Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §28;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerden des M in Wien, geboren am 26. Oktober 1967, vertreten durch DDr. Georg Bahn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Juli 2000, Zl. 208.670/9-VI/18/99, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsbürger des Irak, betrat am 7. Jänner 1999 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf Asyl, den er folgendermaßen begründete:
"Frage: Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen?
Antw.: Ich habe in Karakosh eine Schweißerwerkstätte gehabt. Eines Tages in der Früh kam ein Kunde zu mir und verlangte, dass ich für ihn in seinem Kühltransporter auf der Ladefläche Haltevorrichtungen montiere. Dies führte ich durch. Zwei Stunden später kam dieser Mann in Begleitung eines hohen Offiziers zurück. Der Offizier fragte mich, ob ich diese Haltevorrichtungen geschweißt hätte. Dies bejahte ich, darauf teile mir der Offizier mit, dass ich mein Geschäft zusperren soll. Der Eingang zu meiner Werkstätte wurde versiegelt und ich wurde vom Offizier zur Polizeistation in Karkosh mitgenommen. Dort wurde ich geschlagen und einvernommen. Ich wurde gefragt, wo ich die von mir verwendeten Winkel bei der Herstellung der Haltevorrichtung (her) hatte. Da ich von verschiedenen Stellen mein Material bezog, konnte ich nicht gleich antworten. Daraufhin erklärte mir der Offizier, dass die von mir verwendeten Winkel von einem Starkstrommasten stammen, welcher durch einen Sabotageakt umgelegt worden war. Für diesen Anschlag wird eine oppositionelle Gruppe verantwortlich gemacht. Ich gab an, dass ich dazu nichts weiß, konnte ihm nicht erklären, wie dieses Material in meine Werkstätte gelangte. Er glaubte mir nicht, worauf ich vier Tage auf der Polizeistation in Karakosh angehalten wurde. Da die ganze Angelegenheit für die örtliche Polizeistation zu groß geworden ist, überstellten sie mich nach Mosul. In Mosul wurde ich weiter bis 01.09.1998 festgehalten. Dort wurde ich von meinem ältern Bruder und meiner Mutter besucht. Ihnen erklärte ich, dass die Haftbedingungen sehr schwer sind und ersuchte sie, für mich etwas zu unternehmen, ansonsten ich mich umbringen würde. Meine Mutter versprach mir, etwas zu unternehmen. Am 01.09.1998, nach dem Abendessen, trat ein Wachmann an mich heran und flüsterte mir ins Ohr, dass ich diese Nacht wach bleiben soll. Kurz nach Mitternacht kam dann dieser Wachmann, sagte ich solle so tun als ginge ich aufs WC und hätte er die Flucht organisiert. Ich verließ in Begleitung des Wachmannes das Gefängnis und wartete dort bereits ein Fahrzeug. Das Fahrzeug brachte mich zu meinen Eltern zurück und am Morgen habe ich wie zuvor angegeben, die Flucht angetreten.
Frage: Können sie noch mehr zur Begründung Ihres Asylantrages angeben?
Antw.: Nein.
Frage: Hatten Sie wegen Ihres christlichen Religionsbekenntnisses Probleme in Ihrem Heimatland?
Antw.: Nein, aber Moslems werden allgemein bevorzugt.
Frage: Waren Sie politisch tätig?
Antw.: Nein.
Frage: Aus Ihrem Vorbringen ist nicht erkennbar, dass Sie aus einem der in der Genfer Konvention angeführten Gründe festgenommen und in ein Ermittlungsverfahren miteinbezogen wurden. Hätte es in Ihrem Fall ein Gerichtsverfahren gegeben und wenn ja, hätten Sie Ihre Unschuld glaubhaft machen können?
Antw.: Ich war in Untersuchungshaft und es wäre zu einer Gerichtsverhandlung gekommen. Diese wollte ich aber nicht mehr abwarten.
