TE OGH 2011/4/28 1Ob51/11y

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Veröffentlicht am 28.04.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj S*****, vertreten durch Mag. Erich Frenner, Rechtsanwalt in Saalfelden, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 5.100 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 30. Dezember 2010, GZ 53 R 273/10v-12, mit dem über die Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Saalfelden vom 23. Juni 2010, GZ 2 C 454/10z-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger befuhr am 17. März 2010 das von der Beklagten auf ihrer Piste betriebene „Kinderland“, ein im flachen Pistenbereich eingerichtetes, für Kinder vorgesehenes Schigebiet. Das „Kinderland“ ist von der übrigen Piste durch einen Zaun abgegrenzt, der aber über eine Breite von 10 bis 15 m unterbrochen ist, wodurch das Befahren dieses Bereichs durch jeden Schifahrer ermöglicht wird. Die Nutzung des „Kinderlands“ ist nicht auf bestimmte Schifahrer beschränkt.

Im leichten Gefälle dieses Pistenteils ist eine quaderförmige Plastikbox mit einer Länge von zumindest 2 m und einer Breite von zumindest 0,4 m derart in den Schnee eingegraben, dass die als 2 cm dickes Plastikbrett ausgebildete Oberseite die Form einer Rampe oder Schanze bildet. In Annäherung an diese Rampe sind beidseitig kurze Stangen im Boden verankert, die Schifahrer zu dieser hinleiten.

Vor der Pistenfreigabe bringen Mitarbeiter der Beklagten die Piste und den bergseitigen Rampenbeginn durch Auftragen von Schnee an die Brettkante auf gleiches Niveau. Während des Betriebs wird der Zustand in unregelmäßigen Abständen, durchschnittlich zweimal vormittags und zweimal nachmittags, je nach Benutzerfrequenz, kontrolliert und bei Bedarf Schnee zur Beseitigung des Niveauunterschieds zwischen Brettkante und Pistenoberfläche aufgebracht.

Der 1998 geborene Kläger beabsichtigte, die Rampe als Sprungschanze zu nutzen, die zu diesem Zeitpunkt einen Niveauunterschied von zumindest 5 cm zur Pistenoberfläche aufwies. Er konnte diesen Niveauunterschied nicht erkennen und prallte mit den Schispitzen gegen die nach oben weisende senkrechte Seite und Kante der Box, wodurch er zu Sturz kam.

Der Kläger begehrt 5.000 EUR an Schmerzengeld und 100 EUR an pauschalierten Unkosten. Die Beklagte habe es unterlassen, den Niveauunterschied zwischen dem als Sprungschanze montierten Brett und der Pistenoberfläche auszugleichen, sodass er zu Sturz gekommen sei und sich eine Fraktion des Schienbeins zugezogen habe.

Die Beklagte wendete ein, der Pistenbereich „Kinderland“ werde ständig kontrolliert und in Stand gehalten. Der Kläger sei von der allgemeinen Piste kommend in Schussfahrt mit hoher Geschwindigkeit in das „Kinderland“ eingefahren, sodass der Sturz auf dessen unangemessene Fahrweise zurückzuführen sei.

Das Erstgericht bejahte mit Zwischenurteil die Haftung der Beklagten dem Grunde nach. Die Beklagte sei zu sämtlichen zumutbaren Vorkehrungen, die eine sichere Pistenbenützung gewährleisteten, verpflichtet. Die von der Beklagten zur Verfügung gestellte Rampe stelle ein zu Unterhaltungs- und Sportzwecken eingebautes, den Bewegungsablauf abänderndes Hindernis dar und sei grundsätzlich nicht unzulässig. Von dieser Box gehe aber dann eine Gefahr aus, wenn sie die Fortbewegung des Schifahrers augenblicklich zum Stillstand bringe. Das Entstehen einer solchen Situation sei von vornherein zu vermeiden. Für die von ihr geschaffene Gefahrenquelle habe die Beklagte einzustehen. Verhaltensrichtlinien für die Rampenbenützung seien nicht vorgegeben gewesen, weshalb es auf die nicht feststellbare Fahrgeschwindigkeit des Klägers nicht ankomme. Die Konstruktion lade geradezu ein, sie als Schanze zu nutzen. Daher könnte dem Kläger auch dann kein Vorwurf gemacht werden, wenn er geradlinig mit höherer Geschwindigkeit auf die Rampe zugefahren wäre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach letztlich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil gesicherte Rechtsprechung zur Verpflichtung des Pistenhalters zur Absicherung eines „Kunststofftables“ fehle. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass dem Berufungsgericht bei der Behandlung der Mängelrüge eine vorgreifende Beweiswürdigung unterlaufen sei.

Die Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Eine vorgreifende Beweiswürdigung, dass nämlich der Richter ohne Aufnahme des Beweises Erwägungen über dessen Glaubhaftigkeit vornimmt (RIS-Justiz RS0043308), ist in dritter Instanz nicht mehr anfechtbar (RIS-Justiz RS0043099) und bildet damit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keinen tauglichen Grund für die Zulässigkeit der Revision.

2. Der konkrete Inhalt von Verkehrssicherungspflichten hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0110202 [T1]). Das gilt auch für die Pistensicherungspflicht (RIS-Justiz RS0109002). Die Frage, ob der Sicherungspflichtige die im Wesentlichen von der konkreten örtlichen Situation abhängigen zumutbaren Maßnahmen unterlassen hat, stellt wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (1 Ob 41/00m) und kann daher - von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen - die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen (vgl RIS-Justiz RS0044088 [T35 und T42]). Welche Maßnahmen vom Pistenhalter zu treffen sind, um eine gefahrlose Benützung eines von ihm zur Verfügung gestellten „Kunststofftables“ zu gewährleisten, entzieht sich wegen der besonderen Fallgestaltung einer generellen Aussage. Das Fehlen von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleichgelagerten Sachverhalt begründet damit keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0110702 [T2]).

3. Hängt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht von derjenigen Rechtsfrage ab, die das Berufungsgericht für die Begründung seines Zulassungsausspruchs angeführt hat, und macht der Rechtsmittelwerber nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO abhängt, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0048272 [T1, T8]).

4. Die Beklagte legt den Schwerpunkt ihres Rechtsmittels auf die Mängelrüge. Wie sie aber selbst einräumt, können Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, jedoch nicht als Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963), es sei denn, das Berufungsgericht hätte sich mit der Rüge des Berufungswerbers überhaupt nicht befasst (RIS-Justiz RS0043144; RS0043086 [T1]; RS0042963 [T9]).

5. Mit ihrer Verfahrensrüge hatte die Beklagte in der Berufung bemängelt, dass die Bestellung des von ihr beantragten Sachverständigen unterblieben war. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Rüge auseinandergesetzt und das Vorliegen eines Verfahrensmangels verneint, wobei es erkennbar die Begründung des Erstgerichts, das eigene Kenntnisse und Erfahrungen zu Grunde legte, für die Nichteinholung eines schitechnischen Sachverständigengutachtens billigte. Die Beurteilung der Frage, ob verlässliche Sachverhaltsfeststellungen ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens getroffen werden können, gehört zum Bereich der irrevisiblen Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0043320 [T9-T11]). Das Erstgericht hat zur Frage der Annäherungsgeschwindigkeit des Klägers eine vom Berufungsgericht gebilligte Negativfeststellung getroffen und weiters festgestellt, dass der Kläger den Niveauunterschied zwischen der Pistenoberfläche und dem „Kunststofftable“ nicht erkennen konnte. Damit ist die Frage, ob es hiezu eines Sachverständigenbeweises bedurft hätte, einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen.

6. In seiner rechtlichen Beurteilung hat das Berufungsgericht ausdrücklich darauf verwiesen, dass Hinweise oder sonstige Vorkehrungen für eine sachgerechte Benutzung der Anlage in der von der Beklagten behaupteten Art fehlten. Daraus und in Anbetracht des durch Stangen gekennzeichneten Anfahrtsbereichs folgerte das Berufungsgericht gut vertretbar, dass zum Benützen der von der Beklagten angebrachten Vorrichtung als Schanze geradezu eingeladen wurde, die aufgrund des nicht erkennbaren Niveauunterschieds eine von dieser nicht ausreichend gesicherte Gefahrenquelle darstellte.

Die Revision ist daher zurückzuweisen, ohne dass es einer weitergehenden Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Nach ständiger Rechtsprechung findet im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen ein Teilurteil (und einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO) ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0123222 mwN). Diese Vorgangsweise ist auch bei einem Zwischenurteil, das über den Grund des Anspruchs abschließend entscheidet, berechtigt (1 Ob 20/10p). Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, weshalb ihm die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen sind.

Textnummer

E97259

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00051.11Y.0428.000

Im RIS seit

23.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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