Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Dr. Rotraut Leitner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 2010, GZ 12 Ra 87/10s-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Juli 2010, GZ 6 Cga 46/10b-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.329,48 EUR (darin 221,28 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Im Betrieb der Beklagten unterliegen mindestens drei Arbeiter dem Rahmenkollektivvertrag für das graphische Gewerbe Österreichs (KV) und sind von der hier strittigen Frage der Berechnung einer Betriebserfahrungszulage gemäß § 10 KV betroffen. Die Bestimmungen des KV in seiner ab 1. 1. 2010 gültigen Fassung lauten auszugsweise:
„§ 9 Löhne
1. Die kollektivvertraglichen Wochenlöhne sind in den Lohntabellen verzeichnet.
2. Als Errechnungsgrundlage gilt nachfolgende Aufstellung:
a) Normalwochenlohn ist der kollektivvertragliche Wochenlohn, der in den Lohntabellen verzeichnet ist, zuzüglich aller innerbetrieblich regelmäßig gewährten Zulagen, ohne Zulagen und Zuschläge, die auf Grund kollektivvertraglicher Bestimmungen zu bezahlen sind sowie ohne Überstundenentgelte (Grundlohn und Zuschlag).
b) Normalstundenlohn ist der Normalwochenlohn, […]
c) Gesamtwochenlohn ist der Normalwochenlohn zuzüglich des Nachtzuschlages, […]
d) Gesamtstundenlohn ist der Normalwochenlohn, […]
[…]
§ 10 Anerkennung der Betriebserfahrung
1. Nach einer Betriebszugehörigkeit von 5, 10 und 15 Jahren erhält der Facharbeiter eine Betriebserfahrungszulage, die vom kollektivvertraglichen Wochenlohn der jeweiligen Facharbeiterposition, in die der Facharbeiter zum jeweiligen Anspruchszeitpunkt eingestuft ist, berechnet wird.
2. Helfer erhalten die Betriebserfahrungszulage nach 10 und 15 Jahren, berechnet von der jeweiligen Helferposition, in die sie zum jeweiligen Anspruchszeitpunkt eingestuft sind.
3. Die Betriebserfahrungszulage erhöht den jeweiligen kollektivvertraglichen Wochenlohn des Dienstnehmers.
4. Werden durch andere Tätigkeiten Veränderungen in der zustehenden Lohnstufe vorgenommen, so verändern sich betraglich auch die Betriebserfahrungszulagen.
[…]
6. Die jeweils zustehende Betriebserfahrungszulage gebührt ab jener Lohnwoche, in die der Tag fällt, an dem das sechste, elfte oder sechzehnte Jahr der Betriebszugehörigkeit beginnt. […]
7. Die Betriebserfahrungszulage beträgt jeweils 3 Prozent.
a) Sie steht in voller Höhe zu, wenn der (die) Dienstnehmer(in) in der letzten Lohnwoche vor dem jeweiligen Anspruchszeitpunkt nur den kollektivvertraglichen Wochenlohn erhält.
b) Wurde dem (der) Dienstnehmer(in) in der letzten Lohnwoche vor dem jeweiligen Anspruchszeitpunkt eine Überzahlung (Hauszulage, Leistungszulage udgl.) ausbezahlt, die weniger als 3 Prozent des zustehenden kollektivvertraglichen Wochenlohns betrug, so erhält der (die) betreffende Dienstnehmer(in) ab dem jeweiligen Anspruchszeitpunkt jenen Betrag als Betriebserfahrungszulage, der sich aus 3 Prozent des zustehenden kollektivvertraglichen Wochenlohnes (siehe Punkt 4) minus halbe Überzahlung errechnet.
c) Ist die Überzahlung höher als 3 Prozent, so erhält der (die) betreffende Dienstnehmer(in) ab dem jeweiligen Anfallszeitpunkt 1,5 Prozent des jeweils zustehenden kollektivvertraglichen Wochenlohnes (siehe Punkt 4) als Betriebserfahrungszulage.
§ 10a Erweiterung der Anerkennung der Betriebserfahrung nach 20 und 25 Jahren
1. Nach einer Betriebszugehörigkeit von 20 und 25 Jahren erhält der Facharbeiter […] eine Betriebszulage, die vom kollektivvertraglichen Wochenlohn der jeweiligen Facharbeiterposition, in die der Facharbeiter zum jeweiligen Anspruchszeitpunkt eingestuft ist, berechnet wird. […]
[…]
3. Die Betriebserfahrungszulage erhöht den jeweiligen kollektivvertraglichen Wochenlohn des Dienstnehmers.
[…]“
Der Kläger begehrt in dem gemäß § 54 Abs 1 ASGG geführten besonderen Feststellungsverfahren die Feststellung, dass die Beklagte die fünfjährliche Erhöhung der Betriebserfahrungszulage vom jeweiligen kollektivvertraglichen Wochenlohn unter Einschluss der bereits vor der jeweiligen Erhöhung gebührenden Betriebserfahrungszulage zu berechnen und bezahlen habe. Dies ergebe sich insbesondere aus § 10 Z 3 KV, wonach sich der kollektivvertragliche Wochenlohn durch die Betriebserfahrungszulage erhöhe.
Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass die Bemessungsgrundlage für die Betriebserfahrungszulage gemäß § 10 Z 1 KV der kollektivvertragliche Wochenlohn der jeweiligen Facharbeiterposition sei, in die der Facharbeiter zum jeweiligen Anspruchszeitpunkt eingestuft sei. Der kollektivvertragliche Wochenlohn ergebe sich gemäß § 9 Z 1 KV aus den Lohntabellen des Kollektivvertrags. Die Betriebserfahrungszulage sei gemäß § 9 Z 2 KV ausdrücklich nicht Teil des kollektivvertraglichen Wochenlohns.
Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. § 10 Z 1 KV lege die Berechnungsgrundlage fest, gemäß § 10 Z 3 KV erhöhe die Betriebserfahrungszulage jedoch den jeweiligen kollektivvertraglichen Wochenlohn des Arbeitnehmers. Diese Bestimmung habe nicht bloß den Zweck, eine „Aufsaugung“ der Betriebserfahrungszulage durch nachfolgende jährliche Kollektivvertragserhöhungen zu verhindern. Es könne nicht sein, dass einerseits eine jährliche kollektivvertragliche Lohnerhöhung berücksichtigt werde, andererseits aber zur Berechnung der Betriebserfahrungszulage nach dem 10. und 15. Jahr wieder auf den ursprünglichen, nicht durch die Betriebserfahrungszulage erhöhten Kollektivvertragslohn zurückgegriffen werde. Die vom Kollektivvertrag angeordnete Erhöhung des Wochenlohns sei für alle Aspekte der Berechnung zu berücksichtigen. Dies ergebe sich auch daraus, dass § 10 KV vom „Wochenlohn“ spreche, § 9 KV aber einen eigenen Begriff des „Normalwochenlohns“ kenne. Aus dem in § 10 Z 3 KV verwendeten Begriff der Erhöhung ergebe sich der Wille der Kollektivvertragsparteien, die Betriebserfahrungszulage aus dem Regime der Zulagen herauszunehmen und als „primäres“ Entgelt zu werten. § 10 KV führe daher als lex specialis eine von § 9 KV losgelöste autonome Berechnung für die Betriebserfahrungszulage ein. Die fünfjährliche Erhöhung der Betriebserfahrungszulage habe daher unter Einrechnung einer schon zuvor gewährten Betriebserfahrungszulage zu erfolgen.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Schon aus dem Wortlaut des § 10 Z 1 KV ergebe sich, dass die strittige Betriebserfahrungszulage anhand der in den gültigen Lohntabellen festgesetzten kollektivvertraglichen Wochenlöhne zu berechnen sei, nicht aber aufgrund des tatsächlich bezahlten, um die bisherige Betriebserfahrungszulage erhöhten Wochenlohns des einzelnen Facharbeiters. Diese Auslegung entspreche nicht nur dem Wortsinn, sondern führe im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen des Kollektivvertrags auch zu einer insgesamt vernünftigen, zweckentsprechenden und praktisch durchführbaren Regelung, sodass es weiterer Interpretationsmethoden nicht bedürfe. Der Kollektivvertrag unterscheide genau zwischen den Begriffen des „kollektivvertraglichen Wochenlohns“ nach den Lohntabellen und anderen Berechnungsgrundlagen nach § 9 KV, wie etwa dem „Normalwochenlohn“. Mit der Anknüpfung der Berechnung der Betriebserfahrungszulage am kollektivvertraglichen Mindestlohn bezweckten die Kollektivvertragsparteien eine für alle Arbeitnehmer gleiche Bemessung für alle Berechnungszeitpunkte. Die vom Kläger gewünschte Berechnungsmethode stehe auch zu den Anrechnungsbestimmungen des § 10 Z 7 lit b und c KV in Widerspruch, weil der um die Betriebserfahrungszulage erhöhte Wochenlohn danach im Einzelfall differieren könne. Auch die erweiterte Betriebserfahrungszulage gemäß § 10a KV sei nach den jeweiligen kollektivvertraglichen Mindestlöhnen zu berechnen, weil es andernfalls im Lauf der Zeit zu einer progressiven Erhöhung der Betriebserfahrungszulage komme, was der Kollektivvertrag aber durch die Anknüpfung an die jeweiligen Lohntabellen gerade verhindern wolle. § 10 KV bezwecke durch die Anknüpfung an die kollektivvertraglichen Mindestlöhne als feste Bezugsgrößen eine transparente und praktisch durchführbare Regelung. Hätten die Kollektivvertragsparteien beabsichtigt, die jeweils neu zu bemessende Zulage zusätzlich in die jeweilige Bemessungsgrundlage einzubeziehen, so hätte dies entsprechend klar geregelt werden müssen, was jedoch nicht geschehen sei. § 10 Z 3 KV ändere daran im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 10 Z 1 KV nichts. Der sich allein aus der Einstufung ergebende Wochenlohn (Mindestlohn) unterscheide sich inhaltlich von einem je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit (um die Betriebserfahrungszulage) erhöhten Wochenlohn.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die die Bedeutung des Einzelfalls übersteigende erforderliche Auslegung der strittigen Kollektivvertragsbestimmung zulässig sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten.
Der Kläger beantragt, die Revision zurück-, hilfsweise abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist zutreffend, sodass gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf sie verwiesen werden kann. Ergänzend ist der Revisionswerberin entgegenzuhalten:
2. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Auslegung normativer Bestimmungen eines Kollektivvertrags objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen hat (RIS-Justiz RS0010088) und dass dazu in erster Linie der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen ist (RIS-Justiz RS0010089). Im Zweifel ist nach ständiger Rechtsprechung zu unterstellen, dass die Kollektivvertragsparteien im Rahmen einer vernünftigen, zweckentsprechenden und praktisch durchführbaren Regelung insbesondere auch eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008828; RS0008897).
3. Die Behauptung des Revisionswerbers, die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts beraube die Bestimmungen der §§ 9 Abs 2 lit a und 10 Z 3 KV ihres Sinns, ist schon im Hinblick auf die klaren Begriffsbestimmungen in § 9 KV unzutreffend. § 9 KV definiert aufbauend auf dem Begriff der „kollektivvertraglichen Wochenlöhne“ nach den Lohntabellen unterschiedliche Errechnungsgrundlagen, wie insbesondere den zentralen Begriff des „Normalwochenlohns“. Die in § 9 Z 2 KV verwendeten Begriffe werden in anderen Bestimmungen des Kollektivvertrags auch konsequent verwendet (vgl nur §§ 11 Z 5 und Z 7, 12 Z 11 und Z 15 uva). § 9 Z 2 lit a KV definiert den Begriff des „Normalwochenlohns“ wiederum als Grundlohn und Zuschlag. Er unterscheidet begrifflich zwischen dem kollektivvertraglichen (Mindest-)Wochenlohn einerseits und bestimmten Zulagen und Zuschlägen andererseits. § 9 Z 2 lit a KV nennt dabei innerbetrieblich regelmäßig gewährte Zulagen und unterscheidet diese wiederum begrifflich von kollektivvertraglichen Zulagen oder Zuschlägen andererseits, zu denen auch die Betriebserfahrungszulage gehört. Schon daraus ergibt sich unzweifelhaft die vom Kollektivvertrag normierte unterschiedliche Behandlung des kollektivvertraglichen (Mindest-)Wochenlohns und der Betriebserfahrungszulage.
4. § 10 Z 1 KV knüpft zur Bestimmung der Betriebserfahrungszulage an den in § 9 Z 1 KV genannten Begriff der „kollektivvertraglichen Wochenlöhne“ nach den Lohntabellen an. Dieser umfasst gemäß § 9 Z 2 lit a KV wie ausgeführt gerade nicht einen Zuschlag wie die Betriebserfahrungszulage. § 10 Z 3 KV normiert daher, dass sich durch die Betriebserfahrungszulage der kollektivvertragliche (Mindest-)Wochenlohn iSd § 10 Z 3 KV rechnerisch erhöht. Dass sich der in den Lohntabellen verzeichnete kollektivvertragliche Mindestlohn durch den Anspruch auf Betriebserfahrungszulage entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers nicht als solcher erhöht, um derart zur Berechnungsgrundlage einer später gebührenden Betriebserfahrungszulage zu werden, ergibt sich hingegen aus der dargestellten unterschiedlichen Behandlung der Begriffe des „Lohns“ und des „Zuschlags“ durch den Kollektivvertrag.
5. Die Entscheidung 9 ObA 107/94 hatte eine nicht vergleichbare Rechtsfrage zu behandeln. Wenn darin auch ausgeführt wird, dass durch die Einführung einer Betriebserfahrungszulage in § 10 KV eine generelle Erhöhung des Wochenlohns und damit eine Annäherung an die Biennalregelung der Angestellten bewirkt wurde, so ist daraus für den Revisionswerber aus den genannten Gründen nichts zu gewinnen.
Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Schlagworte
ArbeitsrechtTextnummer
E97006European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:009OBA00024.11M.0330.000Im RIS seit
04.05.2011Zuletzt aktualisiert am
23.01.2012