Frage: Warum wollten Sie nicht bis zur Gerichtsverhandlung warten. Sie hätten ja auch freigesprochen werden können, zumal es gegen Sie keine Beweise gab?
Antw.: Die Haftbedingungen war sehr schwer und wäre es auch möglich gewesen, dass ich aus der Haft verschwinde oder hätten sie eine große Summe Bestechungsgeldes verlangt. Es wäre mir zu unsicher gewesen.
Frage: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland?
Antw.: Ich würde festgenommen, weil ich aus der Haft geflüchtet bin und die Gerichtsverhandlung nicht abwartete.
Frage: Was droht Ihnen wegen Ihrer Flucht?
Antw.: Mir drohen 15 bis 20 Jahre Haft, weil ich auch illegal das Land verlassen habe.
Frage: Im Nordirak, innerhalb der autonomen Kurdenzone, leben zum Beispiel im Gebiet um Arbil viele assyrische Christen. Das irakische Regime übt in dieser Zone keine Gebietsgewalt aus und wären Sie dort nach Ansicht der erkennenden Behörde vor einer Verfolgung durch das irakische Regime sicher gewesen. Können Sie dazu etwas angeben?
Antw.: Ich wäre dort nicht sicher gewesen.
Frage: Können Sie konkret erklären, warum Sie dort nicht
sicher sein sollen?
Antw.: Ich hätte dort keine Arbeit und würde für mich keine Zukunft sehen. Mehr kann ich dazu nicht angeben."
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 18. Februar 1999 diesen Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nord-Irak zulässig sei. Es stellte fest, dass auf den Beschwerdeführer im Irak der Verdacht gefallen sei, in seiner Firma Metallwinkel verwendet zu haben, die von einem durch Sabotage zerstörten Strommasten stammten. Der Beschwerdeführer sei festgenommen worden habe jedoch aus der Haft entkommen können, bevor es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen sei. Für den Beschwerdeführer bestehe innerhalb des autonomen Kurdengebietes im Nordirak eine inländische Fluchtalternative.
Rechtlich folgerte die erstinstanzliche Behörde, dass sich die Furcht des Beschwerdeführers lediglich darauf bezogen habe, in ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einbezogen zu werden. Aus der Befürchtung, im Falle einer Rückkehr in den Irak wegen Übertretung der Ausreisevorschriften bestraft zu werden, könne kein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitet werden. Das Bundesasylamt gelange daher zu dem Schluss, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vom 11. März 1999 (mit einer Berufungsergänzung vom 25. März 1999) bemängelte der Beschwerdeführer, dass die Behörde nicht geprüft habe, ob Strafverfahren im Irak nach rechtsstaatlichen Prinzipien geführt würden und ob dem Beschwerdeführer durch den Sabotageakt eine oppositionelle Betätigung unterstellt worden sei. Es hätte ermittelt werden müssen, welche Strafe ihm im Irak wegen der unterstellten Mitwirkung an einem Sabotageakt drohe. Er sei auch nicht nach den Zuständen im Gefängnis befragt worden, obwohl er bei der Vernehmung deponiert habe, dass die Haftbedingungen in Mosul sehr schwer gewesen seien. Er habe die Zelle zusammen mit ca. 50 Personen geteilt und habe gesehen, wie Häftlinge nach Verhören in äußerst schlechtem Zustand zurückgekommen seien. Er habe daher alles daran gesetzt, vor den eigenen Verhören aus der Haft freizukommen. Es sei im Irak ganz normal, dass Menschen für geringfügige Vergehen schwere Strafen zu erleiden hätten. Dies betreffe insbesondere assyrische Christen. Der Beschwerdeführer habe befürchtet, dass ihm unter Folter ein Geständnis abgepresst werden sollte. Eine nicht unwesentliche Rolle spiele auch, dass der Vorfall von den irakischen Behörden dazu verwendet worden sei, um von ihm Geld zu erlangen. Der Bescheid begründe auch nicht, weshalb die dem Beschwerdeführer drohende Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung keinen Fluchtgrund darstelle. Im Nordirak sei er vor dem Zugriff des irakischen Geheimdienstes nicht sicher. Es bestehe für ihn keine faktische Rückkehrmöglichkeit dorthin. Er habe im Nordirak keine Verwandten und als Christ sei für ihn dort ein menschenwürdiges Leben und eine Integration so gut wie unmöglich. Es bestehe die Gefahr einer erneuten "Blitzinvasion durch irakische Truppen wie im August 1996". Der Beschwerdeführer beantragte, ihm in einer mündliche Verhandlung Gelegenheit zu geben, zu den Problemkreisen ausführlich Stellung zu nehmen.
Einer Anzeige des Bundesasylamtes an die Bundespolizeidirektion Wien vom 9. Juni 1999 zufolge habe der Beschwerdeführer am 26. März 1999 zum Nachweis seiner Identität einen am 21. Juni 1997 in Al-Hamdaneya ausgestellten Ausweis vorgelegt, der nach den Ergebnissen einer kriminaltechnischen Untersuchung vom 1. Juni 1999 eine unter Verwendung eines Farblaserkopiersystems hergestellte Totalfälschung gewesen sei.
Die belangte Behörde setzte für den 12. Juli 1999 eine mündliche Berufungsverhandlung an, zu der der Beschwerdeführer an seiner in der Berufung angegebenen Adresse "G. Straße 38, 1060 Wien" geladen wurde. Die Zustellung dieser Ladung erfolgte durch Hinterlegung am 18. Juni 1999. Das Zustellstück wurde vom Beschwerdeführer nicht behoben.
Nach einer Auskunft des Zentralmeldeamtes der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. Juli 1999, wonach der Beschwerdeführer am 5. Juli 1999 von der zuletzt genannten Adresse unbekannt wohin abgemeldet worden sei, stellte die belangte Behörde mit dem 20. Juli 1999 das Berufungsverfahren gemäß § 30 Abs. 1 AsylG ein.
Mit Schreiben vom 29. Juli 1999 beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 30 Abs. 2 AsylG die Fortsetzung des Asylverfahrens und nannte als neue Adresse 1160 Wien, Sch. platz 5/5. Das fremdenpolizeiliche Büro der Bundespolizeidirektion Wien teilte der belangten Behörde am 28. September 1999 in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Änderungsmeldung des Beschwerdeführers mit, die Adresse des Beschwerdeführers laute seit dem 5. August 1999 "1090 Wien, B. gasse 6/5".
Nach Übermittlung des Asylaktes durch das Bundesasylamt am 6. August 1999 setzte die belangte Behörde am 8. Juni 2000 als neuen Termin für die mündliche Berufungsverhandlung den 13. Juli 2000 fest und lud den Beschwerdeführer unter der zuletzt bekannt gegebenen Adresse B. gasse 6/5, 1090 Wien. Die Ladung wurde durch Hinterlegung am 14. Juni 2000 zugestellt; die hinterlegte Sendung wurde der belangten Behörde als nicht behoben zurückgestellt.
Am 5. Juli 2000 ersuchte die belangte Behörde das fremdenpolizeiliche Büro der Bundespolizeidirektion Wien im Hinblick auf die Kurzfristigkeit des Termins dringend um die Zustellung der Ladung an den Beschwerdeführer unter der zuletzt genannten Adresse, weil der Beschwerdeführer nach einer Mitteilung von "Asyl in Not" die Zustellung der Ladung nicht habe beheben können. Das Zustellpostamt habe dem Beschwerdeführer, der sich nicht habe ausweisen können, das Schriftstück nicht ausgefolgt.
Die fremdenpolizeiliche Streife traf den Beschwerdeführer jedoch bei zwei Zustellversuchen am 9. Juli 2000 nicht an und verfasste am 10. Juli 2000 einen Bericht über den gescheiterten Zustellversuch, der bei der belangten Behörde am 18. Juli 2000 einlangte. Aus einem Bericht des Bundesministeriums für Inneres vom 4. Dezember 2000 geht hervor, dass der Beschwerdeführer ab dem 7. August 2000 unter einer neuen Adresse L. gasse 12/10, 1120 Wien, gemeldet war.
In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 13. Juli 2000 beschränkte sich die belangte Behörde in Anbetracht der Abwesenheit des Beschwerdeführers auf die Verlesung von Berichten und Aktenteilen, die dem Beweisverfahren zu Grunde gelegt wurden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie sah sich nicht in der Lage, Feststellungen über die Identität des Beschwerdeführers, dessen Herkunft und dessen behauptete Fluchtgründe zu treffen.
Zur allgemeinen Lage im Irak stellte die belangte Behörde unter anderem fest, dass der Machtbereich des Regimes in Bagdad im Norden und im Süden des Iraks eingeschränkt sei. Der Irak sei zweifelsfrei ein totalitärer Staat. Das Recht auf rechtliches Gehör und auf einen Rechtsbeistand vor Gericht sei nicht gewährleistet. Die Menschrechtslage sei alarmierend. Im Irak würden nach wie vor willkürliche Verhaftungen und extralegale Exekutionen praktiziert. Das irakische Strafrecht sehe für viele Delikte unverhältnismäßig harte Strafen vor. Im Irak werde systematisch gefoltert. Bei Festnahmen komme es regelmäßig zu Misshandlungen und zur Anwendung von Folter.
Zu den Asylgründen der (illegalen) Ausreise aus dem Irak und der Stellung eines Asylantrags im Ausland traf die belangte Behörde zusammengefasst folgende Feststellungen:
Nach früheren Berichten habe nicht ausgeschlossen werden können, dass irakische Sicherheits- und Justizorgane bereits das Stellen eines Asylantrages in die Nähe des Straftatbestandes des Verbreitens von Falschnachrichten über den Irak im Ausland sowie der Kritik und der Beleidigung der Staatsorgane gerückt hätten, es gebe allerdings keine Erfahrungswerte hinsichtlich abgeschobener oder zurückgekehrter Asylantragsteller, weil faktisch keine Abschiebungen in den Irak vorgenommen würden. Der irakische Revolutionsrat habe mit Dekret Nr. 110 vom 28. Juni 1999 einen Verzicht auf Strafverfolgung und Bestrafung von "Landesflüchtlingen" erklärt. Allerdings sei nach Berichten des UNHCR und des Deutschen Auswärtigen Amtes gegenüber der Anwendung dieses Dekrets Vorsicht angebracht.
Nunmehr sei davon auszugehen, dass auch dem irakischen Regime bewusst sei, dass sich die wirtschaftliche Lage der irakischen Bevölkerung durch die Sanktionen der Vereinten Nationen dramatisch verschlechtert habe und viele irakische Asylwerber und Flüchtlinge vorrangig durch die allgemeinen schlechten Lebensbedingungen zum Verlassen ihres Landes veranlasst würden. Der Irak messe der illegalen Ausreise, meist bedingt durch die wirtschaftliche Not im Lande, nicht mehr - wie früher angenommen - einen zutiefst politischen Charakter bei. Die Tatsache des illegalen Verlassens des Iraks manifestiere (für die dortigen Machthaber) keine politische Gesinnung, welche eine Verfolgung nach sich ziehe.
Zur Lage im Nordirak und zur Frage der dort anzunehmenden inländischen Fluchtalternative des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, dass die beiden rivalisierenden kurdischen Parteien KDP und PUK dort de facto eine staatsähnliche Gewalt ausübten. Der seit Ende 1997 bestehende Waffenstillstand zwischen beiden Parteien werde eingehalten. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zentralregierung in Bagdad versuche, ihre Staatsgewalt auf den von Kurden besiedelten Nordirak auszudehnen. Den irakischen Sicherheitskräften sei nicht daran gelegen, einem an sich nicht exponierten einfachen Bürger im Nordirak nachzuspüren. Aus den internationalen Berichten sei nicht ableitbar, dass einfache Bürger im Nordirak einer substantiellen Verfolgung durch den dort tätigen irakischen Geheimdienst ausgesetzt wären.
