TE OGH 2011/3/29 10ObS21/11b

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Veröffentlicht am 29.03.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schleinbach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1020 Wien, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2010, GZ 11 Rs 143/10v-37, womit das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Oktober 2010, GZ 18 Cgs 87/09v-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 8. 1. 2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 16. 10. 2008 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab 1. 11. 2008 ab. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage ist (nur noch) auf Zuerkennung der Invaliditätspension im Zeitraum vom 1. 11. 2009 bis 30. 4. 2010 gerichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen fest:

Der am 28. 9. 1986 geborene, im fraglichen Zeitraum 23jährige Kläger hat keine Lehre abgeschlossen und in den letzten 15 Jahren (vor dem Stichtag) keine einem Lehrberuf entsprechende Tätigkeit überwiegend ausgeübt. Nach der nicht abgeschlossenen Spengler-Lehre war er 47 Monate als Schlosserhelfer und ein Monat als Angestellter tätig. Im Zeitraum vom 14. 7. 2009 bis 5. 10. 2009 befand sich der Kläger in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Wels.

Vom 5. 10. 2009 (Tag der Entlassung) bis 5. 4. 2010 hat der Kläger eine stationäre Psychotherapie für Suchtkranke ordnungsgemäß und vollständig absolviert. Aufgrund seines - im Einzelnen festgestellten - körperlich (nur) wenig eingeschränkten Leistungskalküls (2/3zeitig mittelschwere Arbeiten) kann der Kläger eine Vielzahl von (beispielhaft aufgezählten) Arbeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten, für die österreichweit (aber auch regional) ein Arbeitsmarkt von mehr als 100 Arbeitsplätzen - auch für Teilzeitbeschäftigte im Ausmaß von 25 Wochenstunden - besteht.

Bei Einhaltung dieses Leistungskalküls waren Krankenstände in der Dauer von vier Wochen pro Jahr zu erwarten.

Für den klagsgegenständlichen Zeitraum wäre dieses Leistungskalkül auch gültig gewesen, wenn der Kläger die stationäre Therapie nicht durchgeführt hätte.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht den Standpunkt, der Kläger hätte nach den Feststellungen auch im strittig verbliebenen Zeitraum 1. 11. 2009 bis 30. 4. 2010 die aufgezählten Tätigkeiten ohne Überschreitung seines Leistungskalküls verrichten können und wäre daher ohne Therapieantritt in dieser Zeit ebenfalls nicht invalide iSd § 255 Abs 3 ASVG gewesen; die Anspruchsvoraussetzung einer Invalidität von zumindest sechs Monaten nach § 254 Abs 1 ASVG liege daher nicht vor. Daran könne auch die - trotz gegebener Arbeitsfähigkeit - angetretene Suchttherapie in der Dauer von sechs Monaten und einem Tag nichts ändern, die als vorbeugende Maßnahme der Verhütung einer künftigen Arbeitsunfähigkeit gedient habe:

Arbeitsrechtlich liege ein Krankenstand oder eine Maßnahme vor, die einem Krankenstand gleichzuhalten sei. Nach der Rechtsprechung komme eine anteilige Berücksichtigung der Dauer von unbedingt notwendigen Kuraufenthalten im Rahmen der Prüfung der Invalidität nur dann in Betracht, wenn diese mit einer gewissen Regelmäßigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. Die Zeiten einmaliger Krankenstände seien dagegen nicht in die (zu erwartende) Krankenstandsdauer einzubeziehen. Daher sei ohne Therapieantritt bzw zum Zeitpunkt des Therapieantritts von zukünftig notwendigen Krankenständen im Ausmaß von jährlich vier Wochen auszugehen. Für einen Ausschluss vom Arbeitsmarkt müssten aber Krankenstände im Ausmaß von zumindest sieben Wochen pro Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und schloss sich der Beurteilung an, dass es beim Kläger auf den Invaliditätsbegriff des § 255 Abs 3 ASVG ankomme, der auf ein Herabsinken des körperlichen und geistigen Zustands abstelle, sodass der Versicherte nicht mehr im Stande sei, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet werde und ihm zugemutet werden könne, die gesetzliche Lohnhälfte zu erzielen. Ein solches Herabsinken der Leistungsfähigkeit des Klägers sei bis zum Antritt der stationären Therapie nicht gegeben gewesen. Er wäre zudem auch während des stationären Aufenthalts in der Lage gewesen, die angeführten Verweisungsberufe auszuüben. Die stationäre Therapie stelle eine Behandlung dar, die nach der erstgerichtlichen Beurteilung als vorbeugende Maßnahme der Verhütung einer künftigen Arbeitsfähigkeit oder - was ebenso in Betracht zu ziehen sein könnte - einer Verbesserung der (bestehenden) Arbeitsfähigkeit habe dienen können, jedenfalls aber nach der zu (zukünftigen) Krankenständen bzw Kuraufenthalten bestehenden Rechtsprechung zu beurteilen sei. Bei den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit könne zwar die Festlegung des Stichtags vom Versicherten durch die Wahl des Antragszeitpunkts beeinflusst werden, nicht aber (zugleich) der Eintritt des Versicherungsfalls. Darauf liefe aber der Standpunkt des Klägers hinaus, dass die Absolvierung einer mehr als sechsmonatigen stationären Psychotherapie bei bestehender Arbeitsfähigkeit für sich allein wegen des dadurch bedingten Ausschlusses vom Arbeitsmarkt Invalidität begründen könne. In der Entscheidung 10 ObS 126/05k (SSV-NF 20/7) habe der Oberste Gerichtshof (im Fall einer Hüftoperation) die Frage, ob ein einmaliger Krankenstand in der Dauer von drei Monaten zu einem Ausschluss vom Arbeitsmarkt führe, dahin beantwortet, dass entsprechende Zeiten einmaliger Krankenstände nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einzubeziehen sei; dabei sei hervorgehoben worden, dass für dieses Ergebnis im Übrigen auch der - zweifellos auf einer anderen Ebene ansetzende - § 254 Abs 1 Z 1 ASVG spreche. Auf diese Bestimmung sei daher nur nebenher abgestellt und die Invalidität unter dem Gesichtspunkt einer vom Arbeitsmarkt ausschließenden Krankenstandsprognose geprüft (verneint) worden. Zutreffend habe das Erstgericht schließlich auch auf Kuraufenthalte bezugnehmend betont, dass deren Einbeziehung in die zu erwartende Krankenstandsdauer voraussetze, dass sie unbedingt notwendig und mit einer gewissen Regelmäßigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein müssen, während sonstige Zeiten einmaliger Krankenstände nicht einzubeziehen seien; im vorliegenden Fall würde nämlich schon die Außergewöhnlichkeit (und Dauer) der absolvierten stationären Psychotherapie bei gegebener Arbeitsfähigkeit nicht zuletzt deren „Einmaligkeit“ im Sinn der Rechtsprechung indizieren.

Das Berufungsgericht sprach aus, die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO lägen ungeachtet der vorliegenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung in Bezug auf die Rechtsfrage vor, ob der Antritt einer „mehr als sechs Monate“ dauernden stationären Behandlung bei einem Leistungskalkül, das ansonsten keine Invalidität zur Folge hätte, Invalidität begründen könne.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

1. Der Revisionswerber vertritt den Standpunkt, ein einmaliger Krankenstand in einer Dauer von „zumindest sechs Monaten“ begründe einen Anspruch auf Invaliditätspension, kürzere einmalige Krankenstände würden hingegen Leistungen aus der Krankenversicherung begründen. Er beruft sich hiezu weiterhin auf die Entscheidung 10 ObS 66/09t (SSV-NF 23/44). Aus der dort vertretenen Rechtsauffassung, dass „Zeiten einmaliger wenn auch länger dauernder Krankenstände (zB Hüftoperation) im Regelfall nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einzubeziehen seien und für dieses Ergebnis § 254 Abs 1 Z 1 ASVG spreche, wonach der Anspruch auf Invaliditätspension voraussetze, dass die Invalidität voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde“, sei abzuleiten, dass ein einmaliger Krankenstand zwar nicht in die jährliche Krankenstandsprognose zu integrieren sei; dass ein solcher von zumindest sechs Monaten aber Invalidität iSd § 254 Abs 1 Z 1 iVm § 255 ASVG bedeute.

1.1. Dies ergebe sich aus dem ausdrücklichen Verweis des Obersten Gerichtshofs auf die Bestimmung des § 254 Abs 1 Z 1 ASVG. Da ein Krankenstand auch dann anzunehmen sei, wenn eine vorbeugende Maßnahme wie ein Kuraufenthalt oder ein Heilstättenaufenthalt zur Verhütung einer künftigen Arbeitsunfähigkeit notwendig sei und dazu eine Dienstleistung unterbrochen werden müsse, sei davon auszugehen, dass der Kläger zwar nicht vor und auch nicht nach der stationären Entzugstherapie arbeitsunfähig gewesen sei, wohl aber in der Zeit der zur Verhütung einer künftigen Arbeitsunfähigkeit notwendigen stationären Therapie, während derer aufgrund der Ortsgebundenheit der stationären Behandlung keine Dienstleistung habe erbringen können.

Dem ist Folgendes zu erwidern:

2. Der vom Versicherten erhobene Anspruch auf Invaliditätspension setzte gemäß § 254 Abs 1 Z 1 ASVG in der hier noch anzuwendenden Fassung des StruktAnpG 1996 (BGBl 1996/201) voraus, dass „die Invalidität (§ 255) voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde“. Im vorliegenden Fall steht jedoch unstrittig fest, dass der Kläger (auch) während seiner Therapie nicht invalid iSd § 255 Abs 3 ASVG war. Schon aus diesem Grund kann er sich nicht mit Erfolg auf § 254 Abs 1 Z 1 (aF) ASVG berufen.

2.1. In der Revision macht der Kläger geltend, er habe sich während der stationären Therapie - wenn auch nur einmalig - sechs Monate im „Krankenstand“ befunden und während dieser Zeit aufgrund der Ortsgebundenheit keine Dienstleistung erbringen können.

2.2. Die angesprochene „Arbeitsunfähigkeit“ iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG ist jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG. Auch wenn der Kläger daher während der fraglichen Zeit (im Ausmaß von sechs Monaten und einem Tag) „im Krankenstand“ war, bestand bei ihm - nach den im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren Feststellungen - keine Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG iVm § 254 Abs 1 Z 1 ASVG (aF), sodass ihm die begehrte Pensionsleistung nicht gebührt.

3. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass der Revisionswerber auch in seinem Rechtsmittel ausdrücklich festhält, sowohl vor als auch nach seiner sechsmonatigen stationären Entzugstherapie jeweils „arbeitsfähig“ gewesen zu sein. Auch von diesem Umstand ausgehend sind die Vorinstanzen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt:

3.1. Danach kommt eine Berücksichtigung der Dauer von unbedingt notwendigen Kuraufenthalten (vgl 10 ObS 303/02k mwN) im Rahmen der Prüfung der Invalidität nämlich nur insoweit in Betracht, als diese mit einer gewissen Regelmäßigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind; während Zeiten von einmaligen Krankenständen nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einbezogen werden (so bereits RIS-Justiz RS0084079 [T6, T7] = 10 ObS 126/05k und 10 ObS 7/07p).

3.2. (Auch) insoweit ist die Voraussetzung für Berücksichtigung des durch die stationäre Entzugstherapie bedingten Krankenstandes des Klägers im Rahmen der Prüfung seiner Invalidität des Klägers also - unstrittig - nicht erfüllt. Die sechsmonatige Krankenstandsdauer, die von den nach den Feststellungen mit jährlich (nur) vier Wochen zu erwartenden Krankenständen extrem abwich, indizierte vielmehr die „Einmaligkeit“ dieses Krankenstandes im Sinn der zitierten Rechtsprechung. Dass der geltend gemachte Pensionsanspruch für den rund sechsmonatigen Zeitraum eines einmaligen Krankenstands verneint wurde, entspricht somit den dargelegten Grundsätzen (10 ObS 24/09s; 10 ObS 66/09t mwN).

4. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Da - entgegen dem Standpunkt des Klägers - bereits gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur den hier maßgebenden Rechtsfragen vorliegt, besteht auch kein Anlass für einen Kostenzuspruch nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E96932

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00021.11B.0329.000

Im RIS seit

26.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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