TE OGH 2011/5/3 10ObS34/11i

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Veröffentlicht am 03.05.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfler und Dr. Reinhard Drössler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. J*****, vertreten durch Mag.Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. Jänner 2011, GZ 7 Rs 169/10i-17, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die am 15. 8. 1931 geborene Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin und lebte seit 1980 als freiberufliche Künstlerin in Wien. Seit 1. 6. 2007 befand sie sich bei ihren Kindern, die in Argentinien wohnen. In Österreich hielt sie sich lediglich von März bis Mai 2008 (5. 3. 2008 bis 20. 5. 2008) und von April bis Juli 2009 (5. 4. 2009 bis 4. 7. 2009) auf; weiters ab 26. 12. 2009. Wenn die Klägerin in Österreich ist, lebt sie in ihrer Wiener Wohnung, die sie seit vielen Jahren unterhält. Sie pflegt ihre sozialen Beziehungen zu ihren österreichischen Freunden und Bekannten.

Mit Bescheid vom 22. 2. 2010 sprach die Beklagte ua aus, dass der Klägerin für den Zeitraum 1. 6. 2007 bis 25. 12. 2009 keine Ausgleichszulage zustehe; ab 26. 12. 2009 wurde die Ausgleichszulage mit monatlich 524,43 EUR und ab 1. 1. 2010 mit monatlich 532,30 EUR festgestellt.

In ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt die Klägerin, die Beklagte zur Gewährung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß vom März bis Mai 2008 und von April bis Juli 2009 zu verpflichten.

Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung der beklagten Partei das klagestattgebende Ersturteil im klageabweisenden Sinn ab. Halte sich der Pensionsberechtigte mehr als die Hälfte des Jahres im Ausland auf, sei mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland kein Anspruch auf Ausgleichszulage mehr gegeben. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Anspruch auf Ausgleichszulage bei Auslandsaufenthalt nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen ist.

Die Revisionswerberin vermeint, es bestehe keine Rechtsprechung zu der Frage, ob im Falle eines sechs Monate übersteigenden Auslandsaufenthalts für die in Österreich verbrachte restliche Zeit des Jahres ein gewöhnlicher Aufenthalt iSd § 66 Abs 2 JN zu bejahen sei, wenn noch entsprechende Bindungen zu Österreich bestehen.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist auszuführen:

1.1. Gemäß § 149 Abs 1 GSVG (in der vor dem 1. 1. 2011 anzuwendenden Fassung) hatte der Pensionsberechtigte unter den sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Ausgleichszulage, solange er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ iSd § 66 Abs 2 JN zu verstehen (SRÄG 1996 BGBl 1996/411, RV 214 Blg NR 20. GP, 44). Nach § 66 Abs 2 JN ist bei der Beurteilung, ob ein Aufenthalt als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, dessen Dauer und Beständigkeit maßgeblich, weiters sind andere Umstände persönlicher oder beruflicher Art zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Wie lange bzw ab wann nicht mehr von einem „gewöhnlichen Aufenthalt“ gesprochen werden kann, ist allein aus der Definition des § 66 Abs 2 JN nicht zu beantworten. Nach der Rechtsprechung kommt es dabei darauf an, ob jemand einen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehung macht. Nur vorübergehende oder kurzfristige Auslandsaufenthalte können den Anspruch daher nicht beeinträchtigen, doch muss der Ausnahmecharakter des Aufenthalts im Ausland stets gewahrt werden (10 ObS 2207/96y = SSV-NF 10/83 = SZ 69/184). Seine oberste Begrenzung wird ein Auslandsaufenthalt jedenfalls dann finden müssen, wenn er eine Dauer erreicht hat, die geeignet ist, einen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland zu begründen (Gruber/Pallinger, BPGG § 3 Rz 10). Im Allgemeinen ist nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten anzunehmen, dass ein „gewöhnlicher Aufenthalt" vorliegt (10 ObS 2207/96y = SSV-NF 10/83 = SZ 69/184; RIS-Justiz RS0074198). Der Aufenthalt wird ausschließlich durch die physische Anwesenheit bestimmt, nicht aber durch ein Willenselement („Verbleibeabsicht“) (10 ObS 401/97m = SSV-NF 11/153 uva).

1.2. Schon aus dem Wortlaut des § 149 Abs 1 GSVG ist ableitbar, dass im Rahmen der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Ausgleichszulage bei der Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthaltsort iSd § 66 Abs 2 JN gegeben ist, auf jenen Zeitraum abzustellen ist, für den die Ausgleichszulage gewährt werden soll (der Anspruch besteht „solange“ der Pensionsberechtigte seinen [nunmehr auch „rechtmäßigen“], gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat). Zu prüfen ist, ob an dem in diesem Zeitraum gegebenen Aufenthaltsort der Mittelpunkt der Lebensführung des Pensionsberechtigten liegt (Pfeil, „Der praktische Fall“ Ausgleichszulagenanspruch und Auslandsaufenthalt, DRdA 1998, 214, 218). Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt bzw ob die dauerhafte Beziehung eines Menschen zu seinem Aufenthaltsort unterbrochen wird, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (9 Ob 59/09f; 10 ObS 28/99m = SSV-NF 13/21).

1.3. Entsprechend diesen allgemeinen Grundsätzen wurde in der Entscheidung 10 ObS 83/04k = SSV-NF 18/59 = RIS-Justiz RS0119112 ein kontinuierlicher Inlandsaufenthalt und der Anspruch auf Ausgleichszulage verneint, wenn sich der Pensionsberechtigte mehr als die Hälfte des Jahres im Ausland aufhält, selbst wenn er während der Zeit seines Auslandsaufenthalts daneben auch Beziehungen zu Österreich unterhalten haben sollte. Da der gewöhnliche Aufenthalt Voraussetzung für weitere Sozialleistungen, wie das Pflegegeld ist (§ 3 Abs 1 erster Satz BPGG), kann auch die zum BPGG ergangene Entscheidung 10 ObS 2207/96 = SSV-NF 10/83 herangezogen werden, nach der (ebenfalls) ein die Hälfte des Jahres übersteigender Auslandsaufenthalt zum Wegfall der Leistungsgewährung führt.

2. In den Entscheidungen 10 ObS 197/98p = SSV-NF 12/91 und 10 ObS 28/99m = SSV-NF 13/21 schloss sich der Oberste Gerichtshof den Ausführungen Pfeils in „Der praktische Fall“, Ausgleichszulagenanspruch und Auslandsaufenthalt, DRdA 1998, 214 ff zur Frage des Wiederauflebens des gewöhnlichen Inlandsaufenthalts nach Beendigung eines Auslandsaufenthalts an. Diese Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Begibt sich ein Pensionsbezieher etwa für vier Monate ins Ausland, so ist die Unterbrechung zwar - selbst dann, wenn alle Umstände dafür sprechen, dass er wieder nach Österreich zurückkehren werde - zu lange, um einen kontinuierlichen gewöhnlichen Aufenthalt annehmen zu können. Von einem gewöhnlichen Inlandsaufenthalt ist - zumindest im Hinblick auf die Ausgleichszulage - erst wieder zu sprechen, wenn der Pensionsbezieher tatsächlich nach Österreich zurückgekehrt ist und nach den Umständen indiziert ist, dass er seinen Aufenthalt auf Dauer ins Inland verlegt. Ist ein gewöhnlicher Inlandsaufenthalt (wieder) gegeben, geht der Ausgleichszulagenanspruch für den jeweiligen Rest des Kalenderjahres nicht verloren. Bei wechselnden Aufenthalten ist unter diesen Voraussetzungen „ausgleichszulagenrechtlich“ das Jahr in verschiedene Perioden zu teilen. Andererseits reichen einige wenige Monate Inlandsaufenthalt im betreffenden Kalenderjahr dann nicht für die Qualifikation als „gewöhnlicher Aufenthalt“ aus, je häufiger dieser von Auslandsaufenthalten unterbrochen wird und je länger die Auslandsaufenthalte andauern. Das Wiederaufleben eines gewöhnlichen Inlandsaufenthalts wurde etwa verneint, wenn dieser jeweils nur ein bis drei Monate im betreffenden Jahr umfasst und sich der Versicherte die übrige Zeit (somit neun bis elf Monate) ausschließlich im Ausland aufhält (siehe 10 ObS 305/89 = SSV-NF 3/117). Die entsprechenden Umstände müssten im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

3. Für den vorliegenden Fall ergibt diese Prüfung:

Nach der Rückkehr der Klägerin aus Argentinien am 26. 12. 2009 ging die Beklagte offensichtlich davon aus, dass der Verbleib in Österreich indiziert sei, erkannte sie ihr doch ab diesem Tag die Ausgleichszulage wiederum zu. Die (streitgegenständlichen) Österreichaufenthalte im Jahr 2008 und 2009 hat die Klägerin jedoch nach zweieinhalb bzw drei Monaten abgebrochen und ist jeweils wieder zu ihren in Argentinien lebenden Kindern zurückgekehrt. Hat das Berufungsgericht im Hinblick auf diese Gegebenheiten seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, dass die Neubegründung bzw das Wiederaufleben eines gewöhnlichen Inlandsaufenthalts von März bis Mai 2008 und von Mai bis Juli 2009 zu verneinen ist, steht dies mit den oben zu Pkt 1 und 2 dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung im Einklang. Dass die Klägerin ihre Wohnung in Wien beibehalten hat und hier über Sozialkontakte verfügt, kann diese Beurteilung nicht ändern.

Dies führt zur Zurückweisung der außerordentlichen Revision als unzulässig.

Schlagworte

Sozialrecht

Textnummer

E97224

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00034.11I.0503.000

Im RIS seit

20.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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