TE OGH 2011/5/4 15Os21/11v

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Veröffentlicht am 04.05.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, Dr. Bachner-Foregger, und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tomecek als Schriftführerin in der Straf- und Medienrechtssache der Privatankläger und Antragsteller Hans D*****, Michael D***** und Dr. Christoph D***** gegen Dr. Friedrich Dr***** wegen § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie die S***** AG, vormals B***** AG, als Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligte wegen § 34 Abs 1 MedienG, AZ 095 Hv 113/04i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2005, AZ 17 Bs 229/05h, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Mag. Knibbe, sowie der Vertreter der Privatankläger und Antragsteller, Dr. Rami und Dr. Draxler, weiters der Vertreterin der Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligten, Dr. Windhager, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2005, AZ 17 Bs 229/05h, verletzt im Ausspruch, dass der Berufung der Antragsgegnerin nicht Folge gegeben wird, § 34 MedienG idF BGBl 1993/20 iVm Art 10 MRK.

In diesem Umfang (sowie in dem die Antragsgegnerin betreffenden Kostenausspruch) wird das Urteil des Oberlandesgerichts Wien aufgehoben und diesem die neue Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.

Text

Gründe:

In der Straf- und Medienrechtssache der Privatankläger und Antragsteller Hans D*****, Michael D***** und Dr. Christoph D***** gegen Dr. Friedrich Dr***** wegen § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie die B***** AG, nunmehr S***** AG, als Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligte wegen § 34 Abs 1 MedienG wurde Dr. Friedrich Dr***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Februar 2005, GZ 095 Hv 113/04i-23, - mit Beziehung auf eine am 15. September 2004 in Wien gegenüber einer APA-Journalistin abgegebene und am selben Tag auf der Internet-Website http://d***** veröffentlichte Äußerung, wonach „von Seiten der 'D*****-Gruppe' und Vertretern der Familie D***** versucht worden sei, eine Verleumdung des Inhalts in die Welt zu setzen, es bestünde eine Verbindung zwischen einem oder mehreren Einbrüchen in das Pressehaus und Vertretern der WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) - des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und nach § 111 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe (sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens) verurteilt. Der Antragsgegnerin wurde gemäß § 34 Abs 1 MedienG die Urteilsveröffentlichung aufgetragen. Gemäß § 35 Abs 1 MedienG wurde deren Haftung für die Geldstrafe und die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Urteilsveröffentlichung zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten ausgesprochen.

In der gegen den Ausspruch der Anordnung der Urteilsveröffentlichung erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm §§ 468 Abs 1 Z 4, 489 Abs 1 StPO sowie § 41 Abs 1 MedienG, mit Blick auf § 41 Abs 7 MedienG der Sache nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO) machte die Antragsgegnerin - die im Übrigen den Haftungsausspruch gemäß § 35 Abs 1 MedienG unbekämpft ließ - ein Fehlen von Feststellungen zum ihrer Ansicht nach konkret indizierten (und bereits im erstinstanzlichen Verfahren reklamierten, ON 8) Ausschlussgrund „des Zitatrechtes des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG“ (wahrheitsgetreue Wiedergabe der Äußerung eines Dritten sowie überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der zitierten Äußerung), der im Hinblick auf das andernfalls verletzte Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK auch für die Urteilsveröffentlichung (§ 34 MedienG) gelte, geltend (ON 27).

Mit Urteil vom 7. Dezember 2005, AZ 17 Bs 229/05h (ON 35 des Hv-Aktes), gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht (neben jener des Angeklagten auch) der Berufung der Antragsgegnerin (mit dem Ausspruch, dass diese gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat) nicht Folge. Zur Begründung wurde ausgeführt (US 13 f), dass nach herrschender Rechtsprechung und Lehre eine Urteilsveröffentlichung auch dann erwirkt werden könne, wenn die Berichterstattung des Mediums durch die Grundsätze der (sogenannten) Zitaten-Judikatur gedeckt wäre, weil es insofern nur auf das Vorliegen des objektiven Tatbestands eines Medieninhaltsdelikts ankäme, wogegen die Frage des Zitats lediglich auf der Rechtfertigungsebene zu prüfen sei. Diese Interpretation werde durch die Mediengesetznovelle 2005 (BGBl I 2005/49) insofern bestätigt, als der Ausschlussgrund des Zitats für nach dem 1. Juli 2005 erfolgte Veröffentlichungen nunmehr ausdrücklich normiert werde (§ 34 Abs 3a MedienG), woraus sich die Nichtanwendbarkeit für davor publizierte Mitteilungen ergäbe.

Mit Beziehung auf das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht ist seit 2. Juni 2006 ein Verfahren über eine Individualbeschwerde der B***** AG gegen die Republik Österreich (zu Beschwerde Nr 22820/06) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - in Ansehung der Entscheidung über die Berufung der Antragsgegnerin mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK ist es Aufgabe der Presse, Informationen und Meinungen über politische Fragen, wie auch über solche in anderen Bereichen von öffentlichem Interesse zu verbreiten. Die Presse hat nicht nur die Aufgabe, solche Informationen und Meinungen zu verbreiten, die Öffentlichkeit hat auch ein Recht darauf, solche Informationen und Meinungen zu erhalten. Andernfalls wäre die Presse nicht in der Lage, ihre vitale Rolle eines „öffentlichen Wachhundes“ („public watchdog“) auszuüben (vgl EGMR 8. Juli 1986, Lingens gegen Österreich, Nr 12/1984/84/131, MR 1986, Heft 4, 11; EGMR 26. November 1991, Observer und Guardian gegen VK, Nr 51/1990/242/313, ÖJZ-MRK 1992/16, 378; RIS-Justiz RS0124977, RS0123667). Daher sind Journalisten nicht verpflichtet, sich systematisch und förmlich vom Inhalt eines Zitats zu distanzieren, das andere beleidigen oder provozieren oder ihren guten Ruf schädigen könnte, weil eine solche Verpflichtung mit der dargestellten Informationsaufgabe der Presse nicht zu vereinbaren wäre (RIS-Justiz RS0126037). Trägt eine Veröffentlichung zu einer Diskussion über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse bei, so bedarf es vielmehr besonders gewichtiger Gründe, um eine Sanktionierung der Verbreitung eines Zitats zu rechtfertigen (vgl EGMR 14. Dezember 2006, Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich, Nr 76918/01, NL 2006, 311).

