Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Alfred Engelmann und Alfred Klair als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI M***** M*****, vertreten durch Mag. Werner Piplits, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, 1150 Wien, Linke Wienzeile 246, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen 22.843,08 EUR sA (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. September 2010, GZ 10 Rs 22/10v-11, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16. Dezember 2009, GZ 4 Cgs 204/09g-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der späteren Gemeinschuldnerin vom 1. Jänner 2006 bis 20. Juli 2006 als Angestellter beschäftigt, das Dienstverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt. In seinem Dienstvertrag war eine dreimonatige Kündigungsfrist vereinbart.
Am 28. März 2008 wurde über das Vermögen der in Großbritannien ansässigen Dienstgeberin ein Administrationsverfahren nach britischem Recht eröffnet.
Die beklagte Partei gab dem Antrag des Klägers auf Zahlung von Insolvenz-Entgelt teilweise Folge. Strittig ist im vorliegenden Verfahren nur mehr der Anspruch auf Insolvenz-Entgelt für die Kündigungsentschädigung vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2006, der ausschließlich aus der das gesetzliche Ausmaß übersteigenden vertraglichen Kündigungsfrist resultiert.
Der Kläger stützt sein Begehren auf Zahlung von Insolvenz-Entgelt für diesen Teil der Kündigungsentschädigung auf die Rechtsansicht, die Beschränkung des Entschädigungszeitraums nach § 3 Abs 3 IESG sei nur auf Beendigungsansprüche anzuwenden, die in den Zeitraum nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fallen.
Das Erstgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Die Beschränkung des § 3 Abs 3 IESG komme dort zum Tragen, wo bei der Bestimmung des Ausmaßes von Insolvenz-Entgelt auf die Kündigungsfristen Bezug genommen werde, insbesondere daher bei der Beurteilung der Insolvenzsicherung einer Kündigungsentschädigung, und zwar unabhängig vom Eintritt ihrer Fälligkeit. Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil bisher keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage vorliege, ob die Grenzen des § 3 Abs 3 IESG auch bei der Berechnung des Insolvenz-Entgelts für eine bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Kündigungsentschädigung eines berechtigt ausgetretenen Arbeitnehmers zugrunde zu legen sind.
Rechtliche Beurteilung
Die von der beklagten Partei beantwortete Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zur Verdeutlichung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Nach § 3 Abs 3 IESG sind der Berechnung des Insolvenz-Entgelts für gesicherte Ansprüche grundsätzlich nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrunde zu legen. Diese Beschränkung gilt auch für Ansprüche aufgrund eines vorzeitigen Austritts nach § 26 Z 2 AngG (RIS-Justiz RS0112367; RS0109589; so auch schon 8 ObS 294/97m zu § 3 Abs 3 IESG idF vor BGBl I 1997/107).
Zweck der Begrenzung der Sicherung nach § 3 Abs 3 IESG war von allem Anfang an eine von den Einzelvereinbarungen unabhängige Dauer der Sicherung (8 ObS 219/01s). Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sind alle gesicherten Ansprüche erfasst, deren Berechnung Kündigungsfristen und -termine zugrunde liegen, ohne nach ihrer Fälligkeit vor oder nach Eintritt des Insolvenztatbestands nach § 1 Abs 1 IESG zu unterscheiden. In der Rechtsprechung wurde die Bestimmung bisher lediglich insofern einschränkend ausgelegt, als Ansprüche auf laufendes Entgelt während einer über das gesetzliche Ausmaß hinausgehenden Kündigungsfrist, in welcher der Dienstnehmer tatsächlich noch zur Arbeitsleistung verpflichtet war, nicht der Begrenzung unterliegen. In diesem Fall würde eine unterschiedliche Behandlung des laufenden Entgelts gekündigter und ungekündigter Dienstnehmer zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Schlechterstellung der ersteren führen (8 ObS 121/02f; 8 ObS 21/08h).
Diese auch von der Revision für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Wertung ist aber nicht einfach auf den hier zu beurteilenden Fall einer bloßen Kündigungsentschädigung übertragbar. Insbesondere ist auch die Behauptung, der Oberste Gerichtshof hätte in der Entscheidung 8 ObS 121/02f ausgeführt, ein Austritt des Dienstnehmers hätte am Umfang seiner gesicherten Ansprüche nichts geändert, vom Inhalt dieser Entscheidung nicht gedeckt; bei der genannten Textstelle handelt es sich nur um ein Zitat aus der Begründung des erstinstanzlichen Urteils.
Das Argument des Revisionswerbers, es wäre unverständlich, warum ein Dienstnehmer, der von seinem Austrittsrecht zulässigerweise Gebrauch gemacht hat, weniger schützenswert sein sollte, als derjenige, der vom Dienstgeber gekündigt wurde, übergeht den in der zitierten Rechtsprechung herausgearbeiteten Unterschied zwischen laufendem Entgelt und Schadenersatz (ebenso überschießend Gahleitner in ZellKomm § 3 IESG Rz 8). Im Gegensatz zum gekündigten Dienstnehmer, der während der Kündigungsfrist weiter seine Arbeitsleistung erbringen muss und dafür ungeschmälert gesichertes Entgelt erhalten soll, ist der ausgetretene Dienstnehmer in der fiktiven Kündigungsfrist gerade nicht mehr zur Arbeit verpflichtet. Wegen der unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen kann eine Ungleichbehandlung von laufendem Entgelt und Entschädigung nicht von vornherein als unsachlich angesehen werden.
Es stellt sich vielmehr die Frage, ob eine umfangreichere Sicherung der Entschädigungsansprüche von bereits vor dem Stichtag nach § 1 Abs 1 IESG ausgetretenen Dienstnehmern gegenüber jenen sachlich gerechtfertigt ist, deren Dienstverhältnis erst während des Konkurses aufgelöst wurde. Auch Letztere können aus einer vertraglichen Verlängerung der Kündigungsfrist abgeleitete Schadenersatzansprüche nach § 25 Abs 2 KO (IO) erwerben, weil das zeitliche Maß des Ersatzanspruchs nach § 25 Abs 2 KO (IO) durch die für den Arbeitgeber hinsichtlich des konkreten Arbeitnehmers - unter Außerachtlassung der Insolvenzeröffnung - im Zeitpunkt des Austritts bestehende Beendigungsmöglichkeit bestimmt wird (8 ObS 4/10m; 8 ObS 15/07z; 8 ObS 16/04t). Dieser Anspruch ist aber nicht unbeschränkt, sondern nur innerhalb der Grenzen des § 3 Abs 3 IESG auch gesichert (8 ObS 379/97m).
Bereits in seiner Entscheidung 8 ObS 4/04b hatte der Oberste Gerichtshof den vergleichbaren Fall eines Dienstnehmers zu beurteilen, der rund ein Jahr vor Konkurseröffnung vom Dienstgeber fristwidrig gekündigt worden war. In diesem Fall war zwar in erster Linie zu beurteilen, ob eine Vereinbarung über die Geltung des AngG als Vertragsschablone dazu führt, dass die Kündigungsfristen des AngG als „gesetzliche“ Kündigungsfristen iSd § 3 Abs 3 IESG gelten, der Oberste Gerichtshof hat aber keinen Zweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Bestimmung gelassen, obwohl die Kündigungsfrist jedenfalls lange vor Konkurseröffnung abgelaufen war.
Der erkennende Senat sieht keinen Anlass, von den der Entscheidung 8 ObS 4/04b zugrundeliegenden Erwägungen abzugehen. Diese Auslegung entspricht vielmehr dem Zweck der Bestimmung, eine übermäßige Beanspruchung des Fonds durch private Vereinbarungen, auch wenn sie nicht als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren sein mögen, hintanzuhalten (RIS-Justiz RS0077432; vgl auch Liebeg IESG § 3 Rz 32). Insbesondere zeigt die Revision auch nicht auf, aus welchem besonderen Grund ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordener Anspruch auf Kündigungsentschädigung hinsichtlich der Entgeltsicherung nach § 3 Abs 3 KO günstiger zu behandeln wäre als ein Entschädigungsanspruch nach § 25 Abs 2 KO.
Der Revision war daher keine Folge zu geben.
Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Z 2 lit b ASGG wurden weder vorgebracht (Neumayr in ZellKomm § 77 ASGG Rz 13 f; RIS-Justiz RS0085829; 8 ObS 13/06d), noch ergeben sich dafür aus dem Akteninhalt ausreichende Anhaltspunkte, in welchem Fall vom Erfordernis der Bescheinigung abgesehen werden könnte (vgl 10 ObS 106/03s).
Schlagworte
ArbeitsrechtTextnummer
E97121European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:008OBS00012.10P.0426.000Im RIS seit
12.05.2011Zuletzt aktualisiert am
25.01.2013