschrieben wurden; sie selbst weist darauf hin, dass dieser Umstand unvorhersehbar sei und es die beklagte Partei in der Hand habe, Einkunftspositionen (willkürlich) auf Kinderbezugszeiten zu verschieben.

5.1. In der GSVG-Kranken- und Pensionsversicherung ist aufgrund der im Rahmen der mit dem ASRÄG 1997 (zwecks Angleichung des Beitragsrechts der gewerblich Selbständigen und der Unselbständigen) eingeführten und seit 1. 1. 1998 anzuwendenden „ständigen Nachbemessung“ zwischen einer „vorläufigen“ und einer „endgültigen“ Beitragsgrundlage zu unterscheiden. War im drittvorangegangenen Beitragsjahr eine Pflichtversicherung gegeben (§ 25a Abs 1 Z 2 GSVG), so sind - innerhalb des von Mindest- und Höchstbeitragsgrundlage gebildeten Rahmens - die in diesem Jahr festgestellten Beitragsgrundlagen für die aktuellen Beitragsvorschreibungen heranzuziehen. Für die Beitragsvorschreibung im Jahr 2003 wird daher der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 herangezogen.

Nach § 25 Abs 6 GSVG tritt die endgültige Beitragsgrundlage an die Stelle der vorläufigen Beitragsgrundlage, sobald die hiefür notwendigen Nachweise vorliegen. Kommt es zu einer Nachzahlung, so werden die nachzuzahlenden Beiträge nicht sofort in voller Höhe nachgefordert, sondern „geviertelt“. Dies bedeutet, dass die Nachbelastungen über vier Beitragsvorschreibungen erfolgen (§ 35 Abs 3 GSVG; Steiger, Die GSVG-Beitragsvorschreibung [Teil 2], taxlex 2005, 380 [381]). Ist im Zeitpunkt der Feststellung der endgültigen Beitragsgrundlage (§ 25 Abs 6 GSVG) die Pflichtversicherung bereits beendet und ergibt sich aus der Feststellung eine Beitragsschuld, so sind diese Beiträge mit dem Ablauf des zweiten Kalendermonats fällig, der der Beitragsfeststellung folgt (§ 35 Abs 4 GSVG).

5.2. Nun kann zweifelsohne in besonderen Situationen der Fall eintreten, dass gerade im Jahr des Kinderbetreuungsgeldbezugs eine Nachbemessung der Sozialversicherungsbeiträge erfolgt, die zu einer besonders hohen Nachforderung führt, die wiederum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte zu berücksichtigen ist. Allerdings ist zu bedenken, dass gerade die Nachbemessung zuvor die steuerpflichtigen Einkünfte reduziert hat.

5.3. Die Nachbemessung ist der Beitragsvorschreibung nach dem GSVG systemimmanent; wann sie zu erfolgen hat, ist gesetzlich vorgegeben. Der auf das Vorliegen der notwendigen Nachweise abstellende Zeitpunkt ist auch nicht unsachlich.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher nicht zu der von der Klägerin angeregten (neuerlichen) Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG veranlasst.

6. In Stattgebung der Revision der beklagten Partei ist daher das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

7. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Klägerin auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

Die beklagte Partei hat gemäß § 77 Abs 1 Z 1 ASGG keinen Anspruch auf Kostenersatz; ein Fall des § 77 Abs 3 ASGG liegt nicht vor.

Schlagworte

Sozialrecht

Textnummer

E96721

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00154.10K.0301.000

Im RIS seit

06.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten