TE OGH 2011/4/14 4Nc6/11m

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.04.2011
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M***** M*****, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 14. Februar 2011, GZ 1 Pu 276/09a-62, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache des mj M***** M*****, an das Bezirksgericht Hartberg wird genehmigt.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde am 11. Mai 2005 einvernehmlich geschieden. Die alleinige Obsorge für das Kind kommt nach dem pflegschaftsgerichtlich genehmigten Scheidungsvergleich der Mutter zu; der Vater wurde zu Unterhaltsleistungen verpflichtet (95 EUR monatlich ab 1. Dezember 2006).

Die obsorgeberechtigte Mutter lebte mit dem Minderjährigen zunächst im Sprengel des Bezirksgerichts Neunkirchen. Im Sprengel des Bezirksgerichts Hartberg verfügten Mutter und Kind zunächst nur über einen Nebenwohnsitz.

Am 11. Jänner 2011 beantragte der Vater eine befristete Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung. Der gemäß § 9 UVG durch die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vertretene Minderjährige beantragte hingegen die Erhöhung der monatlichen Unterhaltsbeiträge des Vaters auf 260 EUR.

Anfang Februar 2011 teilte die Mutter dem Bezirksgericht Neunkirchen mit, dass sie mit dem Kind in der Steiermark lebe. Die Jugendwohlfahrtsbehörde bestätigte diese Mitteilung. Tatsächlich lebt die Mutter mit dem Minderjährigen in der Steiermark. Der frühere Hauptwohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Neunkirchen ist nur mehr Nebenwohnsitz.

Das Bezirksgericht Neunkirchen übertrug mit Beschluss vom 14. Februar 2011 die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Hartberg. Es verwies auf den zunächst unklaren Aufenthaltsort des Kindes und darauf, dass noch keine ausführliche Befassung mit dem Unterhaltsantrag erfolgt sei.

Das Bezirksgericht Hartberg verweigerte die Übernahme als prozessökonomisch nicht sinnvoll, weil das Kind unverändert vom Jugendamt Neunkirchen vertreten werde und auch der Kindesvater unverändert im Sprengel des Bezirksgerichts Neunkirchen wohne.

Das Bezirksgericht Neunkirchen legte den Akt - nach Rechtskraft des Überweisungsbeschlusses - dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Zuständigkeitsübertragung ist zu genehmigen.

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nur unter dieser Voraussetzung kann der Grundsatz der perpetuatio fori - wonach jedes Gericht in Rechtssachen, die rechtmäßigerweise bei ihm anhängig gemacht wurden, bis zu deren Beendigung zuständig bleibt, wenn sich auch die Umstände, die bei Einleitung des Verfahrens für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebend waren, während des Verfahrens geändert hätten (§ 29 JN) - durchbrochen werden. Diese Bestimmung bezweckt die Sicherstellung der wirksamsten Handhabung des pflegschaftsbehördlichen Schutzes. Eine Übertragung muss daher im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen sein (4 Nc 15/09d mwN).

§ 111 JN nimmt darauf Bedacht, dass ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Pflegebefohlenen in der Regel zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung ist, weshalb bei Kindern die Pflegschaftsaufgaben grundsätzlich von jenem Gericht wahrgenommen werden sollen, in dessen Sprengel der Mittelpunkt ihrer Lebensführung liegt (RIS-Justiz RS0049144; RS0047027 [T10]).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sprechen offene Anträge im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN (RIS-Justiz RS0046895). Offene Anträge können nur dann bedeutsam sein, wenn das Wohl des Kindes aus besonderen Gründen von dem bisher befassten Gericht wirksamer beachtet werden kann, etwa weil dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt (4 Ob 5/04w).

Im vorliegenden Fall hat sich das Bezirksgericht Neunkirchen sowohl mit dem Antrag des Vaters auf Herabsetzung seiner Unterhaltsbeiträge als auch mit dem Erhöhungsantrag des Minderjährigen noch nicht näher befasst. Anhaltspunkte für eine besondere Sachkenntnis im Bezug auf die anhängigen offenen Anträge ist daher nicht zu erkennen. Weder der Wohnsitz des Kindesvaters noch die bislang nicht erfolgte Übertragung der Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers stehen dem - wie oben ausgeführt - vorrangigen Argument der herzustellenden Nähe zwischen dem Wohnsitz des Pflegebefohlenen und des zur Führung des Pflegschaftsverfahrens zuständigen Gerichts entgegen. Die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht des Aufenthaltsorts des Kindes war daher zu genehmigen.

Textnummer

E97183

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0040NC00006.11M.0414.000

Im RIS seit

21.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten