TE OGH 2011/3/8 12Os15/11i (12Os16/11m, 12Os17/11h)

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Veröffentlicht am 08.03.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in den Strafsachen gegen Marco M***** AZ 11 Hv 84/09p und AZ 25 Hv 100/10w jeweils des Landesgerichts Eisenstadt sowie AZ 3 U 16/10a des Bezirksgerichts Oberwart über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Landesgerichts Eisenstadt vom 2. März 2010, GZ 11 Hv 84/09p-19, und vom 3. September 2010, GZ 25 Hv 100/10w-10, sowie gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Oberwart vom 12. Mai 2010, GZ 3 U 16/10a-11, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Dr. Knibbe, zu Recht erkannt:

Spruch

In den Strafsachen gegen Marco M***** verletzen das Gesetz

1./  das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 3. September 2010, GZ 25 Hv 100/10w-10, in § 270 Abs 4 Z 2 StPO;

2./ der Beschluss des Bezirksgerichts Oberwart vom 12. Mai 2010, GZ 3 U 16/10a-11, in § 53 Abs 1 StGB.

 

Der Beschluss des Bezirksgerichts Oberwart vom 12. Mai 2010, GZ 3 U 16/10a-11, wird ersatzlos aufgehoben.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Marco M***** wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Oberwart vom 8. Juli 2009, GZ 3 U 165/08k-33, mehrerer Vergehen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Dem Urteil des Bezirksgerichts Oberwart vom 18. November 2009, GZ 3 U 90/09g-14, lag ein am 10. Juni 2009 begangenes Vergehen zugrunde. Unter Bedachtnahme auf das zu AZ 3 U 165/08k des Bezirksgerichts Oberwart ergangene Vorurteil wurde für die neu hervorgekommene Tat eine Zusatzstrafe verhängt.

Mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 2. März 2010, GZ 11 Hv 84/09p-19, wurde Marco M***** wegen mehrerer im Zeitraum März bis Juli 2008 begangener Straftaten schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Die vor Urteilsfällung am 2. März 2010 im Akt befindliche Strafregisterauskunft ist mit 30. Juni 2009 datiert (ON 2 S 29). Eine aktuelle Strafregisterauskunft wurde nicht beigeschafft.

Mit Urteil des Bezirksgerichts Oberwart vom 12. Mai 2010, GZ 3 U 16/10a-11, wurde Marco M***** des am 25. Oktober 2009 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Anlässlich dieser Verurteilung widerrief das Bezirksgericht Oberwart mit dem gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss die Marco M***** mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 2. März 2010, GZ 11 Hv 84/09p-19, gewährte bedingte Strafnachsicht.

Unter Bedachtnahme auf die Urteile des Landesgerichts Eisenstadt vom 2. März 2010, GZ 11 Hv 84/09p-19 und des Bezirksgerichts Oberwart vom 12. Mai 2010, GZ 3 U 16/10a-11, wurde Marco M***** mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 3. September 2010, GZ 25 Hv 100/10w-10, mehrerer im Zeitraum Juli 2009 bis Februar 2010 begangener Vergehen schuldig erkannt und zu einer Zusatzfreiheitsstrafe verurteilt. Die im Akt befindliche Strafregisterauskunft wies auch den Tatzeitpunkt der den Urteilen jeweils zu Grunde liegenden letzten Tat auf (ON 8). Der Urteilsausfertigung lässt sich weder eine Begründung der die Bedachtnahme bedingenden Umstände noch jene Sanktionen entnehmen, auf die Bedacht genommen wurde.

Sämtliche bezeichneten Urteile wurden in gekürzter Form ausgefertigt (§ 270 Abs 4 StPO).

Rechtliche Beurteilung

Davon ausgehend zeigt die Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend auf, dass sich der gekürzten Ausfertigung des Urteils des Landesgerichts Eisenstadt vom 3. September 2010, GZ 25 Hv 100/10w-10, entgegen § 270 Abs 4 Z 2 StPO, wonach diese im Fall einer Verurteilung auch die für die Strafbemessung maßgebenden Umstände zu enthalten hat, die Daten der den Vorurteilen zugrundeliegenden Taten nicht entnehmen lassen.

Da die den Strafrahmen determinierende Bestimmung des § 31 Abs 1 StGB (vgl Ratz in WK2 § 31 Rz 14; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 666) auch die Grenzen der Strafbemessung absteckt, ist zur Überprüfung der Einhaltung der Strafbefugnis bei Verhängung einer Zusatzstrafe nicht nur darzulegen, weshalb die Urteile in dem von § 31 Abs 1 StGB bezeichneten Verhältnis stehen, sondern auch, auf welche Sanktionen Bedacht genommen wurde. Demnach verletzt die Unterlassung der Bezeichnung dieser Umstände das Gesetz in § 270 Abs 2 Z 4 StPO.

Soweit die Generalprokuratur weiters dem Bezirksgericht Oberwart die irrige Rechtsansicht anlastet, der im Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 2. März 2010, GZ 11 Hv 84/09p-19, festgestellte Sachverhalt berechtige zum Widerruf, macht sie zutreffend geltend, dass der gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefasste Widerrufsbeschluss vom 12. Mai 2010 mit § 53 Abs 1 StGB nicht im Einklang steht, weil der Widerruf der bedingten Strafnachsicht die Verurteilung wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung voraussetzt. Dies trifft auf die zu AZ 3 U 16/10a des Bezirksgerichts Oberwart abgeurteilte Straftat vom 25. Oktober 2009 nicht zu, zumal die mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 2. März 2010, GZ 11 Hv 84/09p-19, bestimmte Probezeit erst nach diesem Zeitpunkt zu laufen begann.

Soweit sich die Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit der aus dem Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).

Nach Ansicht der Generalprokuratur steht auch aufgrund der im Folgenden zusammengefasst wiedergegebenen Argumentation das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 2. März 2010, GZ 11 Hv 84/09p-19 im Unterbleiben einer Bedachtnahme auf die Urteile des Bezirksgerichts Oberwart vom 8. Juli 2009, GZ 3 U 165/08k-33, und vom 18. November 2009, GZ 3 U 90/09g-14, mit § 31 Abs 1 StGB nicht im Einklang. Der Vollzug der materiellrechtlichen Anordnung setze die Kenntnis von allfälligen Vor-Urteilen zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt voraus. Daraus folge auch die Verpflichtung des erkennenden Gerichts, eine entsprechende Beurteilungsgrundlage, vornehmlich durch Einholung einer zeitnahen Strafregisterauskunft, zum Urteilszeitpunkt zu schaffen. Da dies der Einzelrichter im Verfahren AZ 11 Hv 84/09p des Landesgerichts Eisenstadt unterlassen habe, seien ihm die Urteile des Bezirksgerichts Oberwart vom 8. Juli 2009, GZ 3 U 165/08k-33, und vom 18. November 2009, GZ 3 U 90/09g-14, samt dem jeweiligen Datum der zu Grunde gelegenen Tat, die zum Zeitpunkt der Urteilsfällung im Strafregister (längst) aufgeschienen seien, pflichtwidrig nicht bekannt gewesen. Auf der Grundlage entsprechender Urteilsannahmen (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) wäre im Urteil unter Bedachtnahme auf diese beiden Vor-Urteile eine Zusatzstrafe zu verhängen gewesen, was vorliegend zum Nachteil des Angeklagten unterblieben sei.

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof Folgendes erwogen:

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde davon ausgeht, dass dem Einzelrichter die Urteile des Bezirksgerichts Oberwart tatsächlich nicht bekannt waren, leitet sie die Verletzung des § 31 StGB nicht aus Sachverhaltsannahmen im Urteil des Landesgerichts Eisenstadt, sondern aus der Aktenlage ab. Wenn das Gericht aber von objektiv unrichtigen Tatumständen ausgeht, handelt es nur dann gesetzwidrig, wenn die tatsächliche Entscheidungsgrundlage aufgrund eines rechtlich mangelhaften Verfahrens zustande gekommen oder mit einem Begründungsmangel behaftet ist. Ist die Ermittlung des Sachverhalts nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien rechtlich nicht zu beanstanden, liegt keine Gesetzwidrigkeit vor. Als Rechtsbehelf in derartigen Fällen kommt aber die analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 Abs 1 Z 2 StPO in Betracht (vgl etwa 13 Os 64/09z; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 15-18; RIS-Justiz RS0117416).

Weil sich die von der Generalprokuratur aus § 31 Abs 1 StGB abgeleitete Verpflichtung zur Einholung einer „zeitnahen“ Strafregisterauskunft dem Gesetz nicht entnehmen lässt, war die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit zu verwerfen.

Anzumerken ist, dass auf nachträglich bekannt gewordene Vor-Verurteilungen iSd §§ 31 und 40 StGB gemäß § 31a Abs 1 StGB und § 410 StPO amtswegig Bedacht zu nehmen ist.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E96922

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00015.11I.0308.000

Im RIS seit

29.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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