Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in den Strafsachen des Christian K***** wegen des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 12 U 86/07z und AZ 12 U 105/10y, jeweils des Bezirksgerichts Baden, über die von der Generalprokuratur gegen die Abfassung eines Protokolls- und Urteilsvermerks vom 25. Juli 2007 und weiterer Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Christian K*****, AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichts Baden, verletzt die Abfassung des Protokolls- und Urteilsvermerks vom 25. Juli 2007 (ON 5) das Gesetz in § 32 Abs 2 JGG und in § 458 Abs 3 Z 1 StPO idF BGBl I 2004/164 iVm § 270 Abs 2 Z 2 StPO.
In der Strafsache gegen den Genannten, AZ 12 U 105/10y des Bezirksgerichts Baden, verletzen das Gesetz
1. der im Protokoll vom 27. Juli 2010 (ON 4) enthaltene gekürzte Urteilsvermerk vom selben Tag in § 458 zweiter Satz StPO iVm § 270 Abs 4 Z 1 (§ 270 Abs 2 Z 2) StPO;
2. die Festsetzung zweier gesonderter Sanktionen über Christian K***** im Urteil vom 27. Juli 2010 und im Beschluss vom selben Tag, GZ 12 U 105/10y-4, in § 16 Abs 1 zweiter Satz JGG und § 494a Abs 1 Z 3 erster Halbsatz StPO;
3. das Unterbleiben des Ausspruchs, dass im Verfahren AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichts Baden ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt, in § 494a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO.
Der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 27. Juli 2010, GZ 12 U 105/10y-4, mit welchem zum Urteil des genannten Gerichts vom 25. Juli 2007, GZ 12 U 86/07z-5, eine nachträgliche Strafe festgesetzt wurde, wird ersatzlos aufgehoben.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Der am 26. Mai 1989 geborene, im Tatzeitpunkt jugendliche Christian K***** wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 25. Juli 2007, GZ 12 U 86/07z-5, des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 (Abs 1) JGG wurde der Ausspruch einer - wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden - Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten. Sowohl der Inhalt der Hauptverhandlung als auch das Urteil, das unangefochten in Rechtskraft erwuchs, wurden durch einen darüber gemäß § 458 Abs 2 StPO (idF BGBl I 2004/164) aufgenommenen Vermerk beurkundet. Aus diesem Vermerk (ON 5) gehen zwar der Name und das Geburtsdatum des Christian K***** hervor, nicht aber der Ort seiner Geburt, seine Staatsangehörigkeit oder sein Beruf.
Am 3. Mai 2010 brachte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beim Bezirksgericht Baden erneut einen Strafantrag gegen Christian K***** wegen des Verdachts der (während der Probezeit begangenen) Vergehen des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB sowie der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB ein und beantragte zugleich die „Straffestsetzung zu AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichtes Baden“ (ON 3 im Akt AZ 12 U 105/10y).
Eine auf Beischaffung des genannten Vorakts gerichtete Verfügung des Gerichts ist dem Akt AZ 12 U 105/10y des Bezirksgerichts Baden nicht zu entnehmen (vgl ON 1). Auch das Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. Juli 2010 bietet keinen Hinweis, dass das Gericht in diesen Akt Einsicht genommen hätte (ON 4).
Mit Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 27. Juli 2010, GZ 12 U 105/10y-4, welches auch einen Teilfreispruch des Genannten vom Vorwurf des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB enthält, wurde Christian K***** wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 4 Euro (im Uneinbringlichkeitsfall zu 15 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt. Gemeinsam mit diesem Urteil verkündete die Richterin des Bezirksgerichts Baden den auf § 494a [Abs 1 Z 3] StPO gestützten „Beschluss auf Straffestsetzung zu AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichts Baden“ und sprach für diesen früheren Schuldspruch des Christian K***** (gesondert) eine „Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 4 Euro, im Uneinbringlichkeitsfall 10 Tage Ersatzfreiheitsstrafe“ aus (ON 4, S 9 f). Das im Verhandlungsprotokoll (gekürzt) vermerkte Urteil erwuchs - wie die in Beschlussform erfolgte nachträgliche Straffestsetzung zu AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichts Baden - unangefochten in Rechtskraft. Darin sind zwar der Name der Beschuldigten, nicht aber der Tag und Ort seiner Geburt, seine Staatsangehörigkeit und sein Beruf angeführt.
Die über Christian K***** verhängten Geldstrafen werden derzeit vollstreckt.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in der gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes insoweit zutreffend ausführt, wurde in den Verfahren des Bezirksgerichts Baden in mehrfacher Hinsicht das Gesetz verletzt.
Die im Verfahren AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichts Baden erfolgte Beschränkung der Protokollierung der Hauptverhandlung vom 25. Juli 2007 auf einen Vermerk (gemäß § 458 Abs 2 StPO idF BGBl I 2004/164) widerspricht der Bestimmung des § 32 Abs 2 JGG, wonach ein derartiger Protokollsvermerk im Falle eines (hier aktuellen) Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe (§ 13 Abs 1 JGG) ausgeschlossen ist. Daran vermag auch der Umstand, dass Christian K***** im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits achtzehn Jahre alt war, nichts zu ändern, weil für die Unzulässigkeit eines Protokollsvermerks der Tatzeitpunkt und nicht das Alter des Angeklagten im Zeitpunkt der Verfahrenshandlung maßgebend ist (Schroll in WK2 JGG § 32 Rz 3).
Eine gekürzte Urteilsausfertigung hat - um dem Gesetz (hier: § 458 Abs 3 Z 1 StPO idF BGBl I 2004/164) zu entsprechen - die im § 270 Abs 2 StPO erwähnten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe (Z 5 leg cit), demgemäß - neben dem Namen des Angeklagten und dem Tag seiner Geburt - auch den Ort seiner Geburt, seine Staatsangehörigkeit sowie seinen Beruf zu enthalten (§ 270 Abs 2 Z 2 StPO). Der Protokolls- und Urteilsvermerk des Bezirksgerichts Baden vom 25. Juli 2007, GZ 12 U 86/07z-5, lässt diese zuletzt genannten Angaben vermissen und verletzt solcherart § 458 Abs 3 Z 1 StPO idF BGBl I 2004/164 iVm § 270 Abs 2 Z 2 StPO.
Vergleichbares gilt auch für den im Protokoll vom 27. Juli 2010 des Bezirksgerichts Baden, GZ 12 U 105/10y-4, enthaltenen gekürzten Urteilsvermerk vom selben Tage, welcher weder den Tag noch den Ort der Geburt des Verurteilten, seine Staatsangehörigkeit oder seinen Beruf enthält und damit gegen § 458 zweiter Satz StPO iVm § 270 Abs 4 Z 1 (§ 270 Abs 2 Z 2) StPO verstößt.
Diese Gesetzesverletzungen haben sich nicht zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt, sodass es mit deren Feststellung sein Bewenden haben kann.
Im Falle eines nachträglichen Ausspruchs einer gemäß § 13 Abs 1 JGG vorbehaltenen Strafe durch das über die innerhalb der Probezeit begangene Straftat erkennende Gericht ist die Unrechtsfolge gemäß § 494a Abs 1 Z 3 erster Halbsatz StPO in einem Ausspruch so zu bemessen, wie wenn die Verurteilung wegen beider strafbarer Handlungen gemeinsam erfolgt wäre. Das Gesetz schreibt insoweit eine von der Fiktion einer gemeinsamen Aburteilung aller zu ahndenden Taten ausgehende Festsetzung der Sanktion nach den Bestimmungen über das Zusammentreffen strafbarer Handlungen (§ 28 StGB) vor (RIS-Justiz RS0108372). Nur im (hier nicht aktuellen) Fall, dass die maßgebenden Vorschriften über das Zusammentreffen strafbarer Handlungen getrennte Strafen vorsehen, kann die gemeinsame Strafbemessung nach § 494a Abs 1 Z 3 StPO zu gesonderten Strafaussprüchen führen (Schroll in WK² JGG § 15 Rz 9). Die am 27. Juli 2010 erfolgte Festsetzung zweier gesonderter Sanktionen hinsichtlich Christian K***** - vorliegend mit Urteil einerseits und mit „Beschluss“ vom selben Tage andererseits (jeweils GZ 12 U 105/10y-4) - war daher gesetzwidrig. Grundsätzlich ist vielmehr - spezialpräventive Notwendigkeit vorausgesetzt - unter Zugrundelegung beider Schuldsprüche urteilsmäßig (§ 16 Abs 1 zweiter Satz JGG) und unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nur eine Strafe (nach der hier maßgebenden Strafdrohung des § 229 Abs 1 StGB) zu verhängen (Jerabek, WK-StPO § 494a Rz 3; Schroll in WK² JGG § 15 Rz 7 und § 16 Rz 10).
Wie bereits dargestellt, fehlt es jedoch im Verfahren des Bezirksgerichts Baden, AZ 12 U 86/07z, an einem Protokoll über die Hauptverhandlung vom 25. Juli 2007. Eine Auseinandersetzung mit der Straffrage setzt voraus, dass auf die Verhandlung Bedacht genommen wird, welche zum Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe führte. Zu diesem Zweck erklärt § 32 Abs 2 JGG ausdrücklich, dass ein bloßer Protokollsvermerk unzulässig ist (Schroll in WK2 JGG § 16 Rz 18). Ist die Herstellung eines Protokolls wegen eines Verstoßes gegen die letztgenannte Bestimmung durch das Erstgericht jedoch nicht mehr möglich, wovon mangels gegenteiliger Hinweise im Akt AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichts Baden auszugehen ist, scheidet nachträgliche Straffestsetzung aus, bei dieser Ausgangslage die dem Schuldspruch nach § 13 Abs 1 JGG zugrunde liegenden Verfahrensergebnisse nicht mehr berücksichtigt werden können. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher - entgegen dem Antrag der Generalprokuratur auf Aufhebung auch des urteilsmäßigen Strafausspruchs und Zurückverweisung an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung - veranlasst (§ 292 StPO), den eine nachträgliche Strafe gesondert festsetzenden Beschluss ersatzlos aufzuheben. Damit bleibt das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 27. Juli 2010, GZ 12 U 105/10y-4, jedoch unberührt.
In ihrer Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur weiters aus, weder den zu AZ 12 U 105/10y des Bezirksgerichts Baden getroffenen Verfügungen (ON 1) noch dem Protokoll über die Hauptverhandlung vom 27. Juli 2010 (ON 4) lasse sich entnehmen, dass das erkennende Gericht seiner in § 494a Abs 3 StPO statuierten Verpflichtung, vor der Entscheidung über den von der Staatsanwaltschaft beantragten nachträglichen Strafausspruch (§§ 15, 16 JGG) Einsicht in die Akten (bzw in eine Abschrift des Urteils) über diesen (früheren) Schuldspruch zu nehmen, nachgekommen wäre.
Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur kann jedoch allein aus dem Umstand, dass die Beischaffung des Akts AZ 12 U 86/07z des Bezirksgerichts Baden im späteren Verfahren AZ 12 U 105/10y des genannten Gerichts nicht dokumentiert ist, nicht darauf geschlossen werden, das Erstgericht hätte gegen die in § 494a Abs 3 StPO statuierte Verpflichtung zur Einsichtnahme in die Akten über den vorangegangenen Schulspruch verstoßen. In diesem Punkt war die zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E96866European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00005.11V.0308.000Im RIS seit
20.04.2011Zuletzt aktualisiert am
17.03.2014