TE OGH 2011/5/24 14Os24/11b

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.05.2011
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vetter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Afrim B***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 9. Juli 2010, GZ 17 Hv 185/08v-67, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil und demzufolge auch der Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Afrim B***** der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (I), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (II), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (III) sowie des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er „am 20. Mai 2008 in G***** an der am 23. Mai 1995 geborenen Barbara P***** nachstehende Handlungen vorgenommen bzw sie zur Duldung nachstehender Handlungen genötigt, die eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatten, und zwar

(I) außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie mehrfach mit Körperkraft an sich drückte und über der Bekleidung ihre Brüste sowie den Vaginalbereich betastete;

(II) mit Gewalt, indem er ihr eine nicht bekannte betäubende Substanz verabreichte, sie mit seinen Händen fest umklammerte und festhielt, zur Duldung

1) einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er mit seinem Finger in ihre Vagina eindrang und

2) des Beischlafs genötigt, indem er mit seinem Penis mehrmals in ihre Vagina eindrang;

(III) durch die zu I des Anklagesatzes angeführten Tathandlungen mithin an einer Unmündigen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

(IV) durch die zu II des Anklagesatzes angeführten Tathandlungen mithin an einer Unmündigen eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung sowie den Beischlaf vorgenommen.“

Dagegen richtet sich die auf die Gründe der Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 4) zeigt nämlich zutreffend einen durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 9. Juli 2010 gestellten Antrags auf Vernehmung der Zeugin Melanie Pe***** „zum Beweis dafür, dass Barbara P***** mehreren Freunden bzw insbesondere ihr selbst mitteilte, dass sie den Angeklagten zu Unrecht belastet habe“ (ON 66 S 16 f und 21), bewirkten Verstoß gegen Verfahrensgrundsätze auf, deren Beobachtung durch grundrechtliche Vorschriften, insbesonders durch Art 6 MRK, oder sonst das Wesen eines die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten war.

Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist zwar keine entscheidende Tatsache; dem (behaupteten) Umstand, dass die - wie hier einzige unmittelbare - Belastungszeugin gegenüber der beantragten Beweisperson ausdrücklich die Unwahrheit der gegen den Angeklagten erhobenen Anschuldigungen eingeräumt hat, betrifft jedoch - insbesondere aufgrund des Fehlens anderer objektiver Beweismittel (siehe US 14 bis 16) - einen erheblichen Umstand, der also geeignet ist, die Feststellung entscheidender Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen. Hätte Barbara P***** der beantragten Zeugin gegenüber tatsächlich zugestanden, die den Beschwerdeführer belastenden Angaben erfunden zu haben, dürfte dieser Umstand in der Beweiswürdigung keineswegs unerörtert bleiben. Die Ablehnung des Antrags, die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben des Tatopfers einer Überprüfung und Kontrolle zu unterziehen, begründet daher Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO (RIS-Justiz RS0096368 [T10 bis T14], RS0098429 [T1 bis T3 und T5] sowie RS0028345 und RS0120109; ebenso Ratz, WK-StPO § 281 Rz 29, 340, 350 und Fabrizy, StPO10 § 55 Rz 4).

Gleiches gilt im Übrigen für den - obwohl nur mittels Schriftsatz, jedoch ohne entsprechenden Vortrag in der Hauptverhandlung gestellten und insoweit (trotz der Erklärung des Verteidigers in der Hauptverhandlung, auf den Zeugen nicht zu verzichten; vgl ON 66 S 16) vom Schutzbereich des § 281 Abs 1 Z 4 StPO nicht umfassten (RIS-Justiz RS0099099 sowie Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310 und 313), vom Erstgericht aber dennoch (durch Abweisung) behandelten (ON 66 S 21) - Antrag auf Ladung (und Vernehmung) des Zeugen Christoph S***** zum (im Wesentlichen) gleichlautenden Beweisthema (ON 64 S 9).

Da das angefochtene Urteil zur Gänze von der Richtigkeit der Angaben der einzigen Belastungszeugin Barbara P***** abhängt und der aufgezeigte Mangel damit - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - eine Aufhebung des gesamten Urteils samt des - von der Rechtskraft des Urteils abhängigen - nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO gefassten Beschlusses (vgl RIS-Justiz RS0101886; zuletzt 13 Os 17/11a) bereits in nichtöffentlicher Sitzung erfordert (§ 285e StPO), erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde.

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird im Falle einer neuerlichen Verurteilung zu beachten sein, dass bei mehreren gleichartigen sexuellen Übergriffen nach §§ 201 Abs 1, 202 Abs 1, 206 Abs 1 oder 207 Abs 1 StGB, die für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) ursächlich geworden sind, die Erfolgsqualifikation (§§ 201 Abs 2, 202 Abs 2, 206 Abs 3 oder 207 Abs 3 StGB) nur bei einer dieser Taten angelastet werden darf (RIS-Justiz RS0120828; Philipp in WK2 § 201 Rz 30, § 202 Rz 15, § 206 Rz 15, § 207 Rz 27).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E97621

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0140OS00024.11B.0524.000

Im RIS seit

11.07.2011

Zuletzt aktualisiert am

11.07.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten