TE OGH 2011/5/11 3Ob81/11z

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Veröffentlicht am 11.05.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der G*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch Dr. M***** S*****, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. Februar 2011, GZ 44 R 434/10i-127, womit infolge Rekurses der Betroffenen der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 29. Juni 2010, GZ 30 P 41/10a-81, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs der Betroffenen wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 29. Jänner 2010 (ON 34) wurde RA Dr. K***** vom Erstgericht zum Sachwalter für die am 14. März 1920 geborene und derzeit in einem Pflegeheim betreute Betroffene bestellt und mit der Besorgung folgender Angelegenheiten betraut:

- finanzielle Angelegenheiten, Einkommens- und Vermögensverwaltung;

- Vertretung vor Gerichten, Ämtern und Behörden sowie privaten Vertragspartnern

- Einwilligung zu medizinischen Heilbehandlungen

- Bestimmung des Aufenthaltsorts.

Mit Beschluss vom 29. Juni 2010 (ON 81) wies das Erstgericht den Antrag der anwaltlich vertretenen Betroffenen, dem Sachwalter die Weisung zu erteilen, Wochenendausflüge, in eventu Tagesausflüge mit I***** zuzulassen, und dem Seniorenheim die Zustimmung zur Abholung durch I***** zu erteilen, im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass das Gericht nur wichtige Maßnahmen in Bezug auf die Betroffene genehmigen, nicht aber dem Sachwalter aktiv Maßnahmen vorschreiben könne. Bei Tatenlosigkeit komme nur eine Enthebung des Sachwalters in Betracht, wozu aber kein Anlass bestehe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang siehe 3 Ob 230/10k) nach umfangreichen Erhebungen nicht Folge.

Aus den umfassenden Feststellungen über die persönliche Situation der Betroffenen leitete es ab, es sei deutlich zu Tage getreten, dass ein Spannungsverhältnis zwischen dem Willen der betroffenen Person und ihrem subjektiven Wohl bestehe. Grundsätzlich komme auch Personen unter Sachwalterschaft uneingeschränkt das Recht auf Selbstbestimmung und persönliche Risiken zu. Der betroffenen Person sei dahin beizupflichten, dass ein Sachwalter Freiheitsbeschränkungen im Sinne des UbG oder des HeimAufG weder wirksam anordnen noch ihnen zustimmen könne. Wenn der Sachwalter in Sorge um das körperliche Wohl der Betroffenen nur unbeaufsichtigten Ausgängen mit einer bestimmten Person nicht zustimme, stelle dies keine genehmigungspflichtige Handlung gemäß § 275 Abs 2 ABGB dar, weil hiedurch weder der Umgang mit dieser Person, noch der Ausgang an sich unterbunden würde. Eine Gefährdung des Wohls der Betroffenen, die eine Umbestellung des Sachwalters erfordere, sei zu verneinen, insbesondere weil eine qualifizierte, medizinisch und fachlich geschulte Pflege und Betreuung auch während der ins Treffen geführten Wochenendausflüge notwendig gewesen sei und somit nicht zu vernachlässigende Aspekte gegen eine unbeaufsichtigte Betreuung durch I***** bestanden hätten. Dem Aspekt der Aufrechterhaltung der Gesundheit sei insoweit gegenüber jenem der - über das Wochenende gesteigerten - Lebensfreude der Vorrang zu geben. Das Nichterteilen der begehrten Weisung entspreche dem Wohl der Betroffenen, weshalb auch kein sachlicher Grund ersichtlich sei, der die Ausübung der Sachwalterschaft durch eine andere Person als dem Wohl der Betroffenen besser entsprechend erscheinen lasse.

Der Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil die Frage, ob eine bestimmte Disposition dem Wohl der Betroffenen entspreche, nur eine im jeweiligen Einzelfall zu beurteilende Ermessensentscheidung darstelle.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen ist im Hinblick auf die Frage, inwieweit das Gericht dem Sachwalter (seit dem Inkrafttreten des SWRÄG 2006) im Bereich der Personensorge Handlungsanweisungen geben darf, zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die Betroffene weist in ihrem Rechtsmittel vorweg darauf hin, dass zum deutschen Betreuungsrecht die Ansicht geäußert werde, dass dann, wenn ein Ausgleich zwischen Wille und Wohl nicht möglich sei, grundsätzlich der Wille der betreuten Person Vorrang genieße. In Fragen der Personensorge liege die Grenze, ab der der Sachwalter gegebenenfalls auch gegen den Willen der betroffenen Person zu entscheiden habe, erst bei ernstlichen gesundheitlichen Schäden. Es sei jedenfalls auch nicht das Ziel des Betreuungsrechts, den Erben Vermögen zu erhalten.

Die Unterbringung der Betroffenen in einem Heim gegen ihren Willen sei lediglich unter der Vorstellung eines „objektiven Wohls“ erfolgt; tatsächlich bestünden andere Möglichkeiten, wie die Betroffene ihren Lebensabend nach ihren eigenen Vorstellungen verbringen könne, etwa - angesichts der vorhandenen Mittel - im Rahmen einer 24-Stunden-Pflege in einer anzumietenden behindertengerechten Wohnung anstelle einer Heimunterbringung in einem extrem teuren Pensionistenheim. Tatsächlich habe nur der Sachwalter seine eigenen Vorstellungen verwirklicht, um seinen Betreuungs- und Organisationsaufwand durch eine Heimunterbringung auf ein Minimum zu reduzieren. Im Übrigen hätten die Vorinstanzen den Eventualantrag der Betroffenen (offenbar betreffend die eventualiter begehrte Weisung zur Zulassung von Tagesauflügen) behandelt.

2. Nach der Zielvorgabe des § 281 Abs 1 ABGB hat der Sachwalter danach zu trachten, dass die behinderte Person im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten ihre Lebensverhältnisse nach ihren Wünschen und Vorstellungen gestalten kann. Allerdings bedarf es im Einzelfall einer Interessenabwägung zwischen dem „objektiven“ und dem subjektiven Interesse. Insoweit wird bei einer älteren Person grundsätzlich dem psychischen Wohlbefinden (Lebensfreude und Lebensqualität) größere Bedeutung zuzumessen sein als der Vermögenssicherung und Vermögensvermehrung (ErlRV 1420 BlgNR 22. GP 18 f; Barth/Ganner in Barth/Ganner [Hrsg], Handbuch des Sachwalterrechts2 [2010] 86).

3. Eine Verletzung der Vorgaben des § 281 Abs 1 ABGB durch den Sachwalter könnte jedenfalls Grund für einen Wechsel in der Person des Sachwalters gemäß § 278 Abs 1 ABGB sein (Hopf in KBB3 § 281 ABGB Rz 1; Weitzenböck in Schwimann3 [ErgBd 2007] § 278 Rz 5).

Fraglich ist, ob das Gericht dem Sachwalter im Bereich der Personensorge (zum Begriff siehe Barth/Dokalik in Barth/Ganner2 147 ff) auch direkte Handlungsanweisungen geben kann. Die ältere Rechtsprechung - bis zum Inkrafttreten des SWRÄG 2006 - hat diese Möglichkeit zumindest in Bezug auf allgemeine Weisungen bejaht (RIS-Justiz RS0049114; gegen die Zulässigkeit konkreter Weisungen im Einzelfall nach früherer Rechtslage bereits Maurer, Sachwalterrecht3 [2007] § 282 ABGB Rz 8).

Das Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 (SWRÄG 2006, BGBl I 2006/92) verfolgt nun ein anderes Konzept: Die Tätigkeit des Sachwalters unterliegt gerichtlicher Überwachung; widerspricht sie dem Wohl der betroffenen Person, hat das Gericht jemand anderen mit der Sachwalterschaft zu betrauen. Für eine „Weisungsbefugnis“ des Gerichts gegenüber dem Sachwalter besteht im Rahmen der Personensorge keine Rechtsgrundlage (Maurer, Sachwalterrecht3 [2007] § 282 ABGB Rz 6; Barth/Ganner2 94 ff; vgl auch ErlRV 1420 BlgNR 22. GP 19; für eine Berechtigung des Gerichts zur Erteilung von - allerdings nicht selbständig durchsetzbaren - Aufträgen Weitzenböck in Schwimann3 [ErgBd 2007] § 281 Rz 5).

4. Eine Sachwalterumbestellung setzt voraus, dass das Wohl des Betroffenen eine solche Maßnahme erfordert (RIS-Justiz RS0117813). Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor. Das Rekursgericht, das sich eingehend mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt hat, hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der persönliche Kontakt der betroffenen Person mit I***** keineswegs gänzlich unterbunden wird. Während der beabsichtigten Ausflüge war eine qualifizierte, medizinisch und fachlich geschulte Pflege und Betreuung notwendig, weshalb nicht zu vernachlässigende Aspekte gegen eine unbeaufsichtigte Betreuung durch I***** bestanden. Insoweit ist dem Aspekt der Aufrechterhaltung der Gesundheit gegenüber jenem der Lebensfreude der Vorrang zu geben.

5. Die im außerordentlichen Revisionsrekurs angesprochene Möglichkeit einer 24-Stunden-Betreuung in einer anzumietenden Wohnung (als Alternative zum Heimaufenthalt) vermag für sich allein keine andere Beurteilung zu begründen, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Heimaufenthalt aus Gründen des Wohls der Betroffenen beendet werden müsste.

6. Der Ansicht der Revisionsrekurswerberin, weder das Erstgericht noch das Rekursgericht hätten sich mit ihrem Eventualantrag (auf Zulassung von Tagesausflügen) auseinandergesetzt, steht entgegen, dass aus dem Spruch des erstgerichtlichen Beschlusses zweifelsfrei die Abweisung beider Begehren ersichtlich ist. Darüber hinaus ergibt sich aus der Begründung der Rekursentscheidung, dass generell unbeaufsichtigte Ausflüge mit I***** als dem Wohl der Betroffenen abträglich bewertet wurden. Nach der Begründung der Beschlüsse der Vorinstanzen bestanden auch insoweit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachwalter gegen das Wohl der Betroffenen handeln würde.

Textnummer

E97611

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00081.11Z.0511.000

Im RIS seit

04.07.2011

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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