Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen M***** K*****, V***** K*****, A***** K***** und T***** K*****, wegen § 111 Abs 2 JN, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 5. November 2010, GZ 1 PS 85/09y (nunmehr: 1 PS 343/10s-11), ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Döbling wird genehmigt.
Text
Begründung:
Die Ehe der damals in Klagenfurt wohnhaften Eltern wurde am 27. 7. 2010 gemäß § 55a EheG einvernehmlich geschieden. In Punkt 1. des Scheidungsfolgenvergleichs verwiesen sie auf einen vom Pflegschaftsgericht bereits rechtskräftig genehmigten Vergleich vom 5. 2. 2009, in welchem die Mutter mit der alleinigen Obsorge über die vier gemeinsamen Kinder betraut worden war. In Punkt 3. trafen die Eltern eine Regelung über das Besuchsrecht des Vaters.
Am 12. 10. 2010 beantragte der Vater beim Bezirksgericht Klagenfurt, ihm die alleinige Obsorge über die Kinder zu übertragen. Der um eine Stellungnahme zu diesem Antrag ersuchte Jugendwohlfahrtsträger teilte am 27. 10. 2010 dem Pflegschaftsgericht mit, dass die Mutter samt Kindern seit 27. 8. 2010 an einer Adresse in Wien 19 wohnhaft sei.
Mit Beschluss vom 5. 11. 2010 übertrug das Bezirksgericht Klagenfurt daraufhin die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht Döbling. Dieses lehnte die Übernahme des Pflegschaftsverfahrens mit der Begründung ab, dass der Scheidungsfolgenvergleich vom 27. 7. 2010 hinsichtlich Obsorge und Kontaktregelung noch nicht pflegschaftsgerichtlich genehmigt und auch der Obsorgeantrag des Vaters unerledigt sei.
Das Bezirksgericht Klagenfurt, dessen Übertragungsbeschluss unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, legte die Akten gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist zu genehmigen.
Wenn es im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium für die Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle ist das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RIS-Justiz RS0047300). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RIS-Justiz RS0047032).
Bei einem unerledigten Obsorgeantrag kann eine Zuständigkeitsübertragung zwar unzweckmäßig sein, weil noch nicht feststeht, ob das Kind überhaupt im Sprengel des Gerichts bleiben wird, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll (RIS-Justiz RS0047027 [T2]). Eine Entscheidung durch das bisher zuständige Gericht ist aber auch in diesen Fällen nur dann sinnvoll, wenn das Gericht bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht. Nur dann ist es für den Pflegebefohlenen von Vorteil, dass das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet. Sind aber etwa die aktuellen Lebensverhältnisse der Mutter und deren Zukunftspläne noch ungeklärt, können diese für die Obsorgeentscheidung bedeutsamen Umstände effizienterweise nur vom nunmehrigen Wohnsitzgericht der Mutter und der Kinder erhoben werden (6 Nd 508/00; 7 Nc 16/10b; 10 Nc 23/10d).
Im vorliegenden Fall sind die geänderten Lebensumstände der Mutter und ihrer Kinder bisher nicht aktenkundig. Der Vater begründete seinen Antrag auf Übertragung der Obsorge im Wesentlichen damit, dass die Mutter die Betreuung der Kinder vernachlässige, wofür er mehrere Beispiele anführte. Sowohl die Lebensumstände der Mutter als auch die Berechtigung der vom Vater erhobenen Vorwürfe können von jenem Gericht, in dessen Sprengel die Mutter und die Kinder ihren Wohnsitz haben, wesentlich effizienter überprüft werden, als das dem bisher zuständigen Gericht in Klagenfurt möglich wäre. Der Zuständigkeitsübertragung steht weiters nicht entgegen, dass der Scheidungsfolgenvergleich bisher nicht pflegschaftsgerichtlich genehmigt wurde, zumal dieser eine genehmigungspflichtige Vereinbarung über die Obsorge gar nicht enthält (vgl § 55a Abs 3 Satz 1 EheG). Die Beurteilung, ob die getroffene Besuchsrechtsregelung genehmigt werden kann, wird hingegen erst dann möglich sein, wenn die derzeit noch nicht bekannten Lebensumstände der Mutter und der Kinder erhoben worden sind.
Aus diesen Erwägungen liegen ausreichende Gründe dafür vor, dass als Pflegschaftsgericht das Gericht des nunmehrigen Wohnsitzes der Mutter und der Kinder tätig wird.
Die Übertragung ist daher zu genehmigen.
Textnummer
E97179European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0020NC00002.11H.0407.000Im RIS seit
21.05.2011Zuletzt aktualisiert am
21.05.2011