TE OGH 2011/5/11 7Ob7/11x

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Veröffentlicht am 11.05.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen N***** T*****, geboren am *****, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft St. Pölten, Jugendwohlfahrt, 3100 St. Pölten, Am Bischofteich 1), Mutter Y***** T*****, Vater B***** T*****, vertreten durch MMag. Dr. Susanne Binder-Novak, Rechtsanwältin in St. Pölten, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 8. September 2010, GZ 23 R 337/10x, 23 R 338/10v, 23 R 339/10s-32, womit der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 29. April 2010, GZ 2 Pu 27/10x-16, zurückgewiesen wurde und die Beschlüsse vom 26. Mai 2010, GZ 2 Pu 27/10x-18, und vom 10. Juni 2010, GZ 2 Pu 27/10x-23, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit damit der Antrag des Vaters auf Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Beschlusses ON 16 abgewiesen wurde (Beschluss ON 23 und dessen Bestätigung), dahin abgeändert, dass dem Antrag stattgegeben und die Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich dieses Beschlusses aufgehoben wird.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird, soweit er den Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Erstgerichts ON 16 als verspätet zurückwies, ersatzlos behoben und es wird dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird, soweit über den Rekurs gegen den Beschluss ON 18 entschieden wurde, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht verpflichtete den Vater mit dem Beschluss ON 16 dazu, ab 3. 12. 2009 für die Minderjährige monatlich 185 EUR zu bezahlen und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren von 39 EUR ab. Im Spruch dieser Entscheidung ist die Adresse des Vaters mit ***** S***** angeführt. Diese Anschrift war aufgrund einer Anfrage beim Zentralen Melderegister bereits aktenkundig. Der Vater ist dort seit 15. 3. 2010 gemeldet. Dennoch erfolgte die Zustellung des Beschlusses an seine vormalige Adresse in W*****. Laut Rückschein wurde die Sendung am 5. 5. 2010 von einem Mitbewohner der Abgabestelle übernommen.

Das Erstgericht bestätigte am 26. 5. 2010 die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Beschlusses ON 16 und erhöhte am selben Tag mit Beschluss ON 18 die Unterhaltsvorschüsse.

Mit dem am 27. 5. 2010 beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrte der Vater die Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung. Die Zustellung sei mangelhaft, weil er seinen Wohnsitz seit 15. 3. 2010 in S***** habe. Der bekämpfte Beschluss sei von seiner Cousine übernommen und ihm erst am 16. 5. 2010 ausgefolgt worden. Gleichzeitig erhob er Rekurs gegen den Unterhaltsbeschluss ON 16.

Mit Beschluss vom 10. 6. 2010, ON 23, wies das Erstgericht den Antrag des Vaters auf Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Unterhaltsbeschlusses ON 16 ab. Das Erstgericht nahm nach Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens als bescheinigt an, dass der Vater bis 15. 3. 2010 bei der Familie seines Onkels in W***** wohnhaft gewesen sei. Seit 15. 3. 2010 sei er nach S***** übersiedelt. Sein Onkel sei seit 18. 2. 2009 auch sein Arbeitgeber. Der Vater sei halbtags an dessen Kebap-Stand tätig. Am Wochenende sei der Stand geschlossen. Der Vater „hält aber auch während dieser Zeit durch regelmäßige Besuche Kontakt zur Familie seines Onkels“. Nach dem Auszug des Vaters aus der Wohnung in W***** übernahmen wiederholt Familienmitglieder an ihn adressierte Briefe und übergaben sie ihm am Arbeitsplatz oder anlässlich der Wochenendbesuche.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, dass der Zusteller allen Grund zur Annahme gehabt habe, dass der Vater die Abgabestelle in W***** noch regelmäßig aufsuche, was durch die Bereitschaft zur Übernahme des Beschlusses durch seine Tante verdeutlicht werde. Es liege daher eine wirksame Ersatzzustellung vor, sodass die tatsächliche Übernahme des Schriftstücks unerheblich sei.

Das Rekursgericht wies den Rekurs des Vaters gegen den Unterhaltsbeschluss ON 16 als verspätet zurück und gab den Rekursen gegen die Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung und auf Festsetzung des erhöhten Unterhaltsvorschusses nicht Folge. Die Kostenersatzanträge wies es zurück. Auf Grund des regelmäßigen Aufenthalts des Vaters bei der Familie des Onkels in W***** sei die Zustellung wirksam. Die Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung sei zu Recht erteilt worden und der Rekurs gegen den Unterhaltsbeschluss sei damit verspätet. Auf Grund des rechtskräftigen Titels sei auch der Unterhaltsvorschuss zu Recht gewährt worden.

Das Rekursgericht erklärte zunächst den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Auf Antrag des Vaters änderte es diesen Ausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Frage, ob die erfolgte Ersatzzustellung an der ehemaligen Adresse des Unterhaltsschuldners, an der er nach (gerichtsbekannter) polizeilicher Ummeldung zumindest noch fallweise an den Wochenenden aufhältig gewesen sei, rechtswirksam erfolgt sei, erhebliche Bedeutung zukommt.

Gegen den Beschluss richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit einem Aufhebungsantrag.

Die Minderjährige beteiligte sich am Revisionsrekursverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

§ 16 ZustG regelt die Ersatzzustellung, wenn zwar nicht der Empfänger, aber ein Ersatzempfänger an der Abgabestelle in dem Fall anwesend ist, dass der Empfänger zwar beim Zustellversuch nicht anwesend, aber grundsätzlich ortsanwesend (vgl § 16 Abs 5 ZustG) ist. Voraussetzung für die Ersatzzustellung wie für die Hinterlegung ist aber - im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Erstgerichts -, dass es sich bei der Zustelladresse (§ 2 Z 4 ZustG) überhaupt um eine Abgabestelle nach § 2 Z 5 ZustG handelt.

Unter der Wohnung einer Person ist die Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt und wo er gewöhnlich nächtigt und sich aufhält. Dem Ort der meldebehördlichen Meldung kommt bei Bestimmung der Abgabestelle keine Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0083668). Demgemäß stellt das ZustG beim Begriff „Wohnung“ einerseits auf eine einigermaßen feste Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthaltsort und andererseits auch auf eine gewisse Dauer des Nutzungsverhältnisses ab (1 Ob 23/97g). Eine fallweise Benützung der Wohnung reicht nicht aus (VwGH, 26. 11. 2008, 2005/08/0089). Wird die Wohnung überhaupt aufgegeben, fehlt jeder Bezugspunkt für eine Zustellung (Gitschthaler in Rechberger, § 87 ZPO3 [§ 2 ZustG] Rz 8 mwN). Keine Abgabestelle liegt vor, wenn sich der Empfänger nur häufig zu Besuch aufhält (Stummvoll in Fasching/Konecny2, § 87 ZPO [§ 4 ZustG] Rz 20).

Ausgehend von dem von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt wohnte der Vater nach seiner Übersiedlung im März nur mehr in S*****. Er hat damit seine frühere Abgabestelle in W***** aufgegeben. Dass sich der Beklagte an der früheren Abgabestelle „regelmäßig“ an Wochenenden zu Besuch aufhält, ändert daran nichts. Durch Besuche allein wird keine Abgabestelle begründet. Da die Ersatzzustellung nach § 16 ZustG nicht an einer Abgabestelle des Vaters erfolgte und damit auch nicht an einen Mitbewohner, war sie nicht wirksam. Eine Heilung des Mangels trat erst dadurch ein, dass die Sendung dem Vater tatsächlich zukam (§ 7 Abs 1 ZustG). Damit erweist sich der Rekurs, den das Rekursgericht zu Unrecht zurückgewiesen hat, als rechtzeitig. Die Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung wurde daher zu Unrecht erteilt. Das Rekursgericht wird in der Folge über den Rekurs gegen den Unterhaltsbeschluss und die Festsetzung des Unterhaltsvorschusses zu entscheiden haben.

Textnummer

E97335

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00007.11X.0511.000

Im RIS seit

27.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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