TE Vfgh Beschluss 1998/6/15 V29/98

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Veröffentlicht am 15.06.1998
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Erlaß des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 05.03.96 betreffend eine Anleitung für die rechtliche Einstufung von Tätigkeiten im Bereich des Gewerbes der Lebens- und Sozialberater
ÄrzteG §40
GewO 1994 §261

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags der Ärztekammer für Wien auf Aufhebung eines Erlasses betreffend eine Anleitung für die rechtliche Einstufung von Tätigkeiten im Bereich des Gewerbes der Lebens- und Sozialberater (sowie der angrenzenden Berufszweige im Bereich der alternativen Heilmethoden - Heilpraktiker) mangels Eingriff in eine der Ärztekammer durch Vorschriften des ÄrzteG gewährleistete Rechtssphäre

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit an alle Ämter der Landesregierungen - Gewerbeabteilung gerichtetem Erlaß vom 5. März 1996, Z30.599/38-III/1/96, gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten "eine Anleitung für die rechtliche Einstufung von Tätigkeiten im Bereich des Gewerbes der Lebens- und Sozialberater sowie der angrenzenden Berufszweige". Dieser Erlaß lautet im wesentlichen wie folgt:

"1. Die im folgenden beispielhaft angeführten Tätigkeiten sind Tätigkeiten des Gewerbes der Lebens- und Sozialberater und dürfen daher nur auf Grund einer diesem Gewerbe entsprechenden Bewilligung ausgeübt werden:

1.1 Persönlichkeitsberatung

...

2. Folgende Tätigkeiten sind freie Gewerbe:

2.1 Planung sinnvoller Freizeitgestaltung (Animation)

2.2 Erstellung von Horoskopen und deren Interpretation (Astrologie)

2.3 Feststellung der Konstitution und des Charakters des Menschen auf Grund von Formen und Linien seiner Hände (Anwendung der Chirologie)

2.4 Durchführung von radiästethischen Untersuchungen mittels Wünschelrute und Pendel

2.5 Hilfestellung zur Erreichung einer körperlichen bzw. energetischen Ausgewogenheit, ua.

-

mittels der Methode von Dr. Bach

-

mittels Biofeedback oder Bioresonanz

-

mittels Auswahl von Farben

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mittels Auswahl von Düften

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mittels Auswahl von Lichtquellen

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mittels Auswahl von Aromastoffen

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mittels Auswahl von Edelsteinen

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mittels Auswahl von Musik

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unter Anwendung kinesiologischer Methoden

-

mittels Interpretation der Aura

3. Folgende Tätigkeiten fallen nicht in den Anwendungsbereich der Gewerbeordnung 1994 (Privatunterricht, Medizin, Psychotherapie):

...

4. Die Akupunktmassage ist Gegenstand des gebundenen Gewerbes der Masseure (§124 Z16 GewO 1994).

5. Bei Gewerben, deren Wortlaut eindeutig auf von der Gewerbeordnung 1994 ausgenommene Tätigkeiten, insbesondere auf dem Gebiet der Medizin hinweist, wäre im Rahmen des §363 GewO 1994 die Möglichkeit einer Nichtigerklärung in Betracht zu ziehen.

6. Der Erlaß vom 9. Dezember 1992, Zl. 30.599/70-III/1/92, ist nicht mehr anzuwenden."

2. Mit dem vorliegenden, auf Art139 B-VG gestützten Antrag begehrt die Ärztekammer für Wien die kostenpflichtige Aufhebung dieses oben teilweise wiedergegebenen, von ihr als Verordnung qualifizierten Erlasses infolge nicht gehöriger Kundmachung, in eventu die Aufhebung von dessen Punkt 2.5 wegen Gesetzwidrigkeit.

2.1. Zur Antragslegitimation wird vorgebracht, daß der angefochtene Akt, der sich nicht bloß an Verwaltungsorgane, sondern auch an Außenstehende richte und über einen normativen Inhalt verfüge, das Selbstverwaltungsrecht der Kammer zwar nicht hinsichtlich ihres abstrakten Aufgabenbereiches (Haushaltsrecht, Recht zur Abgabe von Stellungnahmen und zur Vornahme von Schlichtungen), wohl aber hinsichtlich ihres Wirkungsbereiches einschränke. Die bekämpfte Verordnung spreche der Kammer "das Selbstverwaltungsrecht und das Recht auf Existenz und Wahrung der übertragenen Aufgaben in bezug auf bloß alternative Heilmethoden anwendende Ärzte (§§38 f ÄrzteG) schlechthin ab". Sie löse die für die Ausübung des ärztlichen Berufes angeordnete Pflichtmitgliedschaft (§40 ÄrzteG) auf, indem sie eine ärztliche Tätigkeit bloß auf Grund eines Gewerbescheins ermögliche. Eine Ärztin habe bereits ihre Ordination abgemeldet und mit Wirkung vom 1. Juli 1997 einen Gewerbeschein im Sinne der bekämpften Verordnung gelöst. Sie übe nun ihren "ärztlichen Beruf" als freies Gewerbe aus. Zufolge des Punktes 2.5 der angefochtenen Verordnung könne nunmehr jedermann alternative Heilmethoden als freies Gewerbe ausüben, ohne daß es dazu der Mitgliedschaft bei der Ärztekammer bedürfe.

Die angefochtene Verordnung verschiebe außerdem die Disziplinargewalt über bloß alternative Heilmethoden anwendende Ärzte von der Ärztekammer zur Wirtschaftskammer. Die interne Kontroll- und Sanktionsmöglichkeit stehe der österreichischen Ärztekammer nur gegenüber Kammerangehörigen zu (§95 ÄrzteG), nicht aber gegenüber "Ärzten", die auf Grund eines Gewerbescheins Patienten alternativ behandeln und der Ärztekammer nicht angehören. Obwohl aus der Ärzteliste ausgetragene "Ärzte" rein rechtlich nicht mehr der Ärzteschaft angehören, würden sie von Patienten und der Öffentlichkeit dennoch der Ärzteschaft zugeordnet werden, da sie zu Recht ihren akademischen Titel "Dr. med" führen. Es sei aber unmöglich, diese "Ärzte" wegen Verstoßes gegen das ÄrzteG (§§1 und 11a) verfolgen zu lassen oder zivilrechtlich zu belangen, da sie gestützt auf Punkt 2.5 des bekämpften Erlasses nicht rechtswidrig handeln.

Auch sei es unmöglich, bloß alternative Heilmethoden anwendende Ärzte in die interne Streitschlichtung (§§38 Abs2 Z5 und 59 ÄrzteG) einzubeziehen, da diese zur Berufsausübung nicht mehr der Ärztekammer angehören müssen. Zudem verschiebe die bekämpfte Verordnung das Recht zur Einhebung finanzieller Beiträge von den alternative Heilmethoden anwendenden Ärzten von der Ärztekammer zur Wirtschaftskammer.

2.2. Im übrigen werden die nach Auffassung der Antragstellerin gegen die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung sprechenden Bedenken im einzelnen dargelegt.

3. Der Antrag ist unzulässig.

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festhält, ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines (Individual-)Antrages auf Aufhebung einer Verordnung, daß die Verordnung tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt (zB VfSlg. 8058/1977, 12674/1991, 14140/1995; vgl. auch VfSlg. 11873/1988). Der Gerichtshof hat zur Beurteilung dieser Frage vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (zB VfSlg. 10353/1985, 11730/1988, 14140/1995).

3.2. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem bekämpften Erlaß überhaupt um eine Verordnung handelt, da dieser Erlaß auch im Falle seiner Qualifikation als Verordnung in eine Rechtssphäre der Antragstellerin schon nach deren Vorbringen offenkundig nicht eingreift: Das gesamte Vorbringen zur Antragslegitimation erschöpft sich in der Darlegung der faktischen Folgen der Streichung einer Person aus der Ärzteliste, wozu das Erlöschen der Mitgliedschaft zur Ärztekammer, das Erlöschen des Rechtes auf Ausübung des ärztlichen Berufes, das Erlöschen der Pflicht zur Leistung von Kammerumlagen und Beiträgen zum Wohlfahrtsfonds, der Verlust der Möglichkeit der Ärztekammer zum Einbezug der von der Ärzteliste gestrichenen Personen in die interne Streitschlichtung und das Ausscheiden dieser Person aus dem Anwendungsbereich der Disziplinargewalt zählen. All das aber wird durch den bekämpften Erlaß selbst nicht bewirkt, sondern setzt, wie das von der Antragstellerin angeführte Beispiel der Ärztin zeigt, die ihre Ordination abgemeldet und einen Gewerbeschein gelöst hat, voraus, daß ein Arzt auf die Berufsausübung verzichtet und aus diesem Grund aus der Ärzteliste gestrichen wird (§33 ÄrzteG iVm §32 Abs1 Z6 und Abs3), was den Verlust der Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes (§32 Abs1 Z6 ÄrzteG) sowie das Ausscheiden aus der jeweils zuständigen Landesärztekammer (§40 ÄrzteG) nach sich zieht.

Der angefochtene Erlaß beseitigt die Mitgliedschaft von Personen in der antragstellenden Kammer nicht und läßt von seinem klaren Wortlaut her auch die allenfalls gegebene Anwendbarkeit ärztegesetzlicher Regelungen auf Personen, die eine der im Erlaß genannten Tätigkeiten als Gewerbe ausüben wollen, unberührt (vgl. in diesem Zusammenhang die Strafbestimmung des §108 Abs1 DrzteG). Da durch ihn somit kein Eingriff in eine der Ärztekammer durch Vorschriften des ÄrzteG gewährleistete Rechtssphäre bewirkt wird, war der Antrag mangels Legitimation zurückzuweisen.

4. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Ärzte, Ärztekammer, Gewerberecht, Lebens- und Sozialberater

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:V29.1998

Dokumentnummer

JFT_10019385_98V00029_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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