Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. Stefanie S*****, 1a. mj Christine S*****, geboren am *****, letztere vertreten durch die Mutter Sabine S*****, alle *****, 2. Rudolf E*****, 3. Margret R*****, 4. Hildegard S*****, Maria P*****, 6. Alfred D*****, 6a. Petra D*****, 7. Dietmar R*****, 7a. Daniela R*****, 8. Gertrud O*****, 9. Stefan D*****, 10. Johann L*****, 11. Markus B*****, 12. Angelika H*****, 13. Ingrid D*****, 14. Christine F*****, 15. Andreas M*****, 16. Elisabeth S*****, 17. Monika T*****, 18. Katharina S*****, 19. Franz F*****, 20. Sabine K*****, 21. Erna G*****, 22. Josef M*****, 23. Margit M*****, 24. Waltraud B*****, 25. Rosemarie L*****, 26. Harald K*****, 26a. Elke K*****, 27. Walter S*****, 28. Manfred A*****, 29. Helga H*****, 30. Gabriele D*****, 31. Priska K*****, 32. Bernadette R*****, alle *****, alle vertreten durch Dr. Walter Hausberger, Dr. Katharina Moritz und Dr. Alfred Schmidt, Rechtsanwälte in Wörgl, gegen die Antragsgegnerin T*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen §§ 15, 22 Abs 1 Z 6 WGG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 21. September 2010, GZ 1 R 106/10k-66, mit dem infolge Rekurses der Antragsgegnerin der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 5. März 2010, GZ 3 Msch 17/05x-61, teilweise bestätigt, teilweise der Rekurs der Antragsgegnerin zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der Beschluss des Rekursgerichts insoweit als nichtig aufgehoben, als dem Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 5. März 2010, GZ 3 Msch 17/05x-61, hinsichtlich der Punkte II) 1), 2) und 8) nicht Folge gegeben wurde, und wird der Rekurs der Antragsgegnerin insoweit zurückgewiesen.
Text
Begründung:
In einem Verfahren nach §§ 15, 22 Abs 1 Z 6 WGG hat das Erstgericht mit seinem Beschluss
I) den Antrag der Antragsgegnerin auf Ausfertigung und Zustellung seines Beschlusses vom 7. 3. 2006 (Band I ON 6) abgewiesen und,
II) ausgesprochen, dass Beweis wird aufgenommen wird
1) zur Abrechnungsgrundlage, und zwar
… (Fragenliste)
2) zur Frage, ob die mit den Antragstellern vereinbarten Kaufpreise unter dem seinerzeitigen Verkehrswert sowie den Herstellungskosten lagen und zur Frage der Angemessenheit der den Antragstellern verrechneten Grundkosten;
3) zur Frage der Aktivlegitimation der (mj Stefanie S***** und) mj Christine S***** [1.- und 1a.-Antragsteller];
4) zur Frage, ob der Antrag rechtzeitig gestellt wurde oder verfristet ist (§ 18 Abs 3 WGG);
5) zu Skontoeinbehalten, und zwar
… (Fragenliste);
6) zur Rücklage gemäß § 16 ERVO, und zwar
… (Fragenliste);
7) zu Bauverwaltungskosten gemäß § 4 ERVO
… (Fragenliste);
8) zu den Kosten der Planung und örtlichen Bauaufsicht, und zwar
… (Fragenliste);
9) ob in der den Antragstellern weiterverrechneten Endabrechnung (…) Einzelrechnungen aufgenommen wurden, bei denen die Antragsgegnerin die von ihr gegenüber den Professionisten vorgenommenen Abzüge nicht an die Antragsteller weiterverrechnet hat oder bei denen die den Rechnungen zugrundeliegenden Leistungen eigentlich im Rahmen der Gewährleistung abzuwickeln gewesen wären, und zwar
… (Fragenliste);
III) zu allen unter Punkt II) bis IX) genannten Themen durch
… (Liste der Beweismittel).
Das Rekursgericht wies mit seinem bekämpften Beschluss den Rekurs der Antragsgegnerin, soweit er sich gegen die Punkte I), II) 3), 4), 6), 7) und III) - IX) des erstgerichtlichen Beschlusses richtete, zurück, gab dem Rechtsmittel im Übrigen nicht Folge und wies die Rekursbeantwortung der Antragsteller zurück.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und „Verfristung des verfahrenseinleitenden Antrages“ mit dem Antrag, den verfahrenseinleitenden Antrag als verspätet zurückzuweisen, in eventu den Beschluss des Rekursgerichts in einen Aufhebungsbeschluss abzuändern; hilfsweise wird auch die Aufhebung der Beschlüsse beider Vorinstanzen beantragt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig. Aus Anlass des Revisionsrekurses ist aber eine dem Beschluss des Rekursgerichts anhaftende Nichtigkeit wahrzunehmen.
1. Mit dem - in einer Tagsatzung mündlich verkündeten und dann nicht schriftlich ausgefertigten - Beschluss vom 7. 3. 2006 (Band I ON 6 Seite 7) hat das Erstgericht der Antragsgegnerin - zusammengefasst - aufgetragen, binnen 4 Wochen entweder sämtliche Abrechnungsbelege oder sonstige näher bezeichnete Unterlagen dem Gericht zu übermitteln oder den Antragstellern bzw deren Vertreter oder der Hausverwaltung Belegeinsicht zu ermöglichen. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern in der Folge Belegeinsicht gewährt (vgl Band I ON 7 und 9). Den Rekurs gegen die vom Erstgericht ausgesprochene Abweisung des Antrags auf Ausfertigung und Zustellung des genannten Beschlusses hat das Rekursgericht mangels Rechtsschutzinteresses der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Diese Rekurszurückweisung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden:
1.1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer. Wird nämlich der Rechtsmittelwerber in seinen rechtlich geschützten Interessen (RIS-Justiz RS0118925) durch die angefochtene Entscheidung nicht beeinträchtigt, so ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (RIS-Justiz RS0041868 [insb T15]).
1.2. Es trifft zwar zu, dass nach § 38 Satz 1 AußStrG Beschlüsse schriftlich auszufertigen und allen aktenkundigen Parteien zuzustellen sind. Allerdings handelte es sich beim Beschluss vom 7. 3. 2006 um einen Auftrag zur Vorlage bestimmter Urkunden und damit um einen verfahrensleitenden Beschluss (vgl RIS-Justiz RS0120910) iSd §§ 43 Abs 5, 45 Satz 2 AußStrG, der - entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin - bei hier erfolgter mündlicher Verkündung bereits mit dieser verbindlich wurde (§ 43 Abs 5 AußStrG), den die Antragsgegnerin auch bereits befolgt hat, was Säumnisfolgen ausschließt, und der - mangels entsprechender gesetzlicher Anordnung - nicht gesondert anfechtbar ist (§ 45 Satz 2 AußStrG). Die gegenteilige Argumentation der Antragsgegnerin von der Anfechtbarkeit dieses Beschlusses und der deshalb erforderlichen Ausfertigung fußt - wie im Übrigen auch die Entscheidung 5 Ob 2/90 = MietSlg 42.472 - auf einer durch das Wohnrechtliche Außerstreitbegleitgesetz (WohnAußStrBeglG; BGBl I 2003/113) überholten, auf den nicht mehr maßgeblichen Bestimmungen der ZPO aufbauenden Rechtslage. Durch die Verweigerung der schriftlichen Ausfertigung des Beschluss vom 7. 3. 2006 ist somit (derzeit) eine materielle Beschwer der Antragsgegnerin nicht zu erkennen.
2. Die Zurückweisung des Rekurses der Antragsgegnerin, soweit sich dieser gegen Punkt III) (Aufzählung der Beweismittel) richtete, erfolgte rechtsrichtig. Der Beweisbeschluss nach § 22 Abs 2 Z 3 WGG hat nämlich (nur) „die Tatsachen“ zu bezeichnen, über die Beweis aufzunehmen sein wird. Er kann nur hinsichtlich der Vollständigkeit der zu erhebenden Tatsachen und deren rechtlicher Relevanz, aber nicht hinsichtlich der dazu in Aussicht genommenen Beweismittel angefochten werden. Behauptete Mängel im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung können erst im Rechtsmittelverfahren über die Sachentscheidung geltend gemacht werden (5 Ob 145/09y = immolex 2010/136, 355 = wobl 2010/106, 224; RIS-Justiz RS0125909).
3.1. Mit der Zurückweisung des Rekurses der Antragsgegnerin, soweit sich dieser gegen Punkt II) 3) [Aktivlegitimation], 4) [Rechtzeitigkeit des Antrags], 6) [Rücklage gemäß § 16 ERVO], und 7) [Bauverwaltungskosten gemäß § 4 ERVO] richtete, folgte das Rekursgericht zutreffend der Rechtsprechung des erkennenden Senats, wonach die besonderen Verfahrensregeln nach § 22 Abs 2 WGG - und damit die gesonderte Anfechtbarkeit des Beweisbeschlusses - nur die Entscheidung über die im Zusammenhang mit den Baukosten stehenden Fragen betreffen, aber nicht die gesamten Herstellungskosten (5 Ob 145/09y mwN = immolex 2010/136, 355 = wobl 2010/106, 224).
3.2.1. Allerdings betreffen auch die Punkte II) 1) [zur Abrechnung herangezogene Urkunden, Umwidmungen, Abrechnungskriterien], 2) [Vereinbarungs- und Angemessenheitsfragen] und 8) [Planung und örtliche Bauaufsicht; vgl § 4 Abs 2 Z 3 ERVO] nicht konkret und unmittelbar Tatfragen zu „jenem Betrag ..., der für die Errichtung der Baulichkeit nachweislich aufgewendet wurde“ (§ 1 Abs 1 ERVO). Das Rekursgericht hätte daher auch in diesem Umfang den Rekurs der Antragsgegnerin zurückweisen müssen.
3.2.2. Entscheidet ein Gericht zweiter Instanz über einen unzulässigen Rekurs nicht formal, also im Sinn dessen Zurückweisung, sondern meritorisch, so ist der - dann zur Hauptfrage werdende - Mangel der funktionellen Zuständigkeit für eine solche Erledigung vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen; als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0115201; RS0042059; RS0121264; zur Entwicklung der Rechtsprechung s Zechner in Fasching/Konecny² IV/1, Vor §§ 514 ff ZPO Rz 36, § 515 ZPO Rz 20, § 528 ZPO Rz 24; vgl überdies RIS-Justiz RS0043969). Dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt, wie aus § 54 AußStrG iVm § 71 Abs 4 AußStrG herzuleiten ist, auch für eine vom Obersten Gerichtshof im Außerstreitverfahren zu treffende Entscheidung (1 Ob 156/06g; 5 Ob 116/08g). Aus Anlass des Revisionsrekurses war daher der Rekurs der Antragsgegnerin, auch soweit er sich gegen die Punkte II) 1) [zur Abrechnung herangezogene Urkunden, Umwidmungen, Abrechnungskriterien], 2) [Vereinbarungs- und Angemessenheitsfragen] und 8) [Planung und örtliche Bauaufsicht; vgl § 4 Abs 2 Z 3 ERVO] richtete, als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0121264).
4. Soweit sich der Beweisbeschluss des Erstgerichts tatsächlich auf die Baukosten bezieht [Punkt II) 5) und 9)], betrifft er - entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin - mit den Hinweisen auf bestimmte Professionistenrechnungen jedenfalls auch die diesen zugrundeliegenden Leistungen und damit (auch) Tat- und nicht nur Rechtsfragen; in diesem Sinn ist auch keine entscheidungsrelevante Aktenwidrigkeit zu erkennen (§ 71 Abs 3 AußStrG). Ob zu diesen Punkten von der Antragsgegnerin gegebenenfalls noch zusätzlich gewünschte Beweisaufnahmen erforderlich sind, ist nicht Gegenstand der hier vorzunehmenden Überprüfung, sondern bleibt der pflichtgemäßen Ermessensübung der Tatsacheninstanzen überlassen (vgl oben Punkt 2. und 5 Ob 145/09y = immolex 2010/136, 355 = wobl 2010/106, 224).
5. Ob der verfahrenseinleitende Antrag verfristet ist, war nicht Gegenstand der erstgerichtlichen Entscheidung und ist daher in diesem Rechtsmittelverfahren nicht zu beurteilen.
Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin erweist sich mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG insoweit also als unzulässig. Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Außerstreitiges WohnrechtTextnummer
E96916European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00232.10V.0308.000Im RIS seit
27.04.2011Zuletzt aktualisiert am
11.02.2013