TE Vwgh Erkenntnis 2001/2/22 2000/20/0468

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Veröffentlicht am 22.02.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §45;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §72 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2000/20/0481

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerden des B in Linz, geboren am 8. März 1966, vertreten durch 1. Mag. Veronika Feichtinger, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Landstraße 47, 2. Dr. Helmuth Hackl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hauptplatz 23/II, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates 1. vom 23. August 2000, Zl. 213.781/4-III/07/00, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung eines Termins zur Verhandlung,

2. vom 27. Juli 2000, Zl. 213.781/0-III/07/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG,

zu Recht erkannt:

Spruch

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und der zweitangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 25.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

A.

I. Mit dem erstangefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 23. August 2000 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 7. August 2000 gegen die Versäumung der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vom 27. Juli 2000 gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers im Wiedereinsetzungsantrag zu Grunde, welches wie folgt lautete:

"Ich fuhr bereits am 26.07.2000 am Abend nach Wien, weil ich Angst hatte die Verhandlung zu versäumen, wenn ich erst am 27.07.2000 in der Früh fahren würde, da ich mich in Wien nicht auskenne. Ich verbrachte die Nacht auf dem Bahnhof. In der Früh des 27.07.2000 fragte ich dann jemanden auf dem Bahnhof, wie ich zum Unabhängigen Bundesasylsenat komme. Diese Person hat mir gesagt ich soll die Straßenbahn Nr. 9 nehmen. Dies tat ich auch. Ich bin bis zur Endstation gefahren, da die Station bei der ich aussteigen sollte nicht kam. Dann bis ich wieder zurück zum Westbahnhof. Dort habe ich dann die Straßenbahn Nr. 6 genommen. Ich bin, weil mir das so gesagt wurde, in den Bus 67 umgestiegen, aber irrtümlich eine Station zu weit gefahren. Ich bin dann die Station zu Fuß zurückgelaufen. Ich vermute, ich kam ca. 20 bis 30 Minuten zu spät beim UBAS an. Der Portier hat meine Lagerkarte verlangt. Nachdem ich sie ihm gezeigt habe, hat der Portier gesagt, ich sei über 15 Minuten zu spät und muss gehen. Dann hat er die Türe geschlossen. Ich habe dann noch einmal geklopft und den Portier gebeten mich reinzulassen. Dieser hat es aber abgelehnt, und erneut gesagt, ich solle gehen. Daraufhin habe ich wieder geklopft doch der Portier hat nur geschrien: 'Raus, raus!' Darauf hin bin ich weggegangen."

Ferner habe eine Rückfrage der belangten Behörde beim Portier ergeben, dass der Beschwerdeführer 40 Minuten zu spät erschienen sei. Er sei vom Portier abgewiesen worden, weil zu diesem Zeitpunkt die Verhandlung bereits in seiner Abwesenheit durchgeführt und beendet worden sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, es handle sich bei den vom Beschwerdeführer geschilderten Umständen weder um ein unvorhergesehenes noch um ein unabwendbares Ereignis. Der Beschwerdeführer hätte so rechtzeitig aufbrechen müssen, dass ihm die Einhaltung eines Termins auch für den Fall, dass sich das Risiko der Einschlagung eines falschen Weges realisiere, möglich sei. Der Beschwerdeführer habe die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht außer Acht gelassen.

II. Der Beschwerdeführer, ein Staatangehöriger Ghanas, betrat am 4. März 1999 das Bundesgebiet und stellte am 5. März 1999 einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Oktober 1999 wurde dieser Antrag abgewiesen und die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana für zulässig erklärt.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG (neuerlich) festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana zulässig sei. Der Bestand dieses zweitangefochtenen Bescheides wird durch die Aufhebung des erstangefochtenen, den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers ablehnenden Bescheid nicht berührt, sondern würde dies erst dadurch, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung bewilligt würde (§ 72 Abs. 1 AVG).

Gegen diese Bescheide richten sich die Beschwerden mit dem Antrag, sie wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

B.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

I. Gemäß § 23 AsylG findet auf das Verfahren nach diesem Bundesgesetz, soweit nichts anderes bestimmt wird, das AVG Anwendung. Nach § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer mündlichen Verhandlung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach dem von der belangten Behörde dem erstangefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Vorbringen des Beschwerdeführers habe dieser am Morgen des Verhandlungstages (27. Juli 2000) von einer auf dem Bahnhof angesprochenen Person die unrichtige Auskunft bekommen, der Beschwerdeführer könnte mit der Straßenbahnlinie Nr. 9 zur belangten Behörde gelangen. Diese Falschauskunft sowie die daran anschließende Irrfahrt bis zur Endstation der genannten Straßenbahnlinie und zurück stellt für den orts- und sprachunkundigen Beschwerdeführer sowohl ein unvorhergesehenes als auch unabwendbares Ereignis dar, an dem ihn höchstens nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Auch bei einem mit durchschnittlicher Sorgfalt vorgehenden Menschen kann es vorkommen, dass er sich auf die - unverdächtige (andere Umstände sind nicht hervorgekommen) - Auskunft eines Passanten verlässt und im Vertrauen darauf schädliche Dispositionen vornimmt. Das im Übrigen sorgfältige Vorgehen des Beschwerdeführers ist daran zu ersehen, dass er sich bereits tags zuvor auf den Weg machte, um ein rechtzeitiges Erscheinen bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde sicherzustellen und dass er unmittelbar nach seinem verspäteten Eintreffen bei der belangten Behörde versucht hat, seine Teilnahme daran doch noch zu ermöglichen.

Da die belangte Behörde das Verschulden des Beschwerdeführers an der Versäumung des Verhandlungstermines unzutreffend beurteilte, war der erstangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. II. Die belangte Behörde ist im zweitangefochtenen Bescheid - im Gegensatz zur Behörde erster Instanz - den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt gefolgt und stellte insbesondere fest, dass der Beschwerdeführer Näharbeiten für die Herstellung von Werbemitteln einer oppositionelle Partei Ghanas durchgeführt habe. Bei dem gewaltsamen, von fünf Männern vorgenommenen Beschlagnahme dieser Näharbeiten sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Der Beschwerdeführer sei schließlich von Soldaten, die die Regierungspartei unterstützt hätten, festgenommen und ohne Anklage oder Verfahren zwei Jahre lang in einem "Camp der Soldaten" festgehalten worden. Am 30. November 1998 sei dem Beschwerdeführer die Flucht gelungen, wobei der einzige anwesende Wächter erschossen worden sei.

Die Beschwerde richtet sich im Wesentlichen gegen die weiteren Feststellungen der belangten Behörde, wonach die Inhaftierung des Beschwerdeführers nicht aus der Motivation heraus erfolgt sei, dass man ihm etwa eine missliebige politische Gesinnung unterstellt hätte und dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Ghana keine Furcht vor Verfolgung, Schikanierung oder Misshandlung zu erwarten habe.

Die Beweiswürdigung ist insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um deren Schlüssigkeit - also die Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrensgut - oder darum handelt, ob die Beweise, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 262 ff zu § 45 AVG, wiedergegebene ständige Rechtsprechung). Die Beweiswürdigung der belangten Behörde genügt diesen gesetzlichen Anforderungen nicht. Die festgestellten Umstände der Verhaftung des Beschwerdeführers und die schwer wiegende Tatsache seiner zweijährigen willkürlichen Inhaftierung legen nach menschlichem Ermessen lediglich den Schluss nahe, dass dieser Verfolgungshandlung nur ein - dem Beschwerdeführer zumindest unterstelltes -asylrelevantes Motiv seiner der Staatsgewalt missliebigen politischen Gesinnung zu Grunde gelegen haben kann. Ohne weitere Beweisergebnisse, die die konkrete Situation des Beschwerdeführers betreffen oder die sich mit dieser Situation zumindest in einen substantiellen Zusammenhang bringen lassen, kann der genannte Schluss unter den vorliegenden Umständen nicht entkräftet werden. Die von der belangten Behörde zur Begründung ihres gegenteiligen Ergebnisses herangezogenen abstrakten Berichte zur politischen Entwicklung und zur allgemeinen Situation in Ghana stehen mit dem festgestellten Schicksal des Beschwerdeführers in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang. Aus denselben Gründen lässt sich aus diesen Unterlagen auch kein konkreter Anhaltspunkt dafür gewinnen, dass der Beschwerdeführer nunmehr in Ghana vor Verfolgung sicher wäre.

Weil die belangte Behörde damit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der zweitangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. Februar 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000200468.X00

Im RIS seit

24.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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