Die an sich schlechten materiellen Lebensbedingungen im Nordirak seien immer noch besser als im restlichen Irak. Die Möglichkeiten, eigene Einkünfte zu erzielen, seien dagegen sehr gering. Für zentralirakische Kurden, die keinen familiären Ursprung im Nordirak hätten, sei es nicht einfach, sich im Nordirak eine Existenz aufzubauen. Für Araber (wie den Beschwerdeführer) sei das zwangsläufig noch schwieriger. Stamme ein Flüchtling aus dem Nordirak, sei seine Rückführung dorthin unbedenklich, soweit es sich nicht um einen exponierten politischen Oppositionellen handle. Für einen nicht von dort stammenden Flüchtling stelle der Nordirak aber nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative dar, wenn er längere Zeit im Nordirak gelebt hätte oder wenn er dort über gesicherte Verbindungen - zB familiärer Art - verfüge. Der Beschwerdeführer (von dem keine Feststellungen über eine Herkunft aus dem Zentralirak getroffen werden konnten) verfüge im Nordirak über familiäre Bindungen. Umstände dafür, dass dem Beschwerdeführer im Nordirak Gefahren für Leib oder Leben drohten, seien nicht hervorgekommen. Eine völlige (wirtschaftliche) Perspektivlosigkeit seines Aufenthaltes in diesem Gebiet habe nicht festgestellt werden können.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer in Täuschungsabsicht bei den österreichischen Asylbehörden einen gefälschten Ausweis vorgelegt habe. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, er werde sich seinen Personalausweis aus der Heimat übermitteln lassen und ihn dann dem Bundesasylamt vorlegen und aus dem Umstand, dass dieser dann vorgelegte Personalausweis sich als plumpe Fälschung erwiesen habe, ergebe sich eindeutig, dass die Angaben des Beschwerdeführers bezüglich seiner Person und seiner Fluchtgründe einer besonders genauen Überprüfung bedürften. Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers spreche, dass sich die Schwere des ihm vorgeworfenen Delikts nicht mit seiner angeblichen Behandlung in der Haft und seiner scheinbar problemlosen Flucht in Einklang setzen ließen. Da der zur mündlichen Berufungsverhandlung geladene Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschienen sei, habe er die aufgetretenen Zweifel an seiner Glaubhaftigkeit zu tragen.
Der Beschwerdeführer habe bei der Schilderung seines Fluchtweges angegeben, ein "Verwandter" habe ihn vom Nordirak aus über die grüne Grenze in die Türkei gebracht. Daraus habe gefolgert werden können, dass der Beschwerdeführer verwandtschaftliche Beziehungen auch im Nordirak besitze, sodass eine völlige Perspektivlosigkeit seines Aufenthaltes in diesem Gebiet nicht erkannt werden könne. Die Angaben des Beschwerdeführers hiezu erschöpften sich darin, dass er "dort keine Arbeit hätte und für sich keine Zukunft sehen würde".
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgungshandlungen habe glaubhaft machen können. Ihm stehe überdies die Möglichkeit offen, im Nordirak Aufenthalt zu nehmen, ohne dort einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Übertretung passrechtlicher Vorschriften könne für sich alleine nicht zur Asylgewährung führen.
Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Nordirak erweise sich als zulässig, weil der Beschwerdeführer im Nordirak über familiäre Bindungen verfüge und sich dort ohne Gefahr für Freiheit, Leib und Leben aufhalten könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde bemängelt die Beweiswürdigung der belangten Behörde, weil diese durch die Annahme der mangelnden Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ganz wesentlich von dem Bescheid des Bundesasylamtes abgewichen sei. Die belangte Behörde habe nicht ausgeführt, weshalb sie von den Feststellungen der belangten Behörde abgewichen sei, sondern behaupte lediglich, "dass ich als Person nicht glaubwürdig sei". Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerde geltend, die belangten Behörde habe die ihr gemäß § 28 AsylG obliegenden Ermittlungspflichten verletzt.
Zur mündlichen Berufungsverhandlung vom 13. Juli 2000 - zu deren Durchführung die belangte Behörde insbesondere wegen des zusätzlichen Vorbringens in der Berufung gemäß § 67d AVG in Verbindung mit Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG verpflichtet war (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, und vom 6. Oktober 1999, Zlen. 99/01/0199, 0240) - wurde der Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen. Dass er (nach einer Mitteilung von "Asyl in Not") das für ihn beim Zustellpostamt hinterlegte Zustellstück nicht beheben konnte, weil er sich nicht auszuweisen vermochte, berührt die Gesetzmäßigkeit der Zustellung ebenso wenig wie das - auf die Abwesenheit des Beschwerdeführers zurückzuführende - Scheitern des nochmaligen Zustellversuches durch Organe des fremdenpolizeilichen Büros der Bundespolizeidirektion Wien am 9. Juli 2000.
Die belangte Behörde stützte ihre Beweiswürdigung insbesondere darauf, dass der zur mündlichen Berufungsverhandlung geladene Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschienen sei. Daher habe der Beschwerdeführer die aufgetretenen Zweifel an seiner Glaubhaftigkeit zu tragen.
Einen derartigen Schluss hätte die belangte Behörde im vorliegenden Fall bei dem gegebenen Verfahrensstand jedoch nicht ziehen dürfen. Es ist zwar richtig, dass es der Beschwerdeführer - soweit aus den Akten ersichtlich - insofern bei der Nichtausfolgung der Ladung bewenden ließ, als er zwar allem Anschein nach "Asyl in Not" darum ersuchte, geeignete Schritte zu setzen, sich aber nicht direkt an die belangte Behörde wandte, um vom Inhalt des hinterlegten Schriftstückes Kenntnis zu erlangen. Daraus durfte aber unter diesen Umständen nicht geschlossen werden, dass sich der Beschwerdeführer nicht an einer Verhandlung beteiligen wollte. An der grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers, deren Mangel eine neuerliche Ladung zum Zwecke der Vernehmung sinnlos machen könnte, konnte zufolge des Fortsetzungsantrags des Beschwerdeführers und der Bekanntgabe seiner Adressenänderung kein Zweifel bestehen. Dass auch die belangte Behörde solche Zweifel nicht hegte, zeigt insbesondere der Versuch, den Beschwerdeführer durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien doch noch von der bevorstehenden Verhandlung vom 13. Juli 2000 verständigen zu lassen. Ist für die Ermittlung des Sachverhalts die Vernehmung des Beschwerdeführers erforderlich, so darf es die belangte Behörde in der Regel und so auch im vorliegenden Fall nicht bei einer einmaligen erfolglosen Ladung des Beschwerdeführers bewenden lassen. Die belangte Behörde hätte vielmehr den Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung verlegen und den Beschwerdeführer i.S.d. § 28 AsylG noch einmal zum Zwecke seiner Vernehmung als Partei laden müssen. Erst nach diesem Verfahrensschritt wäre die belangte Behörde auf der Grundlage eines mängelfreien Verfahrens in der Lage gewesen, unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu beurteilen, welchen Einfluss es auf die Herstellung eines Beweises habe, wenn die zum Zwecke der Vernehmung geladene Partei nicht erscheint.
Da die belangte Behörde schon in diesem Punkt Verfahrensvorschriften außer Acht ließ, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. Februar 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000200469.X00Im RIS seit
11.05.2001