TE OGH 2011/4/28 1Ob67/11a

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.04.2011
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Anita K*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Günther K*****, vertreten durch Dr. Robert Wiesler, Rechtsanwalt in Graz, wegen einstweiliger Verfügung (§ 382 Z 8 lit c zweiter Fall EO und § 382h EO), über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 8. Februar 2011, GZ 2 R 2/11w-13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 26. November 2010, GZ 249 C 87/10x-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss als einstweilige Verfügung insgesamt lautet:

„1) Zur Sicherung des Anspruchs auf Wohnungserhaltung wird

a) dem Antragsgegner Günther (im Grundbuch Günter) K*****, geb. am *****, verboten, seine Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** (BLNR 1) ohne vorherige ausdrückliche und schriftliche Zustimmung der Antragstellerin Anita K*****, geboren am *****, zu veräußern, grundbücherlich oder außerbücherlich zu belasten oder zu vermieten;

b) ob der dem Antragsgegner Günther (im Grundbuch Günter) K*****, geboren am *****, gehörigen Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** (BLNR 1) das Veräußerungs- und Belastungsverbot zugunsten der Antragstellerin Anita K*****, geboren am *****, angemerkt.

Die Antragstellerin hat die Klage zur Geltendmachung des gesicherten Anspruchs binnen 4 Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung bei Gericht einzubringen.

Diese einstweilige Verfügung gilt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diese Klage bzw bis zur sonstigen Erledigung darüber.“

Die gefährdete Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens vorläufig selbst zu tragen. Der Gegner der gefährdeten Partei hat diese Kosten endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Streitteile ist aufrecht. Ein Scheidungsverfahren ist seit 2010 anhängig. Der Antragsgegner ist Alleineigentümer einer Liegenschaft, auf der sich die von beiden Ehegatten mit den gemeinsamen Kindern bewohnte Ehewohnung befindet.

Die Antragstellerin beantragte zur einstweiligen Sicherung des Anspruchs der Wohnungserhaltung, dem Antragsgegner zu verbieten, die Liegenschaft ohne ihre Zustimmung zu veräußern, zu belasten oder zu vermieten, und ein Belastungs- und Veräußerungsverbot im Grundbuch einzutragen. Soweit für das Revisionsrekursverfahren (in dem die Berechtigung des Sicherungsantrags nach § 382 Z 8 lit c EO kein Thema ist) relevant, brachte sie vor, sie sei mangels anderweitiger Wohnversorgung zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses auf die Ehewohnung angewiesen. Sie habe einen Anspruch darauf, die Ehewohnung weiterhin gesichert zur Wohnversorgung zur Verfügung zu haben.

In seiner Äußerung zum Sicherungsantrag wendete der Antragsgegner ein, der Antrag ziele nicht, wie in § 382h EO vorgesehen, darauf ab, das dringende Wohnbedürfnis der Antragstellerin zu sichern, sondern solle ihr allenfalls sogar Eigentum verschaffen. Er habe der Antragstellerin die Benutzung der Ehewohnung nie verwehrt. Ausdrücklich erklärte er, dass die Antragstellerin wie bisher die gemeinsame Ehewohnung bewohnen und benützen könne. Er beabsichtige nicht, die Liegenschaft zu veräußern, zu belasten oder zu vermieten. Die Antragstellerin sei aufgrund ihrer Einkommen in der Lage, sich eine eigene Wohnung zu verschaffen.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab.

Zusätzlich zu den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Tatsachen nahm es noch folgenden (relevanten) Sachverhalt als bescheinigt an:

Es kann weder festgestellt werden, dass der Antragsgegner die Antragsgegnerin daran hindert, ihr Wohnbedürfnis an der Ehewohnung zu befriedigen, noch dass er beabsichtigt, diese zu vermieten, zu verwerten, zu belasten oder gar zu verkaufen. Er setzte keine Handlungen, die der Antragsgegnerin das Wohnen in der Ehewohnung unmöglich machen oder die Befriedigung von nicht in Geld zu bewertenden Ansprüchen im Scheidungs- oder Aufteilungsverfahren vereiteln oder erheblich erschweren. Er erklärt sich vielmehr ausdrücklich damit einverstanden, dass die Antragstellerin ihren Wünschen entsprechend in der Ehewohnung lebt bzw, falls sie nicht mehr mit ihm zusammenleben möchte, mit seiner Zustimmung ausziehen kann, ohne dass er einen allfälligen Auszug als Scheidungsgrund geltend machen wird.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, eine einstweilige Verfügung nach § 382h EO könne analog zu § 382 Z 8 lit c EO nur erlassen werden, wenn eine konkrete Gefährdung behauptet und bescheinigt werde. Ein konkreter Anhaltspunkt für eine aktuelle Gefährdung des Anspruchs auf Sicherung des eigenen Wohnbedürfnisses der Antragstellerin werde aber nicht behauptet.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Zu Recht weise die Antragstellerin darauf hin, dass die einstweilige Verfügung nach § 382h EO gemäß dessen Abs 2 auch ohne Gefährdungsbescheinigung erlassen werden könne, wenn - wie hier - zwischen den Parteien ein Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe anhängig sei. Die einstweilige Verfügung zur Sicherung des Wohnungserhaltungsanspruchs sei nach § 97 ABGB anspruchsgebunden. Eine solche Sicherungsmaßnahme sei daher nach § 391 Abs 2 EO mit einer Fristsetzung zur Einbringung einer Rechtfertigungsklage zu verknüpfen. Trotz der Befreiung eines Antragstellers von einer Gefahrenbescheinigung stelle sich daher die Frage, ob die Erlassung der einstweiligen Verfügung zulässig sei, wenn schon nach der Behauptungslage jeder Hinweis darauf fehle, dass die zu sichernden Rechte nach § 97 ABGB vom Antragsgegner eingeschränkt, bestritten oder auch nur bezweifelt werden könnten. Unter Bedachtnahme auf die Anspruchsgebundenheit der einstweiligen Verfügung nach § 382h EO sei jenen Lehrmeinungen zu folgen, welche eine Gegenbescheinigung als zulässig ansähen. Erstatte die gefährdete Partei keinerlei Vorbringen, auf das sich die Einbringung einer Rechtfertigungsklage nach § 97 ABGB stützen könnte, sei die Erlassung der anspruchsgebundenen einstweiligen Verfügung nach § 382h EO unzulässig, wenn ein Anspruch, der mittels einstweiliger Verfügung gesichert werden könnte, nicht einmal behauptet werde. Die Fristsetzung zur Einbringung einer offensichtlich aussichtslosen Rechtfertigungsklage würde sich in diesem Fall als sinnloser Formalismus darstellen. Daran ändere der Hinweis auf Ersatzansprüche nach § 394 EO nichts, zumal auch dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, vermeidbaren, von vornherein zwecklosen Prozessaufwand zu billigen.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der erörterten Frage der Notwendigkeit konkreter Behauptungen in einem Sicherungsantrag nach § 382h EO zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1.) Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser nach § 97 Satz 1 ABGB Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere. Dies gilt nach Satz 2 nicht, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird. Der Zweck dieser Bestimmung wird in ständiger Rechtsprechung darin gesehen, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung des den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisses gedient hat und die er weiterhin benötigt (RIS-Justiz RS0009570). Er soll insofern vor Willkürakten des anderen Ehegatten geschützt werden (RIS-Justiz RS0009580). Es stehen ihm Unterlassungs- und Leistungsansprüche gegen den anderen Ehegatten zu (RIS-Justiz RS0005961; 9 Ob 226/02d = SZ 2002/179; Schwimann/Ferrari in Schwimann, ABGBI, § 97 Rz 8).

2.) Der Anspruch eines Ehegatten auf Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses sowie die ihm aufgrund einer Verletzung dieses Anspruchs zustehenden, nicht in Geld bestehenden Forderungen können nach § 382h EO (vor Inkrafttreten des 2. GeSchG, BGBl I 2009/40, mit 1. 6. 2009 § 382e EO), insbesondere durch die Sicherungsmittel nach § 382 Abs 1 Z 4 bis 7 EO, gesichert werden. Ist zwischen den Parteien ein Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe anhängig, so kann die einstweilige Verfügung erlassen werden, auch wenn die in § 381 EO bezeichneten Voraussetzungen nicht zutreffen (§ 382h Abs 2 EO).

3.) Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Lehre ist eine einstweilige Verfügung nach (jetzt) § 382h EO zur Sicherung des Wohnungserhaltungsanspruchs nach § 97 ABGB anspruchsgebunden. Eine solche Sicherungsmaßnahme ist daher nach § 391 Abs 2 EO mit einer Fristsetzung zur Einbringung einer Rechtfertigungsklage zu verknüpfen (RIS-Justiz RS0115045; Sailer in Burgstaller/Deixler-Hübner, § 382e EO Rz 7 mwN). Ebenso steht außer Diskussion, dass nach § 382h Abs 2 EO die Bescheinigung einer konkreten Gefährdung des Anspruchs im Fall eines zwischen den Parteien bereits anhängigen Eheverfahrens (hier: wegen Scheidung) nicht notwendig ist (3 Ob 21/01m = SZ 74/51; RIS-Justiz RS0115045 [T3]; Sailer aaO Rz 8; Kodek in Angst, EO2 § 382e Rz 3; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren3 Rz 4/61; Stabentheiner in Rummel3, § 97 Rz 4a; Hopf/Kathrein, Eherecht² § 382 EO Anm 4 ua). Der Gesetzgeber unterstellt in diesem Fall die Gefährdung, weshalb es berechtigt erscheint, auf eine individuelle Gefährdungsbescheinigung zu verzichten (ErläutRV 1653 BlgNR 20. GP 34). Es handelt sich dabei um eine Rechtsvermutung (7 Ob 86/03b = SZ 2003/62; 2 Ob 140/10t), deren Widerlegbarkeit in der Lehre allerdings umstritten ist (s Punkt 11.).

4.) § 382h EO enthält keine Sonderregelung zur Bescheinigung des zu sichernden Anspruchs. Deshalb muss der Antragsteller sein am Sicherungsobjekt bestehendes Wohnbedürfnis und die Verfügungsberechtigung des anderen Ehegatten nach allgemeinen Bestimmungen behaupten und bescheinigen (Zechner, Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung, § 382e EO Rz 4; Sailer aaO Rz 7; Battlogg, Wertungswidersprüche und Judikaturdivergenzen im liegenschaftsbezogenen Provisorialverfahren, NZ 2001, 461 [469]).

5.) Zum Bestand ihres Anspruchs berief sich die Antragstellerin auf ihr dringendes Wohnbedürfnis und die (feststehende) alleinige Verfügungsbefugnis ihres Ehegatten. Dieser bestritt ihren Wohnbedarf ausschließlich mit der Behauptung, sie könne sich bei ihrem Einkommen anderweitig Wohnraum verschaffen. Für das Vorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses ist aber nur entscheidend, ob dem wohnungsbedürftigen Ehegatten eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht (2 Ob 173/09v mwN). Das Wohnrecht kann ihm nicht bloß deshalb entzogen werden, weil er genügend Geld hat, sich eine ausreichende Ersatzwohnung zu verschaffen (Schwimann/Ferrari aaO Rz 3), weshalb dieses Argument dem Antragsgegner nichts nützen kann. Damit hat die Antragstellerin ihr dringendes Wohnbedürfnis ausreichend bescheinigt. Die erstmals in der Revisionsrekursbeantwortung aufgestellte Behauptung des Antragsgegners, seine Ehegattin sei bereits aus der Ehewohnung ausgezogen, ist eine unzulässige Neuerung.

6.) Die hier strittige Frage, ob ein Antragsteller bei einem bereits anhängigen Eheverfahren im Sicherungsverfahren nach § 382h EO die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gefährdung seines Anspruchs durch ein konkretes (drohendes) Verhalten des verfügungsberechtigten Ehegatten behaupten muss, wurde noch nicht (eindeutig) beantwortet:

Zechner (aaO) hält schlüssige Antragsbehauptungen zur Gefährdung für unentbehrlich. Nach König (aaO) entbindet § 382e (jetzt: § 382h) Abs 2 EO, insoweit abweichend von der Normalregelung und überschießend, (auch) von der Behauptung der Gefahr. Im sonstigen (überblickbaren) Schrifttum wird diese Frage nicht eigens behandelt.

7.) § 389 Abs 1 EO verpflichtet den Antragsteller grundsätzlich, die den Antrag begründenden Tatsachen im Einzelnen wahrheitsgemäß darzulegen. Dazu gehören auch jene Umstände, die eine Gefährdung begründen, soweit diese - wie im Regelfall - eine Voraussetzung für die Erlassung der einstweiligen Verfügung bildet (Kodek in Burgstaller/Deixler-Hübner, § 389 EO Rz 5 mwN). Die drohende Gefahr ist Sachvoraussetzung für das Vorliegen des Sicherungsanspruchs. Der Sicherungsantrag ist daher abzuweisen, wenn die Bescheinigung der Gefahr nicht gelingt (Konecny, Der Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung 203 f). Der Antragsteller muss die in § 381 EO geforderte (konkrete) Gefährdung behaupten und bescheinigen (RIS-Justiz RS0005175 [T9]). Der allgemeine Hinweis auf eine abstrakt mögliche Gefährdung reicht nicht (RIS-Justiz RS0005295). Die (vor Einführung des § 382e EO durch das EheRÄG 1999, BGBl I 1999/125, ergangene) Judikatur nahm eine konkrete Gefährdung der Verletzung des Unterlassungsgebots nach § 97 ABGB in der Regel dann an, wenn ein Ehegatte einen Rangordnungsbescheid erwirkte, Kaufinteressenten suchte, Verkaufsbesprechungen aufnahm oder auf ähnliche Weise seine konkreten Verkaufsabsichten bekundete (RIS-Justiz RS0005175 [T1]).

8.) § 382h Abs 2 EO verfügt ausdrücklich, dass im Fall eines anhängigen Eheverfahrens eine einstweilige Verfügung auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 381 EO erlassen werden kann. Das bedeutet zwar nicht, dass die Erlassung einer einstweiligen Verfügung in diesem Fall grundsätzlich keine Gefährdung des Anspruchs erfordert. § 382h Abs 2 EO begründet aber eine Rechtsvermutung zugunsten der Gefährdung des Wohnungserhaltungsanspruchs (s dazu oben 3.), die nach dem Gesetzestext bereits durch die Tatsache eines anhängigen Eheverfahrens ausgelöst wird. Bei einer Rechtsvermutung schließt das Gesetz aus dem Vorliegen einer - höchstens tatbestandsnahen - Tatsache unmittelbar auf den Bestand eines Rechtsverhältnisses, welche zumindest allein aus dieser Tatsache noch nicht abgeleitet werden könnte (Rechberger in Fasching/KonecnyIII § 270 ZPO Rz 3 mwN). Zu behaupten und zu beweisen ist ausschließlich die Vermutungsbasis; nur sie ist Beweisthema (Rechberger aaO Rz 4). Vermutungsbasis nach § 382h Abs 2 EO ist in diesem Sinn, dass ein Eheverfahren anhängig ist. Dies hat die Antragstellerin behauptet und bescheinigt. Die Rechtsvermutung des § 382h Abs 2 EO befreit sie daher von der Notwendigkeit, konkrete Gefährdungshandlungen des verfügungsberechtigten Ehegatten zu behaupten.

9.) Dass § 382h Abs 2 EO eine Sonderregelung für das Sicherungsverfahren ist, lässt das Rekursgericht in seinen Argumenten zur Anspruchsgebundenheit der einstweiligen Verfügung nach § 382h EO, insbesondere zu der seiner Auffassung nach sinnlosen Fristsetzung zur Einbringung einer offensichtlich aussichtslosen Rechtfertigungsklage, außer Acht. Für das Hauptverfahren über den Wohnungserhaltungsanspruch nach § 97 ABGB besteht eben keine Sonderregelung zur Behauptungs- und Beweislast des klagenden Ehegatten. Begehrt er im Hauptverfahren die (vorbeugende) Unterlassung von Verfügungen des anderen Ehegatten, wie Verkauf, Belastung oder Vermietung der Ehewohnung, die durch das Sicherungsmittel des § 382 Z 6 EO gesichert werden soll, so hat er die Ersteingriffsgefahr, die eine materielle Klagsvoraussetzung darstellt (RIS-Justiz RS0010553 [T1]; ähnlich 6 Ob 226/05m), zu behaupten und zu beweisen. Er ist daher verpflichtet, im Hauptverfahren die (drohenden) Verfügungshandlungen des anderen Ehegatten darzulegen.

10.) Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass die Antragstellerin über die Tatsache des eingeleiteten Scheidungsverfahrens hinaus kein zusätzliches Tatsachenvorbringen zur Gefährdung ihres Anspruchs erstatten musste.

11.) Sind Behauptungen zur konkreten Gefährdung nicht notwendig, bleibt die Frage zu überprüfen, ob einem Antragsgegner die Möglichkeit der Gegenbescheinigung offen steht. Sailer (aaO Rz 8) und Zechner (aaO) bejahen dies im Gegensatz zu König (aaO). Zechner schließt die Annahme einer unwiderleglichen Rechtsvermutung aus, weil sich die einstweilige Verfügung sonst als rechtlich institutionalisiertes Schikaneinstrument missbrauchen ließe. Nach Sailer müsse ja nach dem nicht zu vernachlässigenden Wortlaut des § 382a Abs 2 EO die einstweilige Verfügung bei fehlender Bescheinigung nicht erlassen werden, was gerade dann der Fall sein werde, wenn ausnahmsweise der Gegner gehört worden sei und das Fehlen einer konkreten Gefährdung glaubhaft gemacht habe. König argumentiert ebenfalls mit dem Wortlaut, aber mit konträrem Ergebnis.

12.) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist es gerade aufgrund der Entbehrlichkeit von Tatsachenbehauptungen zur Gefährdung nur konsequent, dem Antragsgegner die Widerlegung der Rechtsvermutung zu ermöglichen, sei es nun bei seiner Anhörung im Sicherungsverfahren selbst (§ 382h Abs 3 EO) oder im Fall des einseitigen Sicherungsverfahrens im Widerspruchsverfahren. Ansonsten bestünde die von Zechner gesehene Gefahr eines missbräuchlichen Einsatzes dieser einstweiligen Verfügung. Für die Widerlegbarkeit der Rechtsvermutung spricht die durch § 382h Abs 3 EO nicht ausgeschlossene Möglichkeit zur Äußerung, die das Gesetz nicht auf die Bestreitung der Anspruchsvoraussetzungen beschränkt (vgl 4 Ob 1514/96). Von dieser Anhörung ist abzusehen, wenn zu besorgen ist, dass dadurch der Zweck der einstweiligen Verfügung vereitelt würde. Die bereits zitierten, bei Deixler-Hübner, Das neue Eherecht, S 99 f, wiedergegebenen Materialien betonen, dass von einer Anhörung des Antragsgegners in besonderem Maße eine Gefahr für das Sicherungsbedürfnis des Antragstellers ausgehen kann und nur in Ausnahmefällen mit einer Zustellung des Antrags an den Gegner vorzugehen sein wird (s jetzt aber 2 Ob 140/10t = iFamZ 2011/80 Deixler-Hübner). Wird der Antragsgegner (ausnahmsweise) aber ohnehin im Sicherungsverfahren gehört, wird dieser Besorgnis im jeweiligen Fall keine entscheidende Bedeutung zugemessen. Dann sollte er sich auch gegen die vermutete Gefährdung zur Wehr setzen können. Wurde die einstweilige Verfügung ohne Anhörung erlasssen, gilt dies umso mehr, weil eine Vereitelungsgefahr in der Regel nicht mehr besteht.

13.) Im Fall einer widerlegbaren Rechtsvermutung muss der Gegner des Begünstigten den Beweis des Gegenteils erbringen, dass trotz Vorliegens der Vermutungsbasis der vermutete Rechtszustand nicht eingetreten ist (Rechberger in Rechberger³ § 270 Rz 2 mwN). Im konkreten Fall nahm das Erstgericht ein erklärtes Einverständnis des Antragsgegners an, dass die Antragstellerin „ihren Wünschen entsprechend“ weiter in der Ehewohnung lebe. Es konnte weder feststellen, dass er sie daran hindere, ihr Wohnbedürfnis zu befriedigen, noch dass er beabsichtigte, die Ehewohnung zu vermieten, zu verwerten, zu belasten oder gar zu verkaufen. Diese negative Feststellung zur fehlenden Absicht, zum Nachteil der Antragstellerin über die Ehewohnung zu verfügen, reicht auch im Zusammenhang mit der festgestellten Einverständniserklärung für den Gegenbeweis gegen das vermutete Vorliegen einer Gefährdung nicht aus. Die Voraussetzungen für die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung liegen daher vor, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Stattgebung des Sicherungsantrags abzuändern sind.

14.) Die für das Verfahren aller drei Instanzen zu fällende Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO (Antragstellerin) und auf §§ 41,  50 Abs 1 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO (Antragsgegner).

Schlagworte

Exekutionsrecht,Familienrecht

Textnummer

E97291

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00067.11A.0428.000

Im RIS seit

25.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten