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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des S in Wien, geboren am 15. Oktober 1957, vertreten durch Dr. Michael Buresch, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gusshausstraße 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. August 2000, Zl. 215.972/0-IV/10/00, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, betrat am 27. August 1999 das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf Asyl.
Bei seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 26. Jänner 2000 begründete der Beschwerdeführer die Flucht aus seinem Heimatland damit, dass er in Jeanpur (Punjab) eine kleine Landwirtschaft betrieben habe und sein Freund und Nachbar Mitglied einer Untergrundorganisation gewesen sei. Er selbst habe sich für Politik nie interessiert und sei auch nie Mitglied einer politischen Organisation gewesen.
Im Jahre 1998 sei er von der Polizei inhaftiert und über einen Monat im Wachzimmer von Garshenkar deswegen festgehalten worden, weil sein Nachbar von der Polizei gesucht worden sei und sich die Polizei von ihm Angaben über dessen Aufenthaltsort erwartet habe. Durch eine Intervention des Bürgermeisters sei er aus der Haft entlassen worden. Etwa zehn Tage nach seiner Entlassung sei er wiederum verhaftet und zum Aufenthaltsort seines Nachbarn befragt worden. Der Bürgermeister, der ihm ein weiteres Mal zu seiner Entlassung verholfen habe, habe ihm geraten, sein Dorf zu verlassen, weil die Polizei ihn wahrscheinlich wieder verhaften würde.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. Februar 2000 wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Die erstinstanzliche Behörde führte aus, es sei nicht feststellbar, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat aus asylrelevanten Gründen verfolgt werde. Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Gefahr liefe, im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, seien ebenfalls nicht feststellbar.
In der Beweiswürdigung führte die Behörde erster Instanz aus, dass die Aussagen des Beschwerdeführers nicht den (einzeln aufgelisteten) Anforderungen an ein glaubhaftes Vorbringen entsprächen. Der Beschwerdeführer habe trotz Nachfrage keine konkreten oder detaillierten Angaben machen können. Sein Vorbringen bezüglich der polizeilichen Festnahmen sei "keiner Feststellung unterzogen" worden, weil dem vom Beschwerdeführer angegebenen Sachverhalt selbst dann, wenn er vorläge, keine Entscheidungsrelevanz zukomme. Die geschilderten polizeilichen Maßnahmen bezweckten lediglich, den Aufenthaltsort seines Nachbarn in Erfahrung zu bringen. Der Beschwerdeführer selbst sei keiner bestimmten politischen Gesinnung verdächtigt worden. Die Verhöre stellten keine Verfolgung in der für eine Asylgewährung erforderlichen Intensität dar. Der Beschwerdeführer sei freigelassen worden, ohne dass gegen ihn der Vorwurf einer strafbaren Handlung erhoben worden wäre.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er erstmals vorbrachte, in seiner Heimat der Mitgliedschaft zu einer Untergrundorganisation verdächtigt worden zu sein. Er sei deswegen von sofortiger Verhaftung, Misshandlung und dem Umbringen bedroht. Nach seiner Verhaftung im Jahre 1998 habe man von ihm nicht nur den Aufenthaltsort seines Nachbarn erfahren wollen, sondern ihm gleichzeitig vorgeworfen, ebenfalls ein Mitglied dieser Untergrundorganisation zu sein. Bei mehrmaligen Verhören sei er "mit Faustschlägen auf mein Gesicht, Fußtritten und Schlägen mit einer Holzstange auf meinen Körper schwer gefoltert" worden. 10 Tage nach seiner Freilassung sei er wiederum für 10 Tage inhaftiert und erneut schwer geschlagen worden. Er sei nach wie vor der Gefahr ausgesetzt, erneut verhaftet zu werden.
Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, zu der der ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschien.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie traf auf Grund von eingeholten Berichten und auf Grund von Angaben eines als Sachverständigen vernommenen Dolmetschers Feststellungen über die allgemeine politische Situation in Indien, insbesondere im Punjab und führte sodann zu dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers aus:
"Nach Abschluss des Beweisverfahrens gelangt die Berufungsbehörde zur Ansicht, dass die Tatsachenfeststellungen, Würdigungen und rechtliche Begründung des Erstinstanzlichen Bescheides in vollem Einklang zu dem von der Berufungsbehörde eingesehenen Dokumentationsmaterial stehen; (...).