Diese Rechtsprechungslinie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art 10 MRK veranlasste grundlegende legistische Bedenken einer mit Blick darauf mangelnden Konventionskonformität der Urteilsveröffentlichung, Einziehung sowie der Haftung des Medieninhabers auch bei Vorliegen des Ausschlussgrundes gerechtfertigter und wahrheitsgetreuer Wiedergabe der Äußerung eines Dritten (§ 6 Abs 2 Z 4 MedienG; vgl MatRV 784 BlgNR 22. GP 17 f; JAB 874 BlgNR 22. GP 1 f), welche die Einfügung der Bestimmungen der §§ 33 Abs 2a, 34 Abs 3a sowie 35 Abs 4 MedienG (Sanktions- bzw Haftungsausschluss bei Wiedergabe der Äußerung eines Dritten iSd § 6 Abs 2 Z 4 MedienG) mit der Mediengesetznovelle 2005 (BGBl I 2005/49) zur Folge hatten. Sie bedingte zugleich aber auch eine verfassungs (nämlich mit Blick auf Art 10 MRK konventions-)konforme Interpretation dahin, dass § 34 MedienG (wie auch §§ 33 und 35 MedienG) - auch vor dem erwähnten expliziten Sanktions- bzw Haftungsausschluss mit der Mediengesetznovelle 2005 - auf die gerechtfertigte und wahrheitsgetreue Wiedergabe der Äußerungen Dritter iSd § 6 Abs 2 Z 4 MedienG nicht anzuwenden war (vgl 15 Os 28/10x).

Diesem Auslegungsergebnis steht - der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Wien zuwider - die (nunmehr eben) ausdrückliche Normierung des Ausschlussgrundes in § 34 Abs 3a MedienG in der Fassung der Mediengesetznovelle 2005 nicht entgegen. Denn zu dem für die Frage (der Auslegung) des anzuwendenden Rechts bei der hier in Rede stehenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien über die Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit maßgeblichen Zeitpunkt des angefochtenen Urteils (3. Februar 2005; Ratz, WK-StPO Vor § 280 Rz 12) standen die - jeweils mit 1. Juli 2005 in Kraft getretenen (Art VI a Abs 3 MedienG) - Regelungen des § 34 Abs 3a MedienG und der Übergangsbestimmung des Art VI b Abs 1 leg cit (derzufolge [auch] § 34 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I 2005/49 „nur auf Mitteilungen oder Darbietungen anzuwenden“ ist, „die nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I 2005/49 [1. Juli 2005] verbreitet wurden“) nicht in Geltung. Sie haben daher für das Normverständnis der Rechtslage zum Zeitpunkt des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien außer Betracht zu bleiben.

Entgegen der Äußerung des Vertreters der Verlassenschaft nach Hans D***** und des Dr. Christoph D***** bestimmte § 39 Abs 3 MedienG idF BGBl 1993/20 keineswegs „ausdrücklich, dass auch dann auf Urteilsveröffentlichung gemäß § 34 MedienG zu erkennen war, wenn ein Zitat im Sinne von § 6 Abs 2 Z 4 MedienG vorlag“, sondern sah lediglich eine Kostentragung durch den Bund bei Urteilsveröffentlichung im Fall der Wiedergabe einer Äußerung eines Dritten, im Sinn der letztgenannten Bestimmung vor. Die behauptete Konsequenz, dass dieser Entschädigungsnorm jeglicher Anwendungsbereich entzogen würde, ändert nichts am vorrangigen Erfordernis verfassungskonformer Interpretation in Form einer teleologischen Reduktion des § 34 MedienG idF BGBl 1993/20.

Das Oberlandesgericht Wien hätte somit den geltend gemachten Ausschlussgrund gerechtfertigter und wahrheitsgetreuer Wiedergabe der Äußerung eines Dritten nicht mit dem Hinweis auf eine mangelnde gesetzliche Grundlage vorweg verneinen dürfen, sondern sich mit den Fragen auseinandersetzen müssen, ob eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Äußerung eines Dritten vorlag, und ob ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an deren Kenntnis bestand.

Da ein Nachteil aus dem solcherart rechtsirrig erfolgten Unterbleiben der Prüfung des in Rede stehenden Ausschlussgrundes für die Antragsgegnerin (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG) nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2005 im Ausspruch, dass der Berufung der Antragsgegnerin nicht Folge gegeben wird, (sowie in dem die Antragsgegnerin betreffenden Kostenausspruch) aufzuheben und dem Oberlandesgericht in diesem Umfang die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

Diesem Vorgehen steht Art 1 des 1. ZPMRK im Hinblick auf die Anhängigkeit der Individualbeschwerde der Antragsgegnerin in Bezug auf das in Rede stehende Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht entgegen (RIS-Justiz RS0124798).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E97272

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0150OS00021.11V.0504.000

Im RIS seit

24.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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