Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Schwarzenbacher und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** K*****, vertreten durch die Sachwalterin E***** K*****, vertreten durch Mag. Hannes Engl, Rechtsanwalt in Ebensee, gegen die beklagte Partei A***** Limited, *****, vertreten durch Dr. Thomas Marschall, Rechtsanwalt in Wien, wegen 72.675 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2011, GZ 4 R 318/10d-46, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
In der außerordentlichen Revision der Beklagten werden als erhebliche Rechtsfragen die Auslegung des Begriffs der Nachbarschaftshilfe in der Bauhelferversicherung und der Bestimmungen der Art 16 und 18 AUVB 1995 geltend gemacht. Damit vermag die Revisionswerberin keinen tauglichen Grund für die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels aufzuzeigen:
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS-Justiz RS0050063; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregel des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die diesbezüglichen Formulierungen stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS-Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie - wie auch hier mangels gegenteiliger Behauptungen anzunehmen ist - nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901; 7 Ob 17/08p uva).
Zwar ist die Auslegung von Versicherungsbedingungen, zu denen nicht bereits oberstgerichtliche Judikatur existiert, im Hinblick darauf, dass sie in aller Regel einen größeren Personenkreis betreffen, grundsätzlich revisibel. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung allerdings nicht, wenn der Wortlaut der betreffenden Bestimmung so eindeutig ist, dass keine Auslegungszweifel verbleiben können (7 Ob 136/08p mwN). Dies trifft im vorliegenden Fall auf die Bauhelferversicherung zu:
Nach dem vom Sohn des Klägers abgeschlossenen Versicherungsvertrag sind „ohne Namensangabe max. 5 Personen während Bauhilfe (Nachbarschaftshilfe)“ versichert, die auf der Baustelle „aushelfen“.
Bei der so genannten Nachbarschaftshilfe wird die Hilfe nur vorübergehend und aus Gefälligkeit geleistet (2 Ob 48/75 = SZ 48/50 mwN; vgl auch 7 Ob 233/03w = VR 2004/629). Dass auch der im vorliegenden Versicherungsvertrag in Klammer stehende Begriff der „Nachbarschaftshilfe“ nur in diesem Sinn gemeint sein kann und nicht auf nachbarrechtliche Bestimmungen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts abstellt, ergibt sich schon aus dem unterschiedlichen Regelungszweck und kann im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten nicht bezweifelt werden. Es kann auch nicht darauf ankommen, wie die Wohnung des Bauhelfers einerseits und die versicherte Adresse andererseits situiert sind, also etwa, ob der Bauhelfer in einem der Baustelle aus räumlicher Sicht benachbarten Haus wohnt. Im vorliegenden Fall wohnte der Kläger, der bei der Dachreparatur mithalf und dabei von der Leiter stürzte, ebenso wie sein Sohn an der versicherten Adresse, jedoch in einer getrennten Wohneinheit im Erdgeschoss des dem Sohn gehörenden Hauses, dessen Dach repariert wurde. Die Situation ist daher nicht anders, als wenn ein Bestandnehmer seinem Bestandgeber beim Umbau von allgemeinen Teilen des Hauses hilft.
Dass derartige Hilfestellungen am Bauplatz vor allem auch im Familienkreis und bei Reparatur- oder Ausbauarbeiten in einem Haus des Versicherungsnehmers, in dem der Helfer selbst eine Wohnung hat, üblich sind und der Versicherungsnehmer nicht damit zu rechnen braucht, dass gerade solche Personen vom Versicherungsschutz ausgenommen sein sollen, hat bereits das Berufungsgericht dargelegt.
Allein der Umstand, dass der Kläger - ebenso wie sein Sohn - im Haus wohnt, das umgebaut wurde, macht ihn nicht zu einem „Haushaltsangehörigen“. Eine „unbeschränkte 24-Stunden-Versicherung“ liegt ebenfalls nicht vor, weil - wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hat - nur jene Unfälle versichert sind, die den versicherten Personen „während der Bauhilfe“ auf der Baustelle zustoßen.
2. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin wirft auch die Verneinung der „Unversicherbarkeit“ des Klägers im Sinn des Art 16 AUVB 1995 keine erhebliche Rechtsfrage auf, die die Zulassung der außerordentlichen Revision rechtfertigen könnte.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war dem Kläger im Unfallszeitpunkt (generell) die Verrichtung von körperlich nicht schweren Arbeiten und von leichten Hilfstätigkeiten - wie das Besteigen von Leitern und die tatsächlich beim Unfall ausgeübte Tätigkeit - durchaus zumutbar und auch möglich. Weder die (sozialversicherungsrechtliche) altersbedingte Erwerbsunfähigkeit noch die Vorerkrankungen des Klägers führten daher zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit im Sinn des Art 16 AUVB 1995.
3. Die Revisionswerberin rügt weiters die ihrer Meinung nach entgegen Art 18 AUVB 1995 unterlassene Berücksichtigung einer Vorinvalidität im Umfang der vor dem Unfallgeschehen vorhandenen Funktionseinbußen, speziell wegen der Entfernung des Kehlkopfes.
Zur inhaltsgleichen Bestimmung des Art 18.1 AUVB 2003 hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass Vorschäden in einer nicht betroffenen Funktion nicht zu berücksichtigen seien. Wäre der Folgeschaden auch ohne Vorschädigung entstanden, so könne von einer Anspruchskürzung bedingenden Betroffenheit des Körperteils oder dessen Funktion durch die bereits vor dem Unfall gegebene (anderweitige) dauernde Beeinträchtigung und damit von einer Vorinvalidität im Sinn der AUVB nicht ausgegangen werden (7 Ob 92/07s = zuvo 2007/52, 71). Auch im vorliegenden Fall stehen die Vorerkrankungen des Klägers im Bereich des Magens, der Leber und des Kehlkopfes in keinem Zusammenhang mit dem unfallskausalen, durch die Schädigung des Gehirns hervorgerufenen apallischen Syndroms. Die Vorerkrankungen des Klägers zogen nach den Feststellungen „keine Gebrauchseinschränkung“ nach sich. Dass die Atemfunktion des Klägers infolge der früheren Entfernung des Kehlkopfes ganz erheblich beeinträchtigt gewesen wäre, wie in der Revision behauptet wird, steht nicht fest und wäre auch nicht relevant, weil nach wie vor die selbständige Atemfunktion des Klägers besteht. Der Kläger befindet sich nunmehr unfallskausal im Wachkoma, bei selbständiger Herz-, Kreislauf- und Atemfunktion, ohne Willkürmotorik oder Fähigkeit einer Bewusstseinsbildung; seine Hirnschädigung ist irreversibel. Von einer zur Anspruchskürzung führenden Betroffenheit der in Frage stehenden Körperteile oder deren Funktion durch die bereits vor dem Unfall gegebene (anderweitige) Beeinträchtigung kann daher nicht ausgegangen werden.
4. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Soweit die Revisionswerberin auf die Ausführungen in der Berufung verweist, ist dies unzulässig und unbeachtlich (RIS-Justiz RS0043579; RS0043616).
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Schlagworte
9 Vertragsversicherungsrecht,Textnummer
E97190European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00042.11V.0427.000Im RIS seit
18.05.2011Zuletzt aktualisiert am
25.02.2013