TE OGH 2011/3/31 1Ob15/11d

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Veröffentlicht am 31.03.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard B*****, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Wiener Zeitung GmbH, Wien 4, Wiedner Gürtel 10, vertreten durch Liebenwein Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 72.670 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse 30.267,33 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. November 2010, GZ 1 R 243/10b-34, mit dem im Umfang von 30.267,33 EUR das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Juli 2010, GZ 19 Cg 168/08i-29, als nichtig aufgehoben, das Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.680,84 EUR (darin enthalten 280,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die beklagte GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die Republik Österreich ist, ist Medieninhaberin der „Wiener Zeitung“ und des „Amtsblatts zur Wiener Zeitung“.

Der Kläger ist Inhaber einer Werbeagentur und bietet seinen Kunden an, die für die Pflichtveröffentlichungen nach dem UGB im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ erforderlichen Druckunterlagen herzustellen, der „Wiener Zeitung“ zu übermitteln und deren fristgerechte Veröffentlichung im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ durch die beklagte Partei zu überwachen. Der Kläger erteilte der beklagten Partei im August 2006 Aufträge zur Veröffentlichung der Bilanzen von drei Kunden. Die beklagte Partei lehnte die Veröffentlichung mit der Begründung ab, die zur Einschaltung bestimmten Vorlagen entsprächen nicht den Formatvorgaben des Amtsblatts zur Wiener Zeitung. Es habe bereits eine Beschwerde wegen schlechter Lesbarkeit gegeben.

Der Kläger brachte daraufhin beim Handelsgericht Wien zu 19 Cg 198/06y (Vorprozess) eine auf § 1 UWG gestützte Unterlassungsklage gegen die beklagte Partei ein. Mit Urteil vom 13. 11. 2007 wurde diese verpflichtet, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, sach- und fachgerecht gemäß ihrer jeweils gültigen Anzeigenpreisliste erstellte Druckunterlagen des Klägers für Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt der Wiener Zeitung, insbesondere Veröffentlichungen gemäß §§ 277 Abs 2 und 280 Abs 1 UGB aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen zurückzuweisen, sowie es zu unterlassen, diese Veröffentlichungen Zug um Zug gegen Bezahlung des Inseratenentgelts nicht durchzuführen.

Mit der nunmehrigen Klage begehrt der Kläger Schadenersatz nach dem UWG. Er sei erst aufgrund der im Vorprozess ergangenen einstweiligen Verfügung wieder in der Lage gewesen, die beklagte Partei dazu zu bewegen, die von ihm für seine Kunden gestalteten Druckvorlagen zu veröffentlichen. Erst ab 1. 4. 2007 habe er wieder Aufträge an die beklagte Partei erteilen können. Für einen Zeitraum von sieben Monaten sei ihm durch den Entfall von Kundenaufträgen ein Verlust von 58.597,75 EUR entstanden. Dazu komme der Verlust von 14.522,49 EUR aus den bereits im August übernommenen und zur Ausführung vorbereiteten Aufträgen, welche die im Vorprozess genannten Kunden und vier weitere Unternehmen erteilt hätten.

Die beklagte Partei wendete ein, sie sei zur Veröffentlichung nicht verpflichtet gewesen, weil mehrere Punkte tatsächlich zu beanstanden gewesen wären. Sie sei jederzeit bereit gewesen, leicht lesbare und übersichtliche Unterlagen zu veröffentlichen. Sie bestritt auch die Höhe des Schadens und wendete ein Mitverschulden des Klägers ein.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von 30.267,33 EUR sA und wies das Mehrbegehren von 42.402,67 EUR sA (unbekämpft) ab.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Erstgerichts in seinem noch nicht rechtskräftigen Teil einschließlich des vorangegangenen Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs nach § 9 Abs 5 AHG als nichtig auf und wies die Klage insoweit zurück.

In seiner ausführlichen rechtlichen Beurteilung bejahte es eine hoheitliche Tätigkeit der beklagten Partei als Organ des Bundes bei der Bekanntgabe von gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen, insbesondere bei der Einschaltung von Pflichtveröffentlichungen nach § 10 UGB (Eintragungen im Firmenbuch und sonstige vom Firmenbuch vorzunehmende Veröffentlichungen) und nach den zwingenden Offenlegungsvorschriften der §§ 277 ff UGB. Selbst wenn die Verweigerung einer Einschaltung nur als rein faktisches Verhalten zu qualifizieren sei, ändere das nichts an einer hoheitlichen Tätigkeit, für die nach der Judikatur ein hinreichend enger innerer und äußerer Zusammenhang mit einer hoheitlichen Aufgabe genüge. Sei die Bekanntmachung von Pflichtpublikationen nach dem UGB hoheitlicher Natur, diene der damit verknüpfte Tätigkeitsbereich der beklagten Partei (Entgegennahme oder Verweigerung von Einschaltungen, Abrechnung) [in] seinem Kern der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben. Der Rechtsweg sei auch für Klagen gegen juristische Personen des Privatrechts, die für hoheitliches Handeln in die Pflicht genommen oder beliehen worden seien, unzulässig. Die beklagte Partei sei ein in die Pflicht genommenes Organ, weil sie mit der Vollziehung hoheitlicher Aufgaben (Bekanntmachung von Pflichtveröffentlichungen nach dem UGB) durch Gesetz betraut worden sei. Aus fehlerhaften Hoheitsakten könnten grundsätzlich nur Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden, nicht aber der hier auf das UWG gestützte Schadenersatzanspruch. Hoheitsakte könnten niemals Wettbewerbshandlungen darstellen und damit nicht nach dem UWG beurteilt werden. Das rechtskräftige Urteil über den Unterlassungsanspruch des Klägers sei für den nunmehrigen Schadenersatzprozess nicht bindend. Nur eine im Vorprozess entschiedene Hauptfrage sei von der Bindungswirkung erfasst, nicht aber eine dort beurteilte Vorfrage. Die hier allenfalls zu prüfende Vorfrage, ob die beklagte Partei wettbewerbswidrig gehandelt hätte, sei auch im Vorprozess nur die Vor- und nicht die Hauptfrage gewesen.

Die Zulässigkeit des Rechtswegs lasse sich auch nicht mit vertraglichen Beziehungen zwischen den Streitteilen begründen. Der Kläger nehme die beklagte Partei nicht aus einem mit ihr abgeschlossenen Vertrag in Anspruch. Im Gegenteil: die Haftung stütze sich auf die Verweigerung von Aufträgen. Jener Judikatur, die eine auf vertragliche Haftung gestützte Klage gegen juristische Personen des Privatrechts als beliehene Unternehmen zugelassen hätte, liege außerdem die bis zur Entscheidung 1 Ob 147/08m in der Rechtsprechung vertretene Ansicht, § 9 Abs 5 AHG gelte nicht für juristische Personen, zugrunde. Seit der mit dieser Entscheidung eingeleiteten Judikaturwende gelte dies nicht mehr.

Rechtliche Beurteilung

Der nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässige Rekurs des Klägers ist nicht berechtigt.

I. Bindung an das rechtskräftige Unterlassungsurteil:

1. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs im Sinne des § 9 Abs 5 AHG kommt es nicht darauf an, ob die klagende Partei ihren Anspruch ausdrücklich auf das Amtshaftungsgesetz oder (auch) auf andere Rechtsgrundlagen stützt. Entscheidend ist vielmehr, dass sie in Wahrheit die beklagte Partei als Organ wegen deren hoheitlichen Handelns in Anspruch nimmt (1 Ob 49, 54/95 = SZ 68/220; 1 Ob 306/98a = SZ 72/5 = JBl 2000, 179 [Kalb]; 1 Ob 296/03s = SZ 2004/145 ua). Dieses Prozesshindernis ist in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft einer Sachentscheidung von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0087676 [T9]; 1 Ob 49, 54/95), soweit dieser Prüfung keine bindende gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 42 Abs 3 JN entgegensteht.

2. Während Lehre (Nachweise bei Mayr in Rechberger³ § 42 JN Rz 11) und eine (ältere) Judikaturlinie (RIS-Justiz RS0039811) für die Bindungswirkung des § 42 Abs 3 JN eine ausdrückliche Entscheidung über das Vorliegen der Prozessvoraussetzung im Spruch fordern, bejaht die jüngere ständige Rechtsprechung eine Bindung bereits dann, wenn sich ein Gericht nur in den Entscheidungsgründen mit dieser Frage auseinandersetzte (RIS-Justiz RS0046249; RS0035572 [T30]), nicht aber wenn es das Vorliegen einer Prozessvorausetzung bloß implizit durch meritorische Entscheidung über ein Begehren bejaht (RIS-Justiz RS0046249 [T3, T7]).

3. Im konkreten Fall wurde die Zulässigkeit des Rechtswegs im Vorprozess nicht bindend beantwortet, weil das Prozesshindernis weder im Spruch noch in den Entscheidungsgründen behandelt wurde. Es geht hier also nicht um die Frage der Bindungswirkung des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsurteils als Aspekt der materiellen Rechtskraft im Sinne des § 411 ZPO (RIS-Justiz RS0102102), wie der Kläger meint. Dass im Vorprozess ein § 1 UWG unterstelltes wettbewerbswidriges Handeln der beklagten Partei als Voraussetzung für die Berechtigung des Unterlassungsanspruchs angenommen wurde, hinderte jedenfalls nicht die Wahrnehmung der Unzulässigkeit des Rechtswegs im Schadenersatzprozess (1 Ob 14/90 = SZ 63/128: Unzulässigkeit des Rechtswegs im Schadenersatzprozess über ein Leistungsbegehren trotz rechtskräftigen Feststellungsurteils über die Schadenersatzpflicht des Organs).

II. Juristische Person als Organ im Zusammenhang mit § 9 Abs 5 AHG:

1. Bis zur Entscheidung 1 Ob 176/08a vom 26. 2. 2009 (JBl 2009, 520 = RdM-LS 2009/42 [Zeinhofer]) entsprach es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Rechtsweg nach § 9 Abs 5 AHG nur bei einer Klage gegen eine physische Person als Organ, nicht aber gegen eine juristische Person des Privatrechts, der die Besorgung hoheitlicher Aufgaben übertragen wurde, die aber kein Organ sei, unzulässig sei (RIS-Justiz RS0106342; 1 Ob 25/01k = SZ 74/55 = ÖZW 2002, 59 [krit Kucsko-Stadlmayer]; wN bei Schragel, AHG3 Rz 258).

2. Diese Rechtsprechung stieß auf Kritik in der Lehre:

Schragel (aaO; [vgl auch] Rz 28) befürwortet eine ausdehnende Auslegung des § 9 Abs 5 AHG, die auch juristische Personen des Privatrechts erfasse, die für hoheitliches Handeln in die Pflicht genommen oder beliehen seien, außer sie stünden mit dem Geschädigten auch in vertraglicher Beziehung, aus welcher sie unter Berufung auf diesen Rechtstitel unabhängig von Amtshaftung in Anspruch genommen werden könnten. Dass der Gesetzgeber dies so sehe, könne aus § 57b KFG geschlossen werden, wonach der Rückersatz(-Anspruch) des Rechtsträgers gegen den gemäß § 57 Abs 4 oder gemäß § 57a Abs 2 KFG zur Begutachtung Ermächtigten auch dann bestehe, wenn es sich dabei nicht um eine natürliche Person handle. Der Gesetzgeber des AHG habe wahrscheinlich nicht bedacht, dass spätere Gesetze auch juristische Personen des Privatrechts zur Vollziehung von Gesetzen ermächtigen würden.

Mader (in Schwimann³ § 9 AHG Rz 14) weist darauf hin, dass die eigene Haftung einer hoheitlich tätigen Privatperson nicht davon abhängig sein sollte, ob sie juristische Person (dann hafte sie dem Geschädigten vertraglich) oder natürliche Person (dann hafte sie bei Ablehnung einer vertraglichen Haftung nur im Regressweg) sei.

Schmaranzer (Glosse zu 7 Ob 175/06w = JBl 2007, 389 [391 ff]) schloss sich den Bedenken Schragels an. Es sei fraglich, ob die Vorstellung des Gesetzgebers des AHG 1949, dem die Beleihung juristischer Personen fremd gewesen sei, heute noch aktuell sei. Angesichts der zunehmenden Verlagerung hoheitlicher Tätigkeiten auch auf juristische Personen sei heute von einer grundlegenden Wandlung des Organbegriffs auszugehen. Da Ausnahmevorschriften nach allgemeiner Ansicht analogiefähig seien, wenn die Ausdehnung im Rahmen ihrer ratio legis bleibe, wäre es angezeigt, die von Schragel genannten Bestimmungen des KFG im Anwendungsbereich des § 1 Abs 2 AHG fruchtbar zu machen. Dafür spreche, dass andernfalls eine geschickt vorgenommene Wahl der Rechtsform über die Haftungsfrage bzw in weiterer Konsequenz über den Haftungsumfang entscheide (Direkthaftung juristischer Personen bei jedem Verschulden ihrer Organe bzw bloße Rückersatzpflicht von Einzelunternehmen ab grober Fahrlässigkeit iSd § 3 AHG). Für eine Gleichbehandlung juristischer und physischer Personen streite nicht zuletzt auch eine breite Analogie aus Haftungsregeln, worin der Bund die direkte Inanspruchnahme ausgegliederter Unternehmen ausgeschlossen habe (vgl § 7 PostG, § 35 BundesstatistikG; § 14 BundesrechenzentrumG; § 9 BibliothekenverbundG; § 13 Arsenal-Gesellschaft-Gesetz; § 5 BuchhaltungsagenturG; § 21 WasserstraßenverwaltungsG; § 18 IAF-Service-GmbH-Gesetz; § 25 Abs 16 BfW-Gesetz).

3. Der erste Senat hielt in der Entscheidung 1 Ob 176/08a die Lehrmeinungen Schragels und Schmaranzers für überzeugend. Deshalb werde die Unterscheidung zwischen physischen und juristischen Personen in Bezug auf die Unzulässigkeit des Rechtswegs im Sinne des § 9 Abs 5 AHG nicht aufrecht erhalten. Aus den genannten Gründen sei eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf juristische Personen geboten. Der Geschädigte sei im Fall der Beleihung von juristischen Personen mit hoheitlichen Befugnissen nicht anders zu stellen als im Fall des unmittelbaren Tätigwerdens einer physischen Person als Organ des Rechtsträgers. Der Gesetzgeber des AHG 1949 habe § 9 Abs 5 AHG unter anderem aus der Erwägung heraus geschaffen, dass der Geschädigte durch den Rechtsträger ausreichend gesichert sei. Dies treffe auch auf das Tätigwerden von beliehenen bzw in die Pflicht genommenen Unternehmen zu. Im Bezug auf diese habe im Jahr 1949 keine Veranlassung zur Unzulässigerklärung des ordentlichen Rechtswegs bestanden, weil derartige Ermächtigungen zur Setzung von Hoheitsakten an juristische Personen des Privatrechts damals noch nicht dem Rechtsbestand angehört hätten.

4. Diese (im entschiedenen Fall mangels Wahrnehmbarkeit der Unzulässigkeit des Rechtswegs ohne Auswirkungen gebliebene) Änderung der Rechtsprechung fand Zustimmung:

Th. Rabl (Amtshaftungsimmunität für beliehene juristische Personen!, ecolex 2009, 579) begrüßte die Entscheidung grundsätzlich als Fall einer überzeugenden Analogie. In den letzten Jahren seien im zunehmenden Ausmaß juristische Personen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts zur Besorgung hoheitlicher Aufgaben herangezogen worden. Durch geschickte Gestaltung hätten sich die (ursprünglich haftenden) Rechtsträger ihrer Verantwortung entziehen können bzw diese im Ergebnis zur Gänze auf beliehene juristische Personen auslagern können. Die Entscheidung schließe eine erste Lücke in einem massiv lückenhaften System.

Die Kommentierung Zeinhofers (RdM-LS 2009/42), die die Entscheidung als „bedeutende Wende in der Amtshaftungsjudikatur“ bezeichnet, lässt keine Kritik erkennen.

5. Der erkennende Senat hält an dieser Änderung der Judikatur zu § 9 Abs 5 AHG fest. Wie bereits angesprochen war die Entwicklung der vergangenen Jahre von einer Flut von Ausgliederungen staatlicher Aufgaben an juristische Personen des Privatrechts geprägt (vgl nur die Beispiele bei Schragel aaO Rz 32), mögen diese auch nach wie vor einer gewissen staatlichen Kontrolle unterworfen sein, indem Gebietskörperschaften direkt oder indirekt maßgeblich an ihnen beteiligt sind. Dies verdeutlicht, dass das die Vorstellungen des Gesetzgebers im Jahr 1949 prägende Modell einer physischen Person als Organ, die im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig wird und vor Beeinflussungen seitens derjenigen, die von Organhandlungen betroffen sind, durch den Ausschluss einer direkten Inanspruchnahme geschützt werden soll (Schmaranzer aaO 392), nicht mehr der Realität entspricht.

6. Die Unzulässigkeit des Rechtswegs kann daher nicht schon aus dem Grund verneint werden, dass die beklagte Partei eine juristische Person ist.

III. Hoheitliches Handeln der beklagten Partei:

1. § 2 Abs 2 Z 4 StaatsdruckereiG 1996 sieht die gemeinsame Herausgabe der „Wiener Zeitung“ mit dem „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ vor, weil der Begriff „Wiener Zeitung“ auch das Amtsblatt mitumfasst (4 Ob 41/08w). Herausgeber der „Wiener Zeitung“ ist nach § 5 Abs 1 StaatsdruckereiG 1996 der Bund. Die Tarife für Veröffentlichungen im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ und der Bezugspreise der „Wiener Zeitung“ sind - soferne gesetzlich nichts anderes geregelt ist - vom Bundeskanzler nach kaufmännischen Grundsätzen und unter Berücksichtigung öffentlicher Interessen festzusetzen (§ 7 Abs 2 StaatsdruckereiG 1996). Der Inhalt des „Amtsblatts zur Wiener Zeitung“ (nicht aber die „Wiener Zeitung“) ist nach § 2a VerlautbarungsG 1985 unentgeltlich im Internet bereitzustellen.

2. Nach § 10 Abs 1 Satz 1 UGB sind Eintragungen im Firmenbuch und sonstige vom Firmenbuchgericht vorzunehmende Veröffentlichungen in der Ediktsdatei (§ 89j GOG) und im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ bekannt zu machen. Die Veröffentlichungen im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ sind tunlichst innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Erteilung der Druckgenehmigung in leicht lesbarer Schrift vorzunehmen; sie können in einer Beilage zum Blatt zusammengefasst werden. Der betroffene Rechtsträger hat das Entgelt für die Veröffentlichung an die Wiener Zeitung GmbH zu bezahlen. Der Bundeskanzler hat durch Verordnung Höchstsätze für diese Entgelte festzusetzen (§ 10 Abs 2 Satz 1 und 2 UGB).

3. Nach § 277 Abs 1 UGB haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften unter anderem den Jahresabschluss spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag einzureichen. § 277 Abs 2 UGB verpflichtet den Vorstand einer großen Aktiengesellschaft (§ 221 Abs 3), die Veröffentlichung des Jahresabschlusses im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ zu veranlassen (Satz 1). Der Nachweis über die Veranlassung dieser Veröffentlichung ist gleichzeitig mit den in Abs 1 bezeichneten Unterlagen beim Firmenbuchgericht einzureichen (Satz 2). Bei der Veröffentlichung ist das Firmenbuchgericht und die Firmenbuchnummer anzugeben (Satz 3). § 277 HGB gilt (mit hier nicht interessierenden Modifikationen und Einschränkungen) auch für kleine und mittelgroße Aktiengesellschaften sowie mittelgroße Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 279 UGB), Konzernabschlüsse (§ 280 UGB) und die Offenlegung der Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften (§ 280a UGB).

4. Im konkreten Fall ist zu beurteilen, ob die (verweigerte) Veröffentlichung im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“, zu der die Auftraggeber des Klägers im Sinn der Offenlegungspflichten des UGB verpflichtet waren (wovon beide Parteien übereinstimmend ausgehen), eine hoheitliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs 1 AHG ist.

5. Private handeln auch dann als Organe, wenn sie selbst keine Hoheitsakte zu setzen haben, sondern ihre Tätigkeit nur in der unterstützenden Mitwirkung bei der Besorgung hoheitlicher Aufgaben und Zielsetzungen besteht und sie in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingebunden werden, um andere Organe bei Besorgung hoheitlicher Aufgaben zu unterstützen oder zu entlasten (RIS-Justiz RS0104351; RS0049972). Entscheidend für das Vorliegen einer Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs 1 AHG ist, dass eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur ist; dann sind auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RIS-Justiz RS0049948; RS0049897).

6. Nach § 282 Abs 1 UGB hat das Gericht zu prüfen, ob die gemäß §§ 277 bis 281 UGB offenzulegenden Unterlagen vollzählig zum Firmenbuchgericht eingereicht und ob, soweit Veröffentlichungen vorgeschrieben wurden, diese veranlasst wurden. Bei Unterbleiben einer gebotenen Veröffentlichung hat das Gericht diese Tatsache auf Kosten der Gesellschaft bekanntzumachen, wenn dies ein Gesellschafter, Gläubiger, Betriebsrat (Zentralbetriebsrat) oder eine gesetzliche Interessenvertretung beantragt (Abs 3 Satz 1 leg cit). Für den Fall der Verletzung der Vorschriften der §§ 277 bis 280 UGB sieht § 283 HGB zwingend die Verhängung von Zwangsstrafen vor.

7. Die Veröffentlichung des Jahresabschlusses im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“, deren Veranlassung dem Firmenbuchgericht gleichzeitig mit der Einreichung des Jahresabschlusses nachzuweisen ist, steht im Zusammenhang mit der Überprüfung der Offenlegungspflicht und deren Erzwingung durch das Firmenbuchgericht. Dass dieses dabei hoheitlich handelt, steht außer Zweifel (Schragel aaO Rz 59). Die Regelungen über die Offenlegung des Jahresabschlusses nach §§ 277 ff UGB dienen dazu, Dritte, die die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht ausreichend kennen oder kennen können, zu informieren (RIS-Justiz RS0113284). Die nach § 277 Abs 2 UGB in Papierform ausschließlich im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ vorzunehmende Veröffentlichung erfüllt das Informationsbedürfnis einer interessierten Öffentlichkeit, die diese Mitteilungen kostenlos über das Internet abrufen kann. Diese Information im Interesse der Öffentlichkeit spricht ebenfalls für einen Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben (vgl 1 Ob 306/98a). Die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften erfüllen ihrerseits mit dem Auftrag an die beklagte Partei („Veranlassung“) zur Veröffentlichung des Jahresabschlusses eine im öffentlichen Interesse gelegene Informationspflicht. Der von der Judikatur geforderte hinreichend enge Zusammenhang der Tätigkeit der beklagten Partei mit hoheitlichen Aufgaben ist aus diesen Erwägungen zu bejahen.

8. Dass der hoheitlichen Tätigkeit ein (wohl privatrechtlicher) Auftrag einer Person des Privatrechts vorangeht (hier: Veranlassung der Veröffentlichung iSd § 277 Abs 2 UGB) und für die Leistung ein Entgelt zu entrichten ist, schließt die Anwendung des AHG nicht aus (Beispielsfälle sind die Transportbegleitung [1 Ob 49, 54/95], die Überprüfung nach § 57a KFG [1 Ob 34/80 = SZ 54/19; 1 Ob 27, 28/95 = SZ 69/132 ua] und die Tätigkeit eines vertraglich bestellten Bankprüfers [1 Ob 188/02g = SZ 2003/28]). Auf einen vertraglichen Anspruch beruft sich der Kläger im konkreten Fall nicht.

9. Für die Annahme einer hoheitlichen Tätigkeit kommt es auch nicht darauf an, ob die zu veröffentlichten Unterlagen druckreif übermittelt werden oder vor der Einschaltung bearbeitet werden müssen. Nach § 10 Abs 2 Satz 1 UGB müssen Veröffentlichungen in leicht lesbarer Schrift erfolgen. Diese Anordnung dient dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, weshalb auch eine allenfalls notwendige Gestaltung von Druckunterlagen der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben zuzuordnen ist. Das vom Kläger behauptete Motiv für die Verweigerung der Einschaltung (geringerer Preis aufgrund der vorbereiteten Komprimierung des Texts) ist für die Wertung der Tätigkeit der beklagten Partei als hoheitlich nicht relevant. Entscheidend ist, dass die beklagte Partei im Zusammenhang mit den hier interessierenden Veröffentlichungen bei der Besorgung hoheitlicher Aufgaben mitwirken soll. Verletzt sie diese Pflicht durch eine (behauptete) unberechtigte Weigerung, die Veröffentlichung vorzunehmen, löst diese Unterlassung ausschließlich Amtshaftungsansprüche aus, nicht aber Ansprüche nach dem UWG. Hoheitsakte können nämlich niemals Wettbewerbshandlungen darstellen und nach dem UWG beurteilt werden (RIS-Justiz RS0077512 [T3]).

IV. Diese Erwägungen führen zu folgendem Ergebnis: Die vom gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft im Sinne des § 277 Abs 2 UGB veranlasste Veröffentlichung des Jahresabschlusses im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ ist hoheitliches Handeln der Medieninhaberin der „Wiener Zeitung“, die dabei als Organ des Bundes tätig wird. Der Rechtsweg für gegen sie gerichtete Klagen, die (deliktische) Ansprüche im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit betreffen, ist nach § 9 Abs 5 AHG unzulässig.

V. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

Wiener Zeitung III,Gruppe: Amtshaftungsrecht,Gewerblicher Rechtsschutz,Zivilverfahrensrecht,Gruppe: Handelsrecht,Gesellschaftsrecht,Wertpapierrecht

Textnummer

E96913

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00015.11D.0331.000

Im RIS seit

22.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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