Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Michel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Gisela G***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 2 zweiter Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 6. September 2010, GZ 29 Hv 84/10v-296, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthält, wurde Mag. Gisela G***** im zweiten Rechtsgang des Verbrechens (richtig:) des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG (1.) sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 fünfter Fall SMG (2.) schuldig erkannt.
Danach hat sie „am Grenzübergang Brennerpass und an anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift teilweise in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge eingeführt, und zwar
1. zu einem datumsmäßig nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt cirka im Mai 2005 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Rachid M***** und Abdul R***** als Mittäter (§ 12 StGB) durch Schmuggel von cirka 1 kg Haschisch (mit einem THC-Gehalt von 8 %) und 25 g Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von 15 %), somit Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge, von Bozen über den Grenzübergang Brennerpass nach Innsbruck;
2. zu einem datumsmäßig nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt im Mai/Juni 2006 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Hakim S***** als Mittäter (§ 12 StGB) durch Schmuggel von cirka 70 g Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von 15 %) von Bologna über den Grenzübergang Brennerpass nach Innsbruck.“
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 3, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Mag. Gisela G*****, der keine Berechtigung zukommt:
Soweit die Beschwerdeführerin aus Z 3 die ohne ihre Zustimmung erfolgte Verlesung der bisherigen Vernehmungsprotokolle des Zeugen Abdul R***** kritisiert, zeigt sie keinen Verfahrensmangel auf, weil die Verlesung bei - wie hier - unbekanntem Aufenthalt des Zeugen, der ergebnislos geladen und bereits mit 18. Jänner 2008 zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben worden war (vgl ON 146 und ON 295, S 569 und 589; US 13), gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO zulässigerweise erfolgte (vgl RIS-Justiz RS0098248; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 61). Eine Zustimmung der Angeklagten zur Verlesung dieser Zeugenaussage iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO, deren Fehlen im Rechtsmittel releviert wird, war demnach gerade nicht geboten.
Der korrespondierende Einwand der Mängelrüge, das Erstgericht hätte sich in der Beweiswürdigung nicht auf jene Protokolle stützen dürfen (Z 5 vierter Fall), geht im Ansatz fehl:
Im - hier wie gezeigt ohnedies nicht gegebenen -
Fall einer mit Nichtigkeit bedrohten Beweiserhebung kann ein Verstoß gegen ein entsprechendes Verwertungsverbot nur dann aus Z 5 vierter Fall (oder Z 5a) aufgegriffen werden, wenn der Beschwerdeführer an der Geltendmachung der Verletzung oder Vernachlässigung der betreffenden Vorschrift als Verfahrensmangel gehindert war (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 68; Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 119 f, 171).
Der daran anknüpfenden Beschwerdebehauptung (Z 4) zuwider handelte es sich bei der seitens der Angeklagten begehrten „Ausforschung und neuerlichen Einvernahme dieses Zeugen“ (ON 295, S 587) aus den schon vom Erstgericht (US 13) genannten Gründen um einen aussichtslosen und undurchführbaren Beweis (§ 55 Abs 2 erster Satz StPO; Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 31; RIS-Justiz RS0099399, RS0099502), zumal die Beschwerdeführerin keine ladungsfähige Anschrift anzugeben, sondern lediglich zu berichten vermochte, den Zeugen in Frankreich zu wähnen (ON 295, S 571 und 589). Gleiches gilt für den vom Erstgericht ebenfalls abgelehnten Antrag auf „Ladung und Einvernahme des Zeugen Rachid M*****“ (ON 269, S 484), welcher ebenfalls unbekannten Aufenthalts und seit 18. Jänner 2008 ergebnislos zur Aufenthaltsermittlung im Inland ausgeschrieben ist (ON 137; ON 295, S 569 und S 589; US 13).
Die Mängelrüge behauptet unter dem Gesichtspunkt einer unvollständigen bzw unzureichenden Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) unerörtert gebliebene Divergenzen in den Depositionen der wiederholt vernommenen Zeugen Abdul R***** (zum Schuldspruch 1.) sowie Abramo H***** (zum Schuldspruch 2.) und zieht deren Überzeugungskraft in Zweifel. Sie übersieht, dass sich die Tatrichter mit den Unstimmigkeiten in den Schilderungen dieser Zeugen durchaus auseinandergesetzt und insbesondere auf die offensichtlichen Verständigungsschwierigkeiten anlässlich der Vernehmung des Abdul R*****s in der Hauptverhandlung am 19. Dezember 2007 hingewiesen haben (US 10 ff und 16). Im Ergebnis gelangten sie aber - im Einklang mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen - aufgrund des Umstands zur Überzeugung von ihrer Glaubwürdigkeit, dass sich diese Zeugen durch ihre im Kern beständigen Aussagen massiv selbst belasteten (US 12 f, 16). Dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend war das Gericht nicht verpflichtet, sich mit sämtlichen Aussagedetails auseinanderzusetzen und alle Verfahrensergebnisse darauf zu untersuchen, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428). Solcherart wird auch mit dem Vorbringen, die Angeklagte habe erst ab dem Jahr 2006 ein blaues (zuvor aber ein silberfarbenes) Auto besessen, keine entscheidende oder erhebliche Tatsache (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399, 409) angesprochen, welche einer Erörterung im Urteil bedurft hätte.
Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Angeklagten (US 6 f) blieben - der Beschwerdeauffassung zuwider - ebenfalls nicht unbegründet, sondern wurden - methodisch einwandfrei (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882) - aus dem gezeigten äußeren Verhalten der Genannten und - in Ansehung ihres anlässlich der Fahrt im Mai 2005 auf ein die Grenzmenge übersteigendes Suchtgiftquantum gerichteten Vorsatzes - aus dem Umstand erschlossen, dass niemand ein derart hohes Risiko auf sich nehmen würde, wenn es sich nicht wirklich lohnte (US 18 f).
Soweit die Beschwerdeführerin die Überzeugung der Tatrichter von der Unglaubwürdigkeit des Zeugen Haakim S***** (US 17) in Frage stellt, übersieht sie, dass der dazu - aufgrund des von ihm in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks - führende kritisch-psychologische Vorgang bereits als solcher der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen ist (RIS-Justiz RS0106588; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431).
Letztlich lässt auch der Einwand, es begründe „eine Widersprüchlichkeit“, in Ansehung des Vorwurfs der Schlepperei mangels unmittelbarer Wahrnehmung des Zeugen Abramo H***** mit Teilfreispruch vorzugehen, auf dessen Angaben jedoch die nunmehrige Verurteilung zu stützen, keinen Begründungsmangel erkennen, weil dieses Vorbringen einer Darlegung entbehrt, welche konkreten Urteilsaussagen zueinander in einem solchen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) stehen sollten, dass sie nach den Denkgesetzen nicht nebeneinander bestehen könnten (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 438).
Das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich - mit dem wiederholten Hinweis auf Divergenzen in den Aussagen der Zeugen Abramo H***** und Abdul R***** sowie auf deren getrübtes Vorleben und mit eigenständigen Überlegungen zu bestehenden persönlichen Konflikten zwischen den Beteiligten - darin, den Überlegungen der Tatrichter eigene Beweiswerterwägungen entgegenzusetzen. Solcherart überschreitet sie jedoch die Grenze zu der im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung, ohne aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die entscheidenden tatrichterlichen Feststellungen zu erwecken.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E96875European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00187.10G.0308.000Im RIS seit
20.04.2011Zuletzt aktualisiert am
20.04.2011