Die nachfolgenden ergänzenden Feststellungen (Würdigungen) unterstützen lediglich die Erstbehördliche Begründung und bekräftigen diese in ihrem Rechtsbestand weshalb die Feststellungen (insoweit nicht geringfügig ergänzt) die Würdigung (insoweit nicht geringfügig ergänzt und rechtliche Begründung des Erstinstanzlichen Bescheides hiemit ausdrücklich auch von der Berufungsbehörde übernommen wird).
Dies bezieht sich ausdrücklich auch auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylvorbringens und des Asylwerbers.
Die glaubhaften schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen sind ein weiteres Indiz dafür, dass der Asylwerber in Entscheidungsrelevanten Bereichen die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens nicht dartun konnte, dies mit der im Bescheid Erster Instanz aufgezeigten Folge."
Nach Ausführungen darüber, dass die Berufungsbehörde ihrer Begründungspflicht dadurch genüge, dass sie allgemein auf die Gründe im Bescheid der Vorinstanz verweise, "falls sie in der Frage des Sachverhaltes und der rechtlichen Beurteilung mit der Ersten Instanz einer Meinung ist und der Oberinstanz keine durch die Begründung der Unterinstanz offen gelassene Frage vorgelegt wurde", führte die belangte Behörde aus, die Berufung habe kein konkretes tatsächliches Vorbringen angeführt, "auf Grund derer die Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können." Eine Berufung, der lediglich zu entnehmen sei, dass der Bescheid bekämpft werde, aber nicht angebe, worin die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung erblickt werde, sei mangelhaft begründet. Dem AVG sei die bloße Berufungsanmeldung fremd.
Die Begründung des Bescheides schließt mit folgenden Ausführungen:
"Soweit im Berufungsverfahren Feststellungen getroffen wurden bestätigen und bekräftigen sie die Feststellungen der Behörde Erster Instanz und stehen im Einzelnen (sowie in Verbindung mit der Amtskenntnis) in keinem erkennbaren Widerspruch mit den Feststellungen und dem übrigen Bescheidinhalt der Behörde Erster Instanz.
Somit hatte die Berufungsbehörde unter Abstandnahme die Möglichkeit einer eigenen Entscheidungsfindung den Bescheid der Behörde erster Instanz voll inhaltlich zu bestätigen, dessen Inhalt zum eigenen zu machen und die Berufung abzuweisen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer sieht sich unter anderem sowohl in seinem durch § 37 AVG gewährleisteten Recht, dass die Behörde den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen habe, als auch in dem durch § 45 Abs. 2 AVG gewährleisteten Recht, dass die Behörde nach freier Überzeugung zu beurteilen habe, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht, verletzt. Bereits diese Vorwürfe sind im Ergebnis berechtigt und führen zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides.
Die erstinstanzliche Behörde setzte sich im hier entscheidenden Bereich der Vorgangsweise der Polizei mit der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht auseinander und "unterzog" sein Vorbringen ausdrücklich "keiner Feststellung", weil sie der Auffassung war, dass weder eine asylrelevante Intensität der Verfolgung des Beschwerdeführers, noch ein asylrelevanter Grund für eine solche Verfolgung vorliege. Diese Auffassung durfte sich die belangte Behörde nicht einfach zu Eigen machen, weil der Beschwerdeführer in der Berufung das oben erwähnte neue asylrelevante Vorbringen erstattete.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Den hier genannten Anforderungen der Klarheit, Übersichtlichkeit und Eindeutigkeit der Begründung entspricht der angefochtene Bescheid nicht, weil er lediglich auf die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Bescheides erster Instanz verweist, die jedoch zu den konkreten Angaben des Beschwerdeführers aus den bereits genannten Gründen gar keine Feststellungen getroffen hatte. Es bleibt dunkel, ob und welche eigenen beweiswürdigenden Überlegungen die belangte Behörde angestellt hat und was sie in der Begründung ihres Bescheides zum Ausdruck bringen wollte.
Weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. Februar 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000200491.X00Im RIS seit
24.04.2001