Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kunst als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl P***** wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Dezember 2010, AZ 16 Bl 13/10s, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Sperker, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Dezember 2010, AZ 16 Bl 13/10s, verletzt das Gesetz in
1./ § 195 Abs 1 erster Halbsatz StPO iVm § 57 Abs 2 und Abs 3 letzter Fall StGB und
2./ § 195 Abs 1 Z 2 StPO.
Der Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass der Antrag des Renato S***** auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen Karl P***** wegen § 146 StGB abgewiesen wird.
Text
Gründe:
Am 31. August 2009 erstattete Renato S***** Anzeige gegen Karl P***** wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, weil dieser ihm am 23. Juli 2009 über die Internetplattform w***** unter Vortäuschung der Gebrauchsfähigkeit ein beschädigtes Polyphon der Marke Troubadour gegen Bezahlung von 500 Euro verkauft habe. Den vom Käufer angestrebten Rücktritt vom Kauf habe P***** nicht akzeptiert und lediglich eine Reparatur nach Rücksendung des Geräts in Aussicht gestellt.
Nach polizeilicher Vernehmung des Beschuldigten am 14. Oktober 2009 (ON 2 S 19 ff) stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren am 5. November 2009 gemäß „§ 190 Z 1 StPO“ ein (AB-Bogen S 1).
Am 13. November 2009 gab der Anzeiger bei der Staatsanwaltschaft Graz einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 195 Abs 1 StPO zu Protokoll. Darin beschreibt er - ohne Beibringung neuer Tatsachen oder Beweismittel - die der Funktionsfähigkeit des erworbenen Polyphons entgegenstehende, auf vorgelegten Abbildungen dokumentierte Beschädigung, schließt deren Entstehung beim Transport aus, behauptet, dem Verkäufer hätte der Defekt beim Abspielen einer Platte auffallen müssen, beziffert die Reparaturkosten mit 350 Euro bis 400 Euro und erklärt sich neuerlich mit der Rückgabe des Geräts gegen Rückerstattung des Kaufpreises einverstanden (ON 3).
Infolge eines Kanzleiversehens wurden der Fortführungsantrag samt Ermittlungsakt und die am 23. November 2009 erstattete Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Graz gemäß § 195 Abs 3 StPO dem Landesgericht für Strafsachen Graz erst am 21. September 2010 übermittelt (AB-Bogen S 2) und langten dort am 24. September 2010 ein (AB-Bogen S 2; ON 4).
Die Ablehnung der Verfahrensfortführung begründete die Staatsanwaltschaft mit dem Vorliegen einer rein zivilrechtlichen Streitigkeit und verwies dabei auf vorliegende E-Mails und die Verantwortung des Beschuldigten vor der Polizei, das Polyphon vor dem Anbot im Internet nicht mehr auf seine Funktionsfähigkeit geprüft, von einer solchen aber wegen einwandfreien Funktionierens des Geräts etwa ein halbes Jahr vor dem Verkaufsanbot ausgegangen und jederzeit bereit zu sein, das Polyphon auf eigene Kosten reparieren zu lassen.
In der gemäß § 196 Abs 1 zweiter Satz StPO abgegebenen Äußerung (ON 5) verweist der Anzeiger darauf, dass Karl P***** ihm gegenüber behauptet hätte, das Polyphon vor etwa zehn Jahren letztmalig benutzt zu haben.
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Dezember 2010, AZ 16 Bl 13/10s (ON 6), wurde die Fortführung des Strafverfahrens gegen Karl P***** wegen § 146 StGB aufgetragen. Begründend führt das Gericht aus, dass dem Verkäufer die defekten Zahnräder des Polyphons vor Versendung hätten auffallen müssen und ein Widerspruch betreffend seine Behauptung letztmaliger Verwendung des Polyphons vor zehn Jahren bzw vor einem halben Jahr bestehe. Ferner ergäbe sich aus den E-Mails nicht die behauptete Bereitschaft des Verkäufers zur Reparatur des Geräts auf seine Kosten. Letztlich wird erwähnt, dass der Beschuldigte die Funktionsunfähigkeit auf den Transport zurückführe und dafür keine Verantwortung übernehmen wolle. Abweichend von der Ansicht der Staatsanwaltschaft bestünden daher zahlreiche Indizien dafür, dass der Beschuldigte sehr wohl schon vor dem Verkauf des Polyphons von dessen Funktionsunfähigkeit wusste und mit Betrugsvorsatz gehandelt hat. Konkrete Ermittlungsaufträge wurden nicht erteilt.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Dezember 2010, AZ 16 Bl 13/10s, steht - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht in Einklang.
1./ Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht, solange die Strafbarkeit nicht verjährt ist, auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach den §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens unter den Voraussetzungen der Z 1 bis 3 leg cit anzuordnen.
Die Gerichte sind verpflichtet, zu der von Amts wegen zu berücksichtigenden Frage der Verjährung der Strafbarkeit in tatsächlicher Hinsicht Stellung zu beziehen, wenn diese durch ein im Verfahren vorgekommenes Sachverhaltssubstrat indiziert ist (vgl RIS-Justiz RS0091794; E. Fuchs in WK2 § 57 Rz 18).
Im vorliegenden Fall beträgt die Verjährungsfrist für die Strafbarkeit des mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedrohten Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB gemäß § 57 Abs 3 letzter Fall StGB ein Jahr. Sie beginnt mit der Beendigung des strafbaren Verhaltens, wobei § 58 Abs 1 StGB für den Fall des späteren Erfolgseintritts eine Ablaufhemmung normiert (E. Fuchs in WK2 § 57 Rz 4).
Nach den Erhebungsergebnissen ist im vorliegenden Fall der Beginn der Verjährungsfrist mit der am 23. Juli 2009 erfolgten Zahlung des zuvor telefonisch vereinbarten Kaufpreises indiziert (ON 2 S 5, 15 f). Der Lauf der Verjährungsfrist wurde durch die - auch im Fortführungsbeschluss erwähnte - erstmalige Vernehmung des Beschuldigten (§ 164 StPO) am 14. Oktober 2009 gehemmt. Diese Hemmung wirkte kraft Gesetzes bis zur „rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens“ (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB), in concreto bis zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft (§ 190 StPO) am 5. November 2009 (E. Fuchs in WK2 § 58 Rz 22).
Nach Verfahrenseinstellung läuft die Verfolgungsverjährung weiter (E. Fuchs in WK2 § 58 Rz 23). Sie endete demnach - unter Berücksichtigung ihrer Hemmung zwischen 14. Oktober 2009 und 5. November 2009 - mit Ablauf (§ 68 letzter Satz StGB) des 14. August 2010.
Der am 13. November 2009 bei der Staatsanwaltschaft Graz zu Protokoll gegebene Antrag auf Fortführung des Verfahrens (ON 3) vermochte den Lauf der Verjährung nicht zu beeinflussen (E. Fuchs in WK2 § 58 Rz 24).
Im Hinblick auf die dargestellten Beweisergebnisse zum Beginn der einjährigen Verjährungsfrist am 23. Juli 2009, deren Ablauf am 14. August 2010 und das - nach Aktenlage - Fehlen sonstiger zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Fortführungsantrag weiterhin wirksamer verjährungshemmender Umstände wären vom Landesgericht Feststellungen zum in Rede stehenden Strafaufhebungsgrund zu treffen gewesen.
2./ Aber auch abgesehen von der Frage der Verjährung der Strafbarkeit entspricht die inhaltliche Begründung des in Rede stehenden Fortführungsbeschlusses nicht dem Gesetz.
Dem Anklagegrundsatz (Art 90 Abs 2 B-VG, § 4 Abs 1 StPO) zufolge obliegt der Staatsanwaltschaft die Beurteilung, ob aufgrund eines ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegt und demnach eine Anklageerhebung (§ 210 Abs 1 StPO) oder ein diversionelles Vorgehen (§§ 198 ff StPO) indiziert ist (vgl Schroll, WK-StPO § 192 Rz 2 f; Nordmeyer, WK-StPO § 196 [idF BGBl I 2004/19] Rz 15).
Liegt nach hinreichender Sachverhaltsklärung eine Verurteilung nicht nahe, sondern ist vielmehr ein Freispruch wahrscheinlicher als der Schuldspruch, erfordert das strafprozessuale Legalitätsprinzip die Einstellung des Ermittlungsverfahrens.
Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zu Grunde gelegt wurden (Z 2), oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass nach dem 11. oder 12. Hauptstück vorgegangen werden kann (Z 3).
Gegen eine zur Einstellung des Verfahrens führende Beurteilung der Verfahrensergebnisse in tatsächlicher Hinsicht steht ein gerichtlicher Rechtsschutz nur insoweit offen, als der Fortführungswerber in der Begründung seines Antrags deutlich und bestimmt aufzeigt, warum die Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung nach §§ 190 bis 192 StPO den Rahmen pflichtgemäßen Ermessens überschritten hat, maW warum gegen deren Einschätzung, wonach eine Verurteilung aus bestimmten Tatsachen nicht nahe liege, erhebliche Bedenken bestehen (vgl auch Nordmeyer, WK-StPO § 196 [idF BGBl I 2004/19] Rz 16 und Rz 18).
Lediglich in einem die Erheblichkeitsschwelle erreichenden Umfang kann unter der Bedingung und nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Beweismittel auch die Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaft als geradezu willkürlich thematisiert werden (zum gleichgelagerten Beurteilungsmaßstab des § 281 Abs 1 Z 5a StPO vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 472 und Rz 488 ff).
Eine berechtigte qualifizierte Kritik in diesem Sinn setzt daher voraus, dass der Einstellungsentscheidung eine unerträgliche Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung zugrunde liegt, also im Ermittlungsverfahren gewonnene Beweismittel gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der Entscheidung nach §§ 190 bis 192 StPO aufkommen lassen und diese intersubjektiv - gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen - eine unrichtige Lösung der Verfahrenseinstellung qualifiziert nahe legen (RIS-Justiz RS0126211).
Indem das Landesgericht für Strafsachen Graz bloß andere beweiswürdigende Erwägungen anstellt als die Staatsanwaltschaft, zeigt es erhebliche Bedenken iSd § 195 Abs 1 Z 2 StPO nicht auf. Dass im vorliegenden Fall neben den von der Anklagebehörde genannten Entlastungsmomenten auch Indizien für einen Betrugsvorsatz sprechen, reicht nicht aus, um von einer geradezu willkürlichen Verfahrenseinstellung sprechen zu können (vgl 12 Os 29/10x).
Die aufgetragene Fortführung des Verfahrens gereicht dem Beschuldigten zum Nachteil. Daher sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zuzuerkennen. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und in der Sache selbst dahin zu erkennen, dass der Antrag des Renato S***** auf Fortführung des Verfahrens abzuweisen war.
Eine Pauschalkostenleistung kommt nicht in Betracht (§ 514 Abs 14 letzter Satz StPO).
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E97430European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00037.11Z.0503.000Im RIS seit
16.06.2011Zuletzt aktualisiert am
20.12.2011