TE OGH 2011/3/22 3Ob147/10d

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Veröffentlicht am 22.03.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerinnen Christina Maria B***** und Daniela B*****, beide vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Protokollierung einer Zustimmung (§ 8 FMedG), aus Anlass des ordentlichen Revisionsrekurses der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 2. Juni 2010, GZ 21 R 114/10d-5, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 8. März 2010, GZ 1 Fam 20/10s-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ in § 2 Abs 1 FMedG idF BGBl I 2009/135 als verfassungswidrig aufzuheben.

Gemäß § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung:

 Die Erstantragstellerin ist österreichische Staatsbürgerin und mit der Zweitantragstellerin, einer deutschen Staatsangehörigen, am 20. August 2008 vor dem Standesamt Krefeld/Deutschland eine Lebenspartnerschaft nach dem (d) LPartG eingegangen. Beide haben ihren Wohnsitz in Wels.

Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 beantragten sie vor dem Erstgericht

1. die Zustimmung der Zweitantragstellerin zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten gerichtlich zu Protokoll zu nehmen (§ 8 Abs 1 Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) und

2. sie zu Handen ihres Vertreters zu einem diesbezüglichen zeitnahen Termin zu laden.

Sie brachten vor, die Zweitantragstellerin stimme der medizinisch unterstützten Fortpflanzung an der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten ausdrücklich zu. Das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung außerhalb einer Ehe oder verschieden geschlechtlichen Lebensgemeinschaft verstoße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung.

Das Erstgericht wies das Begehren der Antragstellerinnen zurück, weil nach § 2 Abs 1 FMedG eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Zweck des durch das Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG), (BGBl I 2009/135) novellierten § 2 Abs 1 FMedG sei es, die gemeinsame Elternschaft zweier Personen gleichen Geschlechts auszuschließen. Die eingetragene Partnerin der Mutter könne begrifflich nicht als Vater festgestellt werden. Ein nach den Vorstellungen der Antragstellerinnen gezeugtes Kind wäre daher gegenüber allen anderen Kindern benachteiligt, weil für dieses keine Möglichkeit auf Vaterschaftsfeststellung bestünde. Damit liege keine sachlich ungerechtfertigte Diskriminierung und auch kein Verstoß gegen Art 8 und Art 14 EMRK vor. Das generelle Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sei schon zur Vermeidung einer Diskriminierung der Partnerschaften von Männern erforderlich. Eine Leihmutterschaft sei in Österreich generell ausgeschlossen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob § 2 Abs 1 FMedG gegen Verfassungs- oder Unionsrecht verstoße, nicht vorliege.

Mit ihrem Revisionsrekurs beantragen die Antragstellerinnen, die Vorentscheidungen dahin abzuändern, dass ihrem Begehren stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

In Ausführung ihres Rechtsmittels zeigen die Antragstellerinnen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 2 Abs 1 FMedG auf, die der Oberste Gerichtshof zum Anlass nimmt, den Verfassungsgerichtshof anzurufen.

§ 8 Abs 1 FMedG lautet:

„Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf bei Ehegatten nur mit deren schriftlicher Zustimmung durchgeführt werden; bei Lebensgefährten muss die Zustimmung in Form eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts erteilt werden. Bei Verwendung von Samen eines Dritten bedarf die Zustimmung zu dieser Methode stets eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts.“

Nach § 7 Abs 3 FMedG hat der medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Lebensgefährten in jedem Fall eine eingehende Beratung durch ein Gericht oder einen Notar über die rechtlichen Folgen der Zustimmung voranzugehen.

§ 2 Abs 1 FMedG wurde durch das Gesetz über die eingetragene Partnerschaft (BGBl I 2008/135) novelliert: Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig. Damit werden die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin für gleichgeschlechtliche Paare ausgeschlossen. Nur Eheleute können die medizinisch unterstützte Fortpflanzung ohne Einhaltung der qualifizierten Formvorschriften des § 8 Abs 1 FMedG in Anspruch nehmen (schriftliche Zustimmung genügt), wenn nicht der Samen eines Dritten verwendet werden soll. Andere Gemeinschaften bedürfen in jedem Fall der besonderen Form der Zustimmung zu gerichtlichem Protokoll oder eines Notariatsakts. § 2 Abs 1 FMedG steht dem Begehren der Antragstellerinnen, die nach § 8 Abs 1 FMedG geforderte Zustimmung gerichtlich zu Protokoll zu nehmen, entgegen. Die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung ist damit gegeben. Die durch das Budgetbegleitgesetz 2010 erfolgte Änderung der §§ 7 Abs 3 und 8 Abs 1 FMedG, wonach die Beratung nicht mehr durch ein Gericht erfolgen und die Zustimmung nicht mehr in Form eines gerichtlichen Protokolls erteilt werden kann, ist erst anzuwenden, wenn die Beratung oder die Zustimmung nach dem 30. April 2011 erteilt wird (Art 39 Budgetbegleitgesetz 2010, BGBl I 2010/111).

Die Beschränkung des § 2 Abs 1 FMedG verschließt Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung und schließt sie damit von der Möglichkeit aus, Kinder zu haben und aufzuziehen, sofern sie ohne die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin keine Kinder haben können, sei es dass - wie hier - heterosexuelle Kontakte nicht in Betracht kommen oder der Kinderwunsch ungeachtet dessen unerfüllt bleibt. Davon sind alleinstehende Frauen ebenso betroffen wie eingetragene Partnerinnen.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der von Ehepartnern oder Lebensgefährten gefasste Entschluss, ein Kind zu bekommen und sich hiezu erforderlicher medizinischer Unterstützung zu bedienen, dem Schutzbereich des Art 8 EMRK unterliegt (VfGH vom 14. 10. 1999, G 91/98, 116/98, VfSlg 15.632, B.1.2.3.). Auch der EGMR betont, dass das Recht „ein Kind zu bekommen und sich zur Erfüllung des Kinderwunsches die Errungenschaft der Fortpflanzungsmedizin zunutze zumachen“ zu den von Art 8 EMRK geschützten Rechten zählt (EGMR vom 1. 4. 2010, 57813/00, S.H. ua gegen Österreich, Z 60 = ÖJZ 2010, 684 = RdM 2010/88 [Kopetzki]). Der Wunsch nach einem Kind stellt demnach einen besonders wichtigen Aspekt der Existenz oder der Identität eines privaten Individuums dar (Z 93).

Damit ist überaus fraglich, ob die gesetzliche Beschränkung der Erfüllung des Wunsches nach einem Kind mit Mitteln der Fortpflanzungsmedizin auf Paare verschiedenen Geschlechts mit dem Schutz der Familie oder dem Kindeswohl begründet werden kann.

Im Verfahren Schalk und Kopf gegen Österreich trug der EGMR der „rapiden Evolution des gesellschaftlichen Verhaltens gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren in vielen Mitgliedstaaten“ (Z 93) Rechnung und sprach mit Urteil vom 24. Juni 2010, 30141/04 aus, dass die Beziehung eines gleichgeschlechtlichen Paares unter den Begriff „Familienleben“ wie auch unter den Begriff „Privatleben“ falle und daher Art 14 iVm Art 8 EMRK zur Anwendung gelange. Der EGMR geht davon aus, dass Paare gleichen Geschlechts ebenso in der Lage sind, wie Paare verschiedenen Geschlechts, stabile, bindende Beziehungen einzugehen. Unter diesen Voraussetzungen ist eine solche gleichgeschlechtliche Beziehung „Familie“ im Verständnis des Art 8 EMRK. Kinder werden entweder durch Geburt oder durch Adoption Teil einer Familienbeziehung.

Die Versagung der Adoption durch eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Frau im Wesentlichen wegen ihrer sexuellen Orientierung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des Art 14 iVm Art 8 EMRK, wenn die Adoption grundsätzlich Einzelpersonen und damit auch alleinstehenden Homosexuellen offen steht (EGMR 22. Jänner 2008, 43546/02, E. B. gegen Frankreich = ÖJZ 2008, 499).

Nach österreichischem Recht ist die Einzeladoption mit Zustimmung des Partners bei eingetragener Partnerschaft zulässig (§ 181 Abs 1 ABGB idF BGBl I 2009/135). Die Einzeladoption durch einen eingetragenen Partner widerspricht damit für sich genommen grundsätzlich nicht dem Kindeswohl.

Die Herstellung eines nicht auf eine biologische Verbindung rückführbaren Eltern-Kind-Verhältnisses durch (Einzel-)Adoption ist sowohl für eine(n) alleinstehende(n) Homosexuelle(n) als auch in einer eingetragenen Partnerschaft möglich und erlaubt. Außerhalb der Ehe steht es Einzelpersonen damit unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung offen, durch Adoption ein Eltern-Kind-Verhältnis zu begründen. Die auf Vertrag beruhende Verbindung ergänzt die auf Abstammung beruhende Familienbeziehung. Die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin ersetzen ebenfalls eine auf natürliche Fortpflanzung beruhende Familienbeziehung. Damit erscheint es nicht sachgerecht, die Nutzung der Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin vom Bestehen einer verschieden geschlechtlichen Partnerschaft abhängig zu machen und damit alleinstehende ebenso wie in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebende Frauen von der Möglichkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung auszuschließen. Demgegenüber stellt die vom Rekursgericht angeführte Beeinträchtigung des Interesses des Kindes, über die biologische Abstammung aufgeklärt zu werden, nicht zwingend eine Verletzung des Art 8 EMRK dar (EGMR in S.H. ua gegen Österreich, Z 84) und damit auch kein zwingendes Hindernis für eine Familienbeziehung im Sinne der Antragstellerinnen. Die Unmöglichkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Partnerschaften von Männern wäre eine biologisch bedingte „Diskriminierung“. Unterschiedliche Sachverhalte können unterschiedlich rechtlich geregelt werden. Nach Ansicht des Senats bestehen im Licht der zitierten Judikatur des EGMR verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 2 Abs 1 FMedG, soweit dadurch die medizinisch unterstützte Fortpflanzung für eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Frau ausgeschlossen und dieser aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Möglichkeit genommen wird, einen Kinderwunsch zu erfüllen.

Textnummer

E96832

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00147.10D.0322.000

Im RIS seit

15.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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