Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen M***** R*****, geboren am 6. 11. 1999, Mutter Dr. T***** A*****, Mutter vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in Lambach, Vater Dr. J***** R*****, vertreten durch Dr. Peter Posch und Dr. Ingrid Posch, Rechtsanwälte in Wels, wegen Obsorge, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 20. Oktober 2010, GZ 21 R 321/10w-48, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Lambach vom 3. August 2010, GZ 5 Ps 151/09s-26, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob sich das auf eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung anzuwendende materielle Recht bei Aufenthaltszuständigkeit der österreichischen Gerichte nach Art 8 EuEheVO nach den Kollisionsnormen der §§ 24 ff IPRG richte oder ob diese Kollisionsnormen durch die Bestimmungen der Art 2 und 3 MSA verdrängt würden. Bei Bejahung der Anwendbarkeit der Art 2 und 3 MSA sei eine Befassung des Höchstgerichts mit der Rechtsfrage geboten, inwieweit im Hinblick auf die Regelung des § 1671 Abs 2 Nr 2 BGB bei einem in Österreich gewöhnlich aufhältigen Kind, welches die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, die nach dem Heimatrecht des Kindes zu beurteilende Frage der Zulässigkeit der Betrauung eines Elternteils mit der alleinigen Obsorge von jener der nach dem innerstaatlichen Recht zu beurteilenden Voraussetzungen dieser Schutzmaßnahme abzugrenzen sei, und ob danach bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 1671 Abs 2 Nr 2 BGB für eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge an die Mutter von einem österreichischen Gericht - abweichend von § 177a Abs 2 ABGB - die Fortsetzung der gemeinsamen Obsorge der Eltern verfügt werden könne oder nicht.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Nach Art 1 Abs 1 lit b Brüssel IIa-VO gilt diese Verordnung für Zivilsachen, deren Gegenstand die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung betreffen. Die Verordnung gilt nach deren Art 1 Abs 3 lit c jedoch nicht für das Kindesnamensrecht (Namen und Vornamen des Kindes). Nach Art 19 Abs 2 Brüssel IIa-VO hat das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedsstaaten Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung für ein Kind wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht wurden. Die vom Revisionsrekurswerber aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Antrag wegen familiengerichtlicher Genehmigung der Einbenennung des Minderjährigen nach § 1618 BGB denselben Anspruch geltend macht wie ein Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge, ist bereits aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zu lösen, weshalb trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine erhebliche Rechtsfrage gegeben ist (RIS-Justiz RS0042656). Für das Namensrecht des Kindes hat wie oben dargelegt die Brüssel IIa-VO ausdrücklich keine Geltung, sodass keine Anspruchsidentität im Sinn von Art 19 Abs 2 Brüssel IIa-VO vorliegen kann. Die Entscheidung darüber, ob die Zustimmung eines Elternteils nach § 1618 BGB zu ersetzen ist, lässt auch die bestehende Obsorgeregelung unberührt. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, das Erstgericht sei für die Entscheidung über den Obsorgeantrag der Mutter nach Art 8 Abs 1 Brüssel IIa-VO als das Gericht, in dessen Sprengel das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, zuständig, ist nicht zu beanstanden.
Österreich und Deutschland sind Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. 10. 1961 (Haager Minderjährigenschutzabkommen; MSA). Nach ständiger Rechtsprechung geht das MSA in seinem Anwendungsbereich dem österreichischen Kollisionsrecht vor (4 Ob 63/03y mwN). Nach Art 13 Abs 1 MSA ist das Abkommen auf alle Minderjährigen anzuwenden, die einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten haben, und zwar auch auf Minderjährige, die nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaats sind (6 Ob 79/10a mwN).
Nach Art 1 MSA sind die Behörden des Staats, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vorbehaltlich der Bestimmungen der Art 3, 4 und 5 Abs 3 MSA dafür zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen zu treffen. Unter dem Begriff der Maßnahme fallen unter anderem alle Eingriffe in das elterliche Obsorgeverhältnis (6 Ob 79/10a mwN; RIS-Justiz RS0047773). Nach Art 2 Abs 1 MSA ist das Recht des Aufenthaltsorts anzuwenden, dabei aber nach Art 3 MSA ein Gewaltverhältnis, das nach dem innerstaatlichen Recht des Staats, dem der Minderjährige angehört, kraft Gesetzes besteht, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen. Daraus folgt, dass der Aufenthaltsstaat eine Schutzmaßnahme nur ergreifen kann, wenn der Heimatstaat dieselbe Angelegenheit nicht durch ein gesetzliches Gewaltverhältnis geregelt hat (4 Ob 63/03y, 6 Ob 79/10a). Die gemeinsame Obsorge der Eltern nach dem Recht des Heimatstaats ist ein gesetzliches Gewaltverhältnis im Sinn des Art 3 MSA (4 Ob 63/03y).
Zulässigkeit und Umfang des Eingriffs in ein Gewaltverhältnis sind nicht nach österreichischem, sondern nach dem Heimatrecht des Kindes zu beurteilen (RIS-Justiz RS0074276). Gemäß § 1671 Abs 2 Z 2 BGB ist, wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben, einem Elternteil auf seinen Antrag - auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils - die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ergibt sich daraus kein Regel-/Ausnahmeverhältnis zugunsten des Fortbestands der gemeinsamen elterlichen Sorge. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung im wesentlichen Bereich der elterlichen Sorge und eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern. Zu den wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge, für die ein Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge getrennt lebender Eltern gefordert werden muss, gehört jedenfalls die Grundentscheidung über den persönlichen Umgang des Kindes mit dem nichtbetreuenden Elternteil (BGH, 12. 12. 2007, XII ZB 158/05). Ausgehend von den Feststellungen ergibt sich nicht nur eine Unstimmigkeit der Eltern hinsichtlich der Änderung des Zunamens des Minderjährigen, zu der der Vater seine Zustimmung nicht geben will, sondern davon ausgehend auch Streitigkeiten über die Ausübung des Besuchsrechts und damit zum Wohl des Kindes Notwendigkeit des Eingriffs in das bisher bestehende Gewaltverhältnis im Sinn der zitierten deutschen Rechtsprechung. Dem Obersten Gerichtshof kommt jedenfalls nicht die Aufgabe zu, die Einheitlichkeit oder gar die Fortentwicklung fremden Rechts in seinem ursprünglichen Geltungsbereich zu gewährleisten (RIS-Justiz RS0042948 [T1, T10, T12 bis T14]; RS0042940 [T2 und T3]). Der beantragte Eingriff in das Gewaltverhältnis ist nach dem Heimatrecht des Minderjährigen daher grundsätzlich zulässig.
Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass daher nun nach österreichischem Recht die Frage der Übertragung der alleinigen Obsorge an die Mutter zu lösen ist, hält sich im Rahmen der Judikatur (2 Ob 117/00w, 4 Ob 63/03y). Die Aufrechterhaltung der Obsorge beider Eltern ist danach gegen den Willen eines Elternteils ausgeschlossen. Ein auf Aufhebung dieser Obsorge gerichteter Antrag eines Elternteils führt zur Aufhebung der gemeinsamen Obsorge. Die Entscheidung, welcher Elternteil damit betraut werden soll, hängt vom Kindeswohl ab (RIS-Justiz RS0117004, RS0120492). Der Vater selbst hat keinen Antrag auf Übertragung der Obsorge gestellt. In der Entscheidung des Rekursgerichts, die Obsorge der Mutter zu übertragen, bei der sich der Minderjährige seit der Trennung der Eltern aufhält, ist ein Abweichen von der Rechtsprechung nicht erkennbar.
Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.
Schlagworte
Gruppe: Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht,Europarecht,FamilienrechtTextnummer
E96750European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00257.10K.0309.000Im RIS seit
07.04.2011Zuletzt aktualisiert am
02.05.2013