Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Siegmar L*****, vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer, Dr. Friedrich Petri, und Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wegen 21.711,39 EUR sA (Rekursinteresse 14.474,26 EUR sA), über den Rekurs (und die „Revision“) der beklagten Partei gegen den Aufhebungsbeschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. September 2010, GZ 3 R 70/10z-36, mit dem infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 5. Februar 2010, GZ 8 Cg 45/09z-29, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 908,60 EUR (darin 151,40 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Rekurs- und Revisionsbeantwortung (richtig: Rekursbeantwortung) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Das Berufungsgericht hat in (teilweiser) Stattgebung der Berufungen beider Streitteile mit Teilurteil das Begehren des Klägers (Anleger), die Beklagte (Anlageberaterin) sei schuldig, dem Kläger 6.897 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe von 313 Stück M*****-Zertifikaten sowie weitere 340,13 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. 8. 2008 zu bezahlen, abgewiesen. Im Umfang der weiter begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von 13.794,01 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe von 626 Stück M*****-Zertifikaten sowie Zahlung weiterer 680,25 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. 8. 2008 hat das Berufungsgericht das Ersturteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Erstgericht aufgehoben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts enthält den Ausspruch, dass die ordentliche Revision und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig seien, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage, wie die Naturalrestitution aufgrund fehlerhafter Anlageberatung im Fall eines den Anleger betreffenden Mitverschuldens zu erfolgen habe, höchstgerichtliche Judikatur nicht auffindbar gewesen sei, und angesichts der (gerichtsbekannten) Vielzahl von (angeblich) durch unrichtige Hinweise auf „Sparbuchähnlichkeit“ bzw „Mündelsicherheit“ von M*****-Zertifikaten Geschädigten eine höchstgerichtliche Klarstellung der Grenzen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs mit angeblich durch Kursmanipulationen entstandenen Kursverlusten zur Rechtsentwicklung geboten erscheine.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Beklagten erhobene (richtig: nur) Rekurs ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO iVm §§ 519 Abs 2, 527 Abs 2, 528 Abs 1) - nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO erfolgten Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Gemäß der auch hier anwendbaren Regelung des letzten Satzes des § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (RIS-Justiz RS0043691):
1. Selbst wenn das Berufungsgericht mit dem wiedergegebenen Ausspruch zu Recht erkannt hätte, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof (bzw die ordentliche Revision) sei(en) zulässig, das Rechtsmittel dann aber nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist dieses trotz der Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz vom Obersten Gerichtshof zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0102059). Dabei hat sich, wenn der Rechtsmittelwerber eine der beiden vom Berufungsgericht für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ins Treffen geführten Rechtsfragen in seinem Rechtsmittel nicht mehr aufgreift, die Zulässigkeit der Anrufung des Obersten Gerichtshofs nur an der zweiten angesprochenen Rechtsfrage zu orientieren (RIS-Justiz RS0102059 [T6]). Die Beklagte tritt der - rechtlich selbstständigen - Beurteilung des Mitverschuldens des Klägers (der im Übrigen seinerseits das klageabweisliche Teilurteil unbekämpft ließ) und der vom Berufungsgericht daraus abgeleiteten teilweisen Abweisung der auf Naturalrestitution und Geldersatz gerichteten Begehren nicht entgegen, weshalb diese Rechtfrage vom Obersten Gerichtshof nicht mehr zu prüfen ist (vgl RIS-Justiz RS0102059 [T7]; RS0043338).
2. In ihrem Rekurs macht die Beklagte - zusammengefasst - geltend, es sei zur Frage der Alternativanlagen und der zuzurechnenden Marktrisiken die Feststellung erforderlich, „wie viel Vermögensverlust (gemeint: bei den M*****-Zertifikaten) auf marktbedingte Risiken zurückzuführen (seien)“. Tatsächlich seien nämlich „nur“ 30 bis 40 % Verlust marktbedingt eingetreten, während die höheren Verluste von insgesamt etwa 80 % auf rechtsmissbräuchliche Mittelverwendung und Marktmanipulationen zurückgingen, welches Risiko nicht der Anlageberater zu tragen habe. Einem Anleger dürfe nur die Differenz zwischen den mit der Anlage üblicherweise verbundenen Schwankungsrisiken und den marktbedingt tatsächlich eingetretenen Schwankungen unter Abzug eines allfälligen Mitverschuldens zugesprochen werden. Mit diesen Ausführungen macht die Beklagte allerdings keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend:
2.1. Die Überlegungen der Beklagten in die Richtung, „dem Vermögensberater auch bei Naturalrestitution nur die Risikoentwicklung aufgrund des Marktrisikos, nicht jedoch folgender Veruntreuung von Anlegergeldern“ aufzubürden (S 4 in ON 37), sind - im gegebenen Kontext -rechtstheoretische Erwägungen, die mit den anspruchsbegründenden Klagebehauptungen sowie den getroffenen und vom Erstgericht bei seiner neuerlichen Entscheidung noch zu treffenden Feststellungen nichts zu tun haben. Die Beklagte räumt selbst ein, dass es - (gemeint offenbar:) gegenüber ihren rechtlichen Schlussfolgerungen im Rechtsmittel - einen wesentlichen Unterschied mache, „wenn einem Anleger weis gemacht wurde, die Anlage sei so sicher wie ein Sparbuch und es gebe überhaupt keine Verlustrisiken (was im vorliegenden Fall ja nicht den [sic!] Sachverhalt entspricht)“ (S 13 in ON 37). Genau letztgenannte Prozessbehauptungen liegen aber dem Klagebegehren zugrunde und sind im Rahmen der neuerlichen Entscheidung des Erstgerichts in tatsächlicher Hinsicht zu klären.
2.2. Der hier zu beurteilende und dem Begehren auf Naturalrestitution zugrundeliegende Prozessstandpunkt des Klägers besteht - zusammengefasst - darin, aufgrund bestimmter Erklärungen eines Mitarbeiters der Beklagten ein Finanzprodukt mit an sich nicht gewünschten Eigenschaften erworben zu haben. Trifft dies in tatsächlicher Hinsicht zu, so ist der Schaden bereits durch den Erwerb eingetreten und die gebührende Naturalrestitution besteht grundsätzlich in der Rückübertragung des Finanzprodukts Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises (vgl 4 Ob 65/10b = ecolex 2010/350, 952 [Wilhelm]; 8 Ob 25/10z = Zak 2010/646, 377; 10 Ob 11/07a = Zak 2008/400, 237 = ÖBA 2008/1504, 732 = RdW 2008/484, 521 = ZIK 2009/117, 71; 8 Ob 123/05d = SZ 2006/28 = Zak 2006/299, 176 = EvBl 2006/109, 597 = ecolex 2006/234, 566 = RdW 2006/451, 498 = ÖBA 2006, 682; 7 Ob 253/97z = ÖBA 1999/787, 388 [Klete?ka] = ecolex 1998, 621; vgl auch RIS-Justiz RS0120784; Ramharter, Aktuelle Fragen der Anlageberatungshaftung, Zak 2009/654, 403). Auf die spätere Kursentwicklung des Finanzprodukts und die dafür maßgeblichen Gründe kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die von der Beklagten in ihrem Rechtsmittel angestellten Erwägungen sind daher nicht entscheidungswesentlich. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist der Rekurs daher unzulässig und zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979).
Textnummer
E96912European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00246.10B.0329.000Im RIS seit
22.04.2011Zuletzt aktualisiert am
20.12